Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.02.2009, Az.: 7 W 2/09
Rechtsschutzbedürfnis einer negativen Feststellungsklage bei einem gegen den Insolvenzschuldner bestehenden Titel ohne das Attribut "Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung"
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.02.2009
- Aktenzeichen
- 7 W 2/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 12719
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0223.7W2.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim, 2 O 341/08 vom 12.12.2008
Rechtsgrundlage
- § 184 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- NZI 2009, 329-330
- OLGReport Gerichtsort 2009, 358-360
- ZIP 2009, 1592
- ZInsO 2009, 724-726 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI 2009, 108-110 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Liegt gegen den Schuldner ein rechtskräftiger Titel ohne die konkrete Feststellung (Attribut) vor, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, und meldet der Gläubiger die Forderung zur Tabelle mit diesem Attribut an, kann einer negativen Feststellungsklage des Schuldners gemäß § 184 Abs. 2 InsO ein Rechtsschutzbedürfnis und damit die Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 12. Dezember 2008 in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 23. Dezember 2008 geändert.
Dem Kläger wird für die beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt S. zur Vertretung in dem Verfahren beigeordnet.
Gleichzeitig wird ihm aufgegeben, 75,00 EUR monatlich, beginnend am 15. März 2009 zu zahlen, solange das Gericht nichts anderes bestimmt. Unabhängig von der Zahl der Rechtszüge sind in einem Rechtsstreit jedoch nicht mehr als 48 Monatsraten zu zahlen.
Die Folgeraten sind jeweils bis zum 15. eines jeden Monats zu zahlen.
Eine Zahlungsaufforderung wird dem Zahlungspflichtigen in Kürze übersandt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde mit Versäumnisurteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. März 2008 - Az.: ... - verurteilt, an die Antragsgegner 42.675,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. August 2007 und außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.110,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. August 2007 zu zahlen. Er beantragte die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 29. September 2008 (Az.: ...) hat das Amtsgericht Gifhorn das Verfahren eröffnet.
Die Antragsgegner meldeten am 30. Oktober 2008 zur Insolvenztabelle eine Gesamtforderung in Höhe von 52.201,82 EUR als "Schadensersatzansprüche" an. Es wurde angegeben, dass es sich um eine Forderung aus vorsätzlicher begangener unerlaubter Handlung handeln soll.
Mit einem Schreiben vom 3. November 2008 begründeten die Antragsgegner diese Forderung näher (Bl. 5 d. A.). Der Kläger erhob hiergegen mit Schreiben vom 17. November 2008 Widerspruch, der sich im Wesentlichen gegen die Einordnung der Forderung als aus unerlaubter Handlung stammend richtet (Bl. 8 d. A.).
Mit seiner beabsichtigten Klage begehrt der Kläger Prozesskostenhilfe für einen negativen Feststellungsantrag, der darauf gerichtet ist, dass sein Widerspruch zur Insolvenztabelle gegen den von den Beklagten geltend gemachten Tatbestand der vorsätzlichen unerlaubten Handlung begründet ist. Gleichzeitig trägt er vor, dass er sich auch gegen die angemeldete Forderungshöhe zu wenden beabsichtigt.
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der erhobene Widerspruch gemäß § 175 Abs. 2 InsO habe die Wirkung, dass eine spätere Vollstreckung aus der Tabelle nicht möglich sei, solange der Gläubiger nicht ein entsprechendes Feststellungsurteil vorlegt, dass diesen Widerspruch beseitige. Gemäß § 201 Abs. 2 InsO könne der Gläubiger nach Verfahrenseinstellung nicht mit der widersprochenen Forderung die Vollstreckung aus der Tabelle betreiben. In § 184 InsO habe der Gesetzgeber allein die positive Feststellungsklage zu Gunsten des Gläubigers vorgesehen.
Die Rechtsverfolgung sei auch mutwillig. Eine bemittelte Partei würde wegen des Schutzes des § 175 Abs. 2 InsO aus Kostengründen davon absehen, den Streit über den Rechtsgrund während des laufenden Insolvenzverfahrens klären zu lassen.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde vom 22. Dezember 2008. Er weist in erster Linie auf § 184 Abs. 2 InsO hin, der gerade auf den vorliegenden Fall, in dem bereits ein Titel vorliege, anwendbar sei.
