Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2002, Az.: L 4 KR 138/00 ER

Analoge Anwendbarkeit des § 49 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ohne Rechtsmissbrauch aus persönlichen Gründen durch einen arbeitsunfähigen Versicherten

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.08.2002
Aktenzeichen
L 4 KR 138/00 ER
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 33509
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0827.L4KR138.00ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 18.05.2000 - AZ: S 9 KR 5/99

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V kommt nicht in Betracht, wenn eine arbeitsunfähige Versicherte ihr Arbeitsverhältnis ohne Rechtsmissbrauch aus persönlichen Gründen kündigt und deshalb keine Entgeltfortzahlung erhält.

  2. 2.

    Für eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auf die persönlich motivierte Eigenkündigung einer Versicherten fehlt es an einer planwidrigen, unbeabsichtigten Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
auf die mündliche Verhandlung vom 27. August 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte -Vorsitzende-,
den Richter Wolff,
den Richter Schreck sowie
die ehrenamtliche Richterin Sand und
den ehrenamtlichen Richter Dr. Schein
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte der Klägerin die außergerichtlichen Kosten im Klageverfahren zu erstatten hat.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Krankengeld trotz Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Klägerin.

2

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin war beim Deutschen Roten Kreuz Lüneburg (DRK) als Schichtleiterin im Pflegeheim des DRK in C. beschäftigt. Sie hatte einen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für 26 Wochen. Im Dezember 1997 erkrankte sie an Salmonellose und war seitdem arbeitsunfähig.

3

Anfang 1998 leitete das DRK ein Anhörungsverfahren wegen des Verdachts strafbarer Handlungen gegen die Klägerin ein. Sie hätte geduldet, dass Mitarbeiter Lebensmittel aus dem Pflegeheim mit nach Hause genommen hätten. Gegen sie selbst bestehe derselbe Verdacht. Nach den Angaben der Klägerin beabsichtigte das DRK daher, eine fristlose Kündigung auszusprechen. Zu diesem Zweck fand am 22. Januar 1998 die Anhörung der Klägerin statt. Am 28. Januar 1998 erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung zur fristlosen Kündigung. Mit Schreiben vom 29. Januar 1998 teilte das DRK der Klägerin mit, dass sie mit sofortiger Wirkung von ihren Arbeitsverpflichtungen unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch freigestellt sei.

4

Die Klägerin schaltete nun ihren Prozessbevollmächtigten ein, der sich mit Schreiben vom 6. Februar 1998 an das DRK wandte. Im Rahmen seiner Verhandlungen stellte sich heraus, dass das DRK beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis fristlos bis spätestens Mitte Februar 1998 zu kündigen. Im Hinblick auf den angeschlagenen Gesundheitszustand der Klägerin einigten sich die Verhandlungspartner schließlich darauf, das Arbeitsverhältnis mit der vertraglichen Frist durch Eigenkündigung zum 31. März 1998 zu beenden. Daraufhin kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 9. Februar 1998 zum 31. März 1998.

5

Die Klägerin beantragte Krankengeld ab 1. April 1998. Mit Bescheid vom 19. Juni 1998 lehnte die Beklagte den Antrag für die Zeit vom 1. April bis 21. Juni 1998 ab. Nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) ruhe der Anspruch auf Krankengeld bei grobfahrlässigem Verhalten des Versicherten bis zu dem Tage, an dem die ursprüngliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gehaltsfortzahlung erfüllt gewesen wäre. Die Klägerin habe durch ihre Kündigung bewusst auf den ihr zustehenden Anspruch auf Gehaltsfortzahlung verzichtet. Sie habe angenommen, ihr Lebensunterhalt sei durch die Zahlung von Krankengeld sichergestellt. Damit habe sie sich grobfahrlässig zum Nachteil der Beklagten verhalten. Sie habe für die Zeit der Gehaltsfortzahlung keine Kündigung aussprechen dürfen. Das Arbeitsverhältnis hätte auch zum Ende der Entgeltfortzahlung gekündigt werden können. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1998).

6

Die Klägerin hat am 8. Januar 1999 Klage vor dem Sozialgericht Lüneburg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 18. Mai 2000 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Krankengeld nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Krankengeld zu. § 49 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) sei nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht anzuwenden. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruhe der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange eine Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erhalte. Die herrschende Ansicht wende § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auch auf die Fälle an, in denen eine Versicherte zum Nachteil der Krankenkasse auf das Arbeitsentgelt verzichte. Der Klägerin sei es jedoch nicht darum gegangen, auf das Arbeitsentgelt zu verzichten. Ziel der Eigenkündigung sei vielmehr gewesen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu bereinigen. Nur aus diesem Grunde habe die Klägerin die Eigenkündigung ausgesprochen. Die Klage habe daher Erfolg. Gleichwohl habe die Klägerin ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen; denn letztlich habe ihr Verhalten zu der Kündigung geführt.

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Gegen das ihr am 7. Juni 2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Juni 2000 Berufung eingelegt. Entgegen der Ansicht des SG sei § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V im vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass der Krankengeldanspruch ruhe. Zwar fordere § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V den tatsächlichen Bezug von Arbeitsentgelt, der hier nicht vorgelegen habe. Nach herrschender Auffassung komme es ausnahmsweise auf einen tatsächlichen Bezug jedoch nicht an, wenn die Versicherte den Bezug des Arbeitsentgelts durch eine schuldhafte, d.h. vorsätzliche oder fahrlässige, Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Sozialversicherungsverhältnis vereitelt habe. Eine Versicherte habe alles zu unterlassen, was im Zusammenhang mit dem Krankengeldanspruch zu einem Schaden der Krankenkasse führe. Hier habe die Eigenkündigung zur Folge gehabt, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfallen sei. Ohne Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wäre sie - die Beklagte - damit zur Zahlung des Krankengeldes verpflichtet gewesen. Ihr wäre also ein von der Klägerin bewusst verursachter Schaden entstanden. Im Verhältnis zur Beklagten sei es der Klägerin daher verboten gewesen, eine Eigenkündigung auszusprechen. Auf Grund ihres vorangegangenen schuldhaften Verhaltens gegenüber ihrem Arbeitgeber sei ihr zuzumuten gewesen, die fristlose Kündigung abzuwarten und ggf. gerichtlich dagegen vorzugehen. Dass sie das nicht getan habe, sei ihr allein zuzurechnen.

8

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben mit den Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

13

Zu Recht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld verurteilt.

14

Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld ergibt sich aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. April bis 21. Juni 1998 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.

15

Auch die Beklagte geht davon aus, dass der Krankengeldanspruch entstanden ist. Sie meint jedoch, nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruhe dieser Anspruch. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V liegen nicht vor.

16

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erhalten. Da die Klägerin in der Zeit von 1. April bis 21. Juni 1998 kein Arbeitsentgelt bezogen hat, scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aus.

17

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt im vorliegenden Fall auch keine entsprechende Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Betracht.

18

Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Das BSG hat in zwei Urteilen vom 16. Dezember 1990-3 RK 27/79 und 3 RK 40/79 - (USK 80270 und SozR 2200 § 189 Nr. 2 jeweils zur "Ausgleichquittung") ausgeführt, dass ein Versicherter die Pflicht habe, den Versicherungsträger vor vermeidbaren Schäden zu bewahren. Verletze ein Versicherter durch einen Verzicht auf Lohnfortzahlung diese Verpflichtung, so habe er dafür einzustehen. Daher liege eine analoge Anwendung der Ruhensvorschrift des § 189 Reichsversicherungsordnung - RVO - nahe (§ 189 RVO entspricht § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Allerdings - so das BSG weiter - ziehe nicht jedes schädigende Verhalten die Ruhenssanktion nach sich. Voraussetzung sei zumindest grobe Fahrlässigkeit. Es spreche aber auch einiges dafür, die Ruhensvorschrift auf die Fälle zu beschränken, in denen der Versicherte vorsätzlich oder bewusst auf die Lohnfortzahlung zum Schaden der Krankenkasse verzichte. Das BSG hat die Frage der entsprechenden Anwendung des § 189 RVO im Urteil vom 13. Mai 1993 -1/3 RK 10/90 - (SozR 3-2200 § 189 Nr. 1) erneut diskutiert. Der Fall betraf einen Abfindungsvergleich zwischen einem verunglückten Versichertem und der Haftpflichtversicherung seines Schädigers. Auch hier hat das BSG die Frage einer entsprechenden Anwendung des § 189 RVO offen gelassen und ausgeführt: Ein Ruhen des Krankengeldanspruches könne in den Fällen gerechtfertigt sein, in denen der Versicherte unmittelbar gegenüber seinem Arbeitgeber wirksam und ggf. schuldhaft auf Lohnfortzahlung verzichtet habe, z.B. durch Vergleich, Erlassvertrag oder negatives Schuldanerkenntnis. Einer Krankenkasse entstehe durch einen Verzicht allerdings dann kein Schaden, wenn ein Dritter für den krankheitsbedingten Arbeitsausfall des Versicherten schadensersatzpflichtig sei. In diesen Fällen könne die Krankenkasse aus übergangenem Recht Rückgriff nehmen.

19

Diese höchstrichterliche Rechtsprechung vermag die Ansicht der Beklagten schon deshalb nicht zu stützen, weil das BSG die Frage einer analogen Anwendung des § 189 RVO in allen Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen hat. Im Übrigen betrifft der vorliegende Fall weder eine Ausgleichsquittung, noch einen Verzicht, einen Erlassvertrag oder ein negatives Schuldanerkenntnis. Es geht um eine Eigenkündigung.

20

Eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auf Fälle eines nicht absichtlichen, schädigenden Verhalten des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse scheidet aus, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Eine Analogie setzt voraus, dass insoweit eine planwidrige, unbeabsichtigte Gesetzeslücke vorliegt, die im Wege der Rechtsfortbildung durch Richterrecht geschlossen werden kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. April 2002 - B 9 VG 1/01 R - noch nicht veröffentlicht). Das ist in Bezug auf die aus persönlichen Gründen motivierte Eigenkündigung eines Versicherten nicht der Fall.

21

Zwar hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Regelung in Bezug auf den Anspruch auf Krankengeld bei einer Eigenkündigung des Versicherten getroffen. Der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit von Sanktionen bei schädigendem Verhalten des Versicherten zum Nachteil der Krankenkasse aber sehr wohl gesehen. Denn er hat in mehreren Vorschriften des SGB entsprechende Sanktionen ausdrücklich geregelt. So bestimmt § 52 SGB V, dass das Krankengeld ganz oder teilweise versagt werden kann, wenn sich der Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihm begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen hat. Nach § 51 Abs. 3 SGB V endet der Anspruch auf Krankengeld, wenn der Versicherte keinen Antrag auf medizinische Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben stellt, obwohl er hierzu von der Krankenkasse aufgefordert worden ist. Ferner kann eine Krankenkasse eine Sozialleistung - und damit auch das Krankengeld - gemäß § 66 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) dann versagen, wenn der Versicherte seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Schließlich hat der Gesetzgeber im Arbeitsförderungsrecht die Eigenkündigung ausdrücklich geregelt und hieran Sanktionen in Bezug auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld geknüpft (§ 144 Drittes Sozialgesetzbuch -SGB III-).

22

Diese Regelungen zeigen nicht nur, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen hat, bestimmte Verhaltensweisen eines Versicherten mit Sanktionen zu belegen. Sie zeigen darüber hinaus, dass der Gesetzgeber das spezielle Problem der Eigenkündigung erkannt hat. Wenn er jedoch im SGB V von einer Vorschrift absieht, die der in § 144 SGB III getroffenen Bestimmung entspricht, so belegt das seine Absicht, entsprechende Sanktionen im Krankenversicherungsrecht bewusst nicht treffen zu wollen. Eine planwidrige, unbeabsichtigte Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, entfällt daher. Eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auf die Eigenkündigung scheidet daher grundsätzlich aus.

