Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.04.2022, Az.: 1 A 216/20
Drittstaatenbescheid; Integrationsgesetz; Rechtskraft; Änderung der Sach- und Rechtslage
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.04.2022
- Aktenzeichen
- 1 A 216/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59876
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992
- § 26a AsylVfG 1992
- § 60 Abs 1 S 2 AufenthG
- § 60 Abs 2 S 2 AufenthG
- § 121 Nr 1 VwGO
- § 60 Abs 1 S 3 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Hebt ein Verwaltungsgericht eine vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes auf
§ 26a AsylVfG bzw. § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung wegen der Übergangsregelung in Art. 52 Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie 2013) auf, verhindert die Rechtskraft dieses Urteils eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte erneute Unzulässigkeitsentscheidung.
2. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren stellt keine Änderung der Sach- und Rechtslage dar, die die Rechtskraft eines Urteils durchbrechen könnte.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und feststellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen.
Er ist syrischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben im Oktober 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14.01.2015 einen Asylantrag. Ihm wurde zuvor unter dem 24.03.2014 in Bulgarien subsidiärer Schutz zuerkannt.
Mit Bescheid vom 18.02.2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab, weil dem Kläger bereits in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden sei, drohte ihm die Abschiebung nach Bulgarien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Ferner stellte das Bundesamt fest, dass er nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe. Auf die dagegen erhobene Klage hob die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen den Bescheid des Bundesamts mit rechtskräftigem Urteil vom 06.03.2017 (4 A 2/17) auf. In den Gründen stellte es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 23.10.2015 – BVerwG 1 B 41.15 –, juris) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 17.08.2016 – 2 LB 399/15 –, juris) fest, die vor dem 20.07.2015 gestellten Asylanträge dürften aufgrund der Übergangsregelung in Art. 52 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013 (Verfahrensrichtlinie) nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden, weil dem Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Die Beklagte habe daher aufgrund der Übergangsregelung die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens des Klägers vorzunehmen.
Nach Anhörung des Klägers lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 14.07.2020 erneut (nunmehr gestützt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als unzulässig ab (Ziffer 1), weil dem Kläger in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2).
Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2020 Klage erhoben, zu deren Begründung er u. a. geltend macht, der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig stehe die Rechtskraft des zwischen den Beteiligten ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Göttingen entgegen. Er beantragte zunächst den Bescheid des Bundesamts vom 14.07.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf Bulgarien vorliegen.
Nach teilweiser Klagerücknahme beantragt er nunmehr,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.07.2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung im angefochtenen Bescheid. Ferner meint sie, durch die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-297/17 –,F.) habe sich die Sachlage geändert. Zudem liege eine Änderung der Rechtslage vor, da sich mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 06.08.2016 (BGBl. 2016, S. 1939) die nationalen Voraussetzungen für die Unzulässigkeit von Asylanträgen international Schutzberechtigter geändert hätten. Vor diesem Hintergrund habe sie den angefochtenen Bescheid erlassen dürften.
Die Beteiligten sind zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter angehört worden und haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 08.03.2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Im Übrigen nimmt das Gericht wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Gerichtsakte, den Inhalt der Akten des Bundesamts und der Ausländerbehörde sowie die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren 4 A 2/17 Bezug.
Entscheidungsgründe
Der Einzelrichter entscheidet ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
1. Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen, soweit der Kläger ursprünglich auch beantragte, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf Bulgarien vorliegen. Den dahingehenden Antrag hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22.03.2022 zurückgenommen.
2. Soweit die Klage nicht zurückgenommen ist, hat sie Erfolg.
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, weil der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a. Der auf die Gewährung subsidiären Schutzes in Bulgarien gestützten Ablehnung des Asylantrags als unzulässig steht die materielle Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 06.03.2017 (4 A 2/17) entgegen.
Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass Streitgegenstand der prozessuale Anspruch ist, der durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist. Die gerichtliche Entscheidung ist demgemäß die im Entscheidungssatz des Urteils sich verkörpernde Rechtsfolge als Ergebnis der Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz, also der konkrete Rechtsschluss vom Klagegrund auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der begehrten Rechtsfolge anhand des die Entscheidung unmittelbar tragenden Rechtssatzes. Auf diesen unmittelbaren Gegenstand des Urteils ist die Rechtskraft beschränkt. § 121 VwGO verhindert, dass eine derartige gerichtliche Entscheidung in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Beteiligten einer erneuten Sachprüfung zugeführt werden kann. Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf die einzelnen Urteilselemente, also nicht auf die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale und sonstige Vorfragen oder Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind. Folglich erfasst die Rechtskraftwirkung eines Urteils nur dann einen zwischen denselben Beteiligten anhängigen anderen prozessualen Anspruch, wenn die im Urteilsausspruch zum Ausdruck kommende Rechtsfolge im dargestellten Sinne für diesen Anspruch vorgreiflich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.09.2020 – 1 B 31.20 –, juris Rn. 14 m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 01.02.2018 – 13 LC 348/17 –, V. n. b.).
Im Falle der stattgebenden Anfechtungsklage wird nicht nur der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben; festgestellt ist mit dem Urteil vielmehr zugleich, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat. Das Urteil erschöpft sich nicht in der bloßen Kassation, sondern verbietet der Behörde zugleich, in derselben Sache gegenüber demselben Beteiligten erneut eine entsprechende Verfügung zu erlassen (Widerspruchs- und Wiederholungsverbot). Ein rechtskräftiges Urteil, mit dem auf die Anfechtungsklage des Betroffenen ein belastender Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, erwächst deshalb auch hinsichtlich seines tragenden Grundes in Rechtskraft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.10.2018 – BVerwG 3 B 18.18 –, juris Rn. 8 ff. m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 29.09.2016 – 13 ME 210/15 –, juris Rn. 14 ff.). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d. h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 10 C 25.10 –, juris Rn. 12 m. w. N.). Für die Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft des Urteils, das aufgrund einer Anfechtungsklage ergeht, sind die Urteilsgründe maßgeblich (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 10.03.2017 – 10 C 17.214 –, juris Rn. 11; Schoch/Clausing/Kimmel, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 121 Rn. 80 m. w. N.).
Der hier angegriffene Bescheid vom 14.07.2020 und der rechtkräftig von der 4. Kammer des hiesigen Gerichts aufgehobene Bescheid vom 18.02.2015 sind im vorgenannten Sinne inhaltsgleich.
Mit o.g. Urteil hat die 4. Kammer des hiesigen Gerichts der Anfechtungsklage des Klägers gegen einen Bescheid des Bundesamtes stattgegeben, mit dem dieses den Asylantrag des Klägers wegen des in Bulgarien gewährten subsidiären Schutzes als unzulässig abgewiesen hat. Tragend hat es darauf abgestellt, dass der dergestalt begründeten Ablehnung des vor dem 20.07.2015 gestellten Asylantrags des Klägers Unionsrecht in der Gestalt des Art. 52 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie 2013) entgegenstehe. Diese Sichtweise entsprach der zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Auslegung der Richtlinie in Deutschland (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 23.10.2015 – BVerwG 1 B 41.15 –, juris).
Als Rechtsfolge sehen beide Bescheide die Unzulässigkeit des in der Bundesrepublik gestellten Asylantrages vor, weil der Kläger in Bulgarien bereits subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hat. Dieselben Beteiligten begehren dasselbe Rechtschutzziel unter Bezugnahme auf denselben Lebenssachverhalt wie im Vorprozess (vgl. dazu in einem vergleichbaren Fall ausdrücklich auch VG Ansbach, Urteil vom 22.10.2020, a. a. O., Rn. 41).
Für die Beteiligten ist bindend rechtskräftig festgestellt, dass die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig wegen der Schutzgewährung in Bulgarien mit Unionsrecht nicht vereinbar ist. Die Beklagte ist deshalb durch dieses Urteil – über die Kassation der angefochtenen Verfügung hinaus – am erneuten Erlass eines entsprechenden Bescheids (bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage) gehindert. Mit dem angegriffenen Bescheid hat sie indes den Asylantrag des Klägers erneut als unzulässig abgelehnt, weil dem Kläger in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt wurde.
Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Entscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom 18.02.2015 in der Begründung noch auf § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG (in der bis zum 23.10.2015 gültigen Fassung, BGBl. I, S. 3474) gestützt worden war. Zwar argumentiert das Verwaltungsgericht Cottbus insoweit, dass sich die Rechtsfolgen unterschieden und derartige (nach altem und neuem Recht ergangene) Bescheide deswegen nicht inhaltsgleich seien (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 24.11.2020 – 5 K 122/20.A –, juris Rn. 17 ff.). Die nach alter Rechtslage auf § 26a AsylVfG gestützte Entscheidung, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, entspreche – so das VG Cottbus – nach aktuellem Recht einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG und bilde einen anderen Streitgegenstand als die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21.04.2020 – 1 C 4.19 –, juris Rn. 14 und 24). Nichts Anderes gelte mit Blick auf § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Diese Vorschrift unterscheide sich von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in ihren Rechtsfolgen dadurch, dass sie schon keine Unzulässigkeitsentscheidung vorsehe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2015 – A 11 S 57/15 –, juris Rn. 50 ff.), jedenfalls aber keine Rechtsfolgen auslöse, wie sie für Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 35 AsylG angeordnet seien (vgl. VG Cottbus, a. a., O.).
Das Bundesamt hat die Unzulässigkeitsentscheidung im rechtkräftig aufgehobenen Bescheid vom 18.02.2015 aber ausdrücklich mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet, wonach ein Asylantrag nach einer Anerkennung des internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union nach § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG europarechtskonform als unzulässig abgelehnt werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17.06.2014 – 10 C 7.13 –, juris Rn. 29 f.). Dies stützt das Bundesverwaltungsgericht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU. Dieser eröffne dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlichen subsidiären Schutz zuerkannt habe (vgl. Art. 2 Buchst. i Asylverfahrensrichtlinie). Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) vom 28.08.2013 (BGBl I, S. 3474) sei die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens nunmehr auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG (n. F.) erstreckt worden (§ 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG; vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.2014, a. a. O., Rn. 30).
Vor diesem Hintergrund überzeugt die dargestellte Ansicht des Verwaltungsgerichts Cottbus nicht. Denn auch vor der Einführung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939) war das nationale Asylrecht jedenfalls richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Asylantrag eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat anerkannten Schutzberechtigten als unzulässig abzulehnen war (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 17.06.2014, a. a. O., Rn. 29; im Ergebnis ebenso, aber auf die Umdeutung der damaligen Bescheide abstellend VG Ansbach, Urteil vom 22.10.2020 – AN 17 K 19.51146 –, juris Rn. 38 ff.). Zudem ändert die Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage im nationalen Recht nichts daran, dass die jeweiligen Bescheide im Tenor denselben Rechtsfolgenausspruch enthalten, nämlich den Asylantrag als unzulässig behandeln.
Des Weiteren ist auch eine den Erlass eines abweichenden Bescheids rechtfertigende Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht eingetreten (vgl. so auch VG Halle, Urteil vom 30.01.2019 – 4 A 624/18 –, juris Rn. 18; VG München, Urteil vom 20.05.2021 – M 11 K 18.32133 –, juris Rn. 17; offenlassend VG Lüneburg, Urteil vom 27.05.2020 – 8 A 553/19 –, V. n. b.).
Die bindende Wirkung der Rechtskraft entfällt, wenn eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist. Eine spätere Änderung der Sachlage lässt die Rechtskraft entfallen, wenn sie die tatsächliche Grundlage der getroffenen Entscheidung (den Klagegrund oder den von einem Verwaltungsakt geregelten Gegenstand) betrifft (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 – 1 C 7.01 –, juris Rn. 11 ff.). Die materielle Rechtskraft entfällt auch, wenn und soweit das die Entscheidung tragende Gesetz später in entscheidungserheblicher Weise geändert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 – 5 C 9.11 –, juris Rn. 27; Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 121 Rn. 48 m. w. N.). Die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung steht einer Gesetzesänderung hingegen nicht gleich. Dies gilt auch für die erstmalige höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage, auch im Hinblick auf Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, etwa in Vorabentscheidungsverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 1 C 26.08 –, juris Rn. 16). Die hervorgehobene Bedeutung solcher Entscheidungen ändert daran nichts (vgl. SchochKoVwGO/Clausing/Kimmel, 41. EL Juli 2021, § 121 Rn. 75 m. w. N.).
