Landgericht Braunschweig
Urt. v. 18.01.1995, Az.: 9 S 157/94
Ordentliche Kündigungsmöglichkeit von Berufsausbildungsverträgen; Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes; Unangemessenheit einer formularmäßigen Vertragsbestimmung; Ausbildung zum Heilpraktiker
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 18.01.1995
- Aktenzeichen
- 9 S 157/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 17258
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1995:0118.9S157.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- Amtsgericht Seesen - 06.05.1994 - AZ: 1 C 31/94
Rechtsgrundlagen
- § 11 Nr. 12 a AGBG
- § 9 AGBG
Fundstelle
- MDR 1995, 894-895 (Volltext mit red. LS)
Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig hat
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
die Richterin am Landgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 07. Dezember 1994
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Seesen vom 06.05.1994 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.889,00 DM zuzüglich 14 % Zinsen ab 13.11.1993 nebst 12,00 DM vorgerichtlicher Mahnauslagen zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 72,5 % und der Beklagte 27,5 %.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Die Kammer geht in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 04.11.1992 (NJW 1993, 326 [BGH 04.11.1992 - VIII ZR 235/91]-330) davon aus, daß bei der Anbietung von Berufsausbildungsverträgen den Schülern eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit zustehen muß.
Zutreffend ist davon auszugehen, daß ein Kündigungsrecht des Beklagten gemäß §§ 627, 626 BGB nicht besteht. Die Voraussetzungen der jederzeitigen Kündigung gemäß § 627 BGB liegen nicht vor, denn diese ist nur zulässig, wenn der Verpflichtete nicht in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen steht. Ein dauerndes Dienstverhältnis ist dabei nicht nur ein auf unbestimmte Zeit eingegangenes, sondern auch ein befristetes, sofern es nur auf bestimmte, längere Zeit abgeschlossen ist. Das ist bei einem auf 20 Monate angelegten Ausbildungsvertrag der Fall (BGHZ 90, 280, 282 [BGH 08.03.1984 - IX ZR 144/83] = NJW 1984, 1531).
Dem Beklagten stand auch kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 BGB zu. Die bedauerliche Tatsache, daß sein Bruder verstorben ist und er sich aus persönlichen Gründen gezwungen sah, dessen Massagepraxis fortzuführen, berechtigt nicht zur fristlosen Kündigung, denn dabei handelt es sich um einen Umstand, der allein in seinem Lebensbereich liegt und nicht um von der Klägerin zu vertretende Umstände, die die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für ihn unzumutbar gemacht hätten.
Das Kündigungsschreiben vom 31.05.1993 hat aber das Ausbildungsverhältnis wirksam zum 30.11.1993 beendet, weil dem Beklagten ein Recht zur ordentlichen Kündigung nicht verwehrt werden kann.
Der formularmäßige Ausschluß der ordentlichen Kündigung in der Studienordnung der Klägerin hält nicht der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz stand.
Zwar greift nicht das Klauselverbot des § 11 Nr. 12 a AGB-Gesetz, da keine den Beklagten länger als 2 Jahre bindende Vertragslaufzeit vorliegt. Trotzdem ist eine Kontrolle des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung am Maßstab des § 9 AGB-Gesetzes möglich, weil der Gesetzgeber in § 11 Nr. 12 a AGB-Gesetz nur Höchstfristen festlegen wollte, deren Überschreitung die Klausel stets unwirksam macht (BGHZ 100, 373, 375 f.) [BGH 29.04.1987 - VIII ZR 251/86]. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist dann unangemessen (§ 9 Abs. 1 AGB-Gesetz), wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung mißbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchsetzen will, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGHZ 90, 280, 284) [BGH 08.03.1984 - IX ZR 144/83].
Bei der Frage, ob die hier 20-monatige Bindung an der Vertrag eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten darstellt, ist eine Interessenabwägung zu treffen.
Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, daß die von der Klägerin angebotene Ausbildung nur bei einer kontinuierlichen, längerfristigen Teilnahme der Schüler zu sinnvollen Ergebnissen fuhren kann, weil der Unterrichtsstoff nur über einen längeren Zeitraum abzuhandeln ist. Hinzukommen auch wirtschaftliche Gründe, nämlich die Einstellung von Lehrkräften, das Anmieten von Räumen und die Zurverfügungstellung von Lehrmaterial größeren Umfangs. Dabei ist allerdings schon zu berücksichtigen, daß die Lehrgänge kontinuierlich fortgeführt werden und der Schüler mitten in einen laufenden Lehrgang hineinkommt, so daß das Zustandekommen des Lehrgangs allein nicht von der Anzahl der Schüler abhängt.
Auf der anderen Seite besteht ein Interesse der Lehrgangsteilnehmer zum Heilpraktiker, sich auch während der 20-monatigen Ausbildung vorzeitig vom Vertrag lösen zu können. Das muß insbesondere dann der Fall sein, wenn der Schüler feststellt, daß die von ihm gewählte Berufsausbildung zum Heilpraktiker weder seinen Neigungen noch seinen Fähigkeiten entspricht. Insbesondere auch letzteres ist ein entscheidender Punkt, wenn man berücksichtigt, daß sich jedermann, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Eintragungen besitzt und einen Hauptschulabschluß aufweist, zum Heilpraktiker ausbilden lassen kann. Da die gewählte berufliche Tätigkeit der Sicherung des Lebensunterhalts dienen soll und die Ausübung des erwählten Berufs als besondere Ausprägung des Rechts auf freie Persönkeitsentfaltung grundlegende Bedeutung für die individuelle Lebensgestaltung und die soziale Existenz hat, ist die Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte von großer, von der Rechtsordnung anerkannter Bedeutung (Art. 12 Abs. 1 GG). Daher hat das Interesse des einzelnen an der Auswahl des für, ihn richtigen Berufs und der dafür geeigneten Ausbildungsstätte sowie daran, etwaige Fehlentscheidungen ohne gravierende Nachteile korrigieren zu können, hohen Rang und ist auch im Rahmen einer privatrechtlichen Interessenabwägung besonders schützenswert (BGH NJW 1993, 326, 329) [BGH 04.11.1992 - VIII ZR 235/91].
Auch bei der hier zu beurteilenden Ausbildung zum Heilpraktiker, bei dem es auch ganz stark auf die individuelle Begabung ankommt, ist es notwendig, den Schülern nach Ablauf einer gewissen Zeit eine Kündigungsmöglichkeit zu gewähren. Denn sonst ständen sie nur vor der Wahl, entweder die nicht mehr weiter angestrebte Berufsausbildung zu vollenden und danach erst eine andere Berufsausbildung zu beginnen oder hohe finanzielle Verluste in Kauf zu nehmen.
Dieses erhebliche und vertragstypische Risiko ist der Klägerin bekannt. Sie muß daher ihre eigenen Interessen an einer langfristigen Vertragsdauer hintanstellen und dem Interesse der Schüler, ohne gravierende Nachteile ihr Berufsziel oder ihre Ausbildungsstätten aufgeben zu können, durch eine angemessene Vertragsgestaltung Rechnung tragen.
Die gegen § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz verstoßende Klausel ist deshalb nichtig. Da es hinsichtlich des Zeitpunkts für die Ausübung des erforderlichen ordentlichen Kündigungsrechts an einer gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung fehlt, liegt eine Regelungslücke vor, die nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden kann (BGH a.a.O., S. 330 m.w.N.d. Rechtsprechung). Dabei ist zu fragen, welche Regelung die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen haben würden, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre. Da der Beklagte noch vor Beginn der Lehrgänge am 31.05.1993 gekündigt hat, erscheint es angemessen, unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interesse eine Kündigungsfrist von 6 Monaten anzunehmen, so daß die Kündigung zum 30.11.1993 wirksam geworden ist.
Der Beklagte schuldet der Klägerin deshalb nach dem Vertrag die Einschreibegebühr in Höhe von 780,00 DM sowie die Ratenzahlungsbeträge von Mai bis November = 7 Monate = 2.548,00 DM. Von den insgesamt 3.328,00 DM hat der Beklagte 1.439,00 DM bezahlt, so daß noch 1.889,00 DM verbleiben.
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 284, 286 BGB. Die Klägerin hat unbestritten vorgetragen, daß sie Bankkredit in Anspruch nimmt, für den sie 14 % Zinsen zu zahlen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
Richterin am Landgericht ...
Richter am Landgericht ...