Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.04.2022, Az.: 2 B 91/22
Baurecht, Änderung; Gebäudeteil, vortretender; Grenzabstand; Nachbarschutz; Rücksichtnahmegebot
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.04.2022
- Aktenzeichen
- 2 B 91/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59542
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 1 BauGB
- § 5 Abs 1 BauO ND
- § 5 Abs 3 Nr 2 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung bestimmt sich danach, ob die Baumaßnahme oder bauliche Anlage mit dem im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung geltenden öffentlichen Baurecht vereinbar ist. Eine Klarstellung des Gesetzgebers (hier zu § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO) wirkt nicht gegenüber einer bereits erteilten Baugenehmigung.
2. Bei der Überprüfung nachbarschützender Vorschriften des Grenzabstandsrechts bleiben nicht nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts außer Betracht.
Tatbestand:
Die Antragstellerin wehrt sich im Wege der Drittanfechtung gegen ein Bauvorhaben der Beigeladenen.
Die Antragstellerin ist Miteigentümerin des Grundstücks A-Straße in A-Stadt (Gemarkung F., G., Flurstück H.). Am 07.06.2021 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten auf dem westlich des Grundstücks der Antragstellerin gelegenen Grundstück I. (künftig) 6 (Flurstück J.). Die Grundstücke liegen im Ortsteil F. der Antragsgegnerin südlich der Straße I. in nordwestlich-südöstlicher Richtung. Ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich nicht. Die Beigeladene plant die Errichtung eines 17 m langen, schmalen, zweigeschossigen Hauses mit einem flachen Satteldach. Die Außenwand des Gebäudes soll am nordöstlichen Ende in Richtung des Grundstücks der Antragstellerin auf einer Länge von 5,65 m so weit hervortreten, dass sie in diesem Bereich zur gemeinsamen Grundstücksgrenze einen Abstand von zwei Metern einhält.
Am 10.09.2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine entsprechende Baugenehmigung. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Genehmigung. Sie führte aus, das geplante Gebäude verstoße im Bereich des hervortretenden Gebäudeteils gegen die Grenzabstandsvorschriften. Durch Widerspruchsbescheid vom 02.03.2022 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück und lehnte den Aussetzungsantrag ab. Wegen des Inhaltes des Widerspruchsbescheids wird auf Blatt 83 ff. der Beiakte 001 Bezug genommen.
Am 04.04.2022 hat die Antragstellerin Klage erhoben (2 A 90/22) und zugleich vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Zur Begründung trägt sie vor, nach der zum 01.01.2022 in Kraft getretenen Änderung des § 5 Abs. 3 Nr. 2 der Nds. Bauordnung (NBauO) dürfe der Grenzabstand nur durch vor die Außenwand hervortretende Gebäudeteile unterschritten werden, nicht aber durch das Gebäude selbst. Mit der Neufassung habe der Gesetzgeber keine Änderung der bisherigen Rechtslage vornehmen, sondern nur das klarstellen wollen, was schon zuvor gegolten habe. Daneben sei die Unterschreitung des Grenzabstands durch einen 5,65 m langen Gebäudeteil auch deshalb unzulässig, weil der Beigeladenen in rechtswidriger Weise ein 17 m langer Baukörper zugestanden worden sei. Dieser sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil er eine zu hohe Bebauungstiefe aufweise und in den Außenbereich hineinrage. Sie dürfe dies rügen, weil der Verstoß gegen das Bauplanungsrecht dazu führe, dass ein Gebäude den gesetzlichen Grenzabstand auf einer Länge unterschreite, die bei der Einhaltung der bauplanungsrechtlichen Regeln unzulässig wäre. Lege man die zulässige Gebäudelänge zugrunde, würde der hervortretende Teil die Grenze eines Drittels der Wandbreite überschreiten.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (2 A 90/22) anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt aus, es komme nicht auf die ab 01.01.2022 geltende, sondern auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung an. Das Vorhaben verletze das Rücksichtnahmegebot nicht. Der Antrag könnte auch dann nicht erfolgreich sein, wenn das Gebäude in den Außenbereich hineinragen würde.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Er ist nach § 80a Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 212a BauGB statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Antragstellerin vor Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes das nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 6 VwGO erforderliche behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Absatz 4 VwGO erfolglos durchlaufen. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Abzuwägen ist das Interesse des Nachbarn am vorläufigen Unterbleiben der Bebauung gegen das Interesse des Bauherrn an der Fertigstellung des Vorhabens. Dabei kommt es im Regelfall darauf an, ob dem Nachbarwiderspruch bzw. der Nachbarklage hinreichende Erfolgsaussichten beizumessen sind, ob also die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.03.2011 - 7 ME 97/10 -, juris, Rn. 16, m.w.N.) durch das Bauvorhaben offensichtlich ist. Hier hat die Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es verbleibt daher bei der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 212a BauGB vorgenommenen Wertung, wonach ein besonderes Vollzugsinteresse besteht.
Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nicht gegen bauordnungsrechtliche Abstandsvorschriften. Zwar schöpft das Gebäude der Beigeladenen die gesetzlich vorgegebenen Grenzabstände in Richtung des Grundstücks der Antragstellerin weitgehend aus; die entsprechenden Vorschriften sind sämtlich nachbarschützend (vgl. Burzynska/Fontana in Große-Suchsdorf u. a., NBauO, 10. Auflage 2020, § 68 Rn. 71 ff. m.w.N.). Der Umstand, dass die Abstandsregelungen (lediglich) ausgeschöpft werden, führt jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung von Rechten der Antragstellerin. Diese könnte sich nur auf eine Verletzung der Regelungen berufen, die hier nicht vorliegt.
Nach § 5 Abs. 1 NBauO müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten, der zur nächsten Lotrechten über der Grenzlinie zu messen ist; er richtet sich jeweils nach der Höhe des Punkts über der Geländeoberfläche (H) und darf auf volle 10 cm abgerundet werden. Der Abstand beträgt 0,5 H, mindestens jedoch 3 m (§ 5 Abs. 2 Satz 1 NBauO). Er darf von Vorbauten und anderen vortretenden Gebäudeteilen um nicht mehr als 1,50 m, höchstens jedoch um ein Drittel unterschritten werden, wenn die Gebäudeteile insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der jeweiligen Außenwand in Anspruch nehmen (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO in der im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Fassung, vgl. dazu unten).
Das Gebäude der Beigeladenen soll an dem im nordöstlichen Bereich in Richtung der Grundstücksgrenze hervortretenden Gebäudeteil bis zur Schnittlinie von Wand und Dachhaut eine Höhe von 6 m erhalten; das flache Satteldach bleibt außer Betracht, weil es eine Dachneigung von nur 30° erhalten soll (vgl. Breyer in Große-Suchsdorf, a.a.O., § 5 Rn. 46). Es muss also grundsätzlich einen Grenzabstand von 3 m einhalten. Gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO darf jedoch der hervortretende Gebäudeteil den Abstand um ein Drittel unterschreiten, weil die Breite dieses Gebäudeteils (5,65 m) geringer ist als ein Drittel der Wandfläche (17 m). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass das Gebäude in diesem Bereich nur einen Abstand von 2 m einhält.
Der Auffassung der Antragstellerin, die Norm sei so auszulegen, dass der privilegierte Gebäudeteil vor die Außenwand hervortreten müsse und nicht die Außenwand selbst hervortreten könne, folgt die Kammer nicht. Sie teilt insoweit die Rechtsauffassung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, wonach diese Auslegung im Gesetz in der hier anzuwendenden Fassung keine Stütze findet (Nds. OVG, Beschluss vom 04.06.2019 - 1 ME 76/19 -, juris Rn. 9).
Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, dass § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO mit Wirkung vom 01.01.2022 geändert worden ist und jetzt darauf abstellt, dass die privilegierten Gebäudeteile „vor die Außenwand treten“. Die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung bestimmt sich danach, ob die Baumaßnahme oder bauliche Anlage mit dem im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung geltenden öffentlichen Baurecht vereinbar ist. Die Baugenehmigung wird mit der Bekanntgabe an den Bauherren wirksam. Dies hat zur Folge, dass zwar nachträgliche Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage zugunsten des Bauherren zu berücksichtigen sind, nicht jedoch „rechtsverschärfende“ Änderungen der Rechtslage während eines vom Nachbarn angestrengten Widerspruchs- oder Klageverfahren zulasten des Bauherrn. Die erteilte Baugenehmigung vermittelt dem Bauherrn eine Rechtsposition, die sich gegenüber später eintretenden Änderungen durchsetzt (Burzynska/Mann in Große/Suchsdorf, a.a.O., § 70 Rn. 70 und 77).
Anderes gilt auch nicht deshalb, weil der niedersächsische Landesgesetzgeber nach Auffassung der Antragstellerin mit der zum 01.01.2022 in Kraft getretenen Rechtsänderung nur das klarstellen wollte, was auch schon zuvor geltendes Recht gewesen sei. Anhaltspunkte für einen Willen des Gesetzgebers, der Gesetzesänderung Rückwirkung beizumessen und ihre Anwendung auch auf Sachverhalte anzustreben, in denen bereits eine Baugenehmigung erteilt worden ist, enthält die Gesetzesbegründung (LT-Drs. 18/9393 vom 01.06.2021) nicht. Dort wird unter „Anlass und Ziele des Gesetzes“ ausgeführt, es seien einige Änderungen enthalten, die zu einer Verbesserung in praktischen Anwendungen (u. a. Grenzabstände) führen sollten (S. 14). In der Begründung zur Änderung des § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO wird sodann gesagt, die Norm werde aufgrund von Auslegungsproblemen neu formuliert. Es werde klargestellt, dass nur vor die Außenwand tretende Gebäudeteile die Begünstigung zur Unterschreitung des Regelabstands erfahren dürften, nicht aber das Gebäude an sich. Auch wenn hier die Formulierung „klargestellt“ benutzt wird, spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber die Neuregelung auf „alte“ Sachverhalte angewandt sehen wollte.
Im Übrigen unterläge eine solche „rückwirkende Norminterpretation“ auch erheblichen Bedenken. Im Prozess des Normerlasses hat der Gesetzgeber zunächst selbst die Möglichkeit, durch die Gestaltung des Wortlauts, die Beifügung von Legaldefinitionen und die Art der Gesetzesbegründung auf die Rahmenbedingungen der späteren Auslegung der Norm Einfluss zu nehmen. Erst den Gerichten steht jedoch die Befugnis zu letztverbindlichen Interpretation zu. Ihre Auslegung kann durch den Gesetzgeber nicht unmittelbar in Frage gestellt werden. Zwar bedeutet dies nicht, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, eine von den Gerichten begründete verbindliche Norminterpretation durch eine neue oder - aus seiner Sicht - klarstellende Regelung zu korrigieren. Während jedoch eine solche Korrektur mit Wirkung für die Zukunft ohne Weiteres möglich ist, unterliegt eine auch in die Vergangenheit zurückwirkende Regelung strengen Anforderungen und ist nur im Rahmen einer entsprechenden Eingriffsrechtfertigung zulässig, soweit sie in geschützte Rechtspositionen eingreift (Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.01.2002 - LVG 3/01, LVG 5/01 -, juris Rn. 48 f.). Bereits der Umstand, dass der Gesetzgeber eine rückwirkende Inkraftsetzung der Änderung nicht vorgenommen hat, spricht dafür, dass ihm die hohen Hürden eines solchen Eingriffs in bestehende Rechtspositionen bewusst waren und er seine Vorstellung von der „richtigen“ Anwendung der Norm erst für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten durchsetzen wollte.