23

Ob etwas Anderes in den Fällen zu gelten hat, in denen ein Rechtsmissbrauch seitens des Versicherten vorliegt, lässt der Senat offen. Es bedarf also keiner Entscheidung ob eine planwidrige, unbeabsichtigte Gesetzeslücke in den Sachverhalten anzunehmen ist, in denen eine Eigenkündigung bewusst und gewollt gerade deshalb erfolgt, um die Krankenkasse zu schädigen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

24

Die Klägerin hat ihre Eigenkündigung aus persönlichen Gründen ausgesprochen. Für die Annahme einer Kündigung nur zum Schein oder in der Absicht, die Krankenkasse zu schädigen, liegen keine Anhaltspunkte vor.

25

Zwar ist der Senat davon überzeugt, dass die anwaltlich beratene Klägerin bei der Eigenkündigung gewusst hat, dass sie ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung mit der Kündigung verliert und ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte entsteht. Die Gesamtumstände des Falles belegen aber, dass die Klägerin nicht beabsichtigte, die Beklagte zu schädigen. Die Klägerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, um einer fristlosen Kündigung des DRK zuvor zu kommen. Nach ihrem Vortrag sollte ihr alsbald fristlos gekündigt werden. Der Betriebsrat hatte der fristlosen Kündigung bereits zugestimmt. Die Klägerin hat deshalb schnell zum Mittel der Eigenkündigung gegriffen, um die heikle und unangenehme Angelegenheit ohne viel Aufhebens aus der Welt zu schaffen. Der Schaden, den die Beklagte aufgrund der Eigenkündigung erlitten hat, war aus Sicht der Klägerin lediglich die nicht vermeidbare Folge ihrer Eigenkündigung.

26

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

27

Der Senat hält es für sachgerecht, der Beklagten nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht nur die Kosten des Berufungsverfahrens, sondern auch die der ersten Instanz aufzuerlegen. Der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius steht dem nicht entgegen.

28

Er findet im Rahmen des § 193 SGG keine Anwendung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 193 Rn16 mwN).

29

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

30

Zur Begründung führte die Ag aus: Die Versendung telefonisch, schriftlich oder über das Internet bestellter Arzneien an den Endverbraucher im Inland stelle einen Verstoß des Apothekers gegen § 43 Abs 1 und § 73 Abs 1 AMG dar. Das Versandhandelsverbot sei geltendes deutsches Recht. Es diene der Sicherstellung der persönlichen, qualifizierten Beratung durch den Apotheker beim Verkauf eines Arzneimittels und damit dem Verbraucherschutz. Hieran ändere der Grundsatz des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs im Bereich der Europäischen Gemeinschaft (EG) nichts. Die deutschen Rechtsvorschriften seien auch im europäischen Bereich zu beachten und könnten hier begrenzend wirken. Der Bezug von in Deutschland zugelassenen, apothekenpflichtigen Arzneimitteln sei auch nicht ausnahmsweise nach § 73 Abs 2 Nr 6a AMG zulässig. § 73 Abs 2 Nr 6a AMG gelte lediglich für die Einzeleinfuhr von Arzneimitteln, die zwar in anderen Staaten der EU, nicht aber in Deutschland zugelassen seien. In Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel gehörten aber nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung und seien daher nicht erstattungsfähig.

31

Nach § 86a Abs 2 Nr 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung der rechtswidrigen Leistungspraxis der Ast. Das arzneimittelrechtliche Versandverbot des § 43 Abs 1 AMG diene dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung. Fehlende oder unzureichende Beratung würden diesen Schutz erheblich gefährden. Das könne nicht hingenommen werden. Das rechtswidrige Verhalten der Krankenkassen könne Haftungsfragen auslösen, die nicht über lange Zeit ungeklärt bleiben könnten. Da die Versicherten möglicherweise nicht zwischen seriösen und nicht seriösen Internet-Anbietern unterscheiden könnten, komme es insoweit auf die Gesamtgefährdung an. Darüber hinaus bestehe ein öffentliches Interesse an einem fairen Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen. Diejenigen Krankenkassen, die das geltende Recht beachteten, hätten jedoch Wettbewerbsnachteile zu befürchten, weil die Ast den falschen Eindruck preiswerterer Leistungen für die Versicherten erwecke. Das könne Nachahmungseffekte bei noch rechtstreuen Krankenkassen hervorrufen.

32

Die Ast hat beim SG Hannover am 17. Juni 2002 Klage gegen den Bescheid vom 28. Mai 2002 erhoben. Sie hat beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Mit Beschluss vom 16. Juli 2002 hat das SG den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Verpflichtungsbescheid sei bei der gebotenen summarischen Überprüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem SGB V dürfe die Ast ihre Versicherten nicht auf die Möglichkeit des Medikamentenbezugs im Wege des Versandhandels hinweisen. Die Werbung der Ast verstoße daher gegen das SGB V und sei rechtswidrig. Daher habe die Ag hiergegen im Wege der Aufsicht vorgehen dürfen. Mit der Begrenzung der Leistungspflicht auf "apothekenpflichtige" Arzneimittel in § 31 Abs. 1 SGB V habe der Gesetzgeber eine Grundentscheidung über den Vertriebsweg getroffen. Für den Bezug von Arzneimitteln kenne das 5GB V lediglich Apotheken als Leistungser-bringer. Da Versandapotheken nach § 42 Abs. 1 AMG verboten seien, seien sie keine Apotheken im Sinne des SGB V. Das werde durch das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 29. Mai 2001 (Az.: 5 U 10150/00) bestätigt. Die Ausnahmevorschrift des § 73 Abs 2 Nr 6a AMG sei nicht anzuwenden; sie beziehe sich nur auf das Einführen von Arzneimitteln im Reiseverkehr zum privaten Gebrauch. Im Übrigen seien ausländische Versandapotheken weder Leistungserbringer im Sinne des 5GB V noch sei die Ast befugt, die Zuzahlungspflicht der Versicherten zu umgehen. Eine Kostenerstattung für Arzneimittel, die im Versandhandel erworben seien, sei somit rechtswidrig. Daher überwiege das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung.

33

Gegen den ihr am 22. Juli 2002 zugestellten Beschluss hat die Ast am 24. Juli 2002 Beschwerde vor dem SG eingelegt: Weder das deutsche Sozialrecht noch das deutsche Arzneimittelrecht verbiete ihr, die Versicherten auf die Möglichkeiten des Bezuges apothekenpflichtiger Arzneimittel bei der Apotheke O800DocMorris N.V. hinzuweisen. Arzneimittelrechtliche Legitimation sei § 73 Abs 2 Nr 6a AMG. Jedenfalls jedoch habe Art 28 EG-Vertrag Vorrang vor den nationalen Versandhandels- und Verbringungsverboten der § 43 Abs 1, 73 Abs 1 AMG. Daher stehe ihr ein Recht auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zu. Selbst aber wenn der Ausgang der Aufsichtsklage offen sei, müsse eine Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausgehen und die aufschiebende Wirkung angeordnet werden.

34

Denn entgegen der Behauptung der Ag bestünde keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Versicherten durch fehlende oder unzureichende Beratung seitens O800DocMorris N.V. Die niederländische Apotheke O8000ocMorris N .V. wende diejenigen Sicherheitsstandards an, die deutschen Erfordernissen entsprächen. Der Hinweis der Ag, die Versicherten könnten nicht zwischen seriösen und unseriösen Internet-Anbietern unterscheiden, sei eine Behauptung und entbehre jeder Begründung. Ferner rechtfertige auch der Hinweis auf die Wettewerbssituation zwischen gesetzlichen Krankenkassen keinen Sofortvollzug des angefochtenen Bescheides; fairer Wettbewerb sei nicht rechtswidrig. Entsprechendes gelte für den Nachahmungseffekt für andere Krankenkassen. Schließlich sei es dem Gesetzgeber unbenommen, jederzeit Regelungen für den Versand von Arzneimitteln zu treffen; dabei habe er allerdings die europarechtlichen Vorgaben zu beachten. Ein öffentliches Interesse an einem Sofortvollzug bestehe daher nicht. Demgegenüber sei das Interesse der Ast an einer aufschiebenden Wirkung der Klage erheblich. Wenn nämlich die Versicherten die im Versandhandel erworbenen Medikamente zunächst selbst bezahlen müssten, so würden sie die Krankenkassen erst im Nachhinein für den Ersatz ihrer Aufwendungen in Anspruch nehmen. Die Folge wären zahlreiche Gerichtsverfahren mit erheblichen Prozesskosten. Damit entstünde ein nicht wieder gut zu machender Schaden für sie — die Ast — und für ihre Versicherten. Hinzu komme, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aktuell unter einem enormen Kostendruck stehe. Die Beitragssätze aller Kassenarten und insbesondere auch die der Ast seien in den letzten Monaten erheblich gestiegen. Der durchschnittliche GKV-Beitragssatz habe am 1. Januar 2001 13,54 % betragen und sei zum 1. Januar 2002 auf 14,0 % gestiegen. Ursächlich sei vor allem die deutliche Steigerung der Ausgaben für Arzneimittel. Der preisgünstige Bezug von Arzneimitteln durch O800DocMorris N.V. trage in nicht unwesentlichem Maße zur Beitragssatzstabilität bei.

35

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 16. Juli 2002 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Mai 2002 anzuordnen.

36

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

37

Die Ag meint, die Rechtslage sei eindeutig. Der Erlass des Verpflichtungsbescheides sei zwingend geboten gewesen. Arzneimittelsicherheit und Volksgesundheit seien hohe Rechtsgüter. Sie hätten höheres Gewicht als die Finanz- und Wettbewerbsinteressen der Ast. Entscheidend sei nicht der Versand allein durch O800DocMorris N.V. Grundlage aller Erwägungen sei vielmehr die generelle Unsicherheit des Vertriebsweges im Versandhandel von Arzneimitteln. Das Angebotsmedium Internet biete keinerlei Sicherheit bezüglich der Herkunft, der Zusammensetzung und der Echtheit der dort bestellten Arzneimittel.

38

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

39

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Ag verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

40

II.

Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

41

Die Beschwerde ist begründet.

42

Die von der Ag getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides ( 86a Abs 2 Nr 5 SGG) ist rechtwidrig. Daher ordnet der Senat nach § 86b Abs 1 Nr 2 SGG die aufschiebende Wirkung der von der Ast am 17. Juni 2002 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Ag vom 28. Mai 2002 an.

43

Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen leitet sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz—GG- ab. Sie beruht auf der Garantie eines effizienten Rechtsschutzes und ist ein fundamentaler Grundsatz öffentlicher Prozesse. Er verhindert, dass die öffentliche Hand irreparable Maßnahmen durchführt und vollendete Tatsachen schafft, bevor die Gerichte die Rechtmäßigkeit überprüft haben (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 86a Rdziff 4 mwN). Der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kann es in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, den Anspruch auf aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs einstweilen zurück zu stellen. Voraussetzung hierfür ist jedoch ein besonderes Interesse. Es muss über das Interesse hinausgehen, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Januar 1996—2 BvR 271 8/95 = AuAS 1996, 62-64 mwN).

