Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 21.04.2004, Az.: S 6 KR 130/01
Übernahme der Kosten (Miete) einer motorischen Schultergelenkbewegungsschiene; Einsatz einer CPM-Bewegungsschiene im ambulanten Bereich; Voraussetzung und Umfang des Anspruchs auf Versorgung mit Hilfsmitteln; Bindungswirkung der Verordnung eines Vertragsarztes
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 21.04.2004
- Aktenzeichen
- S 6 KR 130/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29691
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2004:0421.S6KR130.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- NULL
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 SGB V
- § 33 Abs. 1 SGB V
- § 33 Abs. 4 SGB V
- § 30 Abs. 8 BMV-Ä
- § 16 Abs. 8 EKV-Ä
Fundstellen
- NZS 2005, 207-210 (Volltext mit amtl. LS)
- SGb 2004, 556 (amtl. Leitsatz)
Redaktioneller Leitsatz
Dem Versicherten kann im Regelfall nicht zugemutet werden, die Entscheidung des Vertragsarztes in Zweifel zu ziehen und z.B. die Notwendigkeit eines verordneten Hilfsmittels selbst zu überprüfen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Versicherte begründete Zweifel an der Notwendigkeit des verordneten Hilfsmittels haben müsste.
§ 13 Abs. 3 SGB V greift nicht ein, wenn die Behandlung sowohl von Seiten des Leistungserbringers als auch von Seiten des Versicherten erkennbar als Sachleistung zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden soll und lediglich bei der Abwicklung gegen Grundsätze des Leistungsrechts verstoßen wird. Weigert sich die Krankenkasse bei einer solchen Konstellation, die Kosten der erbrachten Leistungen zu tragen, so geht es nicht um Kostenerstattung, sondern um die Erfüllung des Sachleistungsanspruchs und die Freistellung von etwaigen Vergütungsforderungen des Leistungserbringers
Tenor:
- 1.
Die Bescheide der Beklagten vom 28. Februar 2001 und 22. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2001 werden aufgehoben.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von einer Inanspruchnahme durch die Firma F. GmbH freizustellen.
- 3.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten wegen der Kosten einer motorischen Schultergelenkbewegungsschiene.
Die 1939 geborene Klägerin wurde am 22. Januar 2001 in der orthopädischen Klinik Braunschweig, Herzogin-Elisabeth-Heim (HEH) operiert. Dabei wurde im Rahmen einer Schultergelenksarthroskopie eine arthroskopische subakromiale Dekompression (ASD) sowie eine arthroskopische Resektion des AC-Gelenkes (ARAC) durchgeführt. Die Krankenhausentlassung erfolgte am 26. Januar 2001. Bereits im Vorfeld der Operation hatte der Chefarzt PD Dr. Heller eine vertragsärztliche Verordnung vom 19. Januar 2001 über eine motorische Bewegungsschiene für die kontinuierliche, passive Bewegungsbehandlung (CPM) des Schultergelenkes mietweise für vier Wochen ab Operation ausgestellt. Ab 24. Januar 2001 stand der Klägerin diese Bewegungsschiene im HEH zur Verfügung. Dort erfolgte die Einweisung und körpergerechte Einstellung. Das Gerät bekam die Klägerin am Tage der Entlassung nach Hause geliefert. Am 24. Februar 2001 wurde es bei ihr wieder abgeholt.
Das Original der Verordnung des Dr. G. ging bei der Beklagten am 25. Januar 2001 zusammen mit einem Kostenvoranschlag der Firma F. GmbH Medizintechnik, Löhne vom 24. Januar 2001 ein. Es wurde um Kostenübernahme für einen Gesamtbetrag von 1.461,60 DM für vier Wochen Miete gebeten. Am 28. Februar 2001 teilte die Beklagte der Klägerin schriftlich mit, dass eine Kostenübernahme sowohl aus medizinischen als auch aus formalen Gründen nicht erfolgen könne. Diese Beurteilung werde auch vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in einem Grundsatzgutachten vom 1. Februar 2001 mit weiteren Ausführungen geteilt. Bisher sei auch von der Vielzahl der CPM-Schienen noch keine gemäß § 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V aufgenommen worden.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Ihr sei die Bewegungsschiene nach Hause gebracht worden, ohne sie darauf hinzuweisen, dass die Kosten nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Die Beklagte holte ein Gutachten des Dr. H., MDKN vom 9. März 2001 ein. Dort heißt es, der Einsatz der CPM-Bewegungsschiene sei im stationären Bereich sinnvoll, nicht aber bei der ambulanten Versorgung, wo er mit erheblichen Risiken behaftet sei und das Maß des Notwendigen überschreite. Die Beklagte wiederholte daraufhin mit Bescheid vom 22. März 2001 ihre Ablehnung. Mit zwei Schreiben vom 10. April 2001 an die Beklagte begründete Dr. G. nochmals seine Verordnung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 6. August 2001 Klage erhoben. Sie habe die Bewegungsschiene in dem Glauben benutzt eine Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten. Im Übrigen sei das Hilfsmittel erforderlich, notwendig und auch wirtschaftlich gewesen. Der verordnende Arzt Dr. G. habe im Januar 2001 noch darauf vertrauen dürfen, dass die CPM-Motorbewegungsschiene als Hilfsmittel von der Beklagten übernommen werde, da das bisher immer der Fall gewesen sei. Das anders lautende MDK-Gutachten sei erst danach erstellt worden. Die Klägerin habe die Bewegungsschiene weder selbst bestellt noch habe sie irgendwelche privatrechtlichen Verträge mit der Firma F. GmbH geschlossen. Sie habe von dort auch noch keine Rechnung erhalten und dementsprechend auch nichts an die Firma F. GmbH gezahlt. Gleichwohl bestehe das Risiko der privatrechtlichen Inanspruchnahme durch die Firma F. GmbH. Dieses Risiko bestehe u.a. deshalb, weil ihr die Firma F. GmbH auf Nachfrage im laufenden Rechtsstreit die Durchschrift eines Schreibens vom 24. Januar 2001 an sie selbst (welches sie jedoch vorher nie erhalten habe) zur Verfügung gestellt habe. In diesem Schreiben heißt es:
"Von der Orthopädischen Klinik HEH wurde Ihnen nach Ihrer Operation am 22.01.2001 einen motorische Bewegungsschiene für das Schultergelenk verordnet. Das Gerät wurde Ihnen bereits im Krankenhaus zur Verfügung gestellt, um Sie unter ärztlicher Aufsicht mit der Handhabung des Gerätes vertraut zu machen. Das Gerät soll bei Ihnen lt. Verordnung für einen Zeitraum von vier Wochen nach Entlassung zu Hause eingesetzt werden, ab diesem Zeitpunkt beginnt die Leistungspflicht Ihrer Krankenkasse. Hierfür haben wir für Sie am 24.1.2001 einen Antrag auf Kostenübernahme bei Ihrer Krankenkasse, BEK Braunschweig, gestellt. Die Bearbeitung des Kostenvoranschlages bei Ihrer Krankenkasse dauert noch an, allerdings hat es in den letzten Tagen vermehrt Ablehnungen der CPM-Therapie durch einzelne Geschäftsstellen der BEK Niedersachsen gegeben. Daher können wir Ihnen das Gerät für die Therapie zu Hause erst nach Kostenzusage durch Ihre Krankenkasse zur Verfügung stellen. Da es sich bei der CPM-Therapie um eine unaufschiebbare Leistung handelt (siehe Hilfsmittelverzeichnis der GKV), haben Sie allerdings nach § 13 SGB V die Möglichkeit, die Versorgung auf eigene Rechnung zu veranlassen und bei Ihrer Krankenkasse im Nachhinein die Erstattung der Kosten zu beantragen.
Die Kosten für die mietweise Überlassung der Schulterbewegungsschiene für vier Wochen betragen DM 1.461,60 inklusive Mwst. Sollten Sie sich für diese Vorgehensweise entscheiden, so werden wir Ihnen die Rechnung nach endgültiger Klärung mit Ihrer Krankenkasse zur Begleichung zusenden."
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Bescheide der Beklagten vom 28. Februar 2001 und 22. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von einer Inanspruchnahme durch die Firma F. GmbH freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf Bescheid und Widerspruchsbescheid. Der Kostenerstattungsanspruch scheitere bereits daran, dass die Klägerin keiner Kostenbelastung ausgesetzt sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ergibt sich unmittelbar aus § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB V.
Die Klägerin durfte davon ausgehen, die Bewegungsschiene leihweise als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten.
Sie muss deshalb so gestellt werden wie jeder andere Versicherte der eine Sachleistung tatsächlich erhalten hat, nämlich ohne eigenen finanziellen Einsatz (außer den gesetzlich vorgesehenen Eigenbeteiligungen bzw. Zuzahlungen, die hier aber nicht in Betracht kommen).
Hilfsmittel wie die verordnete Motorbewegungsschiene sind als Bestandteil der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 33 und 34 SGB V) wie diese als Sachleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) zu erbringen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Dementsprechend gehen auch §§ 126, 127 SGB V und die dazu geschlossenen Verträge davon aus, dass der Versicherte die vom Leistungserbringer unter Vorlage einer vertrags-ärztlichen Verschreibung erworbenen Hilfsmittel auf Kosten seiner Krankenkasse erhält. Die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln wird im Wege der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt (§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V). Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel nur dann auf Krankenkassenkosten gewährt werden kann, wenn es ein Vertragsarzt auf dem hierfür vorgesehen Formblatt ("Kassenrezept") verordnet hat (BSGE 73, 271, 211 [BSG 16.12.1993 - 4 RK 5/92][BSG 15.12.1993 - 11 RAr 95/92] = SozR3 - 2500 § 13 Nr. 4).
Solch ein Kassenrezept liegt hier vor. Der Vertragsarzt Dr. G. hat am 22. Januar 2001 auf dem hierfür vorgesehen Formblatt eine motorische Bewegungsschiene für die kontinuierliche, passive Bewegungsbehandlung (CPM) des Schultergelenks mietweise für vier Wochen schriftlich verordnet. Auf diesem Formblatt findet sich kein Hinweis darauf, dass diese Verordnung unter dem Vorbehalt der - vorherigen - Zustimmung der Krankenkasse steht.
Auch im Gesetz findet sich ein solcher Vorbehalt nicht, auch nicht in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach besteht der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln nur, soweit sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Damit wird das Gebot des § 2 Abs. 4 SGB V konkretisiert, wonach Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherter darauf zu achten haben, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Zwar richtet sich somit der gesetzliche Auftrag zur Vorabprüfung der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit auch an den Versicherten. Dies kann aber nur gelten, wenn der Versicherte auch in der Lage ist, diese Gesichtspunkte richtig einzuschätzen. Der Klägerin war das nicht möglich. Gesetzlich Krankenversicherte wie die Klägerin müssen im Regelfall davon ausgehen können, dass bei einer formell ordnungsgemäßen Verordnung durch einen Vertragsarzt die o.g. Gesichtspunkte ordnungsgemäß beachtet wurden. Dem Versicherten kann im Regelfall nicht die fehlerhafte Einschätzung des Vertragsarztes entgegen gehalten werden. Der Vertragsarzt kann nämlich als Schlüsselfigur der Heil-, Hilfs- und Arzneimittelversorgung betrachtet werden (so BSG Urteil vom 17. April 1996 - 3RK 19/95, SozR3 - 2500 § 19 Nr. 2 m.w.N.). Er verordnet dem Versicherten ein bestimmtes Hilfsmittel, welches er bei der diagnostizierten Krankheit als medizinisch notwenig erachtet. Bei Ausstellung dieser Verordnung handelt er Kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkasse. Er gibt somit mit Wirkung für und gegen diese eine Willenserklärung ab (BSG, 17. April 1996 a.a.O., vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, 8. Dezember 2003 - L 4 B 44/03 KR -, Breithaupt 2004, Seite 98 Leitsatz 1).
Die Gewährung als Sachleistung entbindet den Versicherten von der Kontrolle der therapeutischen Leistung und der Prüfung ihrer Abrechnung; gleichzeitig wird ihm die Sorge um seine finanzielle Liquidität im Krankheitsfall genommen, weil auch die Vorfinanzierung entfällt. Dafür ist er allerdings gehalten, nur zugelassene Leistungserbringer in Anspruch zu nehmen und sich auf den für die gesetzliche Krankenversicherung festgelegten Leistungskatalog zu beschränken. Das Risiko der Überschreitung von Leistungsbeschränkungen trägt im Rahmen der Sachleistungsgewährung aber nicht er, sondern der Leistungserbringer, der dafür in Regress genommen werden kann (BSG, Urteil vom 28. März 2000 - B1 KR 21/99 R -, BSGE 86, 66 ff.). Dem Versicherten (und damit auch der Klägerin) kann deshalb im Regelfall nicht zugemutet werden, die Entscheidung des Vertragsarztes in Zweifel zu ziehen und z.B. die Notwendigkeit eines verordneten Hilfsmittels selbst zu überprüfen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Versicherte begründete Zweifel an der Notwendigkeit des verordneten Hilfsmittels haben müsste. Das könnte bei der Klägerin der Fall gewesen sein, wenn sie das Schreiben der Böttcher und Böttcher GmbH vom 24. Januar 2001 zeitnah erhalten hätte. Ein Versicherter hat dann die Möglichkeiten, entweder die ablehnende Entscheidung zu akzeptieren oder diese anzufechten und eine rechtkräftige Entscheidung abzuwarten. Beides ist ihm dann nicht zuzumuten, wenn der Einsatz des verordneten Hilfsmittels - wenn überhaupt - nur sofort und zeitig begrenzt sinnvoll ist. Letzteres ist bei einem auf vier Wochen nach einer Operation begrenzten zeitlichen Einsatz unzweifelhaft der Fall. Dann gibt es für den Versicherten nur zwei mögliche Ansätze: entweder er setzt sich mit der medizinisch-wissenschaftlichen Qualität des Hilfsmittels inhaltlich auseinander. Dabei muss er z.B. abschätzen, ob das betreffende Hilfsmittel tatsächlich verordnungsfähig ist, d. h., eigentlich Eingang in das Hilfsmittelverzeichnis (in dem die verordnete Bewegungsschiene derzeit nicht gelistet ist), finden müsste. Der zweite Ansatz beschränkt sich auf die Prüfung, ob dem Einsatz des entsprechenden Hilfsmittels in der medizinischen Fachdiskussion bereits ein solches Gewicht zukommt, dass die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis überwiegen wahrscheinlich ist. Das richtet sich nicht nach medizinischen Kriterien, sondern nach der tatsächlichen Verbreitung in der Praxis und in der fachlichen Diskussion. Nur der zweite Ansatz kann dem Versicherten abverlangt werden. Selbst den Sozialgerichten hat das Bundessozialgericht in ähnlich schwieriger Prüfsituation keine weitergehende Aufklärungsverpflichtung auferlegt. Bei seinen Entscheidungen vom 16. September 1997 (seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt und fortgeführt) hat das Bundessozialgericht zum Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Fällen des so genannten Systemversagens entschieden, dass die Einstandspflicht der Krankenkasse dann, wenn sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren lasse, davon abhänge, ob sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat. Die Klägerin durfte deshalb davon ausgehen, den Anspruch auf Sachleistung durch die Beklagte zu haben, wenn der Einsatz der verordneten Bewegungsschiene im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung weit verbreitet ist. Das ist hier der Fall. Zum einen wird die CPM-Bewegungsschiene im stationären Bereich unbeanstandet eingesetzt (so durchgehend die gutachterlichen Stellungnahmen des MDK). Zum anderen wird die CPM-Bewegungsschiene von anderen Krankenkassen als der Beklagten und in verschiedenen anderen Bundesländern als Niedersachsen durchgehend von den gesetzlichen Krankenkassen als Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Die Klägerin konnte deshalb als gesetzlich Krankenversicherte davon ausgehen, dass ihr das von dem Vertragsarzt Dr. G. formell ordnungsgemäß verordnete Hilfsmittel auch als Sachleistung von der Beklagten gewährt werden muss. Das bedeutet keinesfalls, dass die CPM-Bewegungsschiene auch materiellrechtlich als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen ist mit der Folge, dass ein Vergütungsanspruch der Firma F. GmbH gegenüber der Beklagten besteht (siehe dazu auch unten).
