Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 03.01.2017, Az.: 1 B 101/16

Feiertag; Feiertagsschutz; Son- und Feiertagsruhe; Sonntag; Sonntagsschutz; verfassungskonforme Auslegung; Verfassungsmäßigkeit; verkaufsoffen; verkaufsoffener Sonntag

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
03.01.2017
Aktenzeichen
1 B 101/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53800
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG, der die Zulassung der Öffnung von Verkaufsstellen an grundsätzlich vier Sonn- und Feiertagen im Jahr ohne einen besonderen Anlass oder sonstigen sachlichen Grund erlaubt, verletzt die durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV garantierte Sonn- und Feiertagsruhe und ist auch nicht verfassungskonform auslegbar.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.12.2016 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens über die Öffnung von Verkaufsstellen an einem Sonntag.

Der D. e.V. beantragte mit Schreiben vom 26.10.2016 im Namen der Kaufmannschaft bei der Antragsgegnerin unter anderem die Genehmigung eines verkaufsoffenen Sonntags am 08.01.2017 aus Anlass des Neujahrsempfangs. Mit Schreiben vom 09.11.2016 legte er ein Veranstaltungskonzept mit dem Titel „Beste Wünsche für alle Menschen / Beste wensen voor alle mensen – Der A. Neujahrsgruß“ vor.

Durch an den D. e.V. adressierten Bescheid vom 21.12.2016 genehmigte die Antragsgegnerin die Öffnung von Verkaufsstellen in einem durch einen anliegenden Plan näher gekennzeichneten Teilbereich ihres Stadtgebiets aus Anlass der Veranstaltung „Der A.  Neujahrsgruß“ am 08.01.2017 in der Zeit von 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr unter der Bedingung, dass auch die im eingereichten Konzept vorgesehenen Aktionen „Schaufenstersingen“ und „Abschlusskonzert“ durchgeführt werden. Zur Begründung führte sie aus, dass die Öffnung von Verkaufsstellen nur mit dem Sonntagsschutz vereinbar sei, wenn die Veranstaltung und nicht die Ladenöffnung den öffentlichen Charakter des Tages präge. Dazu müsse die Veranstaltung für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, der die zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteige. Das Schaufenstersingen und das Abschlusskonzert seien wichtige Aktionen, um die erforderlichen Besucherströme auszulösen.

Mit an den D. e.V. adressierten Bescheid vom 23.12.2016 ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung ihres Bescheids vom 21.12.2016 mit der Begründung an, dass sowohl dieser als auch die teilnehmenden Verkaufsstellen mittlerweile Dispositionen (Werbung etc.) getroffen hätten, welche im Falle einer Klage mit aufschiebender Wirkung ins Leere liefen. Durch die aufschiebende Wirkung könnte ein Einzelner die Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags kippen und damit den Interessen der Allgemeinheit Schaden zufügen.

Die Antragstellerin hat am 22.12.2016 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und trägt vor, dass sie antragsbefugt sei, weil mit der Unterschreitung des Schutzniveaus bezüglich der Sonn- und Feiertage eine Verletzung der Gewerkschaft in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG, konkretisiert in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV, verbunden sei. Gewerkschaften seien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren berechtigt, Anträge zu stellen, die sich gegen die Zulassung von Sonntagsbeschäftigung in Bereichen richteten, in denen sie tätig und vertreten seien. Unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.2009 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 sei § 5 Abs. 1 NLöffVZG wegen Verletzung des Art. 139 WRV verfassungswidrig. Die Vorschrift unterschreite auf Grund der voraussetzungslosen Zulassung von Sonntagsöffnungen ohne sachlichen Grund das Mindestschutzniveau der Sonn- und Feiertagsruhe und verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die Norm lasse nicht erkennen, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden könne. Zumindest sei die streitgegenständliche Allgemeinverfügung rechtswidrig, da der Neujahrsempfang kein hinreichender Anlass für die Sonntagsöffnung sei. Die geplanten Aktionen stellten lediglich begleitende und daher keine eigenständigen Veranstaltungen dar. Diese seien lediglich ein Begleitprogramm zur Sonntagsöffnung, deren Stattfinden von der Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags abhänge. Veranstaltungen, die ausschließlich organisiert würden, um als Anlass für die Sonntagsöffnung zu dienen, könnten dessen Genehmigung nicht rechtfertigen. Allein ein Motto sei ebenfalls kein hinreichender Anlass. Auch kämen zu dem Neujahrsempfang in der Regel nur etwa 500 Bürger, während die Verkaufsöffnung am Sonntag ein Vielfaches an Besuchern anziehen dürfte. Zudem sei kein enger räumlicher, thematischer und zeitlicher Bezug zwischen den Veranstaltungen und den geöffneten Geschäften und damit auch keine prägende Wirkung gegeben. Weiterhin sei zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin eine verlässliche Prognose über den zu erwartenden Besucherstrom der Veranstaltungen erstellt habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass § 3 NLöffVZG bereits das Öffnen der Geschäfte von montags bis samstags ohne zeitliche Begrenzungen ermögliche und § 4 NLöffVZG zahlreiche weitere Ausnahmen enthalte. Ferner bestünden Bedenken hinsichtlich der räumlichen Bestimmtheit, insbesondere in Bezug auf die zur Abgrenzung herangezogenen Straßen. Schließlich liege ihr kein Schriftstück über die Anordnung der sofortigen Vollziehung vor. Die Begründung des Vollzugsinteresses dürfe nicht nur formelhaft erfolgen, sondern müsse auf den konkreten Einzelfall bezogen sein.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.12.2016 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, dass zu Beginn eines Jahres bisher verschiedene Einzelaktionen im Stadtgebiet stattgefunden hätten, die nunmehr an einem Tag gebündelt werden sollten. Die Heimat- und Brauchtumspflege genieße in der Region einen hohen Stellenwert, weshalb in enger Verbundenheit mit den niederländischen Nachbarn der Wunsch nach einem speziellen Neujahrsfest entstanden sei. Der D. e.V. habe hierfür ein Konzept entwickelt, das auch dem Deutschen Gewerkschaftsbund vorgestellt worden sei. Die im Konzept vorgesehenen Aktionen fänden tatsächlich, eventuell leicht verändert, statt. Derzeit seien ihr Neujahrsempfang in der Alten Weberei mit der Neujahrsansprache ihres Bürgermeisters und Musikaufführungen sowie Vorstellung der E., eine Schornsteinfeger-Zaubershow und ein Schornsteinfeger-Stelzenlauf in der Innenstadt, Bleigießen für Jedermann mit verkleideten Schornsteinfegerinnen, Ballonkünstler, Schaufenstersingen unterschiedlicher Musiker zu jeder vollen Stunde, Blasen der „F.“ in der Innenstadt um 14.30 Uhr, 15.30 Uhr und 16.30 Uhr, Sektempfang und Verteilen von Neujahrskuchen, eine spektakuläre Feuershow um 18.00 Uhr, ein Abschlusskonzert der Band „G.“ in der Alten Kirche am Markt, eine American-Auto-Show vor dem Elektromarkt „X“ und Showkochen in den Geschäften „H.“, „I.“ und „J.“ geplant. Diese Aktionen würden seit der Genehmigung am 21.12.2016 beworben. Damit liege ein Sachgrund in Gestalt eines besonderen Ereignisses vor, das den Charakter des Tages selbst präge. Die vielen Neujahrsbräuche der Region sollten gepflegt und konzentriert an einem Tag vorgestellt werden. Das Konzept sei nicht abhängig von der Durchführung eines verkaufsoffenen Sonntags, vielmehr machten die Geschäfte mit den von ihnen angebotenen Neujahrsaktionen „die Sache rund“. Die Selbständigkeit des Neujahrsfests werde auch dadurch deutlich, dass einzelne Programmpunkte bereits vor der Entscheidung über die Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags gebucht worden seien. Weiterhin habe sie – wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen ergebe – eine Prognose über die zu erwartenden Besucherzahlen getroffen. Laut einer Passantenanalyse der IHK habe sich der Durchschnitt der Fußgänger im „Mittelpunkt der Fußgängerzone“ im Jahr 2015 auf rund 1.800 Passanten belaufen. Mangels anderweitiger Zahlen müsse diese Zählung als Anhaltspunkt dienen. Demgegenüber prognostiziere sie die Zahl der Besucher des Neujahrsfests auf durchschnittlich mehr als 2.000 Personen. Ferner sei die räumliche Abgrenzung in der Praxis kein Problem, weil die Grenzlinie zum großen Teil auf nicht zum Anbau bestimmten Straßen bzw. auf einem Kanal verlaufe.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

