Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 24.07.2002, Az.: 1 B 1319/02

Deichrecht; Normenkontrolle; Planfeststellung; Widmung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
24.07.2002
Aktenzeichen
1 B 1319/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43475
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Vorläufiger Rechtsschutz gegen einen planfestgestellten Deichrückbau ist von einem am Planfeststellungsverfahren nicht Beteiligten nur mit Einschränkung möglich. Verhältnis von § 47 Abs. 6 VwGO zu § 123 VwGO im Falle der Entwidmung des Deiches durch Verordnung

Gründe

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I. Der Antragsteller beantragt mit seinem am 18. Juli 2002 eingegangenen und am Nachmittag des 19. Juli 2002 begründeten Antrag, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den alten, durch Verordnung vom 5. Juli 2002 entwidmeten Deich auf Hahnöfersand abzureißen und die Gräben im Alten Land zu verfüllen.

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Der Antragsteller ist Anwohner an der K .., direkt gegenüber dem neuen Deich. Er meint, der Abriss des alten Deiches sei nicht gerechtfertigt, bevor sich auf dem neuen Deich eine feste Grasnarbe gebildet habe. Der Deich werde derzeit durch Planen geschützt, um ein Abrutschen der Kleierde zu verhindern. Ein derart unfertiger Deich sei nicht geeignet, das Hinterland ausreichend zu schützen. Bei der derzeitigen extrem schlechten Wetterlage seien sogar die alten Deiche gefährdet, deren Abriss sei daher derzeit keinesfalls gerechtfertigt. Der neue Deich habe seit seinem Bau nicht genügend Zeit zum Trocknen und Setzen gehabt. Es solle daher abgewartet werden, bis sich eine geschlossene Grasnarbe gebildet habe.

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Der Antragsteller beantragt,

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der Antragsgegnerin den Rückbau des alten Deiches auf H. vorläufig zu untersagen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzuweisen.

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Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig, weil der Antragsteller kein Hauptverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Schaffung von Süßwasserwattflächen auf dem H. vom 11. Mai 2000 angestrengt hätten. Dies sei jetzt auch nicht mehr möglich. Der Antrag sei aber auch unbegründet. Die Anordnung des Sofortvollzuges des Planfeststellungsbeschlusses vom 11. Mai 2000 sei durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 15. März 2001 und nach Zurückweisung der Beschwerde durch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2001 gerichtlich bestätigt worden. Der Bau des neuen Deiches sei bis auf die wasserseitigen Anschlüsse im Mai 2002 fertiggestellt worden. Nach Prüfung aller Unterlagen und des Deiches habe die Bezirksregierung L. den neuen Deich mit Verordnung vom 5. Juli 2002 gewidmet und den alten Deich entwidmet. Prüfungen hätten ergeben, dass der Deich nach den Regeln der Technik gebaut worden sei und die Setzungen den Vorausberechnungen entsprechend erfolgen. Zur nächsten Sturmflutsaison werde die Grasnarbe geschlossen sein. Die Abtragarbeiten hätten direkt nach der Widmung begonnen. Die Grasnarbe sei komplett entfernt und auf 150 m sei auch bereits die Kleierde abgetragen, so dass der Sandkörper dort frei liege. Die Behauptung, der neue Deich werde durch Planen vor dem Abrutschen geschützt, sei unzutreffend. Es seien lediglich die temporären Baurampen, die mit einer Überhöhung von 1 m über den neuen Deich führen, mit Geotextil- und Baustahlgewebematten vernagelt und zusätzlich mit Sandsäcken gesichert worden. Direkt am Westtor der Insel sei vom Deichverband am Objektschutz Zaunfolie zum Schutz der Deichkrone ausgelegt worden. Diese Maßnahme habe mit der neu hergestellten Deichlinie nichts zu tun. Soweit Der Antragsteller behauptet, es werde belasteter Elbschlick als Oberboden zur Grabenverfüllung benutzt, sei dies unzutreffend. Soweit Oberboden an Bedarfsträger abgegeben werde, geschehe dies unter Beteiligung und Kontrolle des zuständigen Umweltamtes Stade. Dessen Prüfungen hätten keine Beanstandungen bei der Gestellung des Oberbodens ergeben. Sämtliche öffentlich-rechtlichen Vorschriften würden dabei eingehalten. Es sei im Übrigen festzustellen, dass die Eilbedürftigkeit des Vollzugs nach wie vor entsprechend der Begründung der sofortigen Vollziehung fortbestehe. Im Hinblick darauf, dass die neu zu schaffenden Flächen wenigstens zwei Jahre brauchten, bis sie dem Zweck der naturschutzfachlichen Kompensation für Eingriffe in Natur und Landschaft dienen könnten, sei es zwingend erforderlich, die Flächen so bald wie möglich fertig zu stellen und ihrer natürlichen Entwicklung zu überlassen. Es sei im Übrigen darauf hinzuweisen, dass ein Bauverzug, auch nur von wenigen Tagen, zu hohen Kosten führen würde, weil das schwere Arbeitsgerät und das Personal für die Baumaßnahme bereit stünde und von der Antragsgegnerin auch im Falle eines Baustopps finanziert werden müsste. Darüber hinaus sei auf die technische Verzahnung der Baumaßnahme H. mit der Maßnahme zur Teilverfüllung des Mühlenberger Lochs hinzuweisen. Mit der Verbringung des Sandes in das Mühlenberger Loch werde eine Verwertungsmöglichkeit im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes genutzt. Bei einem Baustopp könnte diese Verwertungsmöglichkeit gefährdet werden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Akten 1 A 1009/00 bis 1 A 1015/00 nebst Beiakten Bezug genommen.

