Sozialgericht Lüneburg
v. 23.08.2023, Az.: S 3 U 30/23
Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für ein schwerpunktmäßig mit der Innenraumgestaltung beschäftigten Unternehmens
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 23.08.2023
- Aktenzeichen
- S 3 U 30/23
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2023, 33925
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2023:0823.3U30.23.00
Rechtsgrundlage
- § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII
In dem Rechtsstreit
D.,
A-Straße, A-Stadt
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
E.,
B-Straße, A-Stadt
gegen
F.
G.
- Beklagte -
hat die 3. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg am 23. August 2023 durch den Richter am Sozialgericht H., Vorsitzender, gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Bescheid der Beklagten vom 17.3.2022 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 16.2.2023 werden aufgehoben.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten für das von ihr betriebene Unternehmen.
Am 20.12.2021 meldete sie zum 1.1.2022 beim Gewerbeamt der Stadt A-Stadt ein einzelkaufmännisches Unternehmen mit dortiger Betriebsstätte an, dessen Tätigkeitsschwerpunkt laut Gewerbeanmeldung die Begrünung von Büros, Geschäftsräumen und Außenbereichen mit Hydro- und Erdpflanzen sowie deren Pflege umfasste.
Die Beklagte erteilte ihr daraufhin am 17.3.2022 einen Bescheid, mit dem sie den Beginn ihrer Zuständigkeit für den Gewerbetrieb des Garten- und Landschaftsbaus sowie der Gartenpflege ab dem 1.1.2022 feststellte. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin seit dem genannten Zeitpunkt ein Unternehmen betreibe, welches nach § 123 Abs. 1 SGB VII unabhängig vom Willen der Betroffenen der gesetzlichen Unfallversicherung unterliege. Zugleich wurde die Festsetzung von Beiträgen mit gesondertem Verwaltungsakt in Aussicht gestellt.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 25.3.2022 Widerspruch ein, mit dem sie darauf hinwies, dass das Unternehmen "I." kein Garten- und Landschaftsbaubetrieb sei und daher nicht dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten unterfalle. Dessen Tätigkeit beschränke sich auf den Innenbereich, es sei deshalb vom Finanzamt mittlerweile als Dienstleistungsunternehmen eingestuft worden.
Der Rechtsbehelf blieb erfolglos und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16.2.2023 als unbegründet zurückgewiesen. Ergänzend legte sie dar, dass die landwirtschaftliche Unfallversicherung nach § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII u.a. Unternehmen der Park- und Gartenpflege umfasse. Zum versicherten Personenkreis zählten auch die Unternehmer selbst und ihre mitarbeitenden Angehörigen. Da es sich um eine Pflichtversicherung handele, könne diese weder durch die Erklärung des Austritts noch den Verzicht auf Leistungen beendet werden. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht sei gesetzlich gleichfalls nicht vorgesehen. Die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft richte sich nach dem arbeitsmäßigen Schwerpunkt des Unternehmens. Bei der von der Klägerin angemeldeten Tätigkeit im Bereich der Innenraumbegrünung handele es sich um gärtnerische Dienstleistungen, die dem landwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen sei. Der Unfallversicherungsträger stelle den Beginn und das Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest (§ 136 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
Mit der sodann am 20.3.2023 fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin das auf die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten gerichtete Begehren weiter. Zu Unrecht sei diese von ihrer Zuständigkeit für den klägerischen Gewerbebetrieb ausgegangen, weil dieser nicht dem sogenannten "grünen Bereich" der Landwirtschaft zuzurechnen sei. Sie betreibe kein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft (einschließlich des Wein- und Gartenbaus). Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bilde vielmehr der Handel mit Grünpflanzen, welche sie ihrerseits einkaufe und weiterveräußere. Zudem kümmere sie sich fast ausschließlich um die Begrünung von Innenräumen, während im Außenbereich allenfalls in Einzelfällen Topfpflanzen aufgestellt würden und es sich in diesem Fall ebenfalls um die Anlieferung gekaufter Ware, nicht aber um gärtnerische Dienstleistungen, handele. Bei den zusätzlich angebotenen Pflegekonzepten handele es sich, auch hinsichtlich des erwirtschafteten anteiligen Umsatzes, um ein untergeordnetes Tätigkeitsfeld.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid der Beklagten vom 17.3.2022 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 16.2.2023 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Ihre Zuständigkeit leitet sie weiterhin aus § 2 Abs. 1 Nr. 5a i. V. mit § 123 Abs. 1 SGB VII her. Danach seien in der gesetzlichen Unfallversicherung solche Person kraft Gesetzes versichert, die Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens seien. Der Begriff des landwirtschaftlichen Unternehmens im unfallversicherungsrechtlichen Sinne umfasse nach § 123 Abs. 1 SGB VII neben Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft überdies gärtnerische Dienstleistungsbetriebe, welche sich der Park- und Gartenpflege widmeten (§ 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII). Ein derartiges Unternehmen habe die Klägerin ausweislich des benannten Tätigkeitsschwerpunkts zum 1.1.2022 als Gewerbe angemeldet. Dass die verwendeten Pflanzen von ihr nicht selbst aufgezogen würden, sei typisch für derartige Dienstleistungsbetriebe und stehe der Zuständigkeit der Beklagten nicht entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet, weil die Beklagte zu Unrecht ihre Zuständigkeit für das von der Klägerin betriebene Unternehmen angenommen hat.
Das Gericht konnte den Rechtsstreit gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil dieser keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorab gehört worden.
Für die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten für das von der Klägerin geführte Unternehmen mangelt es unter Berücksichtigung der schwerpunktmäßig erbrachten Leistungen an einer Rechtsgrundlage.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII sind u.a. Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Partner sowie die dort nicht nur vorübergehend mitarbeitenden Familienangehörigen kraft Gesetzes versichert.
Die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft umfasst gemäß § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII (neben weiteren, vorliegend offenkundig nicht einschlägigen Tätigkeitsfeldern) Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaus. Der Gartenbau beschäftigt sich mit der Erzeugung von Nutz- und Zierpflanzen im Rahmen der Bodenbewirtschaftung außerhalb des Ackerbaus. Die Bewirtschaftung erfolgt insbesondere in Beeten oder in Unterglaskulturen (Federn in: Schlegel / Voelske, Juris-PK SGB VII, 3. Auflage, § 123, Rdn. 36). Neben den herkömmlichen Gärtnereien zählen auch Baumschulen, Obstplantagen sowie Gemüsesamen- und Blumenzüchtereien zum Gartenbau. Darüber hinaus gibt es Gartenbauunternehmen ohne Bodenbewirtschaftung, wie z.B. Gartenbauarchitekten, Landschaftsgestaltungsbetriebe oder Baumwarte (Köhler in LPK-SGB VII, 4. Auflage, § 123, Rdn. 10).
Ein Gartenbauunternehmen im vorgenannten Sinne betreibt die Klebeklägerin nicht. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese keine eigene Bodenbewirtschaftung durchführt, sondern die im Rahmen der Innenraumgestaltung verwendeten Pflanzen durch Zukäufe erwirbt. Der Entwurf sowie die Gestaltung von Garten- und Landschaftsbereichen ohne Bodenbewirtschaftung findet gleichfalls nicht statt. Der Leistungsschwerpunkt des klägerischen Unternehmens liegt ausweislich des Internetauftritts "J." (aufgerufen am 21.7.2023) vielmehr im Bereich der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Innenraumbegrünung, insbesondere von Büroräumen.
Darüber hinaus erstreckt sich die Zuständigkeitsregelung des § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII nicht auf den vorliegenden Gewerbebetrieb. Nach dieser Vorschrift fallen (neben den Garbenbauunternehmen i.S. des § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) zusätzlich die Unternehmen der Park- und Gartenpflege sowie die Friedhöfe in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII erweitert die herkömmlichen Begriffe "Forstwirtschaft" und "Gartenbau" durch Einbeziehung solcher Unternehmen, deren Tätigkeit nicht auf die regelmäßige wirtschaftliche Nutzung eigener oder fremder Böden gerichtet ist, sondern die sich mit der Gestaltung und Pflege von Gartenanlagen zu Zwecken der Erholung oder der Beisetzung Verstorbener beschäftigen (vgl.: Köhler a.a.O., Rdn. 22).
Allein aufgrund seines eindeutigen Wortlauts erfasst § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII das schwerpunktmäßig mit der Innenraumgestaltung beschäftigte Unternehmen der Klägerin nicht. Die Pflege von Parks und Gärten sowie Friedhöfen findet nämlich fast ausschließlich im Außenbereich statt und erfordert vorrangig körperliche Kraftentfaltung, während die von der Klägerin offerierten Leistungen im Wesentlichen die ästhetisch ansprechende Herrichtung von Innenräumen betreffen. Wegen der erheblichen Unterschiede bzgl. des Arbeitsortes sowie der Arbeitsweise liegt keine der Pflege von Parks, Gärten und Friedhöfen gleichsetzbare Tätigkeit vor, sondern ein deutlich anders ausgerichtetes Unternehmen mit Schwerpunkt im Bereich des Handels und der planerischen Dienstleistungen, das sich selbst bei weiter Auslegung der Regelung nicht unter § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII subsumieren lässt.
Da die sonstigen Zuständigkeitsregelungen des § 123 Abs. 1 SGB VII nicht einmal ansatzweise auf den klägerischen Betrieb anwendbar erscheinen, fehlt es an einer die Zuständigkeit der Beklagten begründenden gesetzlichen Grundlage. Dieser Umstand hat zur Folge, dass die Beklagte mit dem Verwaltungsakt vom 17.3.2022 ihren Zuständigkeitsbereich überschritten hat, so dass die angefochtene Entscheidung als rechtswidrig aufzuheben war.
Zuständiger Unfallversicherungsträger für die Klägerin ist vielmehr eine gewerbliche Berufsgenossenschaft für Handels- und Dienstleistungsunternehmen, deren Bestimmung mangels entsprechender Regelung in der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht im vorliegenden Rechtsstreit zu erfolgen hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V. mit § 154 WwGO und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.