Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 23.01.2007, Az.: 9 U 39/06
Rückführung eines im Zusammenhang mit der Giroabrede gewährten Kredits durch Saldierung im Kontokorrent und Vergleich der Kontostände zu Beginn und am Ende des Anfechtungszeitraums als anfechtbares inkongruentes Deckungsgeschäft
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 23.01.2007
- Aktenzeichen
- 9 U 39/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 56124
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2007:0123.9U39.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 18.08.2006 - AZ: 4 O 3127/05
- nachfolgend
- BGH - 27.03.2008 - AZ: IX ZR 29/07
Rechtsgrundlagen
- § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO
- § 355 Abs. 1 HGB
In dem Rechtsstreit
...
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
die Richter am Oberlandesgericht Dr. O..., A... und D...
auf die mündliche Verhandlung vom 16.01.2007
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 18.08.2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Autohaus O.... GmbH & Co KG, A... (im folgenden: Schuldnerin), die bei der Beklagten für Betriebsstätten in A... und L... jeweils ein Geschäftskonto zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs geführt hatte.
Ein Konto wies einen Monat vor Eingang des Insolvenzantrages einen Negativsaldo von 19.539,34 EUR und am Tag der Antragstellung (31.01.2002) einen Negativsaldo von 13.676,85 EUR auf. Die Beklagte zahlte an den Kläger hinsichtlich dieses Kontos die Differenz zwischen den genannten Kontoständen in Höhe von 5.862,49 EUR. Der niedrigste negative Kontostand im letzten Monat vor Eingang des Antrages belief sich auf 22.363,22 EUR.
Das andere Konto wies einen Monat vor Eingang des Insolvenzantrages einen Negativsaldo von 177.592,75 EUR und am Tag der Antragstellung einen Negativsaldo von 252.539,75 EUR auf. Der niedrigste negative Kontostand im letzten Monat vor Eingang des Antrages betrug 254.916,08 EUR. Hinsichtlich dieses Kontos erbrachte die Beklagte keine Zahlung an den Kläger.
Der Kläger hat die Klage auf die Rechtsprechung des BGH gestützt, nach der die Rückführung eines Negativsaldos auf einem Kontokorrentkonto im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags eine inkongruente Deckung i.S.d. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellt und deshalb anfechtbar ist. In diesem Zusammenhang hat er die Ansicht vertreten, dass für die Ermittlung des der Anfechtung unterliegenden Betrages der niedrigste Kontostand innerhalb des Anfechtungszeitraums maßgebend sei. Die Differenz zwischen diesem Betrag und dem Kontostand am Tag der Antragstellung sei aufgrund der Anfechtung zu erstatten. Dabei handele es sich hier um einen Betrag von insgesamt 11.062,70 EUR (8.686,37 EUR + 2.376,33 EUR).
Unter Berücksichtigung der von der Beklagten bereits erbrachten Zahlung von 5.862,49 EUR hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.200,21 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass zur Ermittlung des der Anfechtung unterliegenden Betrages die Kontostände zu Beginn des Anfechtungszeitraums und am Tag der Antragstellung gegenüber zu stellen seien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Feststellungen und der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens den in erster Instanz gestellten Antrag weiter verfolgt.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1.)
Das Landgericht hat ausgeführt:
"Dem Kläger steht gegen die Beklagte infolge Anfechtung kein (weiterer) Zahlungsanspruch nach den allein in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 143 Abs.1, 131 Abs.1 Nr.1 InsO zu.
Entgegen der klägerischen Ansicht ist für die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang eine Anfechtung bei Kontokorrentabreden durchgreift, nicht auf den Vergleich zwischen einem innerhalb des Monatszeitraums irgendwann vorliegenden niedrigsten Negativsaldo und dem Saldo am Tag der Antragstellung abzustellen.
(...)
Daher sind nur Verrechnungen, mit denen eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt wurden, im Ergebnis der Anfechtung unterstellt. Dies setzt nach Auffassung des erkennenden Gerichts aber zwingend voraus, nicht einen beliebigen Zeitpunkt als Ausgangslage auszuwählen, sondern den in§ 131 Abs.1 Nr.1 InsO genannten Monatsbeginn.
Anderenfalls würden nicht Zahlungseingänge und Auszahlungen über einen längeren Rechnungszeitraum Berücksichtigung finden, sondern nur einzelne oder gar nur ein Zahlungseingang eine anfechtbare Handlung darstellen können. Dann aber würden die Insolvenzgläubiger gegenüber der Bank bevorrechtigt werden, weil sie von den Auszahlungen profitieren, die die Bank zugelassen hat und so weitere Insolvenzforderungen entfallen sind. Für eine solche Bevorzugung ist keine Rechtfertigung ersichtlich.
Das Abstellen auf den Monatszeitraum führt im Gegensatz dazu, dass die Bank nur dasjenige infolge Anfechtung erstatten muss, was sie zur Tilgung eigener Forderungen verrechnet hat, weil es hierfür wiederum gegenüber den übrigen Gläubigern keine Rechtfertigung gibt. Dies entspricht im Ergebnis auch dem Ziel, das die Regelung von § 131 InsO verfolgt."
2.)
Die Entscