Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.10.2014, Az.: 16 K 5/14
Vertrauensschutz bei der Geltendmachung von Umsatzsteuerforderungen gegenüber einer als Unternehmer tätigen und zuvor unzutreffend als nicht selbständiges Organ angesehenen GmbH
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.10.2014
- Aktenzeichen
- 16 K 5/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 37917
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:1030.16K5.14.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 24.08.2016 - AZ: V R 36/15
Rechtsgrundlage
- § 2 Abs. 1 UStG
Fundstellen
- MwStR 2016, 94-95
- Umsatzsteuer direkt digital 2016, 20
Amtlicher Leitsatz
Kein Vertrauensschutz hinsichtlich der Geltendmachung von Umsatzsteuerforderungen gegenüber einer als Unternehmer i.S. von § 2 Abs. 1 UStG tätigen GmbH, die zuvor unzutreffend als nicht selbständiges Organ angesehen worden war.
Tatbestand
Durch Beschluss des Amtsgerichts O. vom 29. Juni 2009 wurde über das Vermögen der WK. GmbH (GmbH) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die GmbH war mit der Herstellung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen unternehmerisch tätig. Die dafür genutzten Grundstücke, Gebäude, Maschinen und Einrichtungsgegenstände waren der GmbH seit 1949 durch laufend modifizierte Pachtverträge von einer WK. GmbH und Co. KG (KG) entgeltlich überlassen worden.
In der Zeit vor 2009 wurde im Einvernehmen der beteiligten Gesellschaften und des Beklagten angenommen, dass eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestehe, bei der die KG als Organträger der Steuerschuldner sei und demzufolge die GmbH nicht als Unternehmer anzusehen sei.
Erstmals mit Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für März 2009 im Mai 2009 nahm die KG an, dass ein Organschaftsverhältnis nicht mehr bestehe, mangels Wegfall der organisatorischen Eingliederung der GmbH. Der Kläger selbst reichte beim Beklagten am 11. Mai 2009 Umsatzsteuervoranmeldungen für die Zeiträume März und April 2009 ein, aus denen sich Steuerzahllasten von X1 € für März 2009 und X2 € für April 2009 ergaben. Zeitlich nachfolgend reichte der Kläger die Umsatzsteuervoranmeldung für Mai 2009 ein, aus der sich eine Zahllast von X3 € ergab. Danach berichtigte der Kläger eine zuvor für Juni 2009 abgegebene Voranmeldung am 24. September 2009 mit einer Zahllast von X4 €.
Der Beklagte meldete Umsatzsteuerforderungen, die das Jahr 2009 betreffen, zur Insolvenztabelle an. Neben den genannten Forderungsbeträgen für die Monate März bis Juni 2009 ermittelte der Beklagte im Wege der Schätzung, jedoch auf Grundlage von Besteuerungsgrundlagen, die der Kläger dem Beklagten mitgeteilt hatte, zusätzlich eine unter laufender Nummer 25 als Umsatzsteuer 2009 bezeichnete Abgabe i.H.v. X5 €. Dies ist im Ergebnis der Betrag, der sich als Zahllast für die Monate Januar und Februar 2009 ergibt.
Nach Widerspruch durch den Kläger erließ der Beklagte unter Datum vom 28. Oktober 2013 einen entsprechenden Feststellungsbescheid. Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage.
Der Kläger macht geltend, der Feststellungsbescheid verletze ihn in seinen Rechten, weil er sich mit Erfolg auf das Vertrauen der Schuldnerin auf den Bestand auf die im maßgeblichen Zeitraum geltenden ständigen Rechtsprechungen des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft und der darauf beruhenden Verwaltungsanweisungen berufen könne. Bis zum Ergehen des BFH-Urteils 5 R 9/09 vom 22. April 2010 sei allgemein davon ausgegangen worden, dass auch eine mittelbare finanzielle Eingliederung einer Gesellschaft in eine Personengesellschaft ausreiche, um eine Organschaft anzunehmen. Hierauf habe die Gemeinschuldnerin vertraut. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig. Auch nach den Verwaltungsanweisungen wie in Abschnitt 21 Abs. 4 der Umsatzsteuerrichtlinien und in Abschnitt 2.8 Abs. 4 der UStAE hätte für die finanziellen Eingliederung eine mittelbare Eingliederung genügt. Vertrauensschutz lasse sich auch aus entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 176 Abgabenordnung (AO) herleiten. Schutzwürdig sei die Gemeinschuldnerin auch, weil sie nicht in das Verfahren zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen der KG hinzugezogen worden sei. Insbesondere sei der Vertrauensschutz der Gemeinschuldnerin allerdings daraus herleitbar, dass der Beklagte gegen die Verfügung der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 16. März 2011 S 7105-94 St 171 verstoße. Die Oberfinanzdirektion habe hier zur Verwirklichung des Vertrauensschutzes eine Übergangsregelung erlassen, die der Beklagte nicht berücksichtigt habe.
Der Kläger beantragt,
den Feststellungsbescheid vom 28. Oktober 2013 und den dazugehörigen Einspruchsbescheid aufzuheben.
Der Beklagte hat die Bereitschaft erklärt, die Feststellung zur lfd. Nr. 25 = Umsatzsteuer 2009 auf X6 € herabzusetzen und die Feststellung zur lfd. Nr. 29 = Umsatzsteuer Juni 2009 auf X7 € herabzusetzen.
Er beantragt im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
Soweit sich Änderungen zum bisherigen Feststellungsbescheid ergäben, beruhten diese bezüglich der Feststellung für Juni 2009 auf einer weiteren geänderten Umsatzsteuervoranmeldung des Klägers und bezüglich der Steuerfestsetzung für 2009 auf dem Ergebnis einer Außenprüfung. Insoweit seien die Zahlen unstreitig.
Dem Grunde nach sei die Geltendmachung der Umsatzsteuer für 2009 gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter für die GmbH rechtmäßig. Eine Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) liege nicht vor. Auch dies sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Ein Vertrauenstatbestand, der die Geltendmachung der Umsatzsteuer verhindern könnte, liege nicht vor.
Das Gericht hat auf Antrag Frau Z. zum Verfahren nach § 60 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zum geringen Teil begründet. Die Feststellungen des angefochtenen Feststellungsbescheids sind im tenorierten Umfang zu ändern.
Danach entsprechen die Feststellungen der Umsatzsteuer, die sich nach dem Gesetz für die Besteuerung der Gemeinschuldnerin in den Zeiträumen ergibt. Eine Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zur KG bestand mangels finanzieller Eingliederung für die Gemeinschuldnerin nicht. Das Gericht hebt insoweit hervor, dass auch zwischen den Beteiligten keinerlei Streit darüber besteht, dass die Umsatzsteuer der Höhe nach mit den durch das Urteil gefundenen Änderungen zutreffend erfasst ist.
Der Beklagte ist nicht durch Treu und Glauben an der Feststellung seiner berechtigten Steueransprüche gehindert. Eine Selbstbindung der Verwaltung ist weder durch tatsächliches Verhalten in der Vergangenheit gegenüber der Gemeinschuldnerin erkennbar noch aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften. Der Kläger verkennt, dass insoweit schutzwürdiges Vertrauen nur insoweit entstehen kann, als die Verwaltung selbst im Rahmen des Gesetzes eine diesem nicht widersprechende Regelung trifft. Deshalb kann der Kläger aus der genannten Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover vom 16. März 2011 keinen beachtlichen Vertrauenstatbestand selbst dann herleiten, wenn diese Verfügung einen inhaltlichen Regelungsgehalt enthielte, wie ihn der Kläger versteht.
Soweit der Kläger auf den Rechtsgedanken des § 176 AO abstellt, um einen Vertrauenstatbestand zu begründen, ist zu berücksichtigen, dass es in § 176 AO um den besonderen Vertrauensschutzgedanken bei der Änderung von Steuerfestsetzungen geht und ein solcher Fall hier nicht in Streit steht. Schließlich begründet auch die Nichthinzuziehung der Gemeinschuldnerin in Verfahren zur Änderung von Steuerfestsetzungen der KG keinen beachtenswerten Vertrauenstatbestand. Nach dem Inhalt der Steuerakten hat es im Übrigen für Besteuerungszeiträume in 2009 keine Einspruchsverfahren der KG wegen Umsatzsteuerfestsetzungen gegeben, zu denen eine Zuziehung überhaupt möglich wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151,155 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die weiteren Kostenentscheidungen beruhen auf § 139 FGO.
Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO kam nicht in Betracht.