Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 26.09.1992, Az.: 7 A 7324/91

Verschulden in Form einer groben Fahrlässigkeit ; Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches für die Beschädigung des Dienstkraftfahrzeuges

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
26.09.1992
Aktenzeichen
7 A 7324/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 22077
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0926.7A7324.91.0A

Verfahrensgegenstand

Haftung

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Hartermann
sowie
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Bieler und
die Richterin am Verwaltungsgericht Schlingmann-Wendenburg
am 26. September 1992
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.1991 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Geltendmachung einer Rückgriffsforderung der Beklagten.

2

Der Kläger ist als Polizeiobermeister im Dienst der Beklagten und war am 22.7.1990 gegen 19.30 Uhr als Fahrer eines Streifenwagens bei einem Waldbrand im Harz eingesetzt. Neben seinem Beifahrer, Polizeihauptwachtmeister ..., befanden sich die Feueurwehrleute ... und ... im Dienstfahrzeug. Letztere sollte der Kläger zur Brandbeobachtung und Einsatzleitung zu einem Hubschrauberlandeplatz fahren.

3

An einem Engpaß mußte der Kläger ein Stück zurückfahren, um ein entgegenkommendes Feuerwehrfahrzeug passieren zu lassen. Als der Streifenwagen bereits hielt und der Feuerwehrwagen passierte, streifte er den Dienstwagen leicht. Der Kläger stieg kurz aus, besah sich das Heck des Streifenwagens und setzte die Fahrt sodann fort. Das Kennnzeichen des Feuerwehrfahrzeuges wurde nicht aufgenommen. Unmittelbar nach dem Einsatz, bei dem es zu keinen weiteren Beschädigungen an dem Polizeifahrzeug kam, stellte der PHW ... am Heck des Streifenwagens einen ca. zehn cm langen und ein cm breiten Lackschaden sowie Kratzer an der Stoßstange fest. Eine Woche später, am 29.7.1990, fertigte der Kläger eine Unfallmeldung. Das schädigende Feuerwehrfahrzeug konnte nicht mehr ermittelt werden, was nach polizeilicher Aussage des Kreisbrandmeisters ... unmittelbar nach dem Vorfall ohne weiteres möglich gewesen wäre.

4

Für die Beseitigung der am Polizeiwagen entstandenen Schäden entstanden Kosten in Höhe von 283,25 DM, die die Beklagte mit Bescheid vom 9.7.1991 gegenüber dem Kläger geltend machte. Diese Forderung begründete sie damit, daß der Kläger durch Unterlassung sofortiger Ermittlungsmaßnahmen nach dem Einsatz und die verspätete Unfallmeldung grob fahrlässig seine Dienstpflichten verletzt und den Schaden verursacht hätte. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.9.1991 zurückwies. Hiergegen richtet sich die am 11.10.1991 erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, er habe bei seiner ersten Überprüfung des Streifenwagens unmittelbar nach der Kollision keine Schäden festgestellt. Zwei Kratzer an der Stoßstange seien ihm nicht frisch erschienen. Später festgestellte Beschädigungen müßten von einem nachfolgenden Unfall herrühren.

5

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9.7.1991 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 14.9.1991 aufzuheben.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie behauptet, der Kläger habe beim Einsteigen nach der Überprüfung geäußert: "Es ist ja nicht so schlimm". Er habe damit einen Schaden zugestanden und die genauere Überprüfung und Ermittlung des Schädigers grob fahrlässig unterlassen.

8

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den dieser als Beiakte beigefügten Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

9

Die Parteien sind zur Absicht des Gerichts, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, gehört worden.

10

II.

Der Gerichtsbescheid beruht auf §84 VwGO.

11

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.1991 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 14.9.1991 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ein Rückgriffsanspruch der Beklagten aus §86 Abs. 1 Satz 2 NBG gegenüber dem Kläger besteht nicht.

12

Das für den Rückgriffsanspruch aus §86 Abs. 1 Satz 2 NBG notwendige Verschulden in Form einer groben Fahrlässigkeit ist dem Kläger nicht vorzuwerfen. Die Beklagte läßt hierbei ihre eigene Einschätzung der Lage außer Acht. So hat die Beklagte unter dem 15.3.1991 an die Stadt Braunlage zwecks Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches für die Beschädigung des Dienstkraftfahrzeuges ausgeführt: "Zum Unfallzeitpunkt war es dem Polizeibeamten nicht möglich, das Kennzeichen des Feuerwehrfahrzeuges zu notieren. Durch die beiden vorbeifahrenden Feuerwehrfahrzeuge, von denen das erste das Polizeikraftfahrzeug gestriffen hatte, wurde Staub aufgewirbelt. Aufgrund der Dringlichkeit des Einsatzes war es den Beamten nicht möglich umzukehren und das Fahrzeug festzustellen, denn die Beamten hatten den Auftrag, zwei Feuerwehrmänner, die die Brandstelle aus der Luft beobachteten und die Löscharbeiten aus dem Hubschrauber heraus dirigieren sollte, zur Landestelle des Hubschraubers zu bringen. Da Personen bei dem Unfall nicht verletzt wurden, wäre ein Umkehren aufgrund der damit verbundenen Gefährdung des Einsatzes und der Behinderung der Löscharbeiten nicht verhältnismäßig gewesen." Allein dies macht deutlich, daß sich der Kläger in einer besonderen Gefahrensituation befand. Der Umstand, daß der Kreisbrandmeister ... im Nachhinein erklärte, bei sofortiger Feststellung bzw. nach Sachverhaltsfeststellung im Anschluß an den Einsatz, wäre das schädigende Fahrzeug noch feststellbar gewesen, kann eine grob fahrlässige Schadensverursachung nicht begründen. Die Aussage des Kreisbrandmeisters ist nicht verifizierbar. Die Fahrzeuge, die dem Einsatzfahrzeug des Klägers entgegenkamen, hatten in der Zwischenzeit den Einsatzort verlassen. Die Nachforschungen der Beklagten, die drei bis vier Tage später einsetzten, blieben ergebnislos, weil die beteiligten Feuerwehren über ein entsprechendes Fahrzeug überhaupt nicht verfügten.

13

Aber auch die unterlassenen Feststellungen des Klägers sind nicht geeignet, eine grob fahrlässige Schadensverursachung zu begründen. Die Ausführungen der Beklagten selbst in ihrem Schreiben vom 15.3.1991 an die Stadt Braunlage machen deutlich, daß sie dem Einsatz des Klägers Vorrang gab. Sie kann demgegenüber auch vom Kläger nicht verlangen, daß er entweder während des Einsatzes intensive Schädigerfeststellungen betreibt, wenn er nach Überprüfung zu der Überzeugung kommt, es ist ein vernachlässigungsfähiger Schaden. Dies ist aber ganz offensichtlich aus den Aussagen aller Zeugen entnehmbar. Selbst wenn der Beifahrer des Klägers geäußert hat, der Kläger habe erklärt: "Es ist ja nicht so schlimm," so ist damit nicht etwa gesagt, daß der Kläger einen gravierenden Schaden, den er vernachlässigt hätte, festgestellt hat. Die Tatsache, daß der Kläger in diesem Zusammenhang zwei Kratzer an der Stoßstange festgestellt haben will, die nicht frisch waren, reicht aus, um zunächst einmal seine Bemerkung zu begründen. Eine solche Feststellung schließt aber aus, daß nach Ende des Einsatzes erneut nachgeprüft wird, ob nicht möglicherweise doch größere Schäden eingetreten sind.

14

Höhere Anforderungen an die Sorgfalt eines im Einsatz befindlichen Polizeibeamten zu stellen, hieße, den Beamten übermäßig in seiner Entscheidungsfreude und Einsatzbereitschaft zu behindern; dies ist von §86 NBG nicht gewollt.

15

Die Haftungsnorm des §86 Abs. 1 NBG dient nicht dazu, dem tätigen Beamten jede Entscheidungsfreude zu nehmen, indem er jedesmal daran denken muß, daß er möglicherweise einen Schaden verursachen könnte, der zum Regreß gegen ihn führt. Die Vorschrift will gerade dem Beamten die Möglichkeit eröffnen, frei im Rahmen seiner Vorgaben zu entscheiden, und will ihn davor bewahren, kleinlich vorzugehen und in jedem Einzelfall zugleich auch noch zu bedenken, ob nicht eine Schadensersatzforderung gegen ihn geltend gemacht werden könnte. Dies würde die Handlungsfähigkeit des Berufsbeamtentums und die Einsatzfähigkeit der Polizei im besonderen nicht nur schwächen sondern lähmen.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO.

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Rechtsmittelbelehrung

18

Dieser Gerichtsbescheid wirkt als Urteil. Gegen ihn ist entweder die Nichtzulassungsbeschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg oder der Antrag auf mündliche Verhandlung an das Verwaltungsgericht Braunschweig statthaft.

19

...

Hartermann
Schlingmann-Wendenburg
Dr. Bieler