Soweit die Antragstellerin weiter der Auffassung ist, das Gebäude der Beigeladenen mit einem auf einer Breite von 5,65 m vortretenden Gebäudeteil verstoße gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO, weil es mit einer Länge von 17 m bauplanungsrechtlich unzulässig sei, folgt die Kammer dem nicht. Die Antragstellerin hält das Gebäude der Beigeladenen deshalb für bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es eine zu hohe Bebauungstiefe aufweise, gegen eine faktische Baugrenze vorstoße und in den Außenbereich hinausrage. Dieser Vortrag lässt eine Verletzung nachbarschützender Normen nicht erkennen. In der Regel dienen Vorgaben zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nur öffentlichen städtebaulichen Belangen, so dass sie jedenfalls im unbeplanten Bereich Nachbarschutz nur im Rahmen des Rücksichtnahmegebots entfalten, das sich im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB aus dem Begriff des „Einfügens“ und im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 BauGB aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergibt (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit dem Urteil vom 26.05.1978 - IV C 9.77 -, BVerwGE 55, 369; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, Vorb. zu §§ 29-38 Rn. 42 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 16 Rn. 58; vgl. auch Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 34 Rn. 132 f.). Dasselbe gilt für den Nachbarschutz gegenüber Vorhaben im Außenbereich (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., Rn. 72). Da die Antragstellerin sich somit auf die nur öffentlichen Belangen dienenden Regelungen nicht berufen kann, muss sie das Vorhaben der Beigeladenen insoweit in der genehmigten Form hinnehmen. Weil die Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, zu den überbaubaren Grundstücksflächen und zur Inanspruchnahme des Außenbereichs nicht ihren individuellen Belangen dienen, kann sie auch nicht verlangen, dass die Wandbreite von 17 m für die Berechnung der Breite des hervortretenden Gebäudeteils einer „fiktiven Kürzung“ unterzogen wird.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist für das Gericht nicht zu erkennen. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen einer Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung oder Besonnung scheidet in der Regel aus, wenn die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden (Nds. OVG, Beschluss vom 18.02.2009 - 1 ME 282/08 -, juris Rn. 43 m.w.N.). An dieser Rechtsprechung halten das Bundesverwaltungsgericht, das Nds. Oberverwaltungsgericht wie auch die Kammer auch nach der Verringerung des Mindestabstands durch die am 13.04.2012 in Kraft getretene Neufassung der NBauO grundsätzlich fest (BVerwG, Beschluss vom 27.03.2018 - 4 B 50/17 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Urteil vom 30.05.2016 - 1 LB 7/16 -, juris Rn. 32; vgl. auch Urteil vom 26.07.2017- 1 KN 171/16 -; juris Rn. 78 f.). Lediglich ausnahmsweise kann ein Vorhaben, das die landesrechtlichen Abstandsvorschriften einhält, gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, juris Rn. 4). Ein solcher Ausnahmefall kann beispielsweise vorliegen, wenn das Gebäude im Hinblick auf das Grundstück des betroffenen Nachbarn eine erdrückende Wirkung hat. Das anzunehmen kommt nur in Betracht, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d. h. dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft. Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass die bislang vorhandene Situation lediglich nachteilig verändert wird, reicht hierfür nicht aus (Nds. OVG, Beschluss vom 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Vielmehr muss die Wirkung des Gebäudes auf das Nachbargrundstück so übermächtig sein, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.07.2013 - 7 B 477/13 -, juris Rn. 8 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Grundstücks der Antragstellerin offensichtlich nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht für erstattungsfähig erklärt, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich daher keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich an den Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Nds. Oberverwaltungsgerichts für ab dem 01.06.2021 eingegangene Verfahren. Danach ist im Fall einer Nachbarklage wegen der Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses, die weder atypisch schwerwiegend noch atypisch geringfügig ist, der Genehmigungswert der beeinträchtigten Nutzung zugrunde zu legen, der bei Einfamilienhäusern mit 25.000,- Euro anzusetzen ist (Nr. 1 und Nr. 7 der Streitwertannahmen). Diesen Wert hat die Kammer im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert (vgl. Nr. 17 b der Streitwertannahmen).