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II. Der Antrag ist zulässig, obwohl der Antragsteller nicht Kläger in einem Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 11. Mai 2000 ist, auch an den Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Planfeststellung nicht beteiligt waren, keine Einwendungen erhoben haben und auch nicht mehr klagen können.

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Zweifel an der Zulässigkeit könnten sich insbesondere daraus ergeben, dass auch der Abbau des alten Deiches Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses ist, über dessen sofortige Vollziehung die Kammer mit Beschluss vom 15. März 2001 bereits entschieden hat. Der Rückbau des alten Deiches darf nach Nr. 1.12.3 des Planfeststellungsbeschlusses (S. 14) erst nach Fertigstellung des neuen Deiches erfolgen. Weiter heißt es dort: Die technische Lösung ist im Rahmen der Ausführungsplanung mit der Bezirksregierung L. - Außenstelle S. - abzustimmen. Die Anordnung des Sofortvollzuges dieser Regelung ist in Nr. 1.14 des Planfeststellungsbeschlusses (S. 16) ebenfalls erfolgt. Über diese Anordnung hat die Kammer mit ihrem Beschluss vom 15. März 2001 entschieden. Danach wäre der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich zulässigerweise von den Beteiligten des noch anhängigen Hauptverfahrens in der Weise zu stellen, dass eine Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 15. März 2001 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO beantragt wird. Nach dieser Vorschrift kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Ein Nichtbeteiligter, dem gegenüber der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist, kann insoweit erst recht keinen Rechtsschutz mehr bezüglich der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Regelungen beantragen. Das schließt aber nicht jeden Rechtsschutz derjenigen aus, die den Planfeststellungsbeschluss nicht angefochten haben. Diese können vielmehr gemäß § 123 VwGO vorläufigen Rechtsschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen, wenn die tatsächliche Bauausführung abweichend von den im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Regelungen erfolgt oder wenn der Bau erfolgt, obwohl festgesetzte Bedingungen noch nicht erfüllt sind und die Rechte der Antragsteller gerade dadurch verletzt sein können. Das Vorliegen dieser Tatsachen ist in diesem Fall gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. Der Antragsteller ist dagegen ausgeschlossen mit Einwendungen, die sich gegen die bereits im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Regelungen selbst wenden.

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Unter Berücksichtigung dieser Beschränkungen kann der Antragsteller daher zulässigerweise geltend machen, die Voraussetzungen für den Rückbau des Deiches lägen noch nicht vor, weil dieser Deich tatsächlich noch nicht fertig gestellt ist.

