Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2002, Az.: L 7 AL 411/00
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.08.2002
- Aktenzeichen
- L 7 AL 411/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35391
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0827.L7AL411.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 14 RA 38/98
Amtlicher Leitsatz
Der Grundsatz, dass Arbeitszeitguthaben vor der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld aufzulösen sind, konnte auch vor Geltung des § 170 Abs. 4 S 3 SGB III nur aufgrund einer besonderen Interessenlage der Arbeitnehmer durchbrochen werden, wenn Gutstunden für andere und schützenswerte Zwecke angesammelt worden sind. Wenn die Betriebsvereinbarung über die Arbeitzeitregelung überwiegend der betrieblichen Flexibilisierung der Arbeitszeit dient, aber kein Wahl- und Bestimmungsrecht der einzelnen Arbeitnehmer vorsieht, stehen schützenswerte Interessen der Arbeitnehmer einer Auflösung der Arbeitszeitguthaben nicht entgegen. Ob die Arbeitszeitregelung mit dem Tarifvertrag übereinstimmt, kann dahinstehen.
In dem Rechtsstreit
1. der Firma A.
2. der Firma B.
Klägerinnen und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin C.
gegen
die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen,
Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover
Beklagte und Berufungsklägerin,
beigeladen: D.
hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 27. August 2002 in Celle
durch den Richter E. - Vorsitzender -, den Richter F., die Richterin G. sowie den ehrenamtlichen Richter H. und die ehrenamtliche Richterin I.
für Recht erkannt:
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Kurzarbeitergeldes (Kug) für die Klägerin zu 1) in der Zeit vom 13. August bis 31. Oktober 1996 und für die Klägerin zu 2) in der Zeit vom 4. bis 31. Oktober 1996 sowie die Rechtmäßigkeit einer Rückforderung.
Die Klägerinnen sind Betriebe des Hoch-, Tief- und Ingenieurbaus und unterliegen dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, für die hier streitige Zeit in der Fassung vom 24. April 1996. Nur bei der Klägerin zu 2) ist ein Betriebsrat gebildet, deren Vorsitzender der Beigeladene ist. Die Klägerin zu 1) führte für die Zeit vom 13. August bis 31. Oktober 1996 in der Abteilung Hochbau für 48 der 50 Beschäftigten durch einseitige Anordnung und Zustimmung der Arbeitnehmer Kurzarbeit ein. Sie zeigte dies der Beklagten am 12. August 1996 an. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte auf Null Stunden herabgesetzt werden.
Mit Bescheid vom 17. September 1996 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. November 1996 erkannte die Beklagte die betrieblichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug für die Arbeitnehmer dem Grunde nach für die Zeit vom 13. August bis 30. September 1996 an.
Die Beklagte bewilligte Kug für die Monate August bis September 1996 (Bescheide vom 20. September 1996 und 25. Oktober 1996) in Höhe von insgesamt 16.300,00 DM als Abschlagszahlung. Die Bescheide enthalten den Zusatz, dass die Zahlung unter dem Vorbehalt gewährt werde, dass etwa zu Unrecht gezahlte Beträge an das Arbeitsamt zurückzuzahlen seien, wenn sich nachträglich herausstelle, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach nicht vorgelegen hätten und weggefallen seien. Antragsgemäß erkannte die Beklagte auch für die Zeit vom 1. Oktober bis 30. November 1996 die betrieblichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug an (Bescheid vom 25. Oktober 1996). Die Klägerin zu 1) legte der Beklagten die Abrechnungslisten, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, vor und überreichte außerdem ein Schreiben der Geschäftsleitung vom 15. März 1996. Darin wurde ausgeführt, dass notwendige Mehrstunden nicht mehr ausgezahlt, sondern einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und in Zeiten mit Arbeitsmangel und/oder Schlechtwetter abgegolten werden; vorrangig sollten die Stunden für die Verzögerung der Zahlung des Überbrückungsgeldes in den Wintermonaten und/oder Arbeitsmangel/Kurzarbeit ab 1. Januar 1997 genutzt werden. Für die Menge der angesparten Mehrstunden wurde eine Obergrenze von 250 Stunden gesetzt.
Daraufhin ermittelte die Beklagte die Stundenzahl mit Anspruch auf Kug unter Abzug der vorhandenen Zeitguthaben der Arbeitnehmer und bewilligte mit Bescheid vom 11. September 1997 Kug für die Zeit vom 13. August bis 31. Oktober 1996 in Höhe von 11.312,51 DM, sodass sich unter Berücksichtigung der Abschlagzahlung eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 4.987,49 DM ergab, die mit weiterem Bescheid vom 11. September 1997 zurückgefordert wurde.
Die Klägerin zu 2) führte für die Zeit ab 4. Oktober 1996 bis 31. Oktober 1996 Kurzarbeit aufgrund einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat vom 2. September 1996 ein und zeigte dies der Beklagten am 2. September 1996 an. Die wöchentliche Arbeitszeit aller 25 Beschäftigten sollte auf Null Stunden herabgesetzt werden. Mit Bescheid vom 24. Oktober 1996 erkannte die Beklagte die betrieblichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug für die Arbeitnehmer dem Grunde nach an. Auf den Antrag der Klägerin zu 2) auf Gewährung einer Abschlagszahlung für 12 der 25 Personen zahlte die Beklagte mit Bescheid vom 22. November 1996 für die Zeit vom 4. bis 31. Oktober 1996 einen Vorschuss von 6.300,00 DM unter dem oben genannten Vorbehalt.
Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat hatten unter dem 18. April 1996 folgende Betriebsvereinbarung abgeschlossen:
1. Diese Vereinbarung ist befristet vom 1. Mai 1996 bis 31. März 1997.
2. Monatlich werden bis maximal 24 Mehrarbeitsstunden ohne Mehrarbeitszuschlag nicht mit der Abrechnung ausgezahlt, sondern auf einem Stundenkonto des Arbeitnehmers gutgeschrieben. Darüber hinausgehende Mehrarbeitsstunden werden mit Mehrarbeitszuschlag vergütet.
3. Die maximale Anzahl der Mehrarbeitsstunden ohne Mehrarbeitszuschlag beträgt 150 Stunden für die gesamte Vereinbarungsdauer. Darüber hinausgehende Mehrarbeitsstunden werden mit Mehrarbeitszuschlag vergütet.
4.-7. ...
8. Bei Arbeitsausfall, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat (z.B. Kurzarbeit oder Schlechtwetter) werden zunächst die Gutstunden aus dem Stundenkonto des Arbeitnehmers abgebaut. Wenn diese Gutstunden bis Ende März 1997 durch Kurzarbeit und/oder Schlechtwetter nicht aufgebraucht werden, erfolgt die Auszahlung mit der Märzabrechnung 1997 (evtl. Aufteilung März/April 1997), zuzüglich des Mehrarbeitszuschlag von 25 %. Sollte Kurzarbeit im April und/oder Mai 1997 anstehen, werden diese Gutstunden dafür aufgebraucht.
9. ...
Die Betriebsvereinbarung enthielt den Zusatz, dass Absatz 8 mit Wirkung vom 1. Januar 1997 gelte.
Auch in diesem Fall errechnete die Beklagte daraufhin das Kug aufgrund der vorgelegten Abrechnungslisten unter Anrechnung der Zeitguthaben, bewilligte mit Bescheid vom 11. September 1997 Kug für die Zeit vom 4. bis 10. Oktober 1996 in Höhe von 3.083,74 DM und forderte den überzahlten Betrag von 3.216,26 DM mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage zurück.