In der Nichtabhilfeentscheidung vom 23. Dezember 2008 stellt das Landgericht klar, dass allein das Interesse des Schuldners, frühzeitig Klarheit darüber zu gewinnen, ob die streitige Forderung von der Restschuldbefreiung erfasst werde, von § 184 InsO nicht erfasst werde. Der Widerspruch habe zur Folge, dass eine Vollstreckung aus der Tabelle nicht möglich sei. § 184 Abs. 2 InsO sei für das vorliegende Verfahren ohne Relevanz, da mit dem Versäumnisurteil nicht feststünde, dass es sich bei der zugesprochenen Forderung um eine solche aus unerlaubter Handlung handele.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (1). Insbesondere kann ihr ein Bedürfnis nach Rechtsschutz nicht abgesprochen werden (2). Letztlich ist der Kläger auch prozesskostenarm i. S. § 114 ZPO (3).
1. Die Klage hat hinreichend Aussicht auf Erfolg, da die Parteien im Hinblick auf den seitens der Antragsgegner behaupteten Betrug unterschiedlich vortragen und damit nicht unstreitig ist, ob eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung vorliegt.
a) Der Antragsteller hat die Behauptung der Antragsgegner, dass die zur Anmeldung gelangte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiere, erheblich bestritten. Die Behauptung, er, der Kläger, habe bewusst wahrheitswidrig bei Stellung der Abschlagsrechnungen einen Bautenstand vorgespiegelt, der tatsächlich nicht erreicht gewesen sei, sei falsch. Sämtliche Leistungen seien nach dem Zahlungsplan bei dem Erreichen des jeweiligen Bautenstands ordnungsgemäß abgerechnet.
b) Auch liegen die Voraussetzungen des § 184 Abs. 2 Satz 1 InsO vor. Hiernach obliegt es dem Schuldner binnen einer Frist von einem Monat den Widerspruch zu verfolgen, wenn für eine Forderung i. S des Abs. 1 ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vorliegt.
aa) Gegen den Antragsteller liegt ein Endurteil, nämlich ein Versäumnisurteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. März 2008 - Az.: ... - vor, durch welches er verurteilt wurde, an die Antragsgegner 42.675,29 EUR nebst Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen. Unter den Begriff des Endurteils i. S. des § 184 Abs. 2 Satz 1 fallen auch Teilurteile, Versäumnisurteile und Vorbehaltsurteile (Münchener Kommentar Schumacher, InsO, Band 2, 2. Auflage 2008, § 184 Rdnr. 8 b).
bb) Auch ist die Monatsfrist des § 184 Abs. 2 Satz 1 InsO, die mit dem Bestreiten der Forderung beginnt, eingehalten. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 17. November 2008 der angemeldeten Forderung widersprochen. Die Antragsschrift ging am 12. Dezember 2008 beim Landgericht ein.
2. Dem zentralen Motiv des Schuldners, mit der negativen Feststellungsklage die Rechtswirkungen des § 302 Nr. 1 InsO vermeiden zu wollen, kann das Bedürfnis nach Rechtsschutz nicht abgesprochen werden.
Der Widerspruch des Schuldners gegen die Anmeldung von Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen stellt einen Sonderfall der InsO dar (Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 184 Rdnr. 9). Unterlässt der Schuldner, gegen die mit dem entsprechenden Attribut angemeldete Forderung Widerspruch einzulegen, wird diese von der Restschuldbefreiung nicht erfasst (zur alten Rechtslage vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2003 in ZVI 2003, 601). Das Verfahren zur Beseitigung des Widerspruchs entfaltet hier eine nicht unbeträchtliche Wirkung.
Unstreitig ist, dass nach bisheriger Rechtsprechung der Widerspruch des Schuldners gegen die Anmeldung einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Verfahren analog § 184 InsO auszutragen ist (vgl. nur BGH Urteil vom 18. Januar 2007 in NJWRR 2007, 991 m. w. N.. Münchener Kommentar Schumacher, a. a. O., § 184 Rdnr. 8 c) und zwar auch im Rahmen eines isolierten Widerspruchs, also wenn es nur um den Charakter ("Attribut") der Forderung als Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung geht (Kübler/Prütting/BorkPape, a. a. O., § 184 Rdnr. 89/90 m. w. N.).
Problematisch sind jedoch - wie vorliegend - die Fälle, in denen die Forderung an sich tituliert ist, nicht jedoch das Attribut der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. In diesen Fällen würde sich der Schuldner in jedem Fall einer bereits titulierten Forderung bei der behauptet wird, sie stamme aus einer vorsätzlich begangener unerlaubten Handlung gezwungen sehen, binnen der Monatsfrist Klage zu erheben, um nicht zu riskieren, dass die Forderung von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen wird. Allein mit der Titulierung der Forderung ist jedoch nicht in jedem Fall automatisch festgestellt, dass auch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung gegeben ist.
Nach vorherrschender Ansicht soll es, soweit kein Attribut bezogen auf die Feststellung der unerlaubten Handlung vorliegt, bei dem Regelungsbereich des § 184 Abs. 1 InsO verbleiben, nach der es Sache des Gläubigers ist, den Widerspruch des Schuldners zu beseitigen (Kübler/Prütting/BorkPape, a. a. O., Rdnr. 36 unter Hinweis auf die durch die Norm geschaffene erhebliche Unsicherheit). § 184 Abs. 2 InsO sei hier restriktiv anzuwenden, da mit der Titulierung der Forderung noch nicht festgestellt sei, dass auch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung gegeben sei. Andernfalls würde man trotz fehlender Feststellung den Schuldner zwingen können, bei Vorliegen jeglichen Titels, Klage innerhalb der Frist des Abs. 2 zu erheben. Bei Versäumung der Frist wäre der Schuldner - ungeachtet der Tatsache, dass dies beispielsweise im Falle eines Vollstreckungsbescheids niemals gerichtlich überprüft worden ist - einer ausgenommenen Forderung ausgesetzt, deren Durchsetzung nach Erteilung der Restschuldbefreiung er nicht mehr verhindern könnte. Hiernach dürfte § 184 Abs. 2 InsO nur auf diejenigen Fälle beschränkt werden, bei denen auch die unerlaubte Handlung mit Titelwirkung festgestellt wurde (so wohl auch Münchener Kommentar - Schumacher, a. a. O., § 184 Rdnr. 8 b).
Das hätte vorliegend zur Folge, dass § 184 Abs. 2 InsO für den Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage entfalten würde, er sich mithin wegen des Zusatzes derzeit nicht gezwungen sehen würde, Klage zu erheben.
Dieser Auffassung vermag sich der Senat im Ergebnis nicht anzuschließen.
Der Wortlaut des § 184 Abs. 2 InsO geht über die oben geschilderte Ansicht hinaus und erlaubt auch im vorliegenden Fall die Erhebung der Klage. Abgesehen davon, dass die angeführten Fälle der Anmeldung von Forderungen aus unerlaubten Handlungen ohne entsprechendes Attribut im Titel oder Gründen ihrer Anzahl nach überschaubar sein dürften, wäre es unbillig, den Schuldner auf eine mögliche, dem Wortlaut des § 184 Abs. 2 InsO nach aber nicht zwingende positive Feststellungsklage des Gläubigers zur konkreten Feststellung des Schuldgrundes zu verweisen, da unklar ist, ob in einem späteren Zeitpunkt die dann herrschende Ansicht auch diese restriktive Auffassung vertritt. Wäre das nicht der Fall, liefe der Schuldner im Vollstreckungsverfahren Gefahr, mit Einwendungen gemäß § 767 Abs. 2 ZPO gerade wegen der neuen Regelung des § 184 Abs. 2 InsO ausgeschlossen zu sein. Für die höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfrage kann ein Rechtsschutzbedürfnis gerade im Prozesskostenhilfeverfahren nicht verneint werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2006 in FamRZ 2007, 1876 - Leitsatz 2 b. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Auflage 2009, § 114 Rdnr. 21 m. w. N.).
Da vor Reform des § 184 InsO anerkannt war, dass der Gläubiger gegen den Widerspruch des Schuldners auch zur Ergänzung einer titulierten Forderung im Wege der Feststellungsklage vorgehen konnte, kann nach der ab dem 1. Juli 2007 geltenden Rechtslage für den Schuldner im Falle des Vorliegens einer titulierten Forderung, die mit der Behauptung der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung als Forderungsanmeldung nach § 174 Abs. 2 InsO zur Insolvenztabelle geltend gemacht wird, nichts anderes gelten. Dem Schuldner muss in diesem Fall nach dem Wortlaut der Norm die Möglichkeit verbleiben, gegen den Gläubiger im Wege der negativen Feststellungsklage vorzugehen.
3. Der Antragsteller ist auch prozesskostenarm, was sich aus seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt:
Einkommen 1.806,00 EUR
Ausgaben
abzgl. Freibetrag des Antragstellers, § 115 Abs. 1 Nr. 4 ZPO: 386,00 EUR 386,00 EUR
abzgl. Freibetrag für Ehegatten, § 115 Abs. 1 Nr. 4. 386,00 EUR
abzgl. eigenes Einkommen 386,00 EUR
abzgl. Freibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder, § 115 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO: 266,00 EUR abzgl. eigenes Einkommen 266,00 EUR
abzgl. angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung 130,00 EUR
abzgl. Zins und Tilgungsraten auf Kredite, § 115 Abs. 1 Nr. 4 ZPO 418,00 EUR
Summe 1.586,00 EUR
verbleibt 220,00 EUR
Nach der Tabelle zu § 115 Abs. 2 ZPO ergibt sich bei einem einzusetzenden Einkommen von bis zu 250,00 EUR eine Monatsrate von 75,00 EUR.