Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.01.2013, Az.: 4 A 205/12

Baugenehmigung; Biofilter; GIRL; Grenzwert; Rücksichtnahmegebot; Schweinemast; Überschreitung; Verbesserung der Immissionssituation

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.01.2013
Aktenzeichen
4 A 205/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64446
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es ist im Einzelfall möglich, dass eine Baugenehmigung für die Erweiterung eines Schweinemaststalls das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt, obwohl die Grenzwerte der Geruchsimmissionsrichtline (GIRL) überschritten werden (hier etwa 25 % der Jahresgeruchsstunden), wenn der Tierhalter die von den bestandskräftig genehmigten Stallgebäuden ausgehenden Emissionen durch über den Stand der Technik hinausgehende Maßnahmen erheblich mindert und dies auf dem Grundstück des Nachbarn zu einer spürbaren Verbesserung führt.

2. Im konkreten Fall wird das Rücksichtnahmegebot aufgrund der Überschreitung der Grenzwerte der GIRL verletzt. Der Tierhalter baut zwar in drei Ställen Biofilter ein und mindert dadurch die Emissionen erheblich. Einen Stall versieht er aber nicht mit einer Abluftreinigungsanlage und trägt damit zu erheblichen Emissionen bei, die insbesondere durch den Einbau eines Biofilters oder Reduzierung des Tierbestandes gemindert werden könnten.

Tenor:

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 11.03.2008 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 11.03.2009 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beklagte dem Beigeladenen zur Erweiterung bzw. Nutzungsänderung seines Schweinemastbetriebes erteilt hat. Der Kläger sieht sich insbesondere unzumutbaren Geruchsbelästigungen ausgesetzt.

Der Kläger ist Eigentümer eines Wohngrundstückes im unbeplanten Innenbereich der Ortschaft R.. Sein Grundstück wurde bis 1992 auch landwirtschaftlich genutzt. Die Ortschaft R. wird von den landwirtschaftlichen Betrieben des Beigeladenen sowie sieben weiterer Landwirte (S., T., U., V., W., X. und Y.) geprägt, die überwiegend Schweinemast, teilweise auch Rindviehhaltung betreiben.

Die Hofstellen des Beigeladenen sowie der Landwirte S., T., U., V. und W. liegen östlich der von Nord nach Süd verlaufenden Dorfstraße. Die Hofstellen der Landwirte Y. und X. liegen ebenso wie das Wohnhaus des Klägers westlich der Dorfstraße. Die Entfernung vom Wohnhaus des Klägers zu dem Betrieb des Beigeladenen beträgt etwa 60 m. Die übrigen Hofstellen liegen zwischen 70 m und 300 m vom Wohnhaus des Klägers entfernt.

Bei einer Überprüfung der Tierhaltungsbetriebe in der Ortschaft R. im Jahr 2005 stellte der Beklagte fest, dass der tatsächlich vorhandene Tierbestand in den einzelnen Betrieben den genehmigten Tierbestand überstieg. Es sollten deshalb Nachgenehmigungen für den vorhandenen, aber noch nicht genehmigten Bestand sowie (Neu-)Genehmigungen für die Erweiterung der vorhandenen Stallanlagen bzw. des vorhandenen Tierbestandes erteilt werden. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen führte zu diesem Zweck in Abstimmung mit dem Beklagten und im Auftrag der Landwirte im November 2005 eine Geruchsimmissionsbeurteilung durch, die untersucht, wie hoch die Geruchsbelastungen sind, die von den genehmigten Tierhaltungsanlagen in der Ortschaft R. ausgehen (genehmigter Zustand), und wie hoch die Geruchsbelastungen sind, die von den nachzugenehmigenden und den geplanten Tierhaltungen unter Berücksichtigung von Emissionsminderungsmaßnahmen (Planzustand) ausgehen. Dieses Immissionsschutzgutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom November 2005 kommt zu dem Ergebnis, dass die Geruchsbelastungen in weiten Teilen der Ortschaft R. sowohl im genehmigten als auch im geplanten Zustand deutlich über 20 % der Jahresgeruchsstunden liegen. Im Bereich des Wohnhauses des Klägers soll die Geruchsstundenhäufigkeit nach dem Gutachten gegenüber dem genehmigten Zustandes um 2 % von 36 % auf 34 % der Jahresgeruchsstunden zurückgehen. Die trotz Erhöhung des Tierbestandes in R. zu erwartende Verbesserung der Geruchssituation soll im Wesentlichen auf die vorgesehene Abdeckung sämtlicher Güllebehälter und Silagemieten sowie auf den Einbau zertifizierter Abluftreinigungsanlagen bei fünf neuen Mastschweineställen zurückzuführen sein.

Im Hinblick auf dieses Geruchsgutachten erteilte der Beklagte dem Beigeladenen und den übrigen sieben Landwirten die beantragten Nachgenehmigungen für den vorhandenen, aber bislang nicht genehmigten Tierbestand, sowie Genehmigungen für die beabsichtigten Erweiterungsmaßnahmen. Im Einzelnen zum Betrieb des Beigeladenen:

Die Hofstelle des Beigeladenen liegt auf den Flurstücken Z. und AA., Flur AB., Gemarkung R. mit der postalischen Anschrift N.. Der Beigeladene hat die ursprünglich auf der Hofstelle betriebene Hühnerhaltung aufgegeben und betreibt nur noch Schweinemast. Das o.g. Gutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen geht von einem genehmigten Bestand von 419 Mastschweinen in der Betriebseinheit (im Folgenden: BE) 4, 120 Mastschweinen in BE 8, 1000 Hühnern in BE 9 und 100 Mastschweinen in BE 14 aus.

Unter dem 08.09.2006 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Genehmigung für den Umbau des Schweinestalls BE 4 (weiterhin 419 Mastschweine), ein Nebengebäude mit Tanklager (BE 5 und 6), die Umnutzung der BE 9 in einen Schweinestall für 230 Mastschweine, die Nachgenehmigung für den Neubau eines Schweinestalls für 122 Mastschweine (BE 15), den Umbau von BE 14 in einen Schweinestall für 162 Mastschweine, die Erweiterung der Kartoffellagerhalle (BE 13) sowie den Einbau einer Abluftreinigungsanlage in den Betriebseinheiten BE 9, 14 und 15.

Das Gutachten der Landwirtschaftskammer vom November 2005 wurde im Hinblick auf diesen Antrag um eine Stellungnahme der Landwirtschaftskammer vom …. ergänzt. Hiernach verringern sich die Geruchsemissionen durch die nunmehr beantragte Tierhaltung gegenüber dem bislang als genehmigt zugrunde gelegten Zustand um 37 %. Zur Frage, wieweit die Geruchswahrnehmungshäufigkeit auf dem Grundstück des Klägers zurückgeht, enthält die ergänzende Stellungnahme keine Aussage.

Am ….2008 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Die Baugenehmigung enthält eine Reihe immissionsschutzrechtlicher Nebenbestimmungen. Nach Nr. 3 ist die Abluft der Betriebseinheiten 9, 14 und 15 zu fassen und geprüften Abluftreinigungsanlagen (DLG-Signum label oder gleichwertig) zuzuführen. Es muss eine 70%ige Reduktion der Geruchsstoffkonzentration, eine maximale Reingaskonzentration von 300 GE/m³ und vollständige Eliminierung rohgasspezifischer Gerüche gewährleistet sein. Gemäß Nr. 11 ist die Betriebseinheit BE 8 stillzulegen. Nr. 17 erklärt die gutachterliche Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom November 2005 und die Ergänzung vom 23.10.2007 zum Bestandteil der Genehmigung. Nach Nr. 18 umfasst die Genehmigung folgende Stallplätze: BE 4: 419 Mastschweine, BE 9: 230 Mastschweine, BE 14: 162 Mastschweine und BE 15: 122 Mastschweine (insgesamt 933 Mastschweine).

Gegen die Baugenehmigung legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er u.a. geltend machte, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Schweinestall BE 4 nicht ebenfalls mit einer Abluftreinigungsanlage versehen werden müsse. Zudem sei nicht hinreichend gewährleistet, dass die Lärm- und Staubgrenzwerte eingehalten würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom ….2009 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger sei keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt. Da sich die Geruchssituation durch den Einbau von Filtern in den Betriebseinheiten BE 9, 14 und 15 ohnehin schon verbessere, sei nicht auch noch der Einbau eines Filters in der Betriebseinheit BE 4 zu fordern.

Am 03.04.2009 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend macht, dass die dem Beigeladenen und den übrigen Landwirten in R. erteilten Genehmigungen zu einer erheblichen Überschreitung der im Dorfgebiet einzuhaltenden Grenzwerte für Geruchsimmissionen führten. Zulässig sei ein Wert von maximal 15 % der Geruchsstunden. Selbst nach dem in vielerlei Hinsicht unzutreffenden Gutachten der Landwirtschaftskammer werde dieser Wert um mehr als das Doppelte überschritten. Das Vorbringen des Beklagten, die Geruchssituation verbessere sich, treffe nicht zu. Das Gutachten komme zwar zu diesem Ergebnis, gehe aber von unzutreffenden Tatsachen aus.

Nachdem sich im Klageverfahren herausgestellt hatte, dass das von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen im November 2005 erstellte Gutachten die zu berücksichtigende Vorbelastung nicht zutreffend widergibt, ließ der Beklagte durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen ein neues Gutachten erstellen. Dieses Gutachten wurde am 28.12.2012 erstellt und legt die vom Gericht anhand der den in R. ansässigen Landwirten erteilten Altgenehmigungen ermittelte Vorbelastung zugrunde. Es geht für den Betrieb des Beigeladenen von einem genehmigten Bestand von 419 Mastschweinen in BE 4, 120 Mastschweinen in BE 8 und 144 Mastschweinen in BE 14 aus. Anders als das im November 2005 erstellte Gutachten erfolgt nicht nur eine Gesamtbetrachtung aller Betriebe, sondern auch eine isolierte Betrachtung der Geruchsbelastung durch jeden einzelnen Betrieb.

Das Gutachten stellt drei Geruchszustände dar: Zustand 1 betrachtet die ursprünglich genehmigte Tierhaltung, d.h. die nach Auffassung des Gerichts zu berücksichtigende Vorbelastung. Zustand 2 berücksichtigt die dem Beigeladenen sowie die den übrigen Landwirten in den Jahren 2006 bis 2009 erteilten Genehmigungen dar. Zustand 3 berücksichtigt neben den in den Jahren 2006 bis 2009 erteilten Genehmigungen die umfassende Neustrukturierung des Betriebes T., die mit immissionsschutzrechtlicher Genehmigung vom ….2012 genehmigt worden ist.

Das Gutachten kommt hinsichtlich der Gesamtbelastung durch alle in R. ansässigen landwirtschaftlichen Betriebe zu folgendem Ergebnis: Im Zustand 1 beträgt die Gesamtbelastung am Wohnhaus des Klägers 32,8 % der Jahresgeruchsstunden, im Zustand 2 fällt die Gesamtbelastung auf 28,9 % der Jahresgeruchsstunden und im Zustand 3 sinkt sie auf 26,6 % der Jahresgeruchsstunden.

Die isolierte Betrachtung, d.h. die Betrachtung der allein vom Betrieb des Beigeladenen am Wohnhaus des Klägers verursachte Geruchsbelastung, führt zu folgendem Ergebnis: Im Zustand 1 liegt die Belastung durch den Betrieb des Beigeladenen bei 14,6 % der Jahresgeruchsstunden. Sie verringert sich in den Zuständen 2 und 3 auf 5,2 % der Jahresgeruchsstunden.

In der mündlichen Verhandlung am 14.01.2013, in der neben dem vorliegenden Verfahren neun weitere Klagen verhandelt worden sind, welche die den in R. ansässigen Landwirten erteilten Genehmigungen zum Gegenstand hatten, haben sich die Landwirte S., T., U., V., W. und X. zu weiteren Emissionsminderungsmaßnahmen (Abdeckung der Güllebehälter mit dichter Abdeckung <keine Strohhäcksel>, Einbau weiterer DLG-zertifizierter Abluftreinigungsanlagen, Stilllegung von Betriebseinheiten) bereit erklärt. Im Hinblick hierauf hat der Beklagte die diesen Landwirten erteilten Genehmigungen entsprechend modifiziert bzw. ergänzt. Der Sachverständige Herr AC., der die Gutachten der Landwirtschaftskammer vom November 2005 und vom ….2012 erstellt hat, hat die Einschätzung geäußert, dass es aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen der Baugenehmigungen gegenüber er der Berechnung im Planzustand 3 zu einer weiteren Reduzierung der Jahresgeruchsstunden um ein Prozent, möglicherweise um zwei Prozent kommen könne.

Der Kläger führt das Verfahren gegen den Beigeladenen, der sich in der mündlichen Verhandlung zu weiteren Emissionsminderungsmaßnahmen nicht bereit erklärt hat, fort und trägt zur Begründung vor: Es treffe zwar zu, dass der Beigeladene eine Abluftreinigungsanlage eingebaut habe. Gleichwohl liege die Geruchsbelastung auch nach dem neuen Gutachten der Landwirtschaftskammer über dem zulässigen Richtwert. Tatsächlich sei die Geruchsbelastung noch viel höher als im Gutachten errechnet. Das Gutachten nehme eine Rauhigkeitslänge von nur 0,2 m an. Richtig sei die Annahme einer Rauhigkeitslänge von 1,0 m oder jedenfalls 0,5 m. Dieser Fehler führe zu einer deutlichen Unterschätzung der Geruchsstundenhäufigkeiten. Zudem berücksichtige das Gutachten nicht, dass die im Betrieb des Beigeladenen eingebaute Abluftreinigungsanlage einen unangenehmen Eigengeruch verursache. Dies sei zwar nicht der typische Stallgeruch, es rieche aber nach Ammoniak bzw. Schwefel.

Der Beklagte lasse die Staubbelastung völlig unberücksichtigt. Es gebe Erkenntnisse der mittlerweile aufgelösten Bezirksregierung Weser-Ems aus dem Jahre 2003, wonach bei Massentierhaltung die Gefahr bestehe, dass die Grenzwerte für Feinstaub überschritten würden.

Schließlich führten auch die über die Luft getragenen Ammoniakausbreitungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen.

Der Kläger beantragt,

die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung des Beklagten vom ….2008 über den Umbau Schweinestall BE 4 (419 T.), Nebengebäude mit Tanklager BE 5, Neubau Schweinestall Nachgenehmigung BE 9 (230 T.) und BE 15 (122 T.), Umbau Schweinestall BE 14 (162 T.), Erweiterung eines Kartoffellagers BE 13, Gerätehaus BE 12, Abluftreinigung BE 9, 14, in der Form des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom ….2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert: Die Klage sei unbegründet, weil die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Die Geruchsbelastung liege zwar nach wie vor über dem zulässigen Richtwert. Zu berücksichtigen sei aber, dass sich die Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers gegenüber dem früheren Zustand aufgrund der Emissionsminderungsmaßnahmen der Landwirte erheblich verbessert habe.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er hält die Klage für unbegründet. Er habe mit dem Einbau einer Abluftreinigungsanlage zu einer erheblichen Verringerung der Geruchsemissionen beigetragen. Aufgrund dieser Maßnahme seien die auf das Grundstück des Klägers einwirkenden Immissionen um 66 % verringert worden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass auch auf dem Grundstück des Klägers ursprünglich Landwirtschaft betrieben worden sei. Der Kläger sei deshalb weniger schutzwürdig.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom ….2008 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom ….2009 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Baugenehmigung vom ….2008, mit welcher dem Beigeladenen ein insgesamt 933 Tiere umfassender Mastschweinebetrieb in vier Betriebseinheiten genehmigt wird, verletzt das Rücksichtnahmegebot, das bei einem faktischen Dorfgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO) - um ein solches handelt es sich bei der Ortschaft R. - aus § 15 BauNVO hergeleitet wird. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Es kommt also wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122). Bei der Bemessung dessen, was den durch ein Bauvorhaben Belästigten zugemutet werden kann, bietet sich eine Anlehnung an die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an (OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.07.2011 - 1 ME 76/11 -, DVBl 2011, 1105 = NVwZ-RR 2011, 889).

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Von der dem Beigeladenen genehmigten Anlage gehen unzumutbare Geruchsbelästigungen aus, die gegenüber dem Kläger rücksichtslos sind.

Hinsichtlich der von der genehmigten Anlage ausgehenden Geruchsimmissionen ist aufgrund des vorliegenden Gutachtens der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom ….2012 sowie den ergänzenden Aussagen des Sachverständigen Wehage in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2013 davon auszugehen, dass der Kläger als Nachbar durch das Vorhaben des Beigeladenen unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen ausgesetzt ist. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der in der Geruchsimmissionsrichtlinie - im Folgenden: GIRL - für ein Dorfgebiet festgelegte Richtwert von 15 % der Jahresgeruchsstunden überschritten wird (hierzu unter 1). Im Einzelfall lässt die GIRL Geruchsstundenhäufigkeiten bis 20 % in Dorfgebieten zu. Zugunsten des Beigeladenen ist im Rahmen der Einzelfallprüfung zu berücksichtigten, dass R. geprägt ist von landwirtschaftlichen Betrieben, so dass eine Erhöhung des Wertes auf 20 % der Jahresgeruchsstunden gerechtfertigt ist (hierzu unter 2.). Die im Gutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 28.12.2012 prognostizierten Werte liegen jedoch über 20 % der Jahresgeruchsstunden. Es ist davon auszugehen, dass auch unter Berücksichtigung der erst in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen der Genehmigungen der Wert von 20 % der Jahresgeruchsstunden überschritten wird (hierzu unter 3.). Geruchsstundenhäufigkeiten, die - wie hier - über 20 % der Jahresgeruchsstunden liegen, sind nach Auffassung der Kammer nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zulässig (hierzu unter 4.). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall ist hier nicht deshalb gegeben, weil nur Landwirte untereinander betroffen wären (vgl. hierzu unter 5). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall liegt hier auch nicht deshalb vor, weil der Beigeladene erheblich zur Geruchsreduzierung auf dem Grundstück des Klägers beiträgt. Zwar nimmt die Kammer einen besonders gelagerten Ausnahmefall in solchen Fällen an, in denen der Landwirt aufgrund der Durchführung aller ihm möglichen emissionsmindernder Maßnahmen zu einer erheblichen Verbesserung der Geruchssituation auf dem Nachbargrundstück beiträgt. Unter diesen Umständen sieht die Kammer keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (hierzu unter 6.). Die Voraussetzungen für solch einen Ausnahmefall liegen hier aber nicht vor. Zwar führt der Einbau einer Abluftreinigungsanlage in den Betriebseinheiten 9, 14 und 15 zu einer erheblichen Verbesserung der Geruchssituation auf dem Grundstück des Klägers. Der Beigeladene schöpft die möglichen Emissionsminderungsmaßnahmen aber nicht aus; er versieht die Betriebseinheit 4 nicht mit einem Biofilter und leistet dadurch nach wie vor einen erheblichen Beitrag zur Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers (hierzu unter 7.).

1. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Geruchsimmissionen ist der von dem Gutachter gewählte Ansatz geeignet, die Geruchsbelastung unter Zuhilfenahme der GIRL zu ermitteln. Für die Ermittlung und Bewertung von Geruchsimmissionen fehlen rechtsverbindliche Konkretisierungen. Anhaltspunkte für die Erheblichkeit von Geruchsbelästigungen bieten im Bereich der Landwirtschaft zunächst die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) und die Abstandsregelungen der VDI Richtlinie 3471 (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.05.2006 - 7 ME 6/06 -, juris).

Die TA Luft ist hier nicht anzuwenden, weil sie gemäß Nr. 1 Abs. 3 nur die - nicht drittschützende - Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen, nicht aber den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen regelt. Zudem hält das Vorhaben den Mindestabstand, der sich aus der Abbildung 1 der Nr. 5.4.7.1 TA Luft ergibt, nicht ein. Da Gerüche mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe zusammentreffen, scheidet auch ein Rückgriff auf die VDI Richtlinie 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung - Schweine) aus (vgl. Nr. 3.2.3.2 und 3.2.3.4), die jedenfalls hinsichtlich der Abstandsregelungen nicht von der VDI Richtlinie 3894 Blatt 1 (Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen - Haltungsverfahren und Emissionen Schweine, Rinder, Geflügel, Pferde) von September 2011 ersetzt worden ist. Spezifische neue Abstandsregelungen werden erst durch die aktuell nur im Entwurf vorhandene VDI Richtlinie 3894 Blatt 2 eingeführt.

Scheiden die TA Luft und die VDI Richtlinie 3471 als Orientierungs- und Entscheidungshilfe zur Ermittlung und Bewertung von Geruchsimmissionen aus, so ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Sonderbeurteilung nach Maßgabe der GIRL zu erfolgen hat, die eine hinreichend verlässliche Prognose und Bewertung von Geruchsbelästigungen gewährleistet (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22.06.2010 - 12 LB 213/07 -, juris; Beschluss vom 27.06.2007 - 12 LA 14/07 -, juris; Beschl. v. 27.06.2007 - 12 LA 14/07 -, juris). Von dieser gestuften Verfahrensweise geht die GIRL in ihrer aktuellen Fassung vom 23.07.2009 selbst aus (vgl. Nr. 1 GIRL und den Auslegungshinweis zu Nr. 1 GIRL „Vorgehen im landwirtschaftlichen Bereich - Abstandsregelungen“).

Zur Ermittlung der zu erwartenden Geruchshäufigkeit bedarf es grundsätzlich vorbehaltlich von hier nicht vorliegenden Ausnahmen einer Prognose, bei der aus der Vor- und der Zusatzbelastung im Wege einer Ausbreitungsberechnung die voraussichtliche Gesamtbelastung ermittelt wird.

Für Wohnbebauung, die wie hier in einem Dorfgebiet liegt, weist die GIRL in Tabelle 1 zu Nr. 3.1 einen Immissionswert von 15 % relativer Jahresgeruchsstundenhäufigkeit aus. Dieser Wert darf grundsätzlich nicht überschritten werden.

2. Nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 1 GIRL „Vorgehen im landwirtschaftlichen Bereich - Immissionswerte“ ist im landwirtschaftlichen Bereich bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen „in jedem Fall“ eine Einzelfallprüfung erforderlich, da z.B. aufgrund der Ortsüblichkeit ggf. höhere Geruchsimmissionen toleriert werden können. Diese Einzelfallprüfung beurteilt sich nach Nr. 5 GIRL. Danach ist neben der bisherigen Prägung des Gebietes durch eine bereits vorhandene Geruchsbelastung (Ortsüblichkeit) auch zu berücksichtigen, dass die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein kann, was insbesondere dann der Fall ist, soweit einer emittierenden Anlage Bestandsschutz zukommt. Nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 GIRL ist in Dorfgebieten auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe - einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten - vorrangig Rücksicht zu nehmen. Dem wird zunächst durch die Festlegung eines Immissionswertes von 15 % Geruchsstunden pro Jahr Rechnung getragen. In begründeten Einzelfällen sind sogar Zwischenwerte zwischen Dorfgebieten und Außenbereich möglich, was ausnahmsweise zu Werten von bis zu 20 % Geruchsstunden pro Jahr am Rand des Dorfgebietes führen kann.

Diese Vorgaben in der Begründung zu Nr. 3.1 GIRL berücksichtigen zutreffend die Schutzwürdigkeit landwirtschaftlicher Betriebe in Dorfgebieten, andererseits wird der Schutzbedarf der Wohnnutzung vor nicht mehr zumutbaren Geruchsbelästigungen sichergestellt.

Zugunsten des Beigeladenen ist im Rahmen der Einzelfallprüfung zu berücksichtigten, dass Düste geprägt ist von landwirtschaftlichen Betrieben. Seit Jahrzehnten wird in R. intensiv Landwirtschaft auf engem Raum betrieben, so dass die gesamte Umgebung um das Grundstück des Klägers durch die Geruchsemissionen von inzwischen noch acht landwirtschaftlichen Betrieben massiv vorbelastet ist. Eine Erhöhung des Wertes auf 20 % der Jahresgeruchsstunden ist daher gerechtfertigt.

