Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.1995, Az.: 6 L 1257/94

Baugenehmigung; Rechtswirkung; Zweiwohnungsklausel; Nachbarschutz; Bebauungsplan

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.04.1995
Aktenzeichen
6 L 1257/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 14162
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1995:0424.6L1257.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
4 A 5309/92

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer Hannover - vom 25. November 1993 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist Eigentümer des in der Siedlung ... des Ortsteils ... der Gemeinde ... gelegenen, etwa 2.400 qm großen Einfamilienhausgrundstücks ... (Flurstück 54/4). Er wendet sich gegen zwei dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigungen für die Errichtung von insgesamt zehn Fremdenzimmern auf dem nördlichen unmittelbar angrenzenden Grundstück ... (Flurstück 54/9).

2

Die Siedlung ... entstand seit den Nachkriegsjahren in einem etwa 14 ha großen Waldgebiet rund etwa 1, 2 km nördlich der Ortslage von Kleinburgwedel. Die Gemeinde ... ... überplante das Gebiet durch den am 26. März 1987 rechtsverbindlich gewordenen Bebauungsplan Nr. 71 "Im ...". Dieser setzt ein allgemeines Wohngebiet mit Grundflächenzahlen bis herunter zu 0,04 und eingeschossiger Bebauung fest. Für das gesamte Plangebiet wurde festgesetzt, daß Wohnhäuser nicht mehr als zwei Wohnungen haben dürfen. Mit der am 15. August 1991 rechtsverbindlich gewordenen 2. Änderung des Bebauungsplanes setzte die Gemeinde Burgwedel die überbaubare Fläche des - etwa 6.000 qm großen - Grundstücks des Beigeladenen in Anpassung an den vorhandenen Baubestand neu fest. Es blieb bei der Festsetzung, daß nur Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen zulässig seien.

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Zur Zeit des Inkrafttretens des Bebauungsplanes Nr. 71 befand sich auf dem Grundstück Hinter dem Felde 12, das etwas westlich des Grundstücks des Klägers liegt, ein Tageskaffee "Heidehütte" mit Beherbergungsbetrieb; daneben wurden auf dem Grundstück Pferde gehalten und Unterstände für Gäste mit Pferden errichtet. Die von dem Grundstückseigentümer ... gegen den Bebauungsplanentwurf erhobenen Bedenken, er könne seinen Betrieb nicht aufrechterhalten, wurden von dem Rat der Gemeinde Burgwedel zurückgewiesen. Dazu wurde ausgeführt, daß die Gaststätte und der Beherbergungsbetrieb nach dem Entwurf des Bebauungsplanes zulässig seien; die darüber hinausgehende Nutzung sei baurechtswidrig und könne den Gebietscharakter nicht bestimmen. Das Grundstück ... ist inzwischen verkauft. Anstelle der bisherigen Nutzung findet sich hier jetzt reine Wohnnutzung.

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Auch auf dem Grundstück des Beigeladenen, das zunächst nur zu Wohnzwecken genutzt worden war, befand sich seit den 60er Jahren, jedoch nicht mehr bei Aufstellung des Bebauungsplanes, eine Gaststätte. Als der Beigeladene das Grundstück im August 1988 ersteigerte, standen auf ihm im nördlichen Bereich ein etwa 10 m × 10 m großes Garagengebäude, südwestlich daran anschließend das einen Halbbogen beschreibende, etwa 45 m lange Hauptgebäude, an dessen südlichen Ende nach Osten ein etwa 13 m langes Schwimmbad angebaut war. Für diese Baulichkeiten wurden, zum Teil nachträglich, Baugenehmigungen erteilt. Ungenehmigt errichtet waren ferner ein schuppenähnliches Gebäude östlich vor dem durch das Hauptgebäude und das Schwimmbad gebildeten Innenhof sowie ein zum Teil an die Südseite des Schwimmbades angebautes Lager- und Gerätehaus von 18,5 m Länge und 6,5 m Breite. Entlang der Südseite weist dieses Gebäude ein Vordach von 1,5 m Breite auf, dessen Abstand von der südlichen Grundstücksgrenze etwa 8 m beträgt.

