Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 13.04.2022, Az.: 3 B 238/21

amtsangemessene Beschäftigung; Auswahlentscheidung; Beurteilung; DTAG; Gesamturteil; Telekom

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.04.2022
Aktenzeichen
3 B 238/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das gesamte Beurteilungssystem der Deutschen Telekom AG ist offensichtlich unvereinbar mit dem höherrangigen Recht, so dass sämtliche nach seinen Vorgaben erstellten Beurteilungen rechtswidrig sind und keine taugliche Grundlage für Auswahlentscheidungen bilden können.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag,

der Antragsgegnerin vorläufig – bis zum Ablauf einer Frist von 2 Wochen nach einer erneuten Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts – zu untersagen, im Rahmen der Beförderungsrunde 2021/22 nach Besoldungsgruppe A 9_VZ Beförderungen auszusprechen,

ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO als kombinierte Regelungs- und Sicherungsanordnung statthaft sowie auch sonst zulässig. Insbesondere besteht das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers fort. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 29.03.2022 erklärt, die Konkurrentenmitteilung an den Antragsteller aufzuheben und nach einer Neubeurteilung des Antragstellers und einzelner ausgewählter Konkurrenten eine erneute Auswahlentscheidung treffen zu wollen. Zu einer Erledigung der Hauptsache ist es jedoch bisher nicht gekommen. Denn es ist nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin insgesamt darauf verzichtet, aufgrund der streitgegenständlichen Auswahlentscheidung Beförderungen ausgewählter Konkurrenten des Antragstellers vorzunehmen. Selbst wenn die Antragsgegnerin einen Teil der beabsichtigten Beförderungen ausspricht, verschlechtert jedes besetzte Amt der Besoldungsgruppe A 9_VZ die Chancen des Antragstellers, bei einer Auswahlentscheidung für die verbleibenden Beförderungsämter unter teils neu beurteilten, teils mit der ursprünglichen Beurteilung einbezogenen Konkurrenten zum Zuge zu kommen.

Der Antrag ist auch begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die Besetzung der streitgegenständlichen Beförderungsämter seine subjektiven Rechte vereiteln könnte und eine vorläufige Regelung nötig erscheint.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag und bereits vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Wer vorläufigen Rechtsschutz begehrt, muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft machen, dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund) und dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch). Maßgebend sind hierbei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn die Antragsgegnerin hat mit ihrer Auswahl für die Ämtervergabe eine Entscheidung getroffen, welche den Antragsteller in seiner Rechtsstellung aus Art. 33 Abs. 2 GG zu beeinträchtigen vermag. Sie hat dem Antragsteller durch Bescheid vom 02.11.2021 mitgeteilt, dass er nicht befördert werde.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch in Form der Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs glaubhaft gemacht, denn die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung ist aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinem subjektiven öffentlichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.

Mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom 25.03.2022 hat die Kammer den Antrag auf Beiladung von Beförderungskonkurrenten in diesem Verfahren abgelehnt mit der Begründung, dass voraussichtlich sämtliche dienstlichen Beurteilungen in dieser Beförderungsrunde rechtswidrig sind, weil das Beurteilungssystem der Deutschen Telekom AG bei der Herleitung und Begründung des Gesamturteils im Übergang vom fünfstufigen Bewertungsschema der Einzelmerkmale zur sechs- bzw. achtzehnstufigen Notenskala des Gesamturteils eine so hohe Anzahl rechtswidriger Beurteilungen liefert, dass von einem Fehler des Systems auszugehen ist, und dass es darüber hinaus die Chancengleichheit amtsangemessen eingesetzter Beamter verletzt; auf die Gründe des genannten Beschlusses wird vollinhaltlich verwiesen. Dies hat zur Folge, dass eine Neubeurteilung aller in die Beförderungsrunde einbezogenen Beamtinnen und Beamten auf der Grundlage eines Beurteilungssystems zu erfolgen hat, in dem die Fehler, die zur Rechtswidrigkeit führen, beseitigt sind.

Wenn alle Beteiligten der Beförderungsrunde neu beurteilt werden, ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt.

Abschließend bleibt anzumerken, dass auch das Schreiben vom 02.11.2021, mit dem die Bewerbung des Antragstellers abgelehnt wurde, rechtswidrig ist. Als Verwaltungsakt unterliegt die Ablehnung der Auswahl eines Beförderungsbewerbers einem Begründungserfordernis. Diesem Begründungserfordernis ist nicht bereits dann genügt, wenn nach ständiger Verwaltungspraxis bekannt und gewährleistet ist, dass dem abgelehnten Bewerber die Gründe für die Auswahlentscheidung durch Auskunft oder Einsichtnahme zugänglich gemacht werden. Vielmehr folgt aus Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Die alleinige Möglichkeit, auf Anfrage Auskünfte über den Inhalt dieser Auswahlerwägungen zu erhalten, genügt daher schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen ergibt sich zudem einfachgesetzlich aus § 39 Abs. 1 VwVfG, dass dem erfolglosen Beförderungsbewerber bereits in der Begründung, mit der die Behörde ihren ablehnenden schriftlichen Verwaltungsakt zu versehen hat, diejenigen der wesentlichen Auswahlerwägungen mitzuteilen sind, die dafür maßgeblich waren, dass gerade dem Adressaten des ablehnenden Bescheides der oder die Ausgewählte vorgezogen wurde (Nds. OVG, Beschluss vom 24.02.2010 - 5 ME 16/10 -, juris Rn. 19f mwN.; VG Göttingen, Beschluss vom 18.08. 2020 - 3 B 110/20 -, S. 11). Zwar lassen sich Begründungsmängel eines Verwaltungsaktes sowohl unter formellem als auch unter materiell-rechtlichem Blickwinkel in bestimmten Grenzen gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG beheben; dies ist aber bisher nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 4 iVm. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3 GKG. Bei Streitigkeiten um die Besetzung einer Beförderungsstelle ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes die Summe der für sechs Monate zu zahlenden Bruttobezüge nach Besoldungsgruppe A 9 zugrunde zu legen (6 x 3.867,71 € = 23.206,26 €). Denn es ist insoweit von dem im Zeitpunkt der Einleitung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens maßgeblichen Endgrundgehalt auszugehen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 03.01. 2017 - 5 ME 157/16 -, juris, Rn. 93 m. w. N.) Eine Reduzierung dieses Werts im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Eilrechtsschutzverfahrens erfolgt nicht, da dieses Verfahren in Konkurrentenstreitigkeiten die Funktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16.05.2013 - 5 ME 92/13 -, juris, Rn. 28f, und Beschluss vom 30.06.2020 - 5 ME 85/20 -, juris, Rn. 74).