Auch aus § 30 Abs. 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 16 Abs. 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) ergibt sich keine Verpflichtung des gesetzlich Krankenversicherten, ein vertragsärztlich verordnetes Hilfsmittel vorab von der Krankenkasse genehmigen zu lassen. Nach diesen Regelungen bedarf die Abgabe von Hilfsmitteln auf Grund der Verordnung eines Vertragsarztes der Genehmigung durch die Krankenkasse. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist hier nur die Modalität der Abgabe geregelt. Adressat ist also der abgebende Leistungserbringer und nicht der die Leistung erhaltende Versicherte (Leistungsempfänger). Unabhängig davon wäre bereits zweifelhaft, ob sich aus den zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen geschlossenen Verträgen überhaupt Verpflichtungen der Versicherten ergeben können.
Bei dem hier streitgegenständlichen Anspruch handelt es sich nicht um einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V. Ein solcher greift nur ein, wenn der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen war, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen. Die Vorschrift ist somit auf Fälle zugeschnitten, in denen der Anspruchsteller sich bewusst außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln lässt, indem er einen nicht zugelassenen Leistungserbringer aufsucht oder mit einem zugelassenen Leistungserbringer vom öffentlich-rechtlichen Leistungsrahmen abweichende privatrechtliche Vereinbarungen trifft (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - B1 KR 18/96R - BSGE 82, 158 ff. mit weiteren Nachweisen sowie BSG, Urteil vom 9. Oktober 2001 - B1 KR 6/01R -, BSGE 89, 39 ff. [BSG 09.10.2001 - B 1 KR 6/01 R]). Dagegen greift § 13 Abs. 3 SGB V nicht ein, wenn die Behandlung sowohl von Seiten des Leistungserbringers als auch von Seiten des Versicherten erkennbar als Sachleistung zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden soll und lediglich bei der Abwicklung gegen Grundsätze des Leistungsrechts verstoßen wird. Weigert sich die Krankenkasse bei einer solchen Konstellation, die Kosten der erbrachten Leistungen zu tragen, so geht es nicht um Kostenerstattung, sondern um die Erfüllung des Sachleistungsanspruchs und die Freistellung von etwaigen Vergütungsforderungen des Leistungserbringers (BSG vom 9. Juni 1998 a.a.O.).
Zwar hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2001 (a.a.O.) seine Entscheidung vom 9. Juni 1998 (a.a.O.) dahingehend revidiert, als es nicht mehr daran festhält, dass dem Versicherten das Recht zugebilligt werden kann, zur Vermeidung einer eigenen Inanspruchnahme die Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem Leistungserbringer zu betreiben. Es hat ausgeführt, gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse über den Leistungsanspruch seien nur in zwei Konstellationen denkbar: entweder der Versicherte klagt auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er hat sich die Behandlung zu-nächst privat auf eigene Rechnung beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten. Ist er hingegen davon ausgegangen, er erhalte die Leistungen als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung, so könne eine eigene Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer nicht entstehen; der Leistungserbringer müsse einen etwaigen Streit über die Leistungspflicht der Krankenkasse dann unmittelbar mit dieser austragen. Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V biete keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkassen losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung alleine im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozess zu ersparen (BSG vom 9. Oktober 2001 a.a.O. am Ende). Das BSG hatte die dortige Klage abgewiesen, da es zu dem Ergebnis gelangt war, eine Verbindlichkeit des Klägers gegenüber dem Leistungserbringer habe nicht bestanden und dem Kläger, der - wie hier die Klägerin - selbst noch nichts gezahlt hatte, fehle die finanzielle Betroffenheit.
Dem Urteil des BSG vom 9. Oktober 2001 kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Zuerst bereits deshalb nicht, weil es hier nicht um einen Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V geht. Entscheidender ist folgender Gesichtspunkt:
Da es sich um einen Rechtsstreit handelt, der seinen Ursprung in der gesetzlichen Sozialversicherung hat, muss dem Versicherten auch sozialgerichtlicher Rechtsschutz gewährt werden. Dieser kann ihm nicht mit dem Hinweis auf fehlende finanzielle Betroffenheit verwehrt werden, zumindest dann nicht, wenn die fehlende finanzielle Betroffenheit nicht bindend festgestellt werden kann. Zwar dürfte in Konstellationen wir hier (ebenso wie in dem vom BSG am 9. Oktober 2001 entschiedenen Fall) ein zivilrechtlicher Anspruch des Leistungserbringers gegenüber dem Versicherten (wie hier der Klägerin) mangels Anspruchsgrundlage nicht bestehen. Die Sozialgerichte können aber über einen solchen zivilrechtlichen Anspruch nicht bindend entscheiden. Es besteht deshalb immer ein Risiko des Versicherten, vom Leistungserbringer zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden und einen Zivilrechtsstreit möglicherweise auch zu verlieren. Diesem Risiko wäre der Versicherte dann nicht ausgesetzt gewesen, wenn er von Anfang an eine Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten hätte. Da die Klägerin davon ausgehen durfte, die Bewegungsschiene als Sachleistung der Beklagten erhalten zu haben, muss sie auch so gestellt werden, als sei das tatsächlich der Fall gewesen. Irgendwelche Belastungen (außer Zuzahlungen, die hier allerdings nicht in Betracht kommen) dürfen ihr als gesetzlich Krankenversicherte nicht entstehen. Das lässt sich nur durch den ausgeurteilten Freistellungsanspruch vermeiden.
Dieser bedeutet keinesfalls - anders als das BSG dies offenbar immer annimmt - dass die Klägerin von der Beklagten nunmehr Zahlung verlangen kann. Dies ist bisher schon deshalb nicht möglich, weil die Klägerin selbst noch nichts bezahlt hat. Eine bezifferbare finanzielle Belastung besteht deshalb tatsächlich noch nicht.
Der Freistellungsanspruch bedeutet aber, dass die Beklagte der Klägerin eine eigene Zahlungsverpflichtung abnehmen muss. Konkret wird dieser Anspruch erst dann, wenn der Klägerin von der Firma F. GmbH eine Rechnung gestellt wird. Die Beklagte hat dann mehrere Optionen. Sie kann z.B. der Klägerin den geforderten Betrag zahlen oder die Rechnung selbst begleichen. Sie hat aber z.B. auch die Möglichkeit, der Klägerin kostenlosen Rechtsschutz für eine möglichen Zivilprozess zu gewähren. Egal welche Möglichkeit gewählt wird, muss jedenfalls immer gewährleistet sein, dass die Klägerin mit keinerlei Kosten belastet wird. Im Gegenzug hat die Klägerin allerdings der Beklagten evtl. erforderliche Zustimmungserklärungen oder Abtretungserklärungen zu erteilen.
Dem BSG kann insoweit gefolgt werden, als im vorliegenden Rechtsstreit die Leistungspflicht der Beklagten allein im Interesse der F. GmbH nicht abstrakt geklärt werden kann. Diese Frage müsste zwischen der Beklagten und der F. GmbH - ggf. in einem Rechtsstreit - geklärt werden. Im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagter kommt es hierauf nicht an. Bei der Erbringung von Sachleistungen können Vergütungsansprüche nur im Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse entstehen (BSG vom 9. Oktober 2001 a.a.O., 17. April 1996 a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.