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Der Beigeladene beabsichtigte zunächst, in dem Gebäudekomplex ein Schulungszentrum für Verkaufs- und Rhetorikschulung einzurichten und die dazu erforderlichen Gästezimmer in dem vorhandenen Gahrgengebäude und dem Lager- und Abstellraum, ferner auch in einem parallel dazu in Grenznähe zu errichtenden Bau unterbringen. Der Beklagte lehnte diese Bauvoranfrage durch Bescheid vom 2. August 1988 mit der Begründung ab, die für die Gästeunterbringung vorgesehenen Baulichkeiten lägen außerhalb der in dem Bebauungsplan Nr. 71 festgesetzten überbaubaren Fläche. Die bereits begonnenen Umbauarbeiten untersagte der Beklagte mit Verfügung vom 30. Januar 1989 und nahm eine entsprechende Versiegelung der Baustelle vor. Einen Antrag des Beigeladenen, ihn für das Bauvorhaben von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu befreien, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Mai 1989 ab.

6

Auf eine Landtagseingabe des Beigeladenen erklärte das dazu angehörte Niedersächsische Sozialministerium, daß die Umnutzung der Garage und des Schuppens, d.h. des Lager- und Gerätehauses, zu zehn Fremdenzimmern im Rahmen eines Beherbergungsbetriebes planungsrechtlich zulässig sei, sobald die Festsetzung der überbaubaren Fläche den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt sei; die Gemeinde Burgwedel habe das Bebauungsplanänderungsverfahren bereits eingeleitet. Dem Beklagten wurde über die Bezirksregierung Hannover eine entsprechende Weisung zur Erteilung der Baugenehmigung gegeben. Nachdem der Beigeladene schriftlich die künftigen Festsetzungen des - geänderten - Bebauungsplanes anerkannt hatte, wurden ihm die begehrten Baugenehmigungen unter dem 18. Februar 1991 - Neubau Blockhaus (südlich des Schwimmbades) mit fünf Fremdenzimmern - und 1. März 1991 - Umbau Garagentrakt in fünf Fremdenzimmer - erteilt. In dem Bauantrag vom 10. August 1989 hatte er als Nutzungszweck des Vorhabens angegeben:

7

Der Bauantrag bezieht sich auf die reine Nutzung für private Wohnzwecke. (Gästezimmer). Ob sich daraus später ein Beherbergungsbetrieb entwickeln wird, ist heute noch nicht zu entscheiden.

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Während des Rechtsstreits erteilte der Beklagte dem Beigeladenen am 7. Dezember 1993 eine Baugenehmigung für die Errichtung von insgesamt zwölf Kfz-Einstellplätzen auf dem Baugrundstück.

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Der Kläger legte gegen die Baugenehmigungen vom 18. Februar 1991 und 1. März 1991, die ihm nicht bekanntgegeben worden waren, am 6. Januar 1992 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 1992 zurückwies. Sie führte u.a. aus: Der genehmigte Beherbergungsbetrieb mit zehn Gästezimmern sei ausnahmsweise zulässig. Seine Zulassung verletze nicht das Rücksichtnahmegebot. In einem allgemeinen Wohngebiet seien u.a. Störungen durch Wohnnutzung, Geschäfte, Gastwirtschaften und Handwerksbetriebe mit Versorgungsfunktionen zu erwarten. Das schließe Motorenlärm, Zuschlagen von Autotüren oder gelegentliches lautstarkes Nutzen des Hausgartens usw. ein. Darüber hinausgehende Belästigungen seien durch einen Beherbergungsbetrieb nicht zu erwarten.

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Am 7. Dezember 1992 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen: Seine Rechte würden durch die angegriffenen Genehmigungen verletzt. Denn die genehmigte Nutzung ändere den Gebietscharakter. Der Bauantrag des Beigeladenen laufe auf einen "Etikettenschwindel" hinaus; dieser habe von Anfang an einen Beherbergungsbetrieb geplant. Dieser widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Die Gemeinde Burgwedel habe den historisch gewachsenen Gebietscharakter erhalten wollen. Ein Beherbergungsbetrieb würde in dem nach seiner Nutzung als reines Wohngebiet einzustufenden Gebiet einen Fremdkörper darstellen. Unberücksichtigt müsse bleiben, daß auf dem Grundstück des Beigeladenen früher eine Gaststätte betrieben worden sei. Einen Bestandsschutz für diese lange aufgegebene Nutzung gebe es nicht.

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Der Kläger hat beantragt,

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die dem Beigeladenen unter dem 18. Februar 1991 und 1. März 1991 erteilten Baugenehmigungen und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 27. November 1992 aufzuheben.

13

Der Beklagte hat sich auf den Standpunkt der angefochtenen Bescheide gestellt und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beigeladene hat sein Vorhaben verteidigt, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

16

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der angegriffenen Entscheidung abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im wesentlichen: Die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen verletzten keine Rechte des Klägers. Der in dem Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung komme zwar regelmäßig ein nachbarschützender Charakter zu. In einem allgemeinen Wohngebiet seien jedoch Beherbergungsbetriebe ausnahmsweise zulässig. Zutreffend seien der Beklagte und die Bezirksregierung Hannover von Fremdenzimmern und einem Beherbergungsbetrieb ausgegangen. Es hätten nicht zehn Kleinwohnungen geschaffen werden sollen. Deshalb sei die Zweiwohnungsklausel nicht verletzt. Dem Gebot der Rücksichtnahme werde genügt. Der behauptete Widerspruch zur Eigenart des Baugebietes erstrecke sich nicht auf das Grundstück des Klägers. Gebietsuntypische Auswirkungen auf dieses seien durch das Vorhaben des Beigeladenen nicht zu befürchten. Mit zehn Fremdenzimmern gehöre der Betrieb noch zu den kleinen Betrieben, die sogar in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig seien. Der mögliche An- und Abfahrtsverkehr des Beherbergungsbetriebes finde an der Nordseite des Baugrundstücks und damit an der dem Kläger abgewandten Seite statt. Die Weitläufigkeit des Geländes verhindere unzumutbare Beeinträchtigungen.

17

Gegen dieses am 19. Januar 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Februar 1994 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft.

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Er beantragt,

19

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klagantrag zu erkennen.

20

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

22

Auch der Beigeladene tritt dem Berufungsvorbringen entgegen, stellt aber keinen eigenen Antrag. Er trägt vor, daß er weiterhin beabsichtige, nach Beendigung des Rechtsstreits auf seinem Grundstück einen Beherbergungsbetrieb zu unterhalten.

23

Der Senat hat die Örtlichkeit durch den (damaligen) Berichterstatter besichtigen lassen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 29. Juni 1994 verwiesen.

24

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Planungsvorgänge der Gemeinde Burgwedel Bezug genommen, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

26

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen keine Rechte des Klägers verletzen.

27

Die sogenannte Zweiwohnungsklausel entfaltet schon deshalb keine dem Kläger günstigen Rechtswirkungen, weil sie bezogen auf dessen Grundstück nichtig ist und daher das für die Annahme von Nachbarschutz erforderliche Austauschverhältnis fehlt.

28

Grundlage dieser Festsetzungen konnte für das Grundstück des Klägers nur § 4 Abs. 4 BauNVO 1977 sein; denn der Bebauungsplanentwurf war vor Inkrafttreten des Baugesetzbuches (1. Juli 1987) öffentlich ausgelegt worden (vgl. § 233 Abs. 1 BauGB). Der Bebauungsplan Nr. 71 ist sogar schon im März 1987 rechtsverbindlich geworden. Damit ist auf ihn weiterhin § 9 BBauG anzuwenden. Diese Vorschrift enthielt eine § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB entsprechende Bestimmung nicht. Der damals geltende § 4 Abs. 4 der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (i.d.F. vom 15. September 1977, BGBl. I S. 1763, geändert durch die Verordnung vom 19. Dezember 1986, BGBl. I S. 2665 - BauNVO 1977 -) stellte keine ausreichende Grundlage für eine Zweiwohnungsklausel dar, die - wie hier - das gesamte Plangebiet einschließt. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, wonach nur "für bestimmte Teile des Gebiets" diese Festsetzung getroffen werden durfte. Das folgt außerdem aus einem Umkehrschluß aus § 3 Abs. 4 BauNVO 1977, der dies ausdrücklich sowohl für reine Wohngebiete insgesamt ("in dem Gebiet") als auch für bestimmte Teile davon zuließ (vgl. Urt. des Senats v. 6. September 1989 - 6 OVG A 253/88 - unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Urt. v. 10. März 1989 - 1 C 10/88 -, BauR 1989, 436, 437). Die Zulässigkeit solcher Festsetzungen richtet sich allein nach diesen Vorschriften (leges speciales), die einen Rückgriff auf § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO 1977 (lex generalis) ausschlossen. Im übrigen stellten diese Absätze des § 1 BauNVO 1977 entgegen der Auffassung des Klägers keine ausreichende Grundlage für diese Art von Festsetzungen dar. Das führt (wegen des Rechtsgedankens aus § 139 BGB nur) zur Nichtigkeit dieser Festsetzung, (u.a.) soweit sie die Grundstücke des Klägers und der Klägerin des Parallelverfahrens 6 L 4229/92 betrifft.

