Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.02.2009, Az.: 13 U 254/08

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.02.2009
Aktenzeichen
13 U 254/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 41687
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2009:0223.13U254.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 18 O 249/08

Fundstellen

  • WRP 2009, 649-652 "Testmitgliedschaft einer Krankenkasse"
  • WRP 2009, 651-652 (Volltext mit red. LS) "Testmitgliedschaft einer Krankenkasse"

Tenor:

  1. 1.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 10 000 EUR festgesetzt.

  2. 2.

    Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Berufungsklägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10. März 2009 gegeben.

Gründe

1

Die Rechtssache ist als einstweilige Verfügungssache nicht revisibel. Die Berufung hat nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg:

2

1. Für den Rechtsstreit ist die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig.

3

a) Obwohl nach § 17a Abs. 5 GVG das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, hat der Senat im vorliegenden Fall auch darüber zu befinden, ob die Sozialgerichte zuständig sind. Die Beklagte hat schon in erster Instanz gerügt, die ordentliche Gerichtsbarkeit sei unzuständig. Das Landgericht hat hierüber entgegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG nicht vorab entschieden und damit der Beklagten die Möglichkeit genommen, die Zuständigkeit im Beschwerdeweg vorab zu klären. Deshalb muss der Senat die Zuständigkeitsentscheidung nunmehr im Rahmen der Berufungsinstanz überprüfen können ( BGH v. 28. Oktober 1999, III ZB 34/99, zit. nach Juris Rn. 5).

4

b) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gegeben.

5

Nach § 13 GVG ist die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig, soweit es sich nicht um einen Rechtsstreit handelt, der der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn durch den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Werden die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche dagegen nicht auf einen Verstoß gegen die Vorschriften des SGB V gestützt, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 SGG ( BGH v. 30. Januar 2008, I ZB 8/07 - Treuebonus -, zit. nach Juris, Rn. 13 f.).

6

Danach ist für den Rechtsstreit die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig. Die Parteien streiten nicht darüber, inwieweit die Bestimmungen des SGB V (hier§ 175 Abs. 4) den durch die Werbung angesprochenen Verbrauchern die Möglichkeit eröffnen, vor Ablauf von 18 Monaten die Kasse zu wechseln. Meinungsverschiedenheiten bestehen vielmehr ausschließlich darüber, ob die Werbung der Beklagten über den objektiv völlig unumstrittenen Inhalt der sozialrechtlichen Regelung irreführt und deshalb nach dem Maßstab des UWG unlauter und zu verbieten ist.

7

2. In der Sache ist der Verfügungsanspruch gegeben.

8

a) Zum 30. Dezember 2008 ist eine Neufassung des UWG in Kraft getreten. Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin setzt voraus, dass das Verhalten der Beklagten gegen das UWG sowohl in der nunmehr als auch in der bis zum 29. Dezember 2008 gültigen Fassung verstößt. Denn ein Verbot für die Zukunft setzt einerseits einen Verstoß gegen ein geltendes Gesetz voraus, verlangt aber andererseits - mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr - auch eine Wiederholungsgefahr, für die es auf die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der beanstandeten Werbung ankommen muss.

9

b) Die Beklagte rügt zunächst, dass das vom Landgericht erlassene Verbot nicht hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und die Klage damit unzulässig sei. Damit hat sie keinen Erfolg.

10

Nach Urteilstenor und Entscheidungsgründen ist eindeutig, was verboten ist: Die Beklagte darf nicht (auch) solchen Verbrauchern eine "Testmitgliedschaft" anbieten, die gem. § 175 Abs. 4 SGB V vor Ablauf von 18 Monaten nur in eine andere Ersatzkasse wechseln können.

11

c) Der vom Landgericht angenommene Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3, 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F.