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Der insoweit zulässige Antrag hat jedoch keinen Erfolg. Dass der Bau abweichend von den im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Feststellungen ausgeführt worden sei, macht der Antragsteller nicht geltend, er stützt sein Begehren vielmehr allein darauf, der neue Deich sei noch nicht in einer Weise fertig gestellt, dass er genügend Schutz für das Eigentum des Antragstellers bieten kann. In diesem Falle wäre ein Rückbau nach der in Ziffer 1.12.3 getroffenen Regelung nicht zulässig. Mit diesem Vortrag kann der Antragsteller jedoch in diesem Verfahren nicht durchdringen.

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Die Frage, wann ein Deich im Sinne des § 2 des Niedersächsischen Deichgesetzes - NDG - (vom 16. Juli 1974, Nds. GVBl. S. 387, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2001, Nds. GVBl. S. 701) die Eigenschaft eines Hauptdeiches erhält, ist in § 3 Abs. 1 NDG geregelt. Danach erhält der Deich diese Eigenschaft durch Widmung, die die obere Deichbehörde durch Verordnung ausspricht. Eine derartige Verordnung hat die Bezirksregierung L. am 5. Juli 2002 erlassen. Diese Verordnung ist durch Veröffentlichung am 15. Juli 2002 in Kraft getreten. Rechtlich steht damit die Fertigstellung des Deiches fest. Für Verfahren gegen die Verordnung der Bezirksregierung L. ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 7 des Niedersächsischen Verwaltungsgerichtsgesetzes das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zuständig, das gemäß § 47 Abs. 6 VwGO auf Antrag auch eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Im Hinblick darauf, dass sich der Vortrag des Antragstellers im Wesentlichen darauf bezieht und nach den obigen Ausführungen im Wesentlichen auch darauf beschränkt ist, dass der Deich noch nicht fertig gestellt ist, wäre danach Rechtsschutz allein durch einen Normenkontrollantrag, der an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu richten wäre, und einen entsprechenden Eilantrag gemäß § 47 VwGO zu erreichen.

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Grundsätzlich wäre danach eine Verweisung an das instanziell zuständige Gericht möglich. Die Kammer sieht davon jedoch ab, weil abgesehen davon, dass sich dieser Antrag gegen einen anderen Antragsgegner, nämlich die Bezirksregierung L. richten müsste, effektiver Rechtsschutz dadurch ohnehin nicht zu erreichen wäre. Bereits zum Zeitpunkt des Einganges des Antrages bei dem Verwaltungsgericht war mit dem Abbau des alten Deiches begonnen worden, und der Abbau war so weit fortgeschritten, dass durch diesen Deich, der keine Grasnarbe mehr aufwies und bei dem teilweise die Kleierde bereits abgetragen war, kein hinreichender Schutz mehr zu erreichen war.

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Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass sie die Eilbedürftigkeit des Vollzuges der Maßnahme nachvollziehen kann. Zwar spricht der erste Anschein angesichts der auch von dem Antragsteller in den Vordergrund gestellten schlechten Wetterlage dafür, dass es geboten erscheinen könnte, den alten Deich quasi als redundantes System zunächst stehen zu lassen, es ist aber unter Zugrundelegung der bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren bezüglich der Schaffung von Süßwasserwattflächen getroffenen Entscheidung der Antragsgegnerin und der Kammer darauf hinzuweisen, dass im Bereich der Anschlussstellen des neuen Deiches an den alten Deich dringend ein schneller Rück- und Ausbau erforderlich ist, damit an diesen elbewärts gerichteten Anschlussstellen alsbald, das heißt noch im Sommer, eine Grasnarbe hergestellt werden kann, die vor dem Herbst eine Festigkeit erreicht hat, die einer Sturmflut standhalten kann. Das ist gerade an den exponierten Anschlussstellen von besonderer Wichtigkeit. Ein Abriss an diesen vier Stellen wäre daher zur Fertigstellung des neuen Deiches ohnehin unvermeidbar gewesen. Da die sodann verbliebenen zwei Restdeichstücke nur Torsi gewesen wären, die mangels einer durchgehenden Deichlinie ohnehin keinen Schutz gewähren könnten, war insoweit auch der Abriss des gesamten Deiches gerechtfertigt, weil eine Erhöhung der Gefahr damit nicht verbunden ist.

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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann daher keinen Erfolg haben und war mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.