Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.12.2015, Az.: 10 VA 1/15

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.12.2015
Aktenzeichen
10 VA 1/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 37771
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:1221.10VA1.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Celle - 08.10.2015 - AZ: 32c AR 23/15

Fundstelle

  • NJOZ 2016, 1071

Amtlicher Leitsatz

Die Weiterleitung eines eingehenden Ersuchens an das Bundesamt für Justiz ist im Rahmen der Vorprüfung durch das Amtsgericht in einem Verfahren, das gegen einen Unterhaltspflichtigen in einem Staat geführt werden soll, mit dem die Gegenseitigkeit nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AUG nicht verbürgt ist (hier: Schweiz), abzulehnen, wenn der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist.

Letzteres ist anzunehmen, wenn die Geltendmachung von Verwandtenunterhalt aus übergegangenem Recht (§ 94 Abs. 1 S. 2 SGB XII) auf das UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956 i. V. m. § 1 ff AUG gestützt wird. Dessen Anwendungsbereich ist in solchen Fällen nicht eröffnet, da dem Abkommen nach seiner Entstehungsgeschichte lediglich solche Unterhaltsansprüche unterfallen sollten, die dem Unterhaltsberechtigten noch in Person zustanden.

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Änderung des Bescheids des Direktors des Amtsgerichts Celle vom 8. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt aus übergegangenem Recht (Elternunterhalt) der Frau I. D., der er Sozialleistungen in Gestalt von Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII gewährt, von deren in der Schweiz lebender Tochter K. W. Auskunft über deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Hierzu will er nach erfolglos gebliebener außergerichtlicher Aufforderung der Tochter gegen diese im Wege der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit über die zentrale Behörde in der Schweiz, das in B./Schweiz ansässige Eidgenössische Bundesamt für Justiz, vorgehen und hat sein diesbezügliches Gesuch um Unterstützung bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Celle zur Vorprüfung eingereicht. Dieses hat - nach vorangegangenem rechtlichem Hinweis - mit einer Entscheidung vom 8. Oktober 2015 die Weiterleitung des Gesuchs des Antragstellers an das deutsche Bundesamt für Justiz, Bonn, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das eingehende Ersuchen sei nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) offensichtlich unbegründet. Im Verhältnis zur Schweiz richte sich die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und damit auch des vorbereitenden Auskunfts- und Beleganspruchs nach dem UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956. Anspruchsberechtigt nach diesem Abkommen seien nach dessen Art. 1 jedoch nur diejenigen Personen, denen der Unterhaltsanspruch zustehe. Damit seien ausschließlich natürliche Personen gemeint, nicht hingegen staatliche Stellen, die wegen erbrachter Leistungen auf sie übergegangene Unterhaltsansprüche oder deswegen entstandene Erstattungsansprüche geltend machten. Derartige Ansprüche seien in den Erörterungen auf der 8. Sitzung der Staatenkonferenz nicht als Unterhaltsansprüche im Sinne des Abkommens angesehen worden. Dies gelte erst recht, wenn es lediglich um die Durchsetzung eines Auskunfts- und Beleganspruchs gehe.

Gegen diese ihm am 16. Oktober 2015 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller am 13. November 2015 ein als Beschwerde bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt, mit dem er weiterhin die Rechtsansicht vertritt, auch der hier verfolgte, der etwaigen Bezifferung eines Unterhaltsanspruchs dienende Anspruch falle, da es sich nicht um einen Erstattungsanspruch, sondern trotz des Anspruchsübergangs nach wie vor um einen Unterhaltsanspruch handele, unter das genannte UN-Übereinkommen. Durch den Anspruchsübergangs ändere sich die Rechtsnatur des Anspruchs nicht, es trete nur ein neuer Gläubiger an die Stelle des bisherigen Unterhaltsberechtigten.

II.

Der zulässige, insbesondere form- und fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den als Beschluss bezeichneten Bescheid des Amtsgerichts Celle ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die Weiterleitung des eingehenden Ersuchens des Antragstellers an das Bundesamt für Justiz in Bonn als zentrale Behörde wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) abgelehnt.

1. Danach hat die Ablehnung der Weiterleitung im Rahmen der Vorprüfung nach den §§ 7 ff. AUG durch das Amtsgericht im Justizverwaltungswege (§ 7 Abs. 2 AUG) in einem Verfahren, welches - wie hier - gegen einen Unterhaltspflichtigen in einem Staat geführt werden soll, mit dem die Gegenseitigkeit nicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AUG verbürgt ist (derzeit nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Südafrika der Fall, vgl. die Bekanntmachung des Bundesjustizministeriums vom 18. Juni 2011, BGBl. I S. 1109 ff.) zu erfolgen, wenn der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist.

Zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag auf Weiterleitung als offensichtlich unbegründet angesehen, weil der Anwendungsbereich des Übereinkommens über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956 (BGBl. 1959 II S. 149 ff.) im vorliegenden Fall nicht eröffnet ist. Zwar bewirkt die Gewährung von Sozialleistungen nach dem siebten Kapitel des SGB XII (§§ 61 ff. SGB XII) (lediglich) einen Übergang des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs des Leistungsempfängers (einschließlich des zugehörigen Auskunftsanspruchs) auf den Sozialleistungsträger (§ 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Infolgedessen handelt es sich bei dem von diesem gegen den nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen nach der dem deutschen Recht zugrunde liegenden Konzeption nach wie vor um den Unterhaltsanspruch nach den §§ 1601 ff. BGB, der seinen Charakter hierdurch nicht verliert. Darauf kommt es jedoch nicht an.

Eine Inanspruchnahme des im Ausland lebenden Unterhaltspflichtigen kann nämlich nur nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Regelungen des internationalen Rechts, also des Völkerrechts oder ggf. des Rechts der Europäischen Union, erfolgen. Im vorliegenden Fall begehrt der Antragsteller eine Inanspruchnahme der in der Schweiz lebenden Tochter der Hilfeempfängerin auf dem Weg der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit über die zentrale Behörde in der Schweiz und damit zunächst über das deutsche Bundesamt für Justiz als der hiesigen zentralen Behörde. Ein solches Vorgehen kann - anders als ein in der Bundesrepublik Deutschland betriebenes gerichtliches Unterhaltsverfahren vor den hiesigen Familiengerichten - im Falle eines oder einer Unterhaltsverpflichteten in der Schweiz allerdings, wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, allein auf das sogenannte New Yorker oder UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956 in Verbindung mit den §§ 1 ff. AUG gestützt werden. Denn die Inanspruchnahme des nunmehr in § 4 f AUG gesetzlich geregelten Systems der Zentralen Behörden setzt voraus, dass dieses im konkreten Einzelfall im Verhältnis zu dem Staat, in dem sich der jeweilige Unterhaltsverpflichtete gewöhnlich aufhält, durch eines der Rechtsinstrumente des § 1 Satz 1 Nrn. 1 - 3 AUG (EU-Verordnung, völkerrechtliches Übereinkommen oder Gegenseitigkeitsverbürgung) auch vorgesehen ist. Im Falle der Schaffung eines Titels gegen einen in der Schweiz lebenden Unterhaltsverpflichteten ist dies derzeit allein das genannte Übereinkommen vom 20. Juni 1956, mit welchem das in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelte System eines administrativen Vorgehens durch zentrale Behörden, sogenannte Übermittlungs- und Empfangsstellen (Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2, 3 und 6 des Übereinkommens), erstmals völkerrechtlich geregelt wurde (vgl. näher hierzu Wicke, FPR 2006, 240, 241; Veith, FPR 2013, 46).