44

In Beachtung dieser Grundsätze entfällt die aufschiebende Wirkung im sozialgerichtlichen Verfahren daher nur in Ausnahmefällen. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahmen in § 86a Abs 2 SGG enumerativ geregelt. Im vorliegenden Fall scheiden die Nrn 1 bis 4 des § 86a Abs. 2 SGG von vornherein aus. In Betracht kommt jedoch § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage dann, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegt und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr 5 SGG steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Bei ihren Erwägungen muss sie in Ansehung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG eine sorgfältige und umfassende Interessenabwägung durchführen. Sie hat die Interessen der Beteiligten umfassend zu berücksichtigen und darf nicht einseitig argumentieren. Sie hat bei ihrer Abwägung zu beachten, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein öffentliches Interesse verlangt, das über das Interesse an der Durchsetzung des Verwaltungsaktes hinausgeht. Es muss also um mehr gehen, als um die Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes. Bei allem muss die Behörde schließlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. § 86a Abs. 2 Nr 5 SGG bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges ist Ausfluß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Begründungspflicht gewährleistet nicht nur, dass die Behörde sich selbst kontrolliert und eine Übersicht über die Interessengegensätze gewinnt. Die Begründung schafft insbesondere auch Transparenz und Rechtsklarheit für den Betroffenen und eröffnet ihm die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. An die Begründungspflicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Die schriftliche Begründung muss nicht nur sämtliche Gesichtspunkte enthalten, die die Behörde in ihre Entscheidung einbezogen hat. Sie muss außerdem erkennen lassen, warum in diesem konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Betroffenen überwiegt. Schließlich muss die Behörde darlegen, inwieweit die Anordnung der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht.

45

Diesen Grundsätzen entspricht die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Ag nicht. Die schriftliche Begründung lässt nicht erkennen, dass die Ag eine rechtsfehler(reie Interessenabwägung vorgenommen hat.

46

Der Verpflichtungsbescheid vom 28. Mai 2002 rechtfertigt die Anordnung der sofortigen Vollziehung insbesondere mit dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der Versicherten, mit dem Verbraucher- schutz, mit einer fehlenden Unterscheidungsmöglichkeit zwischen seriösen und nicht seriösen Internet-Anbietern, mit der Ermöglichung des fairen Wettbewerbs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und schließlich mit Wettbewerbsnachteilen für die Krankenkassen, die keinen Internet-Versandhandel zulassen.

47

Hinsichtlich der Interessenabwägung in Bezug auf den Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten lässt der Bescheid jede Äußerung dazu vermissen, dass der vorliegende Fall vor allem auch die Apotheke O800DocMorris N.V. mit Sitz in den Niederlanden betrifft. Anlass für den Verpflichtungsbescheid vom 28. Mai 2002 war die Pressemitteilung der Ast vom 13. Dezember 2001, die gerade diese Apotheke betraf. Gleichwohl geht der Bescheid nicht auf die naheliegende Frage ein, ob auch im konkreten Fall, dh bei einem Bezug von Arzneimitteln durch O800DocMorris N.V., tatsächlich Gesundheitsgefahren bestehen, die eine sofortige Vollziehung des Verpflichtungsbescheides auch gegenüber O800DocMorris N.V. erforderlich machen. Die Ag hat nicht berücksichtigt, dass bereits Zehntausende deutscher Kunden Arzneimittel über die Apotheke O800DocMorris N.V. beziehen und diese ein offensichtlich verlässliches Verfahren zur Abwicklung ihrer Lieferungen an die Besteller gefunden hat (vgl. hierzu: Richter, DA 2001 A 2624; Schäfers/Kaesbach, BKK 2001, 489 f). Das Bestellverfahren bei O800DocMorris N.V. ist von der Ast im Einzelnen und ausführlich dargelegt worden. Angesichts dessen reicht der globale Hinweis auf den Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten nicht aus, um eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen.

48

Entsprechendes gilt für den Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes. Die pauschale Behauptung der Ag, dass bei einem Medikamentenbezug von Apotheken im Wege des Versandhandels keine persönliche Beratung des Endabnehmers stattfinde, ersetzt keine Interessenabwägung im konkreten Fall. Denn die Ag hat weder den substantiierten Vortrag der Ast geprüft noch in anderer Weise berücksichtigt, dass die Apotheke O800DocMorris N.V. ein organisiertes Beratungsteam unterhält und Beratungen mit Apothekern, Ärzten und weiterem Fachpersonal anbietet, wenn auch nicht "face to face", sondern im Regelfall telefonisch.

