Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.12.2010, Az.: 2 Ws 420/10

Die Entscheidung zur Abtrennung eines Verfahrensteils vor einem Gericht niederer Ordnung ist für einen Angeklagten wegen der Sperrwirkung des § 210 Abs. 1 StPO nicht anfechtbar; Voraussetzungen für die Unanfechtbarkeit der Eröffnung eines Verfahrens vor einem Gericht niederer Ordnung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.12.2010
Aktenzeichen
2 Ws 420/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 36373
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:1216.2WS420.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 11.11.2010

Amtlicher Leitsatz

Die durch einen Eröffnungsbeschluss, mit dem - abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft - das Hauptverfahrens gegen einen oder mehrere der Angeklagten vor einem Gericht niederer Ordnung eröffnet wird, zwangsläufig notwendig werdende Abtrennung des vor dem Gericht niederer Ordnung eröffneten Verfahrensteils, wird von der Sperrwirkung des § 210 Abs. 1 StPO erfasst und ist somit für keinen der Angeklagten anfechtbar.

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 11. November 2010 wird als unzulässig verworfen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

1

I. Die Staatsanwaltschaft Verden hat am 12.09.2010 gegen den Beschwerdeführer sowie gegen sechs weitere Beschuldigte, von denen zwei die ihnen vorgeworfenen Taten teilweise als Heranwachsende begangen haben sollen, Anklage wegen Brandstiftung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. zum Landgericht Verden erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Jugendkammer beantragt. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur erwogenen und angekündigten Vorgehensweise eröffnete die 3. große Strafkammer als Jugendkammer mit Beschluss vom 01.11.2010 das Hauptverfahren. Die Anklage betreffend den Beschwerdeführer und vier weitere Mitangeklagte, darunter die Heranwachsenden, ließ sie vor der Jugendkammer zu, das Verfahren gegen die erwachsenen Mitangeklagten S. Ö. und N. Ö. trennte sie ab und ließ die Anklage gegen diese zur Hauptverhandlung vor der dann zuständigen 1. großen Strafkammer des Landgerichts zu. Insoweit hat die 3. große Strafkammer (Jugendkammer) das Verfahren gegen die letztgenannten beiden Angeklagten zur Verhandlung vor der 1. großen Strafkammer abgetrennt.

2

Gegen diese Abtrennung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde, der die 3. große Strafkammer (Jugendkammer) des Landgerichts Verden nicht abgeholfen hat.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

4

II. Die Beschwerde erweist sich als unzulässig.

5

1. Durch einen Eröffnungsbeschluss, mit dem abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft das Hauptverfahren gegen einen Teil der Angeklagten vor einem Gericht niederer Ordnung eröffnet wird, ist eine Abtrennung des vor dem Gericht niederer Ordnung eröffneten Verfahrensteils zwangsläufig notwendig. Diese Abtrennung wird von der Sperrwirkung des § 210 Abs. 1 StPO erfasst und ist somit für keinen der Angeklagten anfechtbar.

6

a) Dies folgt aus dem Regelungsgehalt des § 210 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, wonach bei einer von dem Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden sogenannten Teileröffnung vor einem Gericht niederer Ordnung nur dieser das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zusteht, die Entscheidung für den Angeklagten jedoch nicht anfechtbar ist (vgl. OLG Hamm, MDR 1982, 691.

7

Meyer Goßner, StPO, 53. Aufl., § 210 Rdnr. 1). Durch die von dem Gericht höherer Ordnung beschlossene Eröffnung wird die Sache, soweit sie dort eröffnet worden ist, bei dem Gericht niederer Ordnung rechtshängig. Dies gilt nach allgemeiner Meinung selbst dann, wenn die Eröffnungsentscheidung objektiv willkürlich und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. Stuckenberg in LR StPO, 26. Aufl., § 209 Rdnr. 30. BGHSt 45, 58 ff. Rdnr. 92 juris). Mögliche Fehler des Eröffnungsbeschlusses für deren Vorliegen hier keine Anhaltspunkte bestehen müssen im Hauptverfahren nach § 270 StPO und gegebenenfalls im Rechtsmittelverfahren, hier im Revisionsverfahren, korrigiert werden (Stuckenberg in LR StPO, aaO.). Diese Bindungswirkung des Eröffnungsbeschlusses würde unterlaufen, ließe man gegen die notwendige Abtrennung des vor dem Gericht niederer Ordnung eröffneten Verfahrensteils die Beschwerde gemäß § 304 StPO zu.

8

b) Soweit vertreten wird, der Ausschluss der Beschwerde durch § 210 Abs. 1 StPO gelte nur für die Eröffnungsentscheidung als solche, nicht aber für die Verfahrenstrennung, da die Verfahrenstrennung eine spezifische Beschwer für den Angeklagten etwa drohende Verzögerungen, Mehrbelastungen oder Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung begründen könne (so Erb in LR StPO, § 2 Rdnr. 27), folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Die Annahme, § 210 Abs. 1 StPO entziehe nur den Umstand der Beschwerde, dass das Verfahren überhaupt oder vor einem bestimmten Gericht eröffnet worden ist (Erb in LR StPO, § 2 Rdnr. 26), widerspricht ersichtlich der in der Fassung der §§ 209, 210 StPO zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Intention. Die Entscheidung des Gerichtes, einen bestimmten Verfahrensteil vor einem Gericht niederer Ordnung zu eröffnen, soll nach dem Willen des Gesetzgebers für den Angeklagten bindend sein. Die erfolgreiche Anfechtung einer zugleich mit dem nach § 210 Abs. 1 StPO unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss ergangenen Abtrennungsentscheidung würde der bindenden Eröffnung des Verfahrensteils vor dem Gericht niederer Ordnung faktisch die Wirkung entziehen, weil trotz dieser bindenden Eröffnung vor einem anderen Gericht die Sache mangels erfolgter Abtrennung dort nicht verhandelt werden könnte.

9

c) Danach ist ein Eröffnungsbeschluss, mit dem ein Teil des Verfahrens gegen einzelne Angeklagte vor einem Gericht niederer Ordnung eröffnet und gleichzeitig eine Abtrennung hinsichtlich des vor dem Gericht niederer Ordnung eröffneten Verfahrensteiles beschlossen wird, aufgrund der Sperrwirkung des § 210 Abs. 1 StPO insgesamt der Beschwerde eines Angeklagten entzogen.

10

2. Danach kann es dahinstehen, ob das Gericht, welches das Hauptverfahren nach § 209 Abs. 1 StPO ganz oder hinsichtlich einzelner Angeklagter vor einem Gericht niedriger Ordnung eröffnet, als erkennendes Gericht i. S. des § 305 Satz 1 StPO anzusehen ist mit der Folge, dass Entscheidungen, die zugleich mit dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen worden sind, auch nach § 305 Satz 1 StPO der Beschwerde entzogen wären. Der Senat neigt dieser, in der älteren Rechtsprechung (vgl. KG Berlin, JR 1979, 479. BayObLG, MDR 1955, 629 [LG Freiburg 15.08.1955 - I Qs 221/55]. vgl. auch Matt in LR StPO, 25. Aufl., § 305 Rdnr. 8. a. A. OLG Bremen, JR 1958, 189 ff.. hiergegen auch KK Engelhardt, § 305 Rdnr. 2) vertretenen Auffassung zu, einer Entscheidung darüber bedarf es in dieser Sache im Hinblick auf die Sperrwirkung des § 210 Abs. 1 StPO jedoch nicht.

11

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.