Wie das Amtsgericht ebenfalls zutreffend hervorgehoben hat, wurden während des Zustandekommens dieses Übereinkommens lediglich solche Unterhaltsansprüche als Gegenstand der Regelungen angesehen, die dem Unterhaltsberechtigten noch in Person zustanden. Ansprüche öffentlicher Stellen wegen an Unterhaltsberechtigte erbrachter Sozialleistungen, sei es als Regressansprüche auf eigenständiger Rechtsgrundlage oder - wie nach deutschem Rechtsverständnis - im Wege der cessio legis übergegangene Unterhaltsansprüche, wurden dagegen nicht als dem Übereinkommen unterfallende und damit zur Inanspruchnahme der Übermittlungs- und Empfangsstellen berechtigende Ansprüche angesehen (OLG Stuttgart, FamRZ 2994, 492 m. w. N.; Palandt76-Thorn, BGB, Anhang zum Haager Unterhaltsprotokoll, Rn. 1; Veith, FPR 2013, 46, 50). Da das Übereinkommen als völkerrechtlicher Vertrag autonom auszulegen ist, ist die im Recht geltende Lösung des Erstattungsproblems über den gesetzlichen Anspruchsübergang nicht maßgeblich.

2. Eine Inanspruchnahme des Systems der Zentralen Behörden kann hier auch nicht auf andere, in § 1 Satz 1 Nrn. 1 - 3 AUG genannte Rechtsinstrumente gestützt werden.

a) Weil die Schweiz kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, findet die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO, ABl. EU Nr. L 7 vom 10. Januar 2009, S. 1, vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a AUG), die das System der Zentralen Behörden auf Unionsebene fortschreibt, auf diesen Fall keine Anwendung.

b) Das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 826), das im Verhältnis zur Schweiz anwendbar ist und dessen Durchführung das AUG gemäß § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b AUG ebenfalls dient, sieht lediglich Bestimmungen über die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung von bereits ergangenen Unterhaltsentscheidungen vor, nicht jedoch eine Inanspruchnahme Zentraler Behörden zum Zweck der Schaffung eines Unterhaltstitels.

c) Auch die in § 1 Satz 1 Nr 1 Buchstabe c und Nr. 2 Buchstabe c AUG in Bezug genommenen Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ("Lugano-Übereinkommen I", BGBl. 1994 II S. 2658) und dessen Nachfolgeregelung im Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ("Lugano-Übereinkommen II", ABl. EU Nr. L 339 vom 21. Dezember 2007, S. 3) gelten zwar im Verhältnis zur Schweiz, sehen jedoch jeweils im Gegensatz zum New Yorker Übereinkommen vom 20. Juni 1956 oder zur Verordnung (EG) Nr. 4/2009 kein System der administrativen Zusammenarbeit durch Zentrale Behörden vor.

d) Das in § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AUG angeführte Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und deren Familienangehörigen (ABl. EU Nr. L 192 vom 22. Juli 2011, S. 51) enthält zwar Bestimmungen über die Inanspruchnahme Zentraler Behörden (Artt. 4 ff.), findet jedoch keine Anwendung gegenüber der Schweiz. Darüber hinaus könnte auch hieraus ein Sozialhilfeträger einen Unterhaltstitel oder auch nur einen Titel auf Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht auf dem administrativen Weg der §§ 1 ff. AUG erwirken, weil zwar (wie von der Verordnung (EG) Nr. 4/2009, vgl. dort Art. 56 i. V. m. Art. 64) selbst auf einen Leistungsträger übergegangene Unterhaltsansprüche vom Anwendungsbereich des Übereinkommens erfasst werden, dies jedoch nur insoweit, als es um die Anerkennung oder Vollstreckung eines bereits auf anderem Wege erwirkten Unterhaltstitels geht. Ein Antragsrecht des Sozialhilfeträgers auf Schaffung eines solchen Titels besteht hier (Artt. 10 Abs. 1 Buchstabe c, 36 Abs. 1, 3 und 4 des Haager Übereinkommen vom 23. November 2007) wie dort (Artt. 56 Abs. 1 Buchstabe c, 64 1, 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009) nicht (vgl. Andrae, FPR 2013, 38, 41, 44).

3. Unbenommen bleibt dem antragstellenden Landkreis dagegen der reguläre Antragsweg vor den international zuständigen deutschen Familiengerichten ohne eine Inanspruchnahme der Zentralen Behörde nach den §§ 1 ff. AUG (vgl. auch Veith, FPR 2013, 46, 48, sowie ferner Andrae FPR 2013, 38, 45 zum Vorgehen im Falle einer Rückübertragung des Anspruchs).

4. Eine Kostenentscheidung (§ 30 EGGVG) war nicht veranlasst.