29

Die Zweiwohnungsklausel ist auch durch die beiden nachfolgenden Änderungen des Bebauungsplans Nr. 71 nicht auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB für alle von ihm erfassten Grundstücke wirksam Planinhalt geworden. Denn diese Änderungen betreffen ausschließlich andere Teilbereiche des Bebauungsplanes, nicht aber das Grundstück des Klägers.

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Die Zweiwohnungsklausel entfaltete aber auch im Falle ihrer Wirksamkeit keine dem Kläger günstigen Rechtswirkungen. Zwar hätte sie hier nachbarschützende Wirkungen (vgl. zum folgenden BVerwG, Beschl. v. 9. Oktober 1991 - 4 B 137.91 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 104; OVG Berlin, Beschl. v. 25. Februar 1988 - 2 S 1.88 -, BauR 1988, 454, 455 = BRS 48 Nr. 167). Denn als allein im Allgemeininteresse liegender Zweck kommt nur die Förderung von Wohnungseigentum im Sinne des Zweiten Wohnungsbauförderungsgesetzes in Betracht (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 5. April 1989 - 1 B 10/89 -, ZfBR 1989, 176, 177). Diesen Zweck verfolgte die Gemeinde Burgwedel bei Erlaß des Bebauungsplans offenbar nicht. Der Planbegründung zufolge (siehe insbesondere S. 3 zu Nr. 4.1) sollte der vorhandene, "wild" entstandene Baubestand - bei Einräumung bescheidener Erweiterungsmöglichkeiten - nur im wesentlichen erhalten werden, sollten also gerade nicht in einer ins Gewicht fallenden Weise neue Bauflächen ausgewiesen und dadurch der Wohnungsbau gefördert werden. Wesentliches, für die Annahme von Nachbarschutz streitendes Planungsziel war es, den vorhandenen Gebietscharakter zu erhalten, der durch eine großzügig aufgelockerte Bebauung bestimmt werde (vgl. S. 2 sowie S. 3 zu Nr. 4.2 der Planbegründung). Es spricht viel dafür, daß alle Planunterworfenen - jedenfalls in Anwendung der vom BVerwG im Urteil vom 16. September 1993 (- 4 C 28.91 -, NJW 1994, 1546 [BVerwG 16.09.1993 - 4 C 28/91]) entwickelten Grundsätze - durch die Festsetzung der Zweiwohnungsklausel befugt sein/werden sollten, Änderungen der den Gebietscharakter mitbestimmenden Art der Nutzung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9. März 1993 - 4 B 38.93 -, BauR 1993, 581, 582 [BVerwG 09.03.1993 - 4 B 38/93]; OVG Berlin, Beschl. v. 25. Februar 1988 - 2 S 1.88 -, BauR 1988, 454, 455) mit Rechtsmitteln entgegenzutreten.

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Die angegriffene Nutzung verletzt(e) jedoch die Zweiwohnungsklausel nicht. Maßgeblich ist allein die zur Genehmigung gestellte, nicht die seit etwa dem Jahre 1991 tatsächlich ausgeübte Nutzung. (Diese tatsächliche Nutzung ist nicht dem Beherbergungsgewerbe zuzuordnen, sondern unter § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO - Anlage für soziale Zwecke - zu subsumieren; vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, Komm., 7. Aufl., § 3 Tz. 16.5 und 19.9; Brügelmann/Ziegler, § 3 BauNVO Rdnr. 35 unter Hinweis auf Hess. VGH BRS 49 Nr. 53. Die tatsächliche Nutzung gestattete es daher noch weniger, der Klage stattzugeben, weil es sich hierbei sogar um eine Regelnutzung des allgemeinen Wohngebiets handelt.)

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Die streitigen Räume hat der Beigeladene durch die im Tatbestand zitierten Ausführungen in seinem Bauantrag für einen Zweck bestimmt, der die Begriffsmerkmale des § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO erfüllt. Danach liegt ein Beherbergungsbetrieb vor, wenn Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Gebrauch zur Verfügung gestellt werden, ohne daß diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können (BVerwG, Beschl. v. 8. Mai 1989 - 4 B 78.89 -, BRS 49 Nr. 66 = BauR 1989, 440). Appartments und damit Wohnungen wären die Zimmer nur dann, wenn sie nicht nur über Bad und WC, sondern auch noch über eine Küche verfügten (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 1 NBauO). Das ist nach der Baubeschreibung und der genehmigten Bauzeichnung nicht der Fall. Etwas anderes gilt nur für das westlichste Appartment im sogenannten Blockhaus. Dort ist rechts hinten vor der Naßzelle ein Küchenblock eingezeichnet. Selbst wenn dies nicht nur eine Art unverbindlichen Einrichtungsvorschlag darstellte, wäre dies nur die zweite Wohnung auf dem Grundstück und stünde dies daher in Einklang mit der Zweiwohnungsklausel. Für die Annahme eines vom Kläger behaupteten Etikettenschwindels ausreichende Anhaltspunkte, auch andere Zimmer sollten so eingerichtet werden, bestehen nicht.

