Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.01.1995, Az.: 8 T 826/94
Vergütungsanspruch eines Vereinsbetreuers; Rechtmäßigkeit der Festsetzung einer Vergütung nebst Auslagenerstattung gegen die Landeskasse; Vorliegen von Mittellosigkeit; Freibeträge zur Bestimmung der Mittellosigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 13.01.1995
- Aktenzeichen
- 8 T 826/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 17531
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1995:0113.8T826.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 25.04.1994 - AZ: 32 XVII 151/92
Rechtsgrundlagen
- § 1908e BGB
- § 1836 Abs. 2 BGB
- § 1835 Abs. 4 BGB
Sonstige Beteiligte
Herr ...
Der Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht ... als Vertreter der Landeskasse
Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig hat
durch
die Richter am Landgericht ... und
...
am 13. Januar 1995
beschlossen:
Tenor:
Auf die nach Nichtabhilfe durch das Amtsgericht als Beschwerde geltende Erinnerung des Bezirksrevisors wird der Beschluß des Amtsgerichts ... vom 25. April 1994 abgeändert.
Die dem Vereinsbetreuer für die Zeit vom 01.01.1992 bis 31.12.1993 zugesprochene Vergütung wird auf 3.200,00 DM zuzüglich Auslagen von 423,90 DM festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Auslagen sind nicht zu erstatten,
Gründe
I.
Der Vereinsbetreuer ist durch Beschluß des Amtsgerichts ... vom 21. Januar 1991 - seinerzeit als Pfleger - mit dem Wirkungskreis Vermögenssorge, Befugnis zur Regelung von Wohnungsangelegenheiten und Befugnis zur Vertretung des Betroffenen in Streitigkeiten mit seinem damaligen Arbeitgeber bestellt worden. Durch Beschluß des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 1993 kamen die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie Befugnis zur Zustimmung zur ärztlichen Behandlung hinzu; der Aufgabenkreis der Befugnis zur Vertretung des Betroffenen in Streitigkeiten mit seinem früheren Arbeitgeber fiel weg.
Aufgrund der Vergütungsanträge des Vereinsbetreuers vom 21.01.1993 und 15.01.1994 hat das Amtsgericht ... mit dem angefochtenen Beschluß für die Zeit vom 01.01.1992 bis 31.12.1993 eine Vergütung von 4.180,- DM sowie Auslagen in Höhe von 423,90 DM bewilligt. Hiergegen wendet sich der Bezirksrevisor mit seiner Erinnerung vom 28.10.1994 mit der Begründung, daß eine Vergütung nebst Auslagenerstattung gegen die Landeskasse nicht hätte festgesetzt werden dürfen, da der Betreute nicht mittellos sei. Hilfsweise hat er beantragt, die Vergütung auf 3.200,- DM herabzusetzen. Der Erinnerung haben weder der Rechtspfleger noch der Amtsrichter des Amtsgerichts ... abgeholfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt bezüglich des Hauptantrags erfolglos, hinsichtlich des Hilfsantrags konnte ihm der Erfolg nicht versagt bleiben.
II.
Der betreuende Verein hat grundsätzlich Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz gegenüber der Landeskasse gem. den §§ 1908 e, 1836 Abs. 2, 1835 Abs. 4 BGB, da der Betreute mittellos ist im Sinne des § 1835 Abs. 4 Satz 1 BGB. Unter welchen Voraussetzungen von Mittellosigkeit auszugehen ist, ist umstritten. Nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BtPrax 1994, 173) ist die Grenze zur Mittellosigkeit in Anwendung der Grundsätze über die Prozeßkostenhilfe gem. den §§ 114, 115 ZPO i.V.m. § 88 des Bundessozialhilfegesetzes zu ziehen. Teilweise wird das Bundessozialhilfegesetz bezüglich der dort genannten verschiedenen Freibeträge zur Bestimmung der Mittellosigkeit analog angewandt (z.B. Bezirksgericht Potsdam, BtPrax 1994, 68). Das Landgericht Frankfurt (Rpfleger 1990, 357) stellt schließlich auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Einzelfall ab.
Hält man für das Vorliegen von Mittellosigkeit ein so niedriges Einkommen für erforderlich, daß nach § 115 Abs. 1 ZPO Raten nicht zu zahlen sind, so ergibt sich die unbefriedigende Lage, daß der betreuende Verein auf einen Vergütungs- und Aufwendungsanspruch gegen den Betroffenen verwiesen wird, den er wegen der höher liegenden Pfändungsfreigrenzen nicht vollstrecken kann (LG Hannover BtPrax 1990, 70). Insbesondere kann der betreuende Verein nicht auf Ratenzahlungen in dem Umfange verwiesen werden, wie es die Grundsätze über die Prozeßkostenhilfe vorsehen, nach der Ratenzahlungen bis zu 48 Monatsraten vorgesehen sind. Dann der Betreuer hat nach dem Gesetz einen sofort fälligen Anspruch auf Vergütung bzw. Aufwendungsersatz. Die Mittellosigkeit des Betreuten ist deshalb schon dann zu bejahen, wenn der Betreuer seinen Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatzanspruch nicht innerhalb eines zumutbaren Zeitraums beim Betreuten pfänden lassen könnte (so mit Recht LG Hannover, a.a.O.).
Andererseits kann die Einkommensgrenze für die Annahme von Mittellosigkeit nicht so hoch angesetzt werden, daß der vom Gesetzgeber gewollte Grundsatz der Selbsttragung der Aufwendungsersatzkosten durch den Betreuten vollends durchbrochen würde. Das Landgericht Hannover meint, daß - vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall - von Mittellosigkeit auszugehen sei, wenn das Einkommen des Betreuten die Unpfändbarkeitsgrenze nach § 850 c Abs. 1 ZPO nicht mehr als 15% übersteige (LG Hannover, a.a.O.). Indes erscheint diese - etwas willkürlich erscheinende - Grenze ebenfalls nicht geeignet, dem Einzelfall gerecht zu werden, zumal der Betreuer ja auch in diesem Fall wieder auf möglicherweise längerfristige Ratenzahlungen angewiesen wäre. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für sachgemäß, die monatlich anfallenden Betreuungskosten mit dem gemäß den §§ 850 ff. ZPO monatlich pfändbaren Beträgen zu vergleichen, die aus dem monatlichen Einkommen des Betreuten bereitgestellt und ggfs. - soweit erforderlich - in kürzeren Abständen als bisher gerichtlich festgesetzt werden kann. Können die durchschnittlichen monatlichen Betreuungskosten aus den im Monatsdurchschnitt pfändbaren Beträge nicht gedeckt werden, so liegt Mittellosigkeit vor. Anderenfalls können die Betreuungskosten aus dem Einkommen des Betreuten abgedeckt werden, so daß die Mittellosigkeit des Betreuten nicht gegeben ist. Hierbei können die Pfändungsfreibeträge leicht aus der zu § 850 c Abs. 3 ZPO ergangenen Anlage ersehen werden, insbesondere können nach § 850 f ZPO zu den Pfändungsfreibeträgen zusätzliche Beträge in besonderen Lebenslagen des Betreuten (z.B. bei Krankheit oder Behinderung oder anderen unabweisbaren persönlichen Bedürfnissen) hinzugeschlagen werden. Im übrigen liegt Mittellosigkeit nach wohl allgemeiner Meinung dann nicht vor, wenn das Vermögen des Betreuten die Grenzen des Schonvermögens in entsprechender Anwendung des § 88 BSHG überschreitet und die Betreuungskosten hieraus gedeckt werden können.
