Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 02.08.2012, Az.: L 7 AS 223/12 B
Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Überprüfbarkeit eines Änderungsbescheides im sozialgerichtlichen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.08.2012
- Aktenzeichen
- L 7 AS 223/12 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 34583
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0802.L7AS223.12B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 12.01.2012 - AZ: S 43 AS 540/11
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 SGB II
- § 95 SGG
Fundstelle
- NZS 2012, 880
Redaktioneller Leitsatz
Ein Änderungsbescheid des Grundsicherungsträgers, der sich der äußeren Form nach und auch inhaltlich nicht vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid unterscheidet, ist insgesamt und nicht nur hinsichtlich der Änderung überprüfbar. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Auf Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 12. Januar 2012 aufgehoben.
Den Klägern wird zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H., I., bewilligt. Raten sind nicht zu zahlen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Beklagte gewährte den Klägern mit Bewilligungsentscheidung vom 17. August 2010 (Blatt 658 VA, das genaue Datum des Bescheides ist unbekannt) für die Zeit vom 1. September 2010 bis zum 28. Februar 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 302,85 EUR monatlich (den Klägern zu 1. und 2. je 128,03 EUR, dem Kläger zu 3. 0,00 EUR und der Klägerin zu 4. 46,79 EUR). Mit Änderungsbescheid vom 8. November 2010 (Blatt 8 GA) reduzierte der Beklagte für die Zeit vom 1. September 2010 bis zum 30. September 2010 die SGB II-Leistungen auf 231,41 EUR monatlich (Kläger zu 1.: 99,07 EUR, Kläger zu 2.: 99,08 EUR, Kläger zu 3.: 0,00 EUR, Klägerin zu 4.: 33,26 EUR). Als Grund für die Änderung wurde angegeben, dass ein Guthaben aus der Heiz- und Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2009 von den Kosten der Unterkunft für den Monat August 2010 abgesetzt worden sei, wie im Bescheid vom 5. November 2010 erläutert wurde. Im Bescheid vom 5. November 2010 (Blatt 6 GA) führte der Beklagte aus, dass eine Überprüfung der Heiz- und Nebenkostenabrechnung für 2009 ergeben habe, dass der dort geforderte Nachzahlungsbetrag in Höhe von 119,20 EUR nicht übernommen werden könne und sich stattdessen eine Forderung zugunsten des JobCenters in Höhe von 82,52 EUR ergebe. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 1. Dezember 2010 (Blatt 900 VA) blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2011).
Mit der am 23. März 2011 erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, der Beklagte habe die Kosten für Unterkunft und Heizung für den Monat September 2010 unzutreffend berechnet. Sie seien mit Zustimmung des Beklagten in die Wohnung eingezogen und könnten sich nicht erklären, aus welchen Gründen die tatsächlichen Unterkunftskosten nicht in voller Höhe übernommen würden. Von der fälligen Gesamtmiete von 717,10 EUR habe der Beklagte für den Monat September 2010 lediglich 466,33 EUR erstattet. Ein Mietabsenkungsverlangen hätten sie nicht erhalten. Die Kläger haben ferner die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Der Beklagte hat beantragt, den Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen. Die Höhe der Kaltmiete sei nicht Streitgegenstand des durchgeführten Widerspruchsverfahrens gewesen. Es bleibe den Klägern unbenommen, einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat mit Beschluss vom 12. Januar 2012 die Argumentation des Beklagten übernommen und das Prozesskostenhilfegesuch der Kläger abgelehnt. Streitgegenstand sei lediglich die Änderung bezüglich der Nebenkostenabrechnung, weil die früheren Bewilligungsbescheide bestandskräftig geworden seien.
Gegen den am 16. Januar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Kläger vom 16. Februar 2012. Sie wiederholen ihre Auffassung, dass der Beklagte für den Monat September 2010 die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 SGB II falsch berechnet habe.
Der Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
II. Die Beschwerde der Kläger ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Beschlusses und zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung des Klageverfahrens. Zum jetzigen Zeitpunkt hat das Klagebegehren hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), weil nicht nachvollziehbar ist, wie der Beklagte die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung für den Monat September 2010 festgesetzt hat. Die Kläger sind nicht in der Lage, aus eigenen Mitteln, sei es nur in Raten, für die Prozessführung aufzukommen. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ergibt sich aus § 121 Abs. 2 ZPO.
Die Auffassung des SG, der Änderungsbescheid vom 8. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2011 sei nur hinsichtlich der Heiz- und Nebenkostenabrechnung überprüfbar, teilt der Senat nicht. Streitgegenstand des Klageverfahrens ist vielmehr die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II insgesamt.
Der Regelungsgehalt eines Änderungsbescheides richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung aus Sicht eines subjektiven Dritten und bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RKg 4/92 -, SozR 3-1300 § 50 Nr. 13 m. w. Nachw.; Beschluss des Senats vom 31. Mai 2012 - L 7 AS 1013/11 NZB - zu Sozialgericht Hildesheim: S 24 AS 2239/08). Die Tragweite der getroffenen Regelung entscheidet sich also nicht nach der Sicht der Behörde, sondern aus dem Empfängerhorizont. Bei verständiger Würdigung aus der Sicht der Kläger stellt sich der Änderungsbescheid vom 5. November 2010 sowohl der äußeren Form nach als auch inhaltlich als Neuregelung über die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung für den Monat September 2010 dar. Das ergibt sich schon aus der tabellarischen Berechnung, die dem Änderungsbescheid vom 8. November 2010 beigefügt war. Zwar hat der Beklagte im Einleitungssatz auf eingetretene Änderungen hingewiesen, nämlich dass ein Guthaben aus der Heiz- und Nebenkostenabrechnung abgesetzt werde. Daraus geht jedoch nicht hervor, dass keine weitere inhaltliche Sachprüfung hinsichtlich der neu bewilligten SGB II-Leistungen erfolgt ist. Denn die Mitteilung über eingetretene Änderungen kann im Zusammenhang mit der Neufestsetzung der Leistungen aus Sicht der Kläger bei verständiger Würdigung auch so verstanden werden, dass der Beklagte eine umfassende inhaltliche Sachprüfung vorgenommen und mit der Neufestsetzung der Leistungshöhe mögliche frühere Fehler wiederholt hat. Eine fehlende vollumfängliche inhaltliche Sachprüfung wäre für den Empfänger ohne weiteres ersichtlich gewesen, wenn der Beklagte deutlich gemacht hätte, dass die weiteren Leistungselemente ungeprüft aus den früheren Bewilligungsbescheiden übernommen worden sind. Wählt der Beklagte jedoch die Form eines Änderungsbescheides, der sich in keinster Weise von dem normalen Bewilligungsbescheid unterscheidet, ohne eindeutig kenntlich zu machen, dass er keine inhaltliche Sachprüfung vorgenommen hat, so erweckt er aus der Sicht des Empfängers den Eindruck einer erneuten inhaltlichen Überprüfung und mit Blick auf das Ergebnis dieser inhaltlichen Überprüfung das Setzen einer Regelung, auch wenn der Beklagte bis auf die eingetretene Änderung nicht von der Regelung im Ausgangsbescheid abweichen wollte.
Das SG wird nunmehr den Einwänden der Kläger nachgehen und den Beklagten auffordern müssen, die Höhe der insgesamt festgesetzten Kosten für Unterkunft und Heizung für September 2010 plausibel darzustellen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.