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Ohne Erfolg beruft sich der Kläger mit Blick auf § 15 BauNVO darauf, daß der genehmigte Beherbergungsbetrieb dem Gebietscharakter widerspreche. Maßgeblich sind dabei - jedenfalls im Ausgangspunkt - die Planfestsetzungen. Die Tatsache, daß im Plangebiet - das Grundstück des Beigeladenen ausgenommen - (mittlerweile) reine Wohnnutzung vorherrscht, führt nicht dazu, daß die Zulässigkeit des Vorhabens an § 3 BauNVO zu messen wäre. Die Festsetzung WA wird durch die tatsächliche Nutzung nicht unerheblich. Das gilt selbst dann, wenn eine Bauaufsichtsbehörde - anders als hier geschehen - das Planungsrecht in einer bestimmten, vom Inhalt des Bebauungsplanes abweichenden Weise gehandhabt hat. Selbst das gibt einem Bebauungsplan nicht kraft Gewohnheitsrecht einen von den Planfestsetzungen abweichenden Inhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369, 377 f.) [BVerwG 26.05.1978 - 4 c 9/77].

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Die Festsetzung WA ist auch nicht durch die tatsächliche bauliche Entwicklung funktionslos geworden und durch die Festsetzung WR ersetzt worden. Obsolet können Planfestsetzungen nur dann werden, wenn die tatsächliche Bautätigkeit eine gegenüber den Planfestsetzungen völlig andersartige Entwicklung genommen hat, die eine Verwirklichung dieser Festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließt und so erkennbar ist, daß ein in die Fortgeltung der Planfestsetzungen gesetztes Vertrauen Schutz nicht verdient (vgl. BVerwG, Urt. v. 29. April 1977 - IV C 39.75 -, BVerwGE 54, 5, 8 ff.) [BVerwG 29.04.1977 - IV C 39/75]. Auch davon kann hier keine Rede sein. Selbst wenn zur Zeit alle im Planbereich liegenden Grundstücke ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt würden, schlösse das die Aufnahme sonstiger Regel- oder ausnahmsweise zulässiger Nutzungen nicht auf Dauer aus. Im übrigen liegt auch die zweite Voraussetzung nicht vor. Die Gemeinde Burgwedel hatte erst bei Aufstellung des Bebauungsplanes im Jahre 1987 bekräftigt, Beherbergungsbetriebe seien im Plangebiet zulässig. Das schließt es aus, dann schon im Jahre 1991 anzunehmen, nun aber habe die bauliche Entwicklung endgültig und unumkehrbar eine von den Planfestsetzungen abweichende Richtung eingeschlagen, die jedem in die Fortgeltung des Planinhalts gesetzten Vertrauen den Boden entziehe.

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Die streitentscheidende Frage kann sich daher nur dahin stellen, ob auch angesichts der im Ausgangspunkt maßgeblichen Planfestsetzung WA das Vorhaben des Beigeladenen wegen seiner Lage, seines Umfangs oder seiner Zweckbestimmung am vorgesehenen Ort nicht verwirklicht werden darf.

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Allein der Art seiner Nutzung wegen kann der Kläger es nicht abwehren. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 152 [BVerwG 16.09.1993 - 4 C 28/91] = DVBl. 1994, 284) nur dann möglich, wenn das Vorhaben seiner Art nach im Plangebiet "vollständig" unzulässig ist. Das ist die genehmigte Nutzung nicht. Sie ist gem. § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO und damit nach dem Willen der planenden Gemeinde im allgemeinen Wohngebiet (zwar nur, aber immerhin) ausnahmsweise zulässig (vgl. Schrödter, BauGB, Komm., 5. Aufl., § 31 Rdnr. 3; Mampel, DVBl. 1994, 1053, 1058).

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Die Zweiwohnungsklausel wäre - ihre Wirksamkeit unterstellt - auch im Zusammenwirken mit § 15 BauNVO nicht dahin auszulegen, sie verbiete alle Nutzungen, die nicht Wohnnutzungen seien. Gegen diese Auslegung spricht schon die Festsetzung der Grundstücke als allgemeines, nicht aber als reines Wohngebiet. Dies war kein "Versehen", sondern bewußte Planung. Das ergibt sich unter anderem und insbesondere aus den Ausführungen auf S. 9 der Planbegründung. Dort hatte sich die Gemeinde Burgwedel mit dem vom damaligen Betreiber der "Heidehütte", einer Gaststätte und einem Beherbergungsbetrieb, vorgebrachten Einwand auseinanderzusetzen, die geplanten Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 71 schnürten seine rechtmäßig ausgeübten Nutzungen ab. Die Gemeinde Burgwedel hat - wie im Tatbestand wiedergegeben - seinerzeit ausgeführt, Gaststätten und Beherbergungsbetrieb seien dort zulässig.

38

Ein unauflöslicher Widerspruch zur Festsetzung der Zweiwohnungsklausel liegt darin nicht. Denn diese gilt nur für den Fall, daß auf einem Grundstück ein Wohngebäude errichtet wird. Wird dagegen eine andere nach § 4 Abs. 2 BauNVO regelmäßig oder nach Abs. 3 dieser Vorschrift ausnahmsweise zulässige Nutzung gewählt, entfaltet diese Klausel gleichsam von vornherein Rechtswirkungen nicht.

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Die angegriffene Baugenehmigung verletzt auch nicht § 15 BauNVO; allein diese Vorschrift könnte der Klage (noch) zum Erfolg verhelfen (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Komm., 4. Aufl., § 31 Rdnr. 66). Das Vorhaben widerspricht indes auch dann nicht nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets, wenn man dabei die tatsächliche (reine) Wohnnutzung berücksichtigt (§ 15 BauNVO). Denn das Vorhaben wird nicht inmitten des Wohngebiets, sondern an dessen Rand errichtet. Das Grundstück kann zwar nur über den Jägerweg erreicht werden, welcher das Plangebiet etwa mittig von Süden nach Norden durchschneidet und erschließt. Die 10 Fremdenzimmer lösen aber schon ihrer geringen, gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO selbst in einem reinen Wohngebiet zulässigen Zahl nicht einen Zu- und Abgangsverkehr aus, der den ohnehin auf dieser Straße stattfindenden Anliegerverkehr so wesentlich verstärkt, daß dadurch der Gebietscharakter verändert würde. Im übrigen hat der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung ohne substantiierten Widerspruch der übrigen Beteiligten dargelegt, er könne allenfalls mit einer Auslastung von 60 vom Hundert rechnen; der dadurch hervorgerufene Zu- und Abgangsverkehr bleibe deutlich hinter dem zurück, den die (nach der ursprünglichen Planung) auf seinem Grundstück zulässigen zwei Doppelhäuser bei Dauernutzung und (realistischen) zwei Kraftfahrzeugen je Familie verursachen würde.

40

Es verhilft der Klage auch nicht zum Erfolg, daß Anordnung und Zahl der Einstellplätze nicht Gegenstand der angegriffenen Baugenehmigung sind. Nachbarrechte könnten dadurch allenfalls dann nachteilig berührt werden, wenn schon jetzt verläßlich absehbar wäre, daß der ruhende Verkehr nach Lage der Dinge auf dem Baugrundstück nicht nachbarverträglich untergebracht werden könnte. Das Gegenteil ist nach den Feststellungen des früheren Berichterstatters und dem sich aus den zeichnerischen Unterlagen ergebenden Eindruck der Fall. Das Grundstück ist so groß, daß der ruhende Verkehr auf ihm so untergebracht werden kann, daß der Kläger als unmittelbarer Grundstücksnachbar dadurch nicht (wesentlich) beeinträchtigt werden wird. Die Zufahrt befindet sich an der seinem Grundstück und dem Wohngebiet insgesamt abgewandten Nordseite des Grundstücks (Seckhorn). Die Größe der Grundstücke im Plangebiet schließt es außerdem aus, daß die mit der Nutzung der Fremdenzimmer verbundenen Emissionen eine Intensität erreichen, die mit dem Gebietscharakter unvereinbar und den Nachbarn, namentlich dem Kläger gegenüber rücksichtslos ist.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Gründe für eine Zulassung der Revision (§§ 132 Abs. 2, 167 VwGO) bestehen nicht.

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Beschluß

44

Die Entscheidung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

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Taegen

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Claus

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Fister