49

Auf das Argument, die Versicherten könnten im Internet nicht zwischen seriösen und nicht seriösen Anbietern unterscheiden, lässt sich der Sofortvollzug des Bescheides vom 28. Mai 2002 ebenso wenig stützen. Dieser Hinweis wird im Bescheid nicht näher begründet, so dass es sich dabei möglicher Weise um eine Vermutung der Ag handelt. Eine solche Vermutung rechtfertigt jedoch keine Ausnahme von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.

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Auch der Gesichtspunkt des fairen Wettbewerbes der Krankenkassen untereinander kann die Anordnung des sofortigen Vollzuges des Bescheides vom 28. Mai 2002 nicht stützen. Ob die Abrechnung der Ast mit O800DocMorris N.V. rechtmäßig ist, wird im Hauptverfahren zu entscheiden sein. Ist das Abrechnungsverhältnis der Ast zu O800DocMorris N.V. rechtmäßig, kann der Ast nicht der Vorwurf eines unfairen Wettbewerbs gemacht werden. Insofern betrifft das Argument des fairen Kassenwettbewerbs kein öffentliches Interesse, das über das Interesse hinausgeht, das den Bescheid vom 28. Mai 2002 selbst rechtfertigt. Das genügt den Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGBV jedoch nicht.

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Die von der Ag angeführten Gesichtspunkte reichen für eine Anordnung der sofortigen Vollziehung somit nicht aus. Hinzu kommt, dass die Ag das überwiegende öffentliche Interesse an der Beitragssatzstabilität unberücksichtigt gelassen hat. Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität ist ein überragendes Prinzip der 0KV. Nur bei Wahrung der Beitragssatzstabilität bleibt die 0KV funktionsfähig. Aus diesem Grunde sind die gesetzlichen Krankenkassen nach dem 5GB V zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Beiträge stabil bleiben. Hierauf hat die Ast hingewiesen und ausgeführt, dass die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln durch die Apotheke O800DocMorris N.V. wesentlich günstiger ist und die Kosten senkt. Gleichwohl hat die Ag diesen Gesichtspunkt nicht erörtert. Sie hat es versäumt, den Vortrag der Ast zu würdigen. Sie hat die Interessen der Ast nicht berücksichtigt und damit auch keine Gewichtung der widerstreitenden Interessen vorgenommen. Damit hat die Ag ihre Pflicht zur sorgfältigen Interessenabwägung im Rahmen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGB V verletzt. Sie hat lediglich formelhaft ausgeführt, dass "ein öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung der rechtswidrigen Leistungspraxis besteht, das die Interessen der Kasse auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überwiegt."

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Dieser Mangel ist nicht nachträglich geheilt worden. Eine solche Möglichkeit besteht im Rahmen des § 86a Abs 2 Nr 5 SOG nicht, weil dies dem Schutzzweck der Vorschrift widerspricht. Insbesondere ist § 41 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch— SGB X — nicht anwendbar. Denn die Vollziehungsanordnung ist kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (vgl Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. August 2002 - Az.: L 4 B 268/02 KR ER - Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 80 Rdziff 87).

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Die Vollzugsanordnung im Bescheid vom 28. Mai 2002 ist somit schon aus den vorgenannten Gründen rechtswidrig und daher aufzuheben. Ob der Verpfiichtungsbescheid einer materiell-rechtlichen Prüfung Stand hält, ist vom Senat nicht zu beurteilen.

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Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten und über die Gerichtskosten beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

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Der Streitwert beträgt 4.000,— EURO ( 197a Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 13 Abs 1, 20 Abs 3 Gerichtskostengesetz).

56

Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.

Schimmelpfeng-Schütte
Wolff
Poppinga