Die Sachlage hat sich seit Erlass des ersten Bescheides nicht geändert. Wenn die Beklagte meint, durch die Entscheidung des EuGH vom 19.03.2019 (C-297/17 u.a. –F.) habe sich zwar die Rechtslage nicht geändert, jedoch stelle die Bewertung eben dieser durch den EuGH eine relevante Sachänderung dar, so überzeugt dies nicht. Zum einen hat sich die tatsächliche Grundlage der getroffenen Entscheidung nicht geändert. Es geht immer noch um einen in Bulgarien subsidiär Schutzberechtigten, der in der Bundesrepublik einen erneuten Asylantrag gestellt hat. Zum anderen würde bei dieser Argumentation jede Klärung einer Rechtsfrage durch den EuGH eine Sachänderung darstellen, sodass die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Rechtsänderung ausgehöhlt werden würde (vgl. dazu nochmals vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009, a. a. O.).
Auch die Rechtslage hat sich nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das nationale Recht, als auch im Hinblick auf das Unionsrecht, auf dem das Urteils tragend beruht. Zwar haben sich mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 06.08.2016 (BGBl. I S. 1939) die nationalen Normen zur Frage der Unzulässigkeit von Asylanträgen Begünstigter internationalen Schutzes geändert. Wie bereits ausgeführt hat sich dadurch aber der Tenor der jeweiligen Bescheide im Hinblick auf die Unzulässigkeitsentscheidung nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert, insbesondere weil das Altrecht ohnehin bereits europarechtskonform auszulegen und dementsprechend auch eine Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen war (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 17.06.2014, a. a. O.). Und auch die zwischenzeitliche Klärung durch den EuGH, dass eine rückwirkende Anwendung der Richtlinie 2013/32/EU in Betracht komme (vgl. nochmals Urteil vom 19.03.2019, a. a. O., Rn. 64 f., 69, 74; siehe auch BVerwG, Urteil vom 21.04.2020 – 1 C 4.19 –, juris Rn. 17), lässt die materielle Rechtskraft der Entscheidung der 4. Kammer des hiesigen Gerichts nicht entfallen (siehe dazu bereits ausführlich oben).
Die Rechtskraftwirkung des Urteils muss hier auch nicht ausnahmsweise wegen des Vorrangs europarechtlicher Regelungen oder eines Widerspruchs zu dem Rechtsgedanken des gemeinsamen europäischen Asylsystems durchbrochen werden. Selbst eine erneute Vollüberprüfung des Asylantrags in einem weiteren Mitgliedstaat wäre nach den Regelungen der Richtlinie 2013/32/EU nicht rechtlich ausgeschlossen (vgl. dazu überzeugend VG Stade, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 B 972/20 –, juris Rn. 14). Zwar ist danach ein Asylantrag, der in einem anderen Mitgliedstaat erneut gestellt wird, nur im Falle neuer Elemente oder Erkenntnisse zu prüfen (Art. 40 Abs. 2, 3 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU). Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten aber, auch andere Gründe festzulegen, aus denen ein Folgeantrag weiter zu prüfen ist (Art. 40 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2013/32/EU). Hieraus folgt, dass es kein striktes „europäisches Doppelprüfungsverbot“ existiert, welches geeignet wäre, die im Rahmen der nationalen Verfahrensautonomie geregelte Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO zu durchbrechen (vgl. nochmals VG Stade, Beschluss vom 09.07.2020, a. a. O.).
b. Hat das Bundesamt demnach den Asylantrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt, ist auch für die unter Ziffern 2 des angegriffenen Bescheids getroffene Entscheidung, die darauf aufbaut, kein Raum.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 und Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.