12

aa) Zu Recht hat das Landgericht für die Frage der Irreführung allein auf die von der Beklagten verwendete Blickfangwerbung mit den Begriffen "Testmitgliedschaft", "Krankenkasse auf Probe" und der Aussage "18-monatige Bindungsfrist entfällt" abgestellt. Nicht von der Blickfangwirkung erfasste Teile der Werbung können für die Frage der Irreführung nur dann von Bedeutung sein, wenn auf sie in räumlichem Zusammenhang ähnlich deutlich, z.B. durch einen Stern oder ähnliches Zeichen, zumindest aber durch eine klar zugeordnete Fußnote hingewiesen wird (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 5 Rn. 2.98). Es mag zwar zutreffen, dass Verbraucher sich mit einer Werbung für eine Kassenmitgliedschaft intensiver befassen als mit anderen Werbungen, weil es sich um höherwertige Dienstleistungen handelt. Auch hier dient aber der Blickfang als erster Einstieg und kann deshalb ohne weiteres entscheidend dafür sein, ob man sich überhaupt näher mit der Werbung befasst und dann die, auch die sich unmittelbar anschließenden, Informationen im Fließtext wahrnimmt.

13

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der angesprochene Verbraucher eine "Testmitgliedschaft" dahin gehend versteht, dass er nach deren Ende auch wieder in seine frühere Kasse zurückkehren kann. Mit der Möglichkeit eines Tests werden nicht nur Verbraucher angesprochen, die ohnehin entschlossen sind, ihre alte Kasse zu verlassen und nunmehr nur eine neue auswählen müssen. Vielmehr fordert eine solche Werbung auch dazu heraus, erst darüber nachzudenken, sich von seiner alten Kasse zu trennen. Wenn solchen Verbrauchern ein Test als Entscheidungsgrundlage angeboten wird, müssen sie annehmen, auch über einen Verbleib in der alten Kasse erst nach Abschluss des Tests entscheiden zu können.

14

Unerheblich ist, dass das Bundesversicherungsamt auf Anfrage in einem Einzelfall keine Bedenken dagegen geäußert hat, den Begriff "Schnuppermitgliedschaft" zu verwenden. Zum einen geht es im vorliegenden Fall um den Begriff "Testmitgliedschaft". Zum anderen ist eine solche Einschätzung des Bundesversicherungsamtes nicht maßgeblich für das Verbraucherverständnis.

15

bb) Dass die so verstandene Werbeaussage objektiv unrichtig ist, ist nicht umstritten.

16

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten verbietet das angefochtene Urteil ihr nicht generell, den Begriff "Testmitgliedschaft" an irgendeiner Stelle eines Werbetextes zu benutzen. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Tenor und Entscheidungsgründen eindeutig, dass nur die blickfangmäßige Werbung untersagt ist. Der von der Beklagten zitierte Absatz aus den Urteilsgründen steht dem nicht entgegen. Schon aus dem einleitenden "Im Übrigen" sowie aus dem verwendeten Konjunktiv wird deutlich, dass es sich nicht um tragende Gründe, sondern lediglich um obiter dicta handelt.

17

dd) Der durch streitgegenständliche Werbung hervorgerufene Irrtum ist auch geeignet, das Marktverhalten der Verbraucher zu beeinflussen. Es ist keineswegs sichergestellt, dass der Verbraucher sich vor einem Vertragsabschluss umfassender über die Wechselmöglichkeiten informiert und damit über seinen Irrtum aufgeklärt wird. Unabhängig davon genügt der erhebliche Anlockeffekt, der von der Werbung ausgeht und zu Vertragsabschlüssen führen kann, zu denen es ohne die Werbung nicht gekommen wäre.

18

ee) Schließlich lässt es sich auch nicht im Rahmen der abschließend vorzunehmenden Interessenabwägung rechtfertigen, der Beklagten deshalb zu gestatten, mit einer Testmitgliedschaft zu werben, weil das Bundesversicherungsamt auf eine Anfrage im Einzelfall die Werbung mit einer "Schnuppermitgliedschaft" für zulässig gehalten hat. Von den Unterschieden im Wortlaut abgesehen ist eine solche Auskunft nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen eine gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung verwendet wird, obwohl diese Bezeichnung teilweise missverstanden wird.

19

3. Ein Verfügungsgrund wird gem. § 12 Abs. 2 UWG a.F. vermutet.

20

4. Misst man die beanstandete Werbung am Maßstab der aktuellen Fassung des UWG (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 7), ergeben sich keine Änderungen.