A. Der Antrag ist gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässig.

Insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sie in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen kann, durch die von der Antragsgegnerin erlassene Allgemeinverfügung (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 2 VwVfG) in ihren Rechten verletzt zu sein. Die Konkretisierung des verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV garantierten Sonntagsschutzes durch § 5 Abs. 1 NLöffVZG dient auch der Stärkung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 GG. Obgleich die Antragstellerin nicht unmittelbare Adressatin der Allgemeinverfügung ist, genügt es für ihre Antragsbefugnis, dass sie Arbeitnehmer in dem Dienstleistungsbereich vertritt, zu dem auch die Verkaufsstellen zählen, denen die Sonntagsöffnung erlaubt wird (vgl. BVerwG, U. v. 11.11.2015, 8 CN 2/14, juris Rn. 15-18 m.w.N.; Beschluss der Kammer v. 24.11.2016, 1 B 95/16).

Die Kammer merkt an, dass eine Beiladung der Inhaltsadressaten der Allgemeinverfügung, d.h. der Verkaufsstelleninhaber im räumlichen Geltungsbereich, nach § 65 Abs. 2 VwGO aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG nicht möglich gewesen ist, weil deren namentliche Ermittlung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens wegen deren unbekannter Vielzahl nicht erfolgen konnte und das für solche Fälle vorgesehene Rechtsinstitut des § 65 Abs. 3 VwGO mit seiner Dreimonatsfrist nicht für Eilverfahren der vorliegenden Art konzipiert ist. Der D. e.V. ist hingegen lediglich Bekanntgabeadressat, da er – soweit gerichtlich bekannt – keine eigene Verkaufsstelle betreibt und den Antrag nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG „im Namen der Kaufmannschaft“ gestellt hat. Dessen Beiladung schied daher aus, weil seine rechtlichen Interessen nicht berührt sein können.

B. Der Antrag ist auch begründet.

Ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen werden.

Jedenfalls überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin sowohl das öffentliche Vollzugsinteresse als auch das Vollzugsinteresse der Verkaufsstelleninhaber, da die angegriffene Allgemeinverfügung nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist.

1. Es mangelt bereits an einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage für die Einschränkung der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV garantierten Sonntagsruhe. § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Sonntagsschutz nicht und ist auch keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Danach soll auf Antrag der überwiegenden Anzahl der Verkaufsstellen eines Ortsbereichs oder einer den örtlichen Einzelhandel vertretenden Personenvereinigung die zuständige Behörde zulassen, dass Verkaufsstellen unabhängig von der Regelung des § 4 NLöffVZG an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen; die Öffnung darf im Jahr in Ausflugsorten an insgesamt höchstens acht und in anderen Orten an insgesamt höchstens vier Sonn- und Feiertagen und jeweils höchstens für die Dauer von fünf Stunden täglich zugelassen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Berliner Ladenöffnungsgesetz in seinem Urteil vom 01.12.2009 (1 BvR 2857/07 u.a., juris Rn. 150-158, 179-182) ausgeführt:

„3. Der Gesetzgeber verletzt die sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ergebende Schutzpflicht, wenn er die aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV folgenden Mindestanforderungen an den Sonn- und Feiertagsschutz unterschreitet.

a) Charakter und Umfang der Schutzgarantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV haben durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon bisher eine Konkretisierung erfahren:

Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 87, 363 <393>), der für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert (vgl. BVerfGE 87, 363 <393>; 111, 10 <53>). Grundsätzlich hat die typische "werktägliche Geschäftigkeit" an Sonn- und Feiertagen zu ruhen. Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich; in jedem Falle muss der ausgestaltende Gesetzgeber aber ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wahren (vgl. BVerfGE 111, 10 [BVerfG 27.01.2004 - 2 BvR 496/01] <50>).

Im Einzelnen gilt insoweit: Der Schutz der Sonn- und Feiertage wird in Art. 139 WRV als gesetzlicher Schutz beschrieben. Dies bedeutet, dass die Institution des Sonn- und Feiertags unmittelbar durch die Verfassung garantiert ist, die Art und das Ausmaß des Schutzes aber einer gesetzlichen Ausgestaltung bedürfen. Der Gesetzgeber darf in seinen Regelungen auch andere Belange als den Schutz der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zur Geltung bringen. Ihm ist deshalb ein Ausgleich zwischen Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV einerseits und Art. 12 Abs. 1, aber auch Art. 2 Abs. 1 GG anderseits aufgegeben (vgl. BVerfGE 111, 10 [BVerfG 27.01.2004 - 2 BvR 496/01] <50>).

Der Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV ist nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt. Umfasst ist zwar die Möglichkeit der Religionsausübung an Sonn- und Feiertagen. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. An den Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Geschützt ist damit der allgemein wahrnehmbare Charakter des Tages, dass es sich grundsätzlich um einen für alle verbindlichen Tag der Arbeitsruhe handelt. Die gemeinsame Gestaltung der Zeit der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung, die in der sozialen Wirklichkeit seit jeher insbesondere auch im Freundeskreis, einem aktiven Vereinsleben und in der Familie stattfindet, ist insoweit nur dann planbar und möglich, wenn ein zeitlicher Gleichklang und Rhythmus, also eine Synchronität, sichergestellt ist. Auch insoweit kommt gerade dem Sonntag im Sieben-Tage-Rhythmus und auch dem jedenfalls regelhaft landesweiten Feiertagsgleichklang besondere Bedeutung zu. Diese gründet darin, dass die Bürger sich an Sonn- und Feiertagen von der beruflichen Tätigkeit erholen und das tun können, was sie individuell für die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und als Ausgleich für den Alltag als wichtig ansehen. Die von Art. 139 WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung soll allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden (vgl. BVerfGE 111, 10 [BVerfG 27.01.2004 - 2 BvR 496/01] <51>).

b) Der Gesetzgeber kann bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksicht nehmen. Allerdings führt der Schutz der Verwirklichung von Freizeitwünschen der Bürger insoweit zu einem Konflikt, als diese auf die Bereitstellung von Leistungen angewiesen sind, die den Arbeitseinsatz der Anbieter solcher Leistungen erfordern.

Einfachrechtlich werden schon seit jeher an Sonn- und Feiertagen Arbeiten gestattet, die aus gesellschaftlichen oder technischen Gründen notwendig sind. Diese Arbeiten "trotz des Sonn- und Feiertags" sind in Grenzen durchaus zulässig. So ist anerkannt, dass etwa zum Schutz von Grundrechten und sonst gewichtigen Rechtsgütern der Bürger oder der Gemeinschaft in Rettungsdiensten, bei Feuerwehr, Polizei, in der gesamten medizinischen Versorgung, für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur - neben der Energieversorgung auch die Sicherung der Mobilität (Autostraßen, Bahnen, Busse, Luftverkehr) - an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf. In diesen Bereich fallen auch die vielfältigen Notdienste der unterschiedlichen Branchen und die Ausnahmen im industriellen Bereich aus produktionstechnischen Gründen. Für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich und damit aus beschäftigungspolitischen Erwägungen ist schließlich im Bereich der Industrie eine Ausnahme vom Sonntagsschutz seit langem akzeptiert, zumal diese der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogen ist und ihr damit kein prägender Charakter für den äußeren Ruherahmen der Sonntage zukommt (vgl. nur die Ausnahmeregelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 14 bis 16 und Abs. 2 sowie insbesondere in § 13 Abs. 1, 4 und 5 Arbeitszeitgesetz - ArbZG). Dem entspricht, dass etwa der öffentlich wahrnehmbare Schwerlastverkehr aufgrund verkehrsrechtlicher Bestimmung als Ausdruck des Sonntagsschutzes grundsätzlich ruht, es aber auch hier Ausnahmen gibt (vgl. § 30 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung). Neben diesen Feldern der "Arbeit trotz des Sonntags" ist auch die "Arbeit für den Sonntag" anerkannt, die etwa in der Hotel- und Gastronomiebranche und im Bereich der Sicherstellung der Mobilität des Einzelnen dazu dient, den Bürgern eine individuelle Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu ermöglichen . Stets aber muss ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 111, 10 <51 f.>). Das gilt auch im Blick auf die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 111, 10 [BVerfG 27.01.2004 - 2 BvR 496/01] <50, 52>).

c) Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben müssen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ladenöffnung bedeutet dies, dass die Ausnahme eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse ("Shopping-Interesse") potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen.

Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weitergreifend die Freigabe der Verkaufsstellenöffnung in Bezug auf das betroffene Gebiet sowie die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ausgestaltet ist. Deshalb müssen bei einer flächendeckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen.

(…)

bb) Die Regelung, wonach die Senatsverwaltung im öffentlichen Interesse ausnahmsweise die Öffnung von Verkaufsstellen an höchstens vier (weiteren) Sonn- oder Feiertagen durch Allgemeinverfügung zulassen kann (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BerlLadÖffG), ist mit dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV jedenfalls bei einschränkender Auslegung vereinbar.

(1) Hinsichtlich der Zahl von vier Tagen lässt sich gegen die Regelung im Blick auf die Gesamtzahl von regelhaft 52 Sonntagen im Jahr und von insgesamt neun je nicht zwingend auf einen Sonntag fallenden weiteren Feiertagen nichts erinnern, zumal bestimmte Feiertage von dieser Öffnungsmöglichkeit ausgenommen sind (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BerlLadÖffG). Da die Freigabe durch Allgemeinverfügung erfolgt, bedarf es einer Verwaltungsentscheidung, die die Möglichkeit eröffnet, die jeweils betroffenen Interessen und Rechtsgüter konkret in eine Abwägung einzubeziehen.

(2) Bedenken begegnet indessen die weite, allgemein gehaltene Voraussetzung für die Ausnahmeregelung: Erforderlich ist lediglich, dass die ausnahmsweise Öffnung "im öffentlichen Interesse" liegt. Dabei handelt es sich um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, der es bei einem allein am Wortlaut orientierten Verständnis ermöglicht, jedes noch so geringe öffentliche Interesse genügen zu lassen. Hier ist eine der Wertung des Art. 139 WRV genügende Auslegung geboten. Danach ist ein öffentliches Interesse solchen Gewichts zu verlangen, das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt. Dazu genügen das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche "Shopping-Interesse" auf der Kundenseite nicht.

Der Begriff des "öffentlichen Interesses" soll der Gesetzesbegründung zufolge für "besondere Ereignisse im Interesse der Berliner und Touristen" zusätzliche Öffnungszeiten zulassen. Dabei soll es um "große Veranstaltungen" gehen, die wegen ihrer Bedeutung für die ganze Stadt eine Geschäftsöffnung erforderlich machen. Damit sind Veranstaltungen und Ereignisse gemeint, die auch "über die Stadt hinaus Bedeutung haben und zahlreiche Touristen nach Berlin holen" (Abgeordnetenhaus Drucks 16/0015, S. 13). Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich in einem Land von der Struktur Berlins die Versorgung von Touristen und Besuchern von großen Messen und anderen Großveranstaltungen schwer auf bestimmte Bezirke begrenzen lässt. Für die von der Begründung in Bezug genommene Zielsetzung und Kategorie von Ereignissen werden nur Veranstaltungen, die einzeln oder in ihrem Zusammenwirken Bedeutung für Berlin als Ganzes haben, die Ausnahme tragen können.“

Diesem verfassungsrechtlichen Maßstab schließt sich die Kammer an. Danach ist zwar die Zulassung von vier Ausnahmen pro Jahr in § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG grundsätzlich – der Zahl nach – nicht zu beanstanden. Jedoch genügt dies als alleinige einschränkende Voraussetzung zur Einhaltung der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an den Sonntagsschutz nicht. Vielmehr bedarf es zusätzlich eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes, der über das bloße wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse der potenziellen Käufer hinausgeht. Mithin darf die Sonntagsladenöffnung nur eine geringe prägende Wirkung entfalten, die sie nach den gesamten Umständen als bloßen Annex zu einer anderweitigen anlassgebenden Veranstaltung erscheinen lässt (vgl. zu § 14 LadSchlG: BVerwG, U. v. 11.11.2015, 8 CN 2/14, juris Rn. 24). § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG normiert keinen Sachgrund in diesem Sinne als Tatbestandsvoraussetzung. Auch lässt sich – im Gegensatz zu dem vom Bundesverfassungsgericht beurteilten § 6 Abs. 1 Satz 2 BerlLadÖffG bzw. dem vom Bundesverwaltungsgericht in den Blick genommenen § 14 LadSchlG – das Bestehen eines solchen Sachgrunds nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs als Tatbestandsmerkmal der Vorschrift beimessen, da diese weder das Vorliegen eines „öffentlichen Interesses“ noch eines „Anlasses“ wie „Märkte, Messen oder ähnliche Veranstaltungen“ voraussetzt (ebenso zum SächsLadÖffG: Sächs. OVG, B. v. 01.11.2010, 3 B 291/10, juris Rn. 28; erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anmeldend, jedoch letztlich offen lassend: VG A-Stadt, U. v. 15.10.2015, 11 A 2676/15, juris Rn. 33-40). Auch die Gesetzesbegründung lässt eine verfassungskonforme Auslegung nicht zu (LT-Drs. 15/3276, S. 11). Danach „wird auf die in der Vergangenheit geforderte Anlassbezogenheit bewusst verzichtet. Die Praxis hat gezeigt, dass die Pflege traditioneller Anlässe, aber auch die Einführung neuer Anlässe nicht unumstritten war. Die erforderliche Diskussion im Vorfeld der Verordnungsgebung gestaltete sich daher schwierig und zeitaufwändig. Zudem waren eine Bewertung und ein Auswahlverfahren bei Vorliegen von mehr als vier Anlässen durch die zuständige Stelle erforderlich. Insoweit ist der Verzicht auf einen Anlass bei einer unveränderten Anzahl von Tagen ein deregulierendes Moment.“ Dementsprechend hat der Landesgesetzgeber die Zulassung verkaufsoffener Sonntage nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG gerade nicht von einem besonderen Sachgrund oder Anlass abhängig machen wollen. Auch die ein intendiertes Ermessen einräumende Formulierung des § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG („soll“) ermöglicht keine verfassungskonforme Auslegung. Zum einen betrifft diese nicht die Tatbestandsseite der Norm, sondern deren Verbindung mit der Rechtsfolgenseite. Zum anderen sind bei intendierten Ermessensvorschriften in der Regel – solange nicht ausnahmsweise ein atypischer Fall gegeben ist – keine weiteren Ermessenserwägungen erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.1997, 3 C 22/96, juris Rn. 14), d.h. die Sonntagsladenöffnung ist bei Vorliegen eines Regelfalls (im Rahmen der in der Vorschrift festgesetzten Grenzen) zu gewähren.

2. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer offen lassen, ob – wenn § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG verfassungskonform ausgelegt werden könnte – der in der angegriffenen Allgemeinverfügung zugelassenen Sonntagsöffnung der Verkaufsstellen in Teilen des Stadtgebiets der Antragsgegnerin ein hinreichender Sachgrund zugrunde liegt, d.h. die sonntägliche Ladenöffnung sich nach den Gesamtumständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) darstellt. Auch hieran hat die Kammer erhebliche rechtliche Bedenken, weil das Konzept des D. e.V. den Eindruck erweckt, dass die verschiedenen Veranstaltungen – mit Ausnahme des Neujahrsempfangs der Antragsgegnerin – letztlich nur dazu dienen sollen, als „Begleitprogramm“ den Schein eines rechtfertigenden Anlasses für die Verkaufstätigkeit zu erzeugen.

In diesem Zusammenhang lässt die Kammer auch dahingestellt, ob die von der Antragsgegnerin vorgetragene Prognose über die zu erwartenden Besucherströme auf Grund der Ladenöffnung einerseits und der Veranstaltungen anderseits in sich schlüssig und hinreichend nachvollziehbar ist.

3. Schließlich löst der Umstand, dass die Kammer § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG für verfassungswidrig erachtet, in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren keine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG aus, weil andernfalls angesichts der Eilbedürftigkeit – die Ladenöffnung betrifft den kommenden Sonntag – kein effektiver Rechtsschutz gewährt werden könnte (vgl. BVerfG, B. v. 24.06.1992, 1 BvR 1028/91, juris Rn. 29).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 2 Nr.2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog.