Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.09.2006, Az.: 11 B 4175/06

Voraussetzungen für die Erteilung einer Waffenbesitzkartenerlaubnis; Notwendigkeit des Nachweises der erforderlichen Zuverlässigkeit; Anforderungen an die erforderliche persönliche Eignung; Abwägungskriterien; Rechtmäßigkeit der Untersagung des Besitzes von erlaubnispflichtigen Waffen und dazugehöriger Munition sowie der Sicherstellung des Jagdscheines; Umfang der Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Waffenbesitzkarte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
26.09.2006
Aktenzeichen
11 B 4175/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 30314
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0926.11B4175.06.0A

Verfahrensgegenstand

Widerruf der Waffenbesitzkarte/Untersagung des Waffenbesitzes

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg -11. Kammer
am 26. September 2006
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (11 A 4174/06) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2006 wird wiederhergestellt, soweit darin die Untersagung des Besitzes von erlaubnispflichtigen Waffen und dazugehöriger Munition sowie die Sicherstellung des Jahresjagdscheins Nr. 1332/99 verfügt worden ist.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Der Antragsteller trägt 3/5 und die Antragsgegnerin 2/5 der Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (11 A 4174/06) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2006 wiederherzustellen, ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass der Antragsteller danach vorläufig nicht berechtigt ist, Waffen zu besitzen.

2

1.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des genannten Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers von den darin verfügten Maßnahmen bis zur Entscheidung in der Hauptsache einstweilen verschont zu bleiben, soweit darin der Widerruf der Waffenbesitzkarte sowie die sofortige Sicherstellung derselben und der dort eingetragenen Schusswaffen nebst der dazugehörigen Munition angeordnet worden ist.

3

a)

Ob der Widerruf der Waffenbesitzkarte rechtmäßig ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.

4

Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis, zu der gem. § 10 Abs. 1 WaffG auch die Waffenbesitzkartegehört, sind in § 4 Abs. 1 WaffG geregelt. Gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG muss der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG) und persönliche Eignung (§ 6 WaffG) besitzen. Die erforderliche persönliche Eignung besitzen Personen u.a. nicht, wenn Tatsachen die Annahmerechtfertigen, dass die konkrete Gefahr einer Fremd-oder Selbstgefährdung besteht, § 6 Abs. 1Satz 1 Nr. 3 WaffG. Damit sind auch Fälle erfasst, in denen der Einsatz der Waffe gegen Leben oder Gesundheit des Berechtigten oder Dritter droht, einschließlich von Selbsttötungshandlungen(vgl. Heller/Soschinka, Das neue Waffenrecht, Kapitel III, Rdnr. 76, S. 76).

5

Die Antragsgegnerin hat auf Grund einer fernmündlichen Mitteilung des Psychotherapeuten Dr.P. an die Polizeiinspektion O. vom 26. Juli 2006 Kenntnis davon erlangt, dass der Antragsteller nach den Angaben seiner Tochter F. geäußert haben soll, er werde sich selbst erschießen, wenn gegen seinen Sohn B. wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Töchter des Antragstellers ermittelt würde. Er soll danach zudem im Anschluss an das Erlegen eines Tieres erklärt haben, "so etwas" könne evtl. auch im Hause seiner Familie geschehen. Der Antragsteller neige zu Jähzorn und Aggression und habe Angst um sein Ansehen in C.

6

Es spricht einiges dafür, dass sich der Antragsteller tatsächlich in diesem Sinne geäußert hat. Da Herr Dr. P. sich als behandelnder Psychotherapeut an die Polizei gewandt hat, hat er die Aussage der Tochter F. offenbar für glaubhaft erachtet. Dafür, dass Herr Dr. P. -wie vom Antragsteller vorgetragen -bemüht wäre, absichtlich ein äußerst negatives Bild von ihm zu zeichnen, fehlen Anhaltspunkte. Nach den Angaben im Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August2006 (S. 5) hat zudem die weitere Tochter E. des Antragstellers die Angaben ihrer Schwester bei einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Polizeiinspektion C. am 31. Juli 2006 teilweisebestätigt. Danach soll der Antragsteller zu Hause mehrfach mit Selbstmord gedroht, insbesondere angekündigt haben, sich eines Tages am Treppengeländer zu erhängen. Der beim Landkreis C. tätige Facharzt für Psychiatrie Dr. H. hat in einer schriftlichen Stellungnahme vom 27.Juli 2006 gegenüber der Antragsgegnerin nach Rücksprache u.a. mit Herrn Dr. P. eine ernsthafte Gefährdung durch den Waffenbesitz des Antragstellers angenommen.

7

Der Antragsteller bestreit jedoch, die dargestellten Aussagen gemacht zu haben. In dem Gutachtendes Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Herrn B., vom 25. August 2006 wird zusammenfassend ausgeführt, dass der Antragsteller bei zwei Sitzungen glaubhaft berichtet habe, zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt zu haben, sich selbst oder Familienmitgliedern Schaden zuzufügen und auch in diese Richtung gehende Äußerungen nicht gemacht zu haben. Er sei durchweg eine stabile, reife, emotional ausgeglichene, nicht zu Aggressionen neigende Persönlichkeit. Bei der Beurteilung der Angaben der Töchter sei das derzeit gespannte Verhältnis zum Antragsteller zu berücksichtigen.

8

Für den Antragsteller spricht auch sein ruhiges und besonnenes Verhalten bei der für ihn überraschenden Sicherstellung seiner Waffen am 28. Juli 2006.

9

Die hier maßgebliche Frage, ob der Antragsteller die in Rede stehenden Äußerungen gemacht hat, können damit vom Gericht derzeit noch nicht abschließend beantwortet werden. Sowohl die Mitteilung von Dr. P. als auch die Einschätzung von Herrn Bohnert beruhen jeweils ganz wesentlich auf den Angaben ihrer Patienten. Sie beziehen -soweit ersichtlich -die Angaben der jeweils anderen Seite nicht ausreichend in ihre Betrachtung mit ein, haben sich insbesondere keinen persönlichen Eindruck von den anderen Familienmitgliedern gemacht. Dass dem Antragsteller von der Anzeigeerstattung durch seine Töchter Anfang Juli 2006 bis zur Sicherstellung durch die Antragsgegnerin Ende Juli 2006 kein Missbrauch seiner Waffen vorzuwerfen ist, vermag angesichts der Kürze dieses Zeitraums eine sichere Prognose zu Gunsten des Antragstellers nicht zu rechtfertigen. Auf seine Kenntnis des Missbrauchsvorwurfs gegen seinen Sohn, von dem er Mitte 2005 erfahren haben soll, kann es nicht ankommen, weil erst die Anzeigeerstattung bei der Polizei Außenwirkung entfaltet hat. Eine abschließende Klärung kann daher erst anhand einer im Hauptsacheverfahren vorzunehmenden fachpsychiatrischen Glaubhaftigkeitsbeurteilung, die sowohl eine Untersuchung des Antragstellers als auch seiner Töchterumfasst, sowie ggf. einer gerichtlichen Vernehmung der Töchter des Antragstellers als Zeugenerfolgen.

10

Bei der deshalb vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegen die öffentlichen Belange am Sofortvollzug das Aufschubinteresse des Antragstellers. Es besteht nämlich ein besonderes hohe Allgemeininteresse daran, dass mit Waffen und Munition ordnungsgemäß und verantwortungsvoll umgegangen wird, weil hiermit eine Gefährdung bzw. Beeinträchtigung überragendwichtiger Rechtsgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verbunden ist. Diese Belange müssen daher auch vor den erheblichen beruflichen durch Art. 12 GG geschützten Interessendes Antragstellers Vorrang haben. Dabei sei auch darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller die Ausübung der Journalistentätigkeit auch weiterhin möglich ist. Insbesondere kann er auch ohne eine waffenrechtliche Erlaubnis zu besitzen über Jagdangelegenheiten berichten. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass er gegenüber dem Gutachter Herrn Bohnert angegeben hat, er nehme an Jagden nur unregelmäßig aktiv teil; dies sei weniger geworden (vgl. Gutachten vom 25. August 2006, Seite 4).

11

b)

Hinsichtlich der von der Antragsgegnerin verfügten sofortigen Sicherstellung der Waffenbesitzkarte, der dort eingetragenen fünf Schusswaffen sowie der dazugehörigen Munition, welche auf§ 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 WaffG beruht, gelten die Ausführungen zu a. sinngemäß. Nach der Vorschrift kann die zuständige Behörde Erlaubnisurkunden sowie die in den Abs. 2 und 3 bezeichneten Waffen oder Munition -als die Waffen und Munition, die jemand aufgrund einer widerrufenen Erlaubnis erworben hat und noch besitzt -u.a. dann sofort sicherstellen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Waffen oder Munition missbräuchlich verwendet werden sollen.

12

2.

Soweit das Begehren des Antragstellers die im Bescheid vom 3. August 2006 verfügte Untersagung des Besitzes von erlaubnispflichtigen Waffen und dazugehöriger Munition sowie die Sicherstellung des Jagdscheines betrifft, hat es Erfolg, weil sich die fraglichen Maßnahmen der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung -die Richtigkeit der Annahme der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe mit der Selbsttötung bzw. der Tötung von Familienmitgliedern gedroht, insoweit als richtig unterstellt -wahrscheinlich als rechtswidrig erweisen werden.

13

a)

Nach § 41 Abs. 2 WaffG kann die zuständige Behörde zwar jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb -wie hier -der Erlaubnis bedarf, untersagen, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist. Die genannte Regelung betrifft jedoch erlaubnispflichtige Waffen und steht damit in Konkurrenz zu den Rücknahme-und Widerrufsvorschriften in § 45 WaffG. Ihr Anwendungsbereich ist demzufolge auf die (Ausnahme-)Fälle beschränkt, in denen § 45 WaffG nicht anwendbar oder -wie sich aus der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 596/01, S. 147; zitiert bei Heller/

14

Soschinka a.a.O., Kapitel IX, Rn. 49 S. 183 f.) ergibt -der Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis nicht schnell genug möglich ist, um den von dem Besitz von Waffen ausgehenden Gefahren entgegenzutreten (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 26. April 2006 -1 K 1331/05 -<juris,Rn. 21>; Apel/Bushardt, Waffenrecht, 3. Auflage, § 41 Rdnr. 10; Heller/Soschinka a.a.O., Rn.51). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Sicherstellung der Waffen am 27. Juli 2006 ausdrücklich nicht auf § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 WaffG, der an§ 41 Abs. 2 WaffG anknüpft, gestützt, sondern auf die Nr. 2 der Regelung. Der Antragsteller hat die Waffen auf Aufforderung der Antragsgegnerin und der Polizei ohne Widerstand zu leisten heraus gegeben. Es bestehen derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller ohne die widerrufene Zulassung erlaubnispflichtige Waffen beschaffen wird.

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b)

Auch die von der Antragsgegnerin auf Grundlage des § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 WaffG verfügte Sicherstellung des Jahresjagdscheines des Antragstellers wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Für diese Maßnahme ist die Antragsgegnerin als untere Waffenbehörde sachlich nicht zuständig. Die "Sicherstellung" eines Jagdscheines kann nur aufgrund von jagdrechtlichen Vorschriften (Einziehung gem. § 18 Satz 1 BJagdG) erfolgen bzw. -wie hier -bestätigtwerden, für deren Durchführung allein der Landkreis C. als untere Jagdbehörde gem. § 36 Abs.1 Satz 1 Nds. Jagdgesetz zuständig ist. Diese Aufgabenzuweisung kann nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass sich die Antragsgegnerin insoweit auf die Regelungen über die Amtshilfe beruft. Diese Bestimmungen lassen, wie § 4 Abs. 1 VwVfG ("ergänzende Hilfe") ergibt, lediglich Teilhandlungen anderer Behörden (wie hier die Mitnahme des Jagdscheines am 28. Juli 2006), nicht aber die umfassende Verlagerung der Zuständigkeit zu (vgl.Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, Rn. 10 zu § 4).Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass der nach §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG zu bemessene Streitwert für den Widerruf der Waffenbesitzkarte 4000,--Euro (Halbierung des Betrages von 8 000,--Euro, der sich aus dem Auffangwert von 5 000,--Euro zzgl. 750,--Euro je weiterer dort eingetragener Waffe ergibt, vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Ziff. 50.2) sowie für das Waffenbesitzverbot 2 500 Euro (Halbierung des Auffangwertes von 5 000,--Euro) beträgt und den Sicherstellungsanordnungen als Nebenentscheidungen insoweit kein eigenständiges streitwerterhöhendes Gewicht beizumessen ist.

Blaseio
Keiser
Schelzig