Die Klägerinnen erhoben gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 11. September 1997 Widerspruch mit der Begründung, nach der getroffenen Regelung seien die Ansparstunden als Winterausfallgeldvorausleistung zu verwenden und verwiesen insoweit auf ein Schreiben der Bundesanstalt für Arbeit vom 3. Juli 1997 (Bl 69 GA); eine Einbringung im Rahmen der Unvermeidbarkeit des Arbeitsausfalles würde der tarif- und sozialrechtlichen Zielsetzung der Arbeitszeitregelung zuwiderlaufen. Die Beklagte wies die Widersprüche mit den Widerspruchsbescheiden vom 16. November 1998 zurück und führte zur Begründung aus, dass nach § 65 Abs. 2a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bereits vorhandene Überstunden einzusetzen seien, bevor Kug und damit öffentliche Gelder in Anspruch genommen würden.
Gegen beide Bescheide haben die Klägerinnen am 18. Dezember 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben, die das Gericht durch Beschluss vom 10. Dezember 1999 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Die Klägerinnen haben sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren bezogen und ergänzend ausgeführt, dass die Regelungen zu den Arbeitszeitkonten auf der Abschaffung des Schlechtwettergeldes im Jahre 1995 beruhen. Die aus vielen Betrieben bekannten Betriebsvereinbarungen seien Vorbild für die Neuregelung des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe zum 1. November 1997 gewesen, mit dem die Arbeitszeitflexibilisierung und Schaffung von Ausgleichskonten erweitert wurden. Eine Einbringung im Rahmen der Unvermeidbarkeit des Arbeitsausfalles habe die Beklagte aber für die tarifvertragliche Regelung in ihrem Erlass vom 3. Juli 1997 für unzulässig gehalten, sodass für die vorherige betriebliche Praxis nichts anderes gelten könne.
Das SG Oldenburg hat mit Urteil vom 17. August 2000 die angefochtenen Bescheide aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Auffassung der Beklagten laufe darauf hinaus, den tariflichen Bestimmungen Drittwirkung zu ihren Gunsten beizumessen, tarifliche Vereinbarungen dienten jedoch lediglich den Interessen der Tarifvertragsparteien. Zwar habe der Bundesrahmentarifvertrag von 1996 einen eigenständig ausgestalteten Anspruch der Arbeitnehmer auf Überbrückungsgeld vorgesehen, dies habe jedoch nicht ausgeschlossen, dass zwischen den jeweiligen Arbeitsvertragsparteien - wie im vorliegenden Fall - eine für die Arbeitnehmer noch günstigere Regelung getroffen werde.
Gegen das ihr am 5. September 2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5. Oktober 2000 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, die angesparten Mehrarbeitsstunden seien nicht als geschütztes Arbeitszeitguthaben anzuerkennen, sondern von den den Kug-Anspruch begründenden Ausfallstunden in Abzug zu bringen. Die hier zu beurteilenden betrieblichen Regelungen aus März und April 1996 stünden mit der sich erst im Laufe des Jahres 1997 entwickelnden tariflichen und sozialrechtlichen Situation in keinem Zusammenhang und seien eindeutig zur Vermeidung der Kurzarbeit einzubringen, unabhängig von der tarifwidrigen Zweckbestimmung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. August 2000 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
2. unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. August 2000 und der Bewilligungsbescheide vom 11. September 1997 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. November 1998 den Klägerinnen in der Zeit vom 13. August bis zum 31. Oktober 1996 (Klägerin zu 1) und vom 4. bis 31. Oktober 1996 (Klägerin zu 2) höheres Kurzarbeitergeld zu bewilligen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und tragen ergänzend vor, dass in beiden betrieblichen Vereinbarungen geregelt worden sei, dass der Einsatz der Mehrarbeitsstunden sowohl für Schlechtwetter als auch Kurzarbeit erst ab dem 1. Januar 1997 zum Tragen kommen solle und somit zur Vermeidung von Kurzarbeit im Jahre 1996 gerade nicht vorgesehen war. Sie haben den Bundesrahmentarif für das Baugewerbe in der Fassung 24. April 1996 (BRTV-Bau 1996) vorgelegt.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die die Klägerinnen betreffenden Kug-Akten vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Geldleistungen von mehr als 1.000,00 DM betreffende Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz a.F. - SGG -), sie ist auch begründet. Dagegen ist die Anschlussberufung der Klägerinnen (Antrag zu 2) unbegründet.
