Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 27.02.2004, Az.: S 14 U 211/00
Kostenübernahme eines auf dem Weg zum Immatrikulationsamt seiner Hochschule erlittenen Unfalls eines Versicherten durch die gesetzliche Unfallversicherung
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 27.02.2004
- Aktenzeichen
- S 14 U 211/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 37516
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2004:0227.S14U211.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII
- §§ 102 ff. SGB X
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Heilbehandlung von Unfallverletzungen des bei ihr seinerzeit krankenversicherten F. in Höhe von 14.499,24 DM. Streitig ist, ob F. bei dem Unfall, den er auf dem Weg von seiner Bank zum Immatrikulationsamt seiner Hochschule erlitt, nach § 8 Absatz 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der damalige Studierende F. befand sich am 23. August 1999 in Bremen mit seinem Fahrrad auf dem Weg von seiner Bank am Bremer Marktplatz zum Immatrikulationsamt der Hochschule Bremen in der Werderstraße. Bei der Bank, zu der F. von seiner Wohnung aus gefahren war, hatte er zuvor den Semesterbeitrag an seine Hochschule für das kommende Semesterüberwiesen. Dabei hatte er seinen direkten Weg zu der Hochschule, der etwa 500 m betrug, ungefähr auf halber Strecke verlassen und war in anderer Richtung zu der Bank weitergefahren. Durch die zusätzliche Wegstrecke verdoppelte sich in etwa der Weg des F ... Direkt nach dem Bankbesuch wollte F. mit dem Überweisungsbeleg die Immatrikulation in der Hochschule vornehmen. Ohne Einzahlung des Semesterbeitrages hätte eine Immatrikulation nicht erfolgen können und F. wäre exmatrikuliert worden. Für ihn war die Einschreibung zum einen erforderlich, um seine Diplomarbeit fertigen zu können. Zum anderen war entsprechend seines Arbeitsvertrages mit der Hochschule Bremen das Arbeitsverhältnis an den Nachweis eines fortwährenden ordentlichen Studiums gebunden. Auf dem Wegstück zurück von der Bank zu seinem ursprünglichen Weg zur Hochschule stürzte F. in der Balgebrückstraße, Ecke Marktstraße auf regennasser Fahrbahn ohne Fremdeinwirkung mit seinem Fahrrad. Infolge seiner Verletzungen wurden ein Krankentransport, zwei Krankenhausbehandlungen, Unterarmgehstützen sowie Krankengymnastik erforderlich, deren Kosten in Höhe von 14.499,24 DM - mit Ausnahme der Krankengymnastik - die Klägerin übernahm. Am 04. Oktober 1999 meldete die Klägerin bei der Beklagten ihren Erstattungsanspruch in dieser Höhe an. Gegenüber F. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2000 und Widerspruchsbescheid vom 07. September 2000 Leistungen mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Unfall nicht um einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung handele. F. habe sich im Zeitpunkt des Unfalls auf einem nicht versicherten Abweg befunden.F. hat keinen weiteren Rechtsbehelf eingelegt. Am 15. Mai 1999 meldete die Beklagte ihrerseits gegenüber der Klägerin einen Erstattungsanspruch in Höhe 268,- DM für die Kosten der Krankengymnastik des F. an.
Die Klägerin hat am 05. Dezember 2000 Klage erhoben. Sie macht geltend, bereits das Einzahlen des Semesterbeitrages bei der Bank stelle eine unfallversicherte Tätigkeit dar. F. habe als Studierender während der Aus- und Fortbildung an einer Hochschule unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Sie beruft sich auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nach der die Einschreibung an der Hochschule eine unfallversicherte Tätigkeit darstelle und folgert daraus, dass dies zwangsläufig auch für die der Einschreibung vorangehende Einzahlung des Semesterbeitrages gelten müsse. Zudem sei für F. auch ein Versicherungsschutz als Beschäftigter gegeben, da seine Immatrikulation Voraussetzung für seine Tätigkeit als studentische Hilfskraft der Hochschule war.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass es sich bei dem Unfallereignis des F., geboren 20. April 1970, am 23. August 1999 um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall handelt und die aus diesem Anlass von ihr übernommen Kosten der Heilbehandlung des F. von der Beklagten zu erstatten sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es handele sich bei der Wegstrecke, auf der sich der Unfall ereignete, um einen nicht versicherten Abweg, da F. mit der Bankeinzahlung eine privatwirtschaftliche Tätigkeit verrichtet habe. Zuständiger Kostenträger sei damit die Klägerin.
Außer der Gerichtsakte haben die Verwaltungsakten der Beteiligten vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der Zulässigkeit steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen. Mit der gerichtlichen Feststellung, dass es sich bei dem Unfallereignis des F. vom 23. August 1999 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handelt, könnte der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck befriedigt werden. Ferner ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Der erstrebten Feststellung steht nicht ein denselben Gegenstand regelnder bindender Verwaltungsakt entgegen. Zwar hat die Beklagte gegenüber F. mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Mai 2000 und Widerspruchsbescheid vom 07. September 2000 dieÜbernahme von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung anlässlich des Unfalls abgelehnt. Die Klägerin war aber an dem Verwaltungsverfahren des F. nicht beteiligt worden. Der gegenüber F. bestandskräftige Bescheid entfaltet für die Klägerin keine Bindungswirkung.
Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Leistungen der Heilbehandlung nach §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in der von ihr bezifferten Höhe. Sie ist für die Übernahme der Kosten der Heilbehandlung, die aufgrund des Unfalls des F. am 23. August 1999 entstanden sind, selbst der zuständige Leistungsträger. Die Beklagte wäre für dieÜbernahme bzw. Erstattung der Kosten der Heilbehandlung nur verpflichtet, wenn F. bei seinem Unfall am 23. August 1999 gemäß § 8 Absatz 2 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte. Dies war aber nicht der Fall.
Nach § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz unter anderem nach § 2 Absatz 1 Nr. 1 (Beschäftigte) oder Nr. 8 Buchst. c SGB VII (Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen) begründenden Tätigkeit. § 8 Absatz 2 Nr. 1 SGB VII erstreckt diesen Schutz auch auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden un-mittelbaren Weges nach und von dem Ort dieser Tätigkeit. Da diese Vorschriften inhaltlich im Wesentlichen mit den früheren Regelungen des § 539 Absatz 1 Nr. 14 Buchst. d der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 550 Absatz 1 RVOübereinstimmen, können zu ihrer Auslegung die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den genannten Regelungen der RVO grundsätzlich herangezogen werden. Danach ist Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren, sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten dieser Tätigkeit zuzurechnen (BSG Urt. v. 28.6.1988 - 2 RU 60/87 - BSGE 63, 273, 274). Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit dient. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit bzw. - wie hier - zum Weg zu der versicherten Tätigkeit gehört (BSG Urt. v. 30.4.1988 - 2 RU 24/84 - BSGE 58, 76, 77; BSG Urt. v. 27.3.1990 - 2 RU 36/89 - BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 1; BSG Urt. v. 2.7.1996 - 2 RU 16/95 - BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 14). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG Urt. v. 21.8.1991 - 2 RU 62/90 - BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 4; BSG Urt. v. 18.3.1997 - 2 RU 17/96 - BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 16).
Der F. verunglückte nicht auf einem mit der in § 2 Absatz 1 SGB VII genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit.
F. hat nicht als Beschäftigter nach § 2 Absatz 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Bei Veranlassung derÜberweisung in der Bank handelte es sich ebenso wie bei der eigentlichen Vornahme der Immatrikulation um eine unversicherte Vorbereitungshandlung. Diese stand zwar bereits in mittelbarer Beziehung zu dem Beschäftigungsverhältnis an der Hochschule und schaffte die Voraussetzung für die versicherte Tätigkeit. Nach Auskunft der Hochschule war eine Immatrikulation und damit auch die Überweisung des Semesterbeitrages zwingende Voraussetzung für die Beschäftigung des F. als studentische Hilfskraft. Für die Annahme einer versicherten Vorbereitungshandlung ist aber Voraussetzung, dass diese der eigentlichen Betriebsarbeit unmittelbar vorangeht. Zur versicherten Tätigkeit gehören nur un-mittelbare Vorbereitungshandlungen, die schon Teil der eigentlich bevorstehenden Betriebsarbeit sind (vgl. BSG Urt. v. 8.5.1980 - 8a RU 86/79 - BSG SozR 2200 § 539 Nr. 67; Krasney in Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, April 2003, § 8 Rn. 65). Nur ein enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Arbeit führt zur Betriebsbezogenheit der Vorbereitungshandlung (BSG Urt. v. 31.1.1980 - 8a RU 46/79 - BSG SozR 2200 § 539 Nr. 63; BSG Urt. v. 8.5.80 - 8a RU 86/79 - a.a.O.; BSG Urt. v. 14.5.1985 - 5a RKnU 3/84 - SozR 2200 § 548 Nr. 73). Eine solch enge Verknüpfung mit der Beschäftigung des F. als studentische Hilfskraft bestand bei Vornahme der Überweisung in der Bank und bei der beabsichtigten Immatrikulation nicht. Auch wenn die Überweisung und die Immatrikulation für die Arbeitsaufnahme un-entbehrlich gewesen sind und die Voraussetzung für die versicherte Tätigkeit, dem Beschäftigungsverhältnis, schafften, standen sie der Betriebsarbeit aber zu fern, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des F. entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre zuzurechnen wären. Weder Überweisung noch Immatrikulation sind schon als Teil der eigentlichen Arbeit des F. als studentische Hilfskraft anzusehen.
F. hat auch nicht nach § 2 Absatz 1 Nr. 8 Buchst. c SGB VII als Studierender während der Aus- und Fortbildung an einer Hochschule unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Zwar ist die eigentliche Einschreibung zur anschließenden Aus- oder Fortbildung an der Hochschule zu deren organisatorischen Verantwortungsbereich zu zählen. Mit der Einschreibung wird der Studienplatzbewerber zugleich Studierender im Sinne des § 2 Absatz 1 Nr. 8 Buchst. c SGB VII, so dass der Studienplatzbewerber unmittelbar Teil und Glied der Hochschule wird. Daher befindet sich der Student bereits auf der Hinfahrt zur Immatrikulation nicht auf einem dem eigen-wirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden Weg, sondern schon auf einem nach § 8 Absatz 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg zum Ort der Tätigkeit (vgl. zu § 539 Absatz 1 Nr. 14 d RVO: BSG Urteil v. 26.5.1987 - 2 RU 35/86 - SozR 2200 § 539 Nr. 122).
Diesen versicherten Weg hat F. jedoch verlassen, um zu der Bank zu gelangen, was eine Unterbrechung des Weges zur versicherten Tätigkeit darstellte. Der Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit wird unterbrochen, wenn er - wie hier - dadurch verlängert wird, dass während dieses Weges ein anderer Weg nicht in Zielrichtung zu einem Grenzpunkt des § 8 Absatz 1 Nr. 1 SGB VII eingeschoben und dann wieder auf den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit zurückgekehrt wird (vgl. BSG Urt. v. 22.1.1976 - 2 RU 73/75 - BSGE 41, 141, 144; BSG Urt. v. 25.1.1977 - 2 RU 23/76 - BSGE 43, 113, 115). Bei dieser Unterbrechung des direkten Wege von der Wohnung des F. zu der Hochschule handelte es sich um einen nicht versicherten Abweg. Versicherungsschutz während der Unterbrechung des Weges besteht nur dann, wenn die Unterbrechung einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (BSG Urt. v. 27.3.1990 - 2 RU 36/89 - a.a.O.; BSG Urt. v. 18.3.1997 - 2 RU 17/96 - a.a.O.). F. verließ seinen direkten Weg zur Hochschule, um einer im wesentlichen privaten Verrichtung nachzugehen. Anders als bei der bereits unter Versicherungsschutz stehenden Einschreibung wird der Studienplatzbewerber mit der Überweisung des Semesterbeitrages noch nicht unmittelbar Studierender der Hochschule. Wenn auch die Zahlung eines Geldbetrages für die Immatrikulation zwingende Voraussetzung ist, so ist mit der eigentlichen Einschreibung im Immatrikulationsamt der Hochschule noch ein wesentlicher weiterer Schritt erforderlich, bis der Studienplatzbewerber zu dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zählt. Vergleichbar ist diese Konstellation mit der dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 01. Februar 1979 zugrunde liegenden Fallgestaltung (vgl. BSG Urt. v. 1.2.1979 - 2 RU 63/77 - SozR 2200, § 539 RVO, Nr. 53). Das Bundessozialgericht hat dort entschieden, dass ein noch nicht schulpflichtiges Kind auf dem Weg zu einer behördlich angeordneten Schulreifeuntersuchung nicht unter Unfallversicherungsschutz stehe. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass das Kind durch die Untersuchung noch nicht Schüler und damit auch noch nicht Teil und Glied der Schule geworden sei.
Die Unterbrechung des Weges war auch erheblich; durch den Abweg wurde der direkte Weg des F. von seiner Wohnung zur Hochschule sowohl zeitlich als auch entfernungsmäßig nahezu verdoppelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 (in der Fassung bis 01. Januar 2002), 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). § 197 a SGG findet keine Anwendung, da das Verfahren vor dem 02. Januar 2002 rechtshängig geworden ist.