Im vorliegenden Fall betrug die Rente des Betreuten bis einschließlich Juni 1993 1.477,00 DM monatlich und ab Juli 1993 1.534,16 DM. Der Vermögenssaldo betrug per 31.12.1993 - nach Abzug der bereits für Januar 1994 auf dem Konto eingegangenen Rente - unter 4.500,00 DM. Wendet man die oben genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so hätten zwar im jeweiligen Jahresdurchschnitt die durchschnittlichen monatlichen Betreuungskosten dem Einkommen des Betreuten entnommen werden können, ohne die Pfändungsfreigrenzen gem. § 850 c Abs. 2 u. 3 ZPO zu berühren. Jedoch kann der im Beschlußtenor insgesamt festgesetzte Betrag von 3.623,90 DM, der die gesamten Betreuungskosten von zwei Jahren beinhaltet, nicht mehr in einem zumutbaren Zeitraum durch den betreuenden Verein aus den in der Zukunft pfändbaren Beträgen des Einkommens des Betreuten - derzeit 217,70 DM monatlich - realisiert werden, so daß für den gegenwärtigen Zeitpunkt bezüglich des festzusetzenden Betrages der Betreuungskosten Mittellosigkeit zu bejahen ist. Denn unter Zugrundelegung des derzeitigen Pfändungsfreibetrages könnte der in der Beschlußformel genannte Betrag (Vergütung + Aufwendungsersatz) erst in 17 Monaten realisiert werden.
Jedoch ist der betreuende Verein sowie der Betreuer für die Zukunft darauf hinzuweisen, daß die monatlichen Betreuungskosten aus dem monatlichen Einkommen des Betreuten bereitzuhalten und ggfs. gesondert anzulegen sind, insbesondere dann, wenn die Betreuung auch mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge eingerichtet worden ist. Anderenfalls führt der Betreuer die Mittellosigkeit des Betreuten im Sinne des § 1835 Abs. 4 Satz 1 BGB selbst in nicht korrekter Weise herbei. Dies kann in späteren Festsetzungsverfahren Einfluß darauf haben, inwieweit bei der Prüfung der Mittellosigkeit die Frage der Zumutbarkeit in dem Sinn anders ausgelegt werden muß, daß der Betreuer dann bei der Realisierung der Betreuungskosten aus dem Einkommen des Betreuten auch auf einen längeren Zeitraum verwiesen werden muß.
III
Auf den Hilfsantrag des Bezirksrevisors war die Vergütung des betreuten Vereins auf die beantragte Höhe von 3.200,- DM zu reduzieren. Der vom Amtsgericht festgesetzten Vergütung in Höhe von 4.180,- DM liegen die Anzahl der Stunden zugrunde - insgesamt 89 Stunden -, die der Betreuungsverein in Ansatz gebracht hat. Die Zeitansätze sind indes nur im angemessenen Rahmen erstattungsfähig. Der Zeitaufwand ist nicht vereinzelt worden, sondern nur pauschal angesetzt worden, so daß eine Überprüfung nicht möglich ist. Unter diesen Umständen kann der Zeitaufwand geschätzt werden. Der Bezirksrevisor hat dargelegt, daß es sich vorliegend nicht um eine besonders zeitaufwendige Betreuung handelt, so daß hier allenfalls 40 Stunden jährlich - wie vom Bezirksrevisor beantragt - angesetzt werden können.
Die Höhe des Stundensatzes hat das Amtsgericht differenziert mit 40,00 bzw. 50,00 DM angesetzt. Grundsätzlich ist jedoch in einer Gesamtschau für einen Abrechnungszeitraum ein einheitlicher Stundensatz anzusetzen (OLG Celle BtPrax 1994, 174). Vorliegend ist nicht dargetan, daß die Betreuung überdurchschnittliche Anforderungen an den Betreuer stellt. Insbesondere die wiederholte Unterbringung des Betreuten rechtfertigt keinen höheren Stundensatz, da die hierfür erforderlichen Maßnahmen teilweise bereits durch andere staatliche Steilen nach den allgemeinen Gesetzen getroffen werden. Insoweit besteht kein Anlaß, den sich aus § 1836 Abs. 2 Satz 3 BGB ergebenden Mittelsatz von 40,00 DM zu erhöhen.
Der vom Amtsgericht festgesetzte Aufwendungsersatz von 423,90 DM ist nicht angegriffen werden.
IV.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergeht aus den §§ 1908 e, 1836 Abs. 2, 1835 Abs. 4 BGB, 16 Abs. 5 ZSEG.
Richter am Landgericht...