Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.08.2012, Az.: L 7 AS 287/12 B

Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren bei mutwilliger Klageerhebung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.08.2012
Aktenzeichen
L 7 AS 287/12 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 23440
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0808.L7AS287.12B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 17.02.2012 - AZ: S 24 AS 1631/11

Redaktioneller Leitsatz

Prozesskostenhilfe in weiteren Klageverfahren bezüglich Arbeitslosengeld II für nachfolgende Bewilligungszeiträume ist als mutwillig abzulehnen, wenn die Behörde im vorausgegangenen Widerspruchsverfahren erfolglos die Ruhensstellung bis zu einer Entscheidung über dieselbe Streitfrage in einem bereits anhängigen Klageverfahren der Beteiligten angeregt hat. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Kläger zu Recht abgelehnt, weil die Klageerhebung als mutwillig erscheint (§ 73a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dem Kläger war zuzumuten, auf den Vorschlag des Beklagten einzugehen, das Widerspruchsverfahren solange ruhen zu lassen, bis in einem bereits anhängigen Klageverfahren über dieselben Rechtsfragen eine Entscheidung ergangen ist. Darüber hinaus ist zur Führung von parallelen Rechtsstreiten für nachfolgende Bewilligungszeiträume mit deckungsgleichen Schriftsätzen aus dem "Musterverfahren" die Beiordnung eines Anwalts gemäß § 121 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich.

2

Der 1962 geborene Kläger steht seit November 2008 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Zustimmung des Beklagten mietete er zum 1. Mai 2009 eine Erdgeschosswohnung in D., E. mit einer Wohnfläche von 48 qm. Ab 2011 kam es zwischen den Beteiligten zum Streit über die Höhe der Heizkosten, nachdem der Energieversorger auf der Basis des ca. 1/3 erhöhten Energieverbrauchs durch den Kläger den Abschlag von davor 61,00 EUR monatlich ab Januar 2011 auf 106,00 EUR monatlich erhöhte. Der Beklagte war nur bereit, unter Anwendung des bundesweiten Heizspiegels (die Wohnung des Klägers liegt in einem Mehrparteiengebäude von 210 qm) angemessene Heizkosten in Höhe von 89,00 EUR monatlich zu übernehmen. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Er ist der Auffassung, dass der bundesweite Heizspiegel auf ihn keine Anwendung finde, weil keine Wohnfläche von mindestens 100 qm vorliege und das Wohngebäude nicht gesondert wärmeisoliert sei. Er sei aufgrund der Arbeitslosigkeit ständig zu Hause und psychisch krank, so dass hier aufgrund persönlicher Gründe ein erhöhtes Heizverhalten vorliege. Darüber hinaus seien die Stromkosten für die Heizpumpe als weitere Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen. Er habe schließlich keine Absenkungsaufforderung erhalten. Mit dieser Begründung wurde am 26. Mai 2011 eine erste Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben betreffend Leistungszeitraum Februar - April 2011, Bewilligungsbescheid vom 22. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2011 mit dem Aktenzeichen S 24 AS 665/11 (früher: S 30 AS 637/11). In diesem Klageverfahren hat das SG Lüneburg mit Beschluss vom 18. Dezember 2011 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin F., D., beigeordnet.

3

In dem Widerspruchsverfahren für die folgenden Bewilligungsabschnitte schlug der Beklagte mit Schreiben vom 22. Oktober 2011 vor, das Widerspruchsverfahren ruhen zu lassen bis über die Klage S 30 AS 637/11 entschieden wurde. Mit Anwaltschreiben vom 28. Oktober 2011 antwortete der Kläger, dass das Widerspruchsverfahren nicht ruhen könne, weil er dringend auf die Leistungen angewiesen sei. Daraufhin ergingen Widerspruchsbescheide vom 1. Dezember 2011 (September - Oktober 2011), vom 12. Dezember 2011 (Mai - August 2011) und vom 12. Dezember 2011 (November 2011 - April 2012). Hiergegen erhob der Kläger jeweils Klage vor dem SG Lüneburg, verlangte mit gleichlautender Begründung in allen drei Klageverfahren die Übernahme der vollständigen Heizkosten und beantragte jeweils die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

4

Das SG Lüneburg hat mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt. Hiergegen richtet sich die jeweilige Beschwerde des Klägers vom 2. März 2012. Er wiederholt mit gleichlautender Begründung die Argumentation aus dem ersten Klageverfahren.

5

Die Rechtsverfolgung ist im Sinne des § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO mutwillig, wenn ein verständiger Beteiligter, der für die Prozesskosten selbst aufzukommen hätte, seine Rechte nicht in der gleichen Weise geltend machen würde (BSG, 24. Mai 2000 - B 1 KR 4/99 BH -; Hessisches Landessozialgericht, 31. August 2009 - L 6 AS 227/09 B; Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rdn. 8). Das ist insbesondere anzunehmen, wenn der Beteiligte seine Ziele auf andere Weise mit geringerem Kostenaufwand erreichen könnte und rechtlich nicht benachteiligende Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Dies sind Alternativen, die verständige Beteiligte wählen würden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat bzw. die Einlegung von Rechtsbehelfen auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen. Die Rechtswahrnehmung darf für unbemittelte Rechtssuchende im Vergleich zu bemittelten Rechtssuchenden nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden; unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Versagung von Prozesskostenhilfe aber kein Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit, wenn in vergleichbaren Situationen Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Einschaltung eines Anwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden (Bundesverfassungsgericht, 2. September 2010 - 1 BvR 1974/08). Diese Grundsätze sind auf die Fallgestaltung von in sachlicher und zeitlicher Hinsicht parallel gelagerten Verfahren zu übertragen, wenn die Parallelität des Lebensachverhalts und der Rechtsfragen offensichtlich ist und die in einem Fall erhaltene Entscheidung ohne Hindernisse und wesentliche Änderungen auf weitere Fälle übertragen werden kann (für die Beratungshilfe vergleiche: Bundesverfassungsgericht, 8. Februar 2012 - 1 BvR 1120/11 -, in: NZS 2012, 422 [BVerfG 08.02.2012 - 1 BvR 1120/11; 1 BvR 1121/11] - 424).

6

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem gleichgelagerten Verfahren für einen späteren Bewilligungszeitraum mutwillig. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Behörde von sich aus die Führung eines Musterverfahrens anregt und allein aus prozessökonomischen Gründen die weiteren Widerspruchsverfahren zurückgestellt werden sollten, bis in dem Musterverfahren eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Das ist mit der Anfrage des Beklagten vom 22. Oktober 2011 geschehen. Es ist zwar denkbar, dass im Einzelfall gewichtige Gründe seitens des Widerspruchsführers gegeben sein könnten, die eine Führung von Parallelverfahren als geboten erscheinen lassen. Derartige Umstände hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen. Irgendwelche Nachteile, die durch die Ruhensregelung entstehen würden, nicht jedoch durch die Führung von einer Vielzahl von Parallelverfahren, sind nicht ersichtlich. Ein Bemittelter, der selbst für seine Prozessaufwendungen sorgen müsste, wäre bei dieser Sachlage auf den Vorschlag der Beklagten eingegangen. Sofern der Kläger aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen auf einen Widerspruchsbescheid bestanden hat, was sicherlich sein gutes Recht ist, wäre es die Aufgabe seiner Prozessbevollmächtigten gewesen, ihm klar zu machen, dass dann für das anschließende Klageverfahren eine anwaltliche Vertretung nicht auf Kosten der Justizkasse finanziert werden kann. Wenn man schließlich berücksichtigt, dass sich die Beschwerdeschriften vom 2. März 2012 mit dem Schriftsatz des Klägers vom gleichen Tage im Musterverfahren vor dem SG vollständig decken, ist zusätzlich die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich. Denn im Rahmen der zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten im Rechtsschutz wäre der Kläger, der selbst zeitgleich andere Beschwerdeverfahren ohne anwaltliche Hilfe führen kann (Aktenzeichen: L 7 AS 232/12 B ER), in der Lage, das Vorbringen aus dem Musterverfahren abzuschreiben und in Parallelverfahren einzubringen.

7

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 127 Abs. 4 ZPO).

8

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.