Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2002, Az.: L 4 KR 198/00

Beschränkung der Verlängerung der Familienversicherung für ein Kind über 25 Jahre auf die Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht i.R.d. gesetzlichen Krankenversicherung; Gleichstellung der Zeit der Schwangerschaft, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubes mit einer Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht; Schutzwürdiges Vertrauen einer Versicherten auf einen fehlerhaft erlassenen Bescheid einer Familienversicherung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.08.2002
Aktenzeichen
L 4 KR 198/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30966
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0827.L4KR198.00.0A

Fundstellen

  • FamRB 2003, 204 (Kurzinformation)
  • NZS 2003, 159 (amtl. Leitsatz)
  • SGb 2003, 457 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    In der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Verlängerung der Familienversicherung für ein Kind, das das 25. Lebensjahr vollendet hat (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB V), grundsätzlich auf die Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht beschränkt.

  2. 2.

    Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG gebieten es nicht, die Zeit der Schwangerschaft, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht gleichzustellen (des § 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V).

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Verlängerung der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 über das 25. Lebensjahr hinaus (§10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 Fünftes Sozialgesetzbuch, SGB V).

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Die 1952 geborene Klägerin hat eine am 21. Februar 1974 geborene Tochter Claudia (Beigeladene zu 1). Diese ist die Mutter des am 28. Januar 1993 geborenen Kindes Aaron (Beigeladener zu 2). Zur Zeit der Geburt befand sich die Beigeladene zu 1 in der Schulausbildung. Im Anschluss an den Erziehungsurlaub nahm sie 1995 ihre Schulausbildung wieder auf, bestand das Abitur und begann im Oktober 1996 zunächst ein Medizinstudium. Dann studierte sie Pädagogik, Volkskunde und Psychologie.

3

Die Klägerin war bis 29. Februar 2000 freiwillig bei der Beklagten versichert. Über sie waren die Beigeladene zu 1 und der Beigeladene zu 2 familienversichert.

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Mit Schreiben vom 23. Dezember 1998 erteilte die Beklagte der Klägerin die Auskunft, dass Jugendliche, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befänden, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres familienversichert seien. Die Familienversicherung für die Beigeladene zu 1 ende deshalb am 20. Februar 1999. Mit Bescheiden vom 11. Mai 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Beigeladene zu 1 und der Beigeladene zu 2 über den 21. Februar 1999 hinaus familienversichert seien. Die Familienversicherung verlängere sich um weitere drei Jahre (bis zum 20. Februar 2002), sofern das Studium noch so lange andauere. Mit Bescheid vom 25. Mai 1999 hob die Beklagte den Bescheid vom 11. Mai 1999 ab 1. Juni 1999 auf und teilte mit, dass sie für die Beigeladene zu 1 eine eigene Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Studenten einrichten und von diesem Zeitpunkt an Beiträge erheben werde. Bei der Beurteilung des Sachverhalts im Bescheid vom 11. Mai 1999 sei ihr - der Beklagten - leider ein Fehler unterlaufen. Denn die Familienversicherung hätte über den 20. Februar 1999 hinaus nicht fortgesetzt werden dürfen. Eine analoge Anwendung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Juni 1973 (5 RKn 34/71 in USK 73109) komme längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres in Betracht. Eine Verlängerung der Familienversicherung nach Vollendung des 25. Lebensjahres habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. August 1999, zugestellt am 11. August 1999).

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Die Klägerin hat am 7. September 1999 Klage vor dem Sozialgericht Hildesheim (SG) erhoben. Mit Urteil vom 20. Juli 2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 und des Beigeladenen zu 2 habe nur bis zum 31. Mai 1999 bestanden. Die Beklagte habe den Bescheid vom 11. Mai 1999 gemäß § 45 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtmäßig zurückgenommen. Der Bescheid vom 11. Mai 1999 sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Familienversicherung nach § 10 Abs. 2 SGB V nicht mehr vorgelegen hätten. Eine Familienversicherung über das 25. Lebensjahr hinaus sei nur bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes möglich. Dem könnten die Schwangerschaft, der Mutterschutz und der Erziehungsurlaub nicht gleichgestellt werden. Das Mutterschutzgesetz verdränge die Regelungen des SGB V nicht. Vielmehr habe der Gesetzgeber die Verlängerung der Familienversicherung bewusst auf die Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflichten beschränkt. Das sei gerechtfertigt, weil der Dienstpflichtige während seiner Dienstpflicht nicht in den Genuss der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung komme. Sein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ruhe. Die Beigeladene zu 1 sei jedoch durchgehend auch während ihrer Schwangerschaft und des Erziehungsurlaubs familienversichert gewesen. Gegen das an sie am 14. August 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. September 2000 Berufung eingelegt. Sie ist insbesondere der Ansicht, der im Mutterschutzgesetz enthaltene Vertrauensschutz und Fürsorgegedanke bewirke, dass Schwangerschaft, Mutterschutz und Erziehungsurlaub als Verlängerungstatbestände nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V anzusehen seien. Das Mutterschutzgesetz sei zwingendes Recht und höherrangig. Denn es verwirkliche das Verfassungsgebot des Schutzes von Ehe und Familie. Gegebenenfalls sei eine Gesetzeslücke in §10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V anzunehmen. Aus diesem Grunde sei der Bescheid vom 25. Mai 1999 rechtmäßig. Die Klägerin habe auf diesen Bescheid vertrauen dürfen.