3. Dieser Immissionswert wird nach dem Gutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom ...2012 überschritten. Die Geruchsstundenhäufigkeiten betragen am Wohnhaus des Klägers 32,8 % im Istzustand (= bislang genehmigter Zustand) und 26,6 % im Zustand 3 (Planzustand unter Berücksichtigung der Änderung im Betrieb Brokering). Da die umfangreichen Änderungen im Betrieb des Landwirts T. mit immissionsschutzrechtlicher Genehmigung vom 14.12.2012 genehmigt worden sind und der Kläger dieses Verfahrens und die übrigen Kläger in den Verfahren R. in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2013 auf Rechtsmittel gegen diese immissionsschutzrechtliche Genehmigung verzichtet haben, orientiert sich die Kammer für die Frage der zu erwartenden Geruchsbelastung am Zustand 3. Infolge der Vielzahl der landwirtschaftlichen Betriebe innerhalb der Ortschaft R. wird der hier maßgebliche Immissionswert von 20 % damit trotz der Emissionsminderungsmaßnahmen der Landwirte überschritten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen der den Landwirten erteilten Genehmigungen. Zwar hat sich die Mehrzahl der Landwirte in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt, weitere Emissionsminderungsmaßnahmen durchzuführen, die das Gutachten im Planzustand 3 nicht berücksichtigt (Planzustand 3 berücksichtigt nur die Neustrukturierung im Betrieb T.). Die Geruchsbelastung nimmt somit infolge der in der mündlichen Verhandlung geänderten Genehmigungen gegenüber Planzustand 3 weiter ab. Der Sachverständige AC. von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen hat in der mündlichen Verhandlung hierzu seine Einschätzung geäußert, dass es aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen der Genehmigungen zu einer weiteren Reduzierung der Jahresgeruchsstunden um einen Prozent, möglicherweise um zwei Prozent kommen könne. Daraus folgt, dass die Geruchsstundenhäufigkeit am Wohnhaus des Klägers selbst unter Zugrundelegung einer Minderung um zwei Prozent bei 24,6 % der Jahresgeruchsstunden liegt.

Da die Geruchsstundenhäufigkeiten den maßgeblichen Immissionswert von 20 % somit ohnehin überschreiten, kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob das Gutachten die Rauhigkeitslänge zutreffend mit 0,2 m ansetzt, nicht an. Setzte man - wie es der Kläger für richtig hält - eine Rauhigkeitslänge von 0,5 m oder sogar von 1 m an, führte dies nach Aussage des Sachverständigen AC. zu weit höheren Geruchsstundenhäufigkeiten.

Aus dem gleichen Grund kann offen bleiben, ob der Eigengeruch, welchen die Abluftreinigungsanlage des Beigeladenen verursacht, hinreichend berücksichtigt worden ist.

4. Da es hinsichtlich der Geruchsbelastung keine den Immissionsrichtwerten für die Lärmbelastung (Nr. 6 TA Lärm) vergleichbaren Grenzwerte gibt, die wegen gesundheitlicher Gefahren oder Schädigungen bei einer Wohnnutzung einzuhalten sind, geht die Kammer davon aus, dass unter Umständen Geruchsbelastungen hinzunehmen sind, die einen Immissionswert von 0,20 deutlich übersteigen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 10.11.2009 - 1 LB 45/08 -, BauR 2010, 195; Urt. v. 12.11.2008 - 12 LB 17/07 -, juris; Urt. v. 26.04.2007 - 12 LB 62/07 -, NdsVBl. 2008, 128; Urt. v. 25.07.2002 - 1 LB 980/01 -, NVwZ-RR 2003, 24). Auch bei ungünstigen Situationen darf aber die Zumutbarkeit von Geruchshäufigkeiten nicht beliebig erhöht werden. Eine Geruchshäufigkeit über 20 % in Dorfgebieten darf deshalb allenfalls in besonderen Ausnahmesituationen zulässig sein.

Allein die massive Vorbelastung durch jahrzehntelang betriebene intensive Landwirtschaft auf engem Raum kann nach Auffassung der Kammer nicht zu einer Erhöhung der Werte über 20 % hinaus führen. Die massive Vorbelastung wird entsprechend der Vorgaben der GIRL bereits durch eine Erhöhung des in Nr. 3.1 GIRL genannten Wertes von 15 % der Jahresgeruchsstunden auf 20 % berücksichtigt.

5. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall ist hier auch nicht deshalb gegeben, weil nur Landwirte untereinander betroffen wären. Es ist anerkannt, dass landwirtschaftsbezogenen Wohngebäuden, die einem praktizierenden landwirtschaftlichen Betrieb zugeordnet sind, höhere Immissionen zuzumuten sind als einer uneingeschränkten Wohnnutzung (vgl. hierzu OVG Münster, Beschl. v. 18.03.2002 - 7 B 315/02 -, NVwZ 2002, 1390). Auf dem Grundstück des Klägers wird aber seit zwei Jahrzehnten keine Landwirtschaft mehr betrieben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, den Schutzanspruch eines Nachbarn einzuschränken, weil er als einziger aus der "Schicksalsgemeinschaft" der Tierhalter ausgeschert ist und die durch landwirtschaftliche Tierhaltung geprägte Situation nachwirkt (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urt. v. 25.07.2002 - 1 LB 980/01 -, NVwZ-RR 2003, 24). Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Der Kläger ist nicht als einziger in der Umgebung aus der Gemeinschaft der Tierhalter ausgeschert. In der näheren Umgebung des Betriebes des Beigeladenen liegen weitere aufgegeben Hofstellen, die nur noch Wohnzwecken dienen. Zudem findet sich in der Dorfschaft R. neben den landwirtschaftlichen Betriebsgrundstücken gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kläger auch sonstiges Wohnen, das keinen Bezug zu landwirtschaftlicher Nutzung hat. Schließlich stellt sich die Frage nach der Dauer einer Nachwirkung. Auf dem Grundstück des Klägers wird bereits seit 20 Jahren keine Landwirtschaft mehr betrieben.

6. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall liegt hier auch nicht deshalb vor, weil der Beigeladene erheblich zur Geruchsreduzierung auf dem Grundstück des Klägers beiträgt. Zwar nimmt die Kammer einen besonders gelagerten Ausnahmefall in solchen Fällen an, in denen der Landwirt aufgrund der Durchführung aller ihm möglichen emissionsmindernder Maßnahmen zu einer erheblichen Verbesserung der Geruchssituation auf dem Nachbargrundstück beiträgt. Unter diesen Umständen sieht die Kammer keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (vgl. hierzu Beschl. d. Kammer v. 31.10.2012 - 5501/12 -, juris).

Für die Beurteilung, ob das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzt wird, ist - wie oben dargelegt - eine alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigende Beurteilung erforderlich. Wäre aufgrund der hohen Vorbelastungen ohne Berücksichtigung des genehmigten Bestandes überhaupt keine Tierhaltung durch die benachbarten Landwirte genehmigungsfähig, hätte dies zur Folge, dass Beigeladener und die übrigen Landwirte die bisherige Situation beibehalten könnten, was für den Kläger gegenüber der genehmigten Betriebsänderung hinsichtlich der Geruchsbelastung wesentlich schlechter wäre. Dass überhaupt eine Verringerung der Immissionen eintritt, genügt allerdings nicht. Anderenfalls wäre es möglich, dass ein Betriebsinhaber bei alten, ohnehin renovierungsbedürftigen Anlagen zwar Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen trifft, den Tierbestand aber gleichzeitig so stark erhöht, dass die Gesamtbelastung die früheren Immissionen fast erreicht. Durch den so entstehenden neuen Betrieb und die diesbezügliche Baugenehmigung würde die hohe Immissionsbelastung der Umgebung dauerhaft verfestigt, was trotz geringfügiger Verbesserungen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzen würde, da ein rechtswidriger Zustand verfestigt würde, ohne dass eine Anpassung über den Stand der Technik hinausgehender Maßnahmen mit nachhaltiger Verringerung der Emissionen erfolgte (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 08.05.2012 - RN 6 K 11.1187 -, juris).

Bei der Prüfung der Frage, ob das Rücksichtnahmegebot bei einer Verringerung der Geruchsimmissionen durch das Bauvorhaben verletzt ist, orientiert sich die Kammer daher an § 6 Abs. 3 BImSchG, der durch Art. 2 des Rechtsbereinigungsgesetzes Umwelt vom 11.8.2009 (BGBl I 2723) zum 1.3.2010 in das Bundes-Immissionsschutzgesetz eingefügt wurde. Danach ist eine Sanierungsänderung zulässig, wenn der Immissionsbeitrag einer rechtmäßig betriebenen Anlage durch über den Stand der Technik hinausgehende Maßnahmen deutlich gesenkt wird.

Zwar regelt das Baurecht die sog. Verbesserungsgenehmigung nicht. Ob hieraus der Schluss zu ziehen ist, dass im Baurecht nicht auf § 6 Abs. 3 BImSchG zurückgegriffen werden könne, kann dahinstehen. Vorliegend geht es nur um die Frage, ob im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots der in § 6 Abs. 3 BImSchG verankerte Rechtsgedanke herangezogen werden kann. Für einen Nachbarn, der aufgrund unzumutbarer Geruchsbeeinträchtigungen einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot geltend macht, dürfte es keine Rolle spielen, ob für das Vorhaben eine Baugenehmigung oder eine Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erforderlich ist. Der Rechtsgedanke des § 6 Abs. 3 BImSchG kann daher auch bei der Frage, ob eine Baugenehmigung gegenüber dem Nachbarn rücksichtslos ist, herangezogen werden.

7. Der Beigeladene nimmt mit dem Einbau einer Abluftreinigungsanlage in den Betriebseinheiten 9, 14 und 15 zwar Maßnahmen vor, die zu einer deutlichen Verringerung der Emissionen und der Immissionen i.S.v. § 6 Abs. 3 BImSchG führen. Er schöpft die möglichen Emissionsminderungsmaßnahmen aber nicht aus; er versieht die Betriebseinheit 4 nicht mit einem Biofilter und leistet dadurch nach wie vor einen erheblichen Beitrag zur Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers.

Was eine deutliche Verringerung des Immissionsbeitrags ist, muss nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Da eine deutliche Verringerung verlangt wird, muss sie prinzipiell umso größer ausfallen, je größer die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte ist. Umgekehrt kann bei einer geringen Überschreitung auch eine in Bezug auf die Gesamtbelastung geringe Minderung der Immissionsbelastung die Voraussetzungen einer Verbesserungsgenehmigung erfüllen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Alexander Schink, "Die Verbesserungsgenehmigung nach § 6 Abs. 3 BImSchG" in NuR 2011, 250, 253).

Gemessen hieran ist von einer deutlichen Verbesserung der Immissionsbelastung auf dem Grundstück des Klägers auszugehen. Zwar wird der Immissionsgrenzwert nach wie vor überschritten. Die Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers erreicht im Bereich der schützenswerten Wohnbebauung 32,8 % im Istzustand und 24,6 % im nunmehr genehmigten Planzustand. Die Belastung geht durch die Neustrukturierung des Betriebes des Beigeladenen und der übrigen Betriebe damit um 6 % der Jahresgeruchsstunden zurück. Die Geruchsbelastung, die allein vom Betrieb des Beigeladenen am Wohnhaus des Klägers ausgeht, fällt von 14,6 % auf 5,1 % der Jahresstunden, verringert sich somit um 64 % und damit erheblich.

Die Immissionen werden - wie es § 6 Abs. 3 BImSchG vorsieht - durch über den Stand der Technik hinausgehende Maßnahmen gesenkt, soweit die Betriebseinheiten 9, 14 und 15 mit einer Abluftreinigungsanlage versehen werden. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sieht in ihren immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen den Einbau eines Biofilters in den genannten Betriebseinheiten vor. Der Einbau einer solchen Biofilteranlage stellt eine Maßnahme dar, die über den Stand der Technik hinausgeht (vgl. hierzu Beschl. der Kammer v. 31.10.2012 - 5501/12 -, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 10.11.2009 - 1 LB 45/08 -, BauR 2010, 195).

Die von der BE 4 ausgehenden Immissionen hingegen werden nicht durch über den Stand der Technik hinausgehende Maßnahmen gesenkt. Der Einbau einer Abluftreinigungsanlage in der BE 4 ist nicht vorgesehen. Dort sollen nach wie vor 419 Mastschweine gehalten werden. Nach der Liste der Emissionsdaten für die Ausbreitungsberechnungen zur Ermittlung der Geruchsbelastungen (S. 28 des Gutachtens der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 28.12.2012) führt dies zu erheblichen Emissionen (2.723,5 GE/sec). Nach Aussage des Sachverständigen AC. ist der Einbau einer Abluftreinigungsanlage zwar mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden, da die zur BE 4 gehörenden Stallgebäude nicht homogen, sondern in verschiedenen Bauabschnitten errichtet worden sind. Hier erwartet § 6 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG vom Anlagenbetreiber aber als Gegenleistung für die wirtschaftlichen Vorteile, die er durch die Verbesserungsgenehmigung erhält, eine Sonderleistung (vgl. Alexander Schink, „Die Verbesserungsgenehmigung nach § 6 Abs. 3 BImSchG“, a.a.O.). Der Beigeladene erweitert seinen Schweinemastbetrieb gegenüber dem bisher genehmigten Bestand immerhin um 250 Tiere. Vor diesem Hintergrund kann von ihm verlangt werden, alle wirtschaftlich zumutbaren Emissionsminderungsmaßnahmen zu ergreifen. Wenn der Einbau eines Biofilters in der BE 4 tatsächlich wirtschaftlich unzumutbar sein sollte, kann auf andere Emissionsminderungsmaßnahmen - insbesondere die (teilweise) Stilllegung dieser Betriebseinheit oder die zwischenzeitlich in Betracht gezogene Errichtung eines ausreichend dimensionierten Schornsteins - zurückgegriffen werden.

Da die von dem Betrieb des Beigeladenen auf das Grundstück des Klägers einwirkenden Geruchsbelästigungen damit unzumutbar sind, kann offen bleiben, auch das Rücksichtnahmegebot auch deshalb verletzt ist, weil von dem Vorhaben in Bezug auf Staub und Ammoniak unzumutbare Immissionen ausgehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 163 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.