Streitgegenstand sind die Bewilligungsbescheide vom 11. September 1997 sowie die Rückforderungsbescheide vom gleichen Tage jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. November 1998.
Die Klägerinnen, die insoweit gesetzliche Prozessstandschafter der betroffenen Arbeitnehmer sind (vgl. BSG Breithaupt 1996, 160 m.w.N.), haben keinen höheren Anspruch auf Kug, als ihnen mit Bescheiden vom 11. September 1997 bewilligt wurde. Der überzahlte Betrag konnte daher gemäß § 42 Abs. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) zurückgefordert werden.
In den angefochtenen Leistungsbescheiden hat die Beklagte das den Klägerinnen zustehende Kug zutreffend berechnet. Die Berechnung entspricht unstreitig den gesetzlichen Vorgaben, lediglich die Zahl der ausgefallenen Stunden ist streitig. Die Beklagte hat jedoch zu Recht von den geltend gemachten Ausfallstunden im Kug-Zeitraum die auf den Arbeitszeitkonten vorhandenen Stunden der Arbeitnehmer in Abzug gebracht.
Gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 2 AFG wird Kug gewährt, wenn - und soweit (Einfügung des Senats) - der Arbeitsausfall unvermeidbar ist. Besteht im Betrieb eine Vereinbarung über Arbeitszeitschwankungen, um entsprechend der jeweiligen Auftragslage kurzfristig auf eine bessere oder schlechtere Ausnutzung der Kapazitäten reagieren zu können, ist zu prüfen, ob der Arbeitsausfall bei ihrer Nutzung vermeidbar ist (Niesel-Roeder, AFG, 2. Auflage München 1997, § 64 Rdziff 4).
In den Betrieben der Klägerinnen bestanden Regelungen, dass Mehrarbeit zunächst nicht vergütet, sondern in einem genau bestimmten Umfang einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wurde. Von den Arbeitnehmern, für die Kug beantragt wurde, hatten die von den Klägerinnen aufgeführten Arbeitnehmer (Klägerin zu 1) Bl. 149 Kug-Akte; Klägerin zu 2) Bl. 109 Kug-Akte) tatsächlich auf ihrem Arbeitszeitkonto Arbeitszeitguthaben angesammelt, das auf Mehrarbeit beruhte, die von den Arbeitnehmern vor dem Kug-Zeiträumen geleistet worden ist. Durch die Betriebsvereinbarung bzw. die Anordnung der Geschäftsleitung ist der Fälligkeitszeitraum der Entgeltansprüche für diese Überstunden verschoben und sind diese gestundet. Der Entgeltanspruch entsteht erst, wenn die Gutstunden bei Arbeitsausfall eingesetzt werden, spätestens am Ende des vereinbarten Zeitraumes.
Sind aber Arbeitszeitkonten vereinbart worden, kann es nicht in das Belieben von Arbeitnehmer und Betrieb gestellt werden, angesparte Arbeitszeitguthaben vor der Inanspruchnahme von Kug aufzulösen. Dies bestätigt im Übrigen die ab 1. Januar 1998 geltende Neuregelung des § 170 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Dieser Grundsatz kann nur aufgrund einer besonderen Interessenlage der Arbeitnehmer durchbrochen werden, wenn die Gutstunden für andere und schützenswerte Zwecke angesammelt worden sind. Die ab 1. Januar 1998 geltende Regelung des § 170 Abs. 4 Satz 3 SGB III schützt nur Arbeitszeitguthaben, die für eine vorzeitige Freistellung des Arbeitnehmers zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor Altersbeginn oder zur Finanzierung einer Winterausfallgeld-Vorausleistung angesammelt wurden, die 10 % der Jahresarbeitszeit übersteigen oder die länger als ein Jahr bestanden haben.
Beide hier in Streit stehenden Regelungen waren zwar aus Anlass der Abschaffung des Schlechtwettergeldes ab 1. Januar 1996 getroffen worden, nach dem Wortlaut sollten die Überstunden aber auch in Zeiten mit Arbeitsmangel/Kurzarbeit abgegolten werden. Für 1997 wäre eine Inanspruchnahme der Überstunden bei Kurzarbeit damit sogar ausdrücklich zulässig gewesen. Die Anordnung der Klägerin zu 1) sollte "vorrangig" ab 1. Januar 1997 genutzt werden, so dass ein früherer Beginn nicht ausgeschlossen ist. Die Betriebsvereinbarung der Klägerin zu 2) sah ein Wirksamwerden des Absatzes 8 erst mit Wirkung vom 1. Januar 1997 vor, entsprechend der allgemeinen Zielsetzung "Abbau von Überstunden in Form von Freizeit wegen Auftragsmangels" schloss aber auch dies nicht eine vorherige Inanspruchnahme aus. Aber selbst wenn durch die Formulierung beabsichtigt war, eine Inanspruchnahme im Jahre 1996 auszuschließen, kann eine solche Zweckbestimmung nicht als schützenswert anerkannt werden. Arbeitzeitguthaben müssen grundsätzlich zunächst abgebaut und zum Ausgleich von Arbeitsausfällen genutzt werden, bevor weitere Arbeitausfälle durch die Zahlung des beitragsfinanzierten Kug ausgeglichen werden können. Beide Regelungen sahen keine Wahl- und Bestimmungsrechte der einzelnen Arbeitnehmer vor, sondern dienten überwiegend der betrieblichen Flexibilisierung der Arbeitszeit. Damit stehen schützenswerte Interessen der Arbeitnehmer einer Auflösung der individuellen Arbeitszeitguthaben vor Inanspruchnahme des Kug nicht entgegen.
Ob die im Betrieb der Klägerinnen gehandhabte Arbeitszeitregelung mit der maßgeblichen tariflichen Regelung, dem für allgemein verbindlich erklärten BRTV - Bau 1996, übereinstimmt, kann dahinstehen.
Bei der Prüfung, ob ein Arbeitsausfall i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 AFG vermeidbar ist, kann es nach Sinn und Zweck der Regelung nicht darauf ankommen, ob der Aufbau der Arbeitszeitkonten tarifvertraglich zulässig gewesen ist. Denn tatsächlich waren die angesammelten Stunden vorhanden und weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeberinnen haben die Unwirksamkeit in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren feststellen lassen. Es bestehen keine Bedenken, dass Mehrarbeit, die gemäß 5.4 des BRTV-Bau bei dringenden betrieblichen Erfordernissen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat angeordnet werden kann, für ein Arbeitszeitmodell genutzt wird. Die Regelung verstößt allenfalls insoweit gegen den Tarifvertrag, als die Mehrarbeit nicht mit dem Mehrarbeitszuschlag vergütet wird (6.1 des BRTV-Bau), wenn ein Ausgleich vorgenommen wird. Damit ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum im Verhältnis zur Solidargemeinschaft tatsächlich vorhandene Gutstunden nicht vor Inanspruchnahme des Kug abgebaut werden sollten. Hierfür ist unerheblich und muss zwischen den Arbeitsvertragsparteien geklärt werden, wie die Stunden zu vergüten sind. Somit waren die Flexibilisierungsmöglichkeiten vor Einführung der Kurzarbeit nicht ausgeschöpft, der Arbeitsausfall war also vermeidbar.
Nach den von den Klägerinnen vorgelegten Abrechnungslisten hat die Beklagte das Kug richtig berechnet. Einwände haben die Klägerinnen nicht erhoben. Berechnungsfehler sind auch sonst nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor, da der Gesetzgeber die Inanspruchnahme von Arbeitszeitguthaben inzwischen gesetzlich geregelt hat.