6

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 20. Juli 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 1999 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

9

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben mit den Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Streitgegenstand des Verfahrens ist nur die Familienversicherung der Beigeladenen zu 1, nicht aber die des Beigeladenen zu 2. Das ergibt sich aus dem Klageantrag. Die Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 wird bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 3. August 1999, der ausschließlich die Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 betrifft, und durch den Schriftsatz der Beklagten vom 5. Mai 2000, dem die Klägerin trotz gerichtlicher Aufforderung zur Stellungnahme nicht widersprochen hat.

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Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

12

Die Klägerin als Stammversicherte ist befugt, die Feststellung der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 zu betreiben. Denn die Familienversicherung ist auch ein eigenes Recht der Stammversicherten. Das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung betrifft zugleich die Ausgestaltung und den Umfang der Stammversicherung (BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 - 12 RK 48/91 - in BSGE 72, 292 ff).

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In der Sache hat die Klägerin keinen Erfolg. Die Beklagte hat den Bescheid vom 25. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 1999 zu Recht für die Zeit ab 1. Juni 1999 zurückgenommen. Die Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 besteht nur bis zum 31. Mai 1999.

14

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem Öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).

15

Der Bescheid vom 11. Mai 1999 ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Er ist rechtswidrig.

16

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Kinder eines Mitglieds einer gesetzlichen Krankenkasse unter bestimmten Voraussetzungen familienversichert. Die Dauer der Familienversicherung regelt § 10 Abs. 2 SGB V. Danach sind Kinder grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres versichert (§10 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Kinder sind bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres versichert, wenn sie nicht erwerbstätig sind (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres besteht die Familienversicherung, wenn sich das Kind in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne der entsprechenden Gesetze leistet (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 1 SGB V). Wird die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes unterbrochen oder verzögert, besteht die Versicherung auch für einen der Dauer dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus (§10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V). Kinder sind ohne Altersgrenze familienversichert, wenn sie als behinderte Menschen außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach Nr. 1, 2 oder 3 versichert war (§ 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V).

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Ein Anspruch auf Familienversicherung ergibt sich nicht aus § 10 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 Halbsatz 1 oder Nr. 4 SGB V. Die Möglichkeiten der Nrn. 1, 2 und 3 Halbsatz 1 hat die Beigeladene zu 1 bereits in Anspruch genommen. § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V entfällt, weil die Beigeladene zu 1 nicht zum Kreis der behinderten Menschen gehört.

18

Entgegen der Ansicht der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V nicht vor.

19

Die Beigeladene zu 1 hat am 20. Februar 1999 das 25. Lebensjahr vollendet. Damit hat sie die Altersgrenze erreicht, von der an Kinder grundsätzlich nicht mehr familienversichert sind. Eine Ausnahme macht § 10 Abs. 2 SGB V lediglich für die Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht. Eine gesetzliche Dienstpflicht hat die Beigeladene zu 1 nicht absolviert. Sie ist jedoch der Ansicht, dass Schwangerschaft, Mutterschutz- und Erziehungszeiten der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht gleichstünden. § 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V sei zumindest analog auf diese Zeiten anzuwenden. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen.

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Zu Recht ist das SG von der Grundentscheidung des Gesetzgebers ausgegangen, wonach eine Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung für Kinder prinzipiell nur bis zu ihrem 18. Lebensjahr besteht. Von dieser Regel hat der Gesetzgeber Ausnahmen vorgesehen für die Fälle, in denen sich das Kind nicht selbst unterhalten kann, also für den Fall der fehlenden Erwerbstätigkeit (Nr. 2) und den Fall der Behinderung (Nr. 4), für den Fall der Schul- und Berufsausbildung (Nr. 3 Halbsatz 1) und der Absolvierung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres (Nr. 3 Halbsatz 1). Mit Vollendung des 25. Lebensjahres soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Familienversicherung beendet sein. Diese Regelung entspricht dem allgemeinen Grundsatz in der Sozialversicherung, dass Ansprüche von Kindern grundsätzlich an eine Altersgrenze geknüpft sind. So endet der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 48 Abs. 4 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) grundsätzlich mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Diese Altersgrenze verschiebt sich unter bestimmten Voraussetzungen bis zur rentenrechtlichen Höchstgrenze, d.h. der Vollendung des 27. Lebensjahres. Diese Höchstgrenze von 27 Lebensjahren jedoch kann auch in der Rentenversicherung nur in Fällen des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes verlängert werden. Entsprechendes gilt beim Kindergeld (§ 2 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz).

21

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Verschiebung der Altersgrenze über das 25. Lebensjahr hinaus (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V) auf die Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht beschränkt. Die Zeiten von Schwangerschaft, Mutterschutz und Erziehungsurlaub stehen im Rahmen des § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht nicht gleich. § 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V verstößt nicht gegen Art. 3 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

22

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht dann, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvL 4/96 -mwN).

23

Nach Art. 12a Abs. 1 GG können Männer zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Kriegsdienstverweigerer können zum Ersatzdienst verpflichtet werden (Art. 12a Abs. 2 Satz 1 GG). Die Ableistung des Wehrdienstes oder Zivildienstes steht nicht im Belieben des Einzelnen. Sie ist keine Entscheidung der eigenen Lebensplanung, sondern Pflicht gegenüber dem Staat. Durch die Erfüllung Ihrer Dienstpflicht verlieren die betroffenen Männer Zeit für die Schul- oder Berufsausbildung. Ihre Schul- und Berufsausbildung verlängert sich notgedrungen und ohne eigenes Zutun um die Zeit der Dienstpflicht.

24

Anders ist die Situation bei Schwangerschaft, Mutterschutz und Erziehungsurlaub. Die Gründe, die die Verlängerung der Familienversicherung bei Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht rechtfertigen, treffen auf diese Zeiten nicht zu. Die Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht (Art. 6 Abs. 1 GG). Die Entscheidung, schwanger zu werden, steht in den überwiegenden Fällen aber in der eigenen Disposition der einzelnen Frau. Das unterscheidet ihre Situation wesentlich von der des Wehr- oder Zivildienstpflichtigen.

25

Der Senat stimmt zwar der Auffassung der Klägerin zu, dass eine Gleichstellung der Zeiten des Mutterschutzes mit jenen der gesetzlichen Dienstpflichten im Rahmen des § 10 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB V im Interesse der Frauen und der Familien sinnvoll sein könnte. Denn auf diese Weise wären auch solche Frauen krankenversicherungsrechtlich abgesichert, die eine lange Schul- und Berufsausbildung und die Gründung einer Familie mit Kindern noch in jungen Jahren nebeneinander verwirklichen wollen. Für die Entscheidung dieser Frage ist jedoch der Gesetzgeber zuständig. Ob und auf welche Weise er den jungen Frauen eine krankenversicherungsrechtliche Absicherung gewährt, ist eine politische Entscheidung und steht in seinem Gestaltungsermessen.

26

Der Bescheid vom 11. Mai 1999 ist somit rechtswidrig.

27

Das Vertrauen der Klägerin auf ihn ist nicht schutzwürdig (§ 45 Abs. 2 SGB X). Die Beklagte hat der Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 1998 die Auskunft erteilt, dass die Familienversicherung für die Beigeladene zu 1 am 20. Februar 1999 endet. Die Klägerin musste also damit rechnen, dass sich ihre Tochter von diesem Zeitpunkt an selbst krankenversichern musste. Mit Bekanntgabe des Bescheides vom 11. Mai 1999 hat die Klägerin dann zwar die Nachricht erhalten, dass die Familienversicherung weiter fortbestehe. Bereits zwei Wochen später hat die Beklagte aber den Bescheid vom 25. Mai 1999 erlassen und den Bescheid vom 11. Mai 1999 zurückgenommen. Die Klägerin konnte also nur zwei Wochen auf eine Fortdauer der Familienversicherung vertrauen. Sie hat nicht behauptet, dass sie in dieser Zeit Vermögensdispositionen getroffen hat, die sie nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Ihr Interesse besteht also allein in einer kostenfreien Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 und zu 2 über den 1. Juni 1999 hinaus. Die Solidargemeinschaft der Versicherten hat demgegenüber ein erhebliches Interesse daran, dass alle beitragspflichtigen Versicherten ihre Beitragspflicht erfüllen. Nur auf diese Weise ist die Finanzierung der solidarischen Krankenversicherung sicher gestellt. Aus diesen Gründen überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der Rücknahme des rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsaktes vom 11. Mai 1999 das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung des Bescheides vom 11. Mai 1999.

28

Die Beklagte hat den Bescheid vom 11. Mai 1999 mit Wirkung vom 1. Juni 1999, also für die Zukunft, zurückgenommen. Das Fristerfordernis des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist erfüllt.

29

Schließlich hat die Beklagte auch das erforderliche Ermessen rechtmäßig ausgeübt. Der Widerspruchsbescheid vom 3. August 1999 enthält den Hinweis, dass alle Vor- und Nachteile einer Rücknahme des Bescheides vom 11. Mai 1999 geprüft worden seien. Die Beklagte war sich also erkennbar ihres Ermessensspielraum bewusst. Die Klägerin hat im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Rücknahme des Bescheides vom 11. Mai 1999 in ihrem Fall eine besondere Härte bedeutet. Nach Auffassung des Senats konnte die Ermessensausübung daher - wie im vorliegenden Fall geschehen - zusammen mit der Abwägung der privaten mit den öffentlichen Interessen erfolgen (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, Stand August 2000, § 45 Rn. 55 mwN aus der Rechtsprechung).

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Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

32

Gerichtskosten sind nicht entstanden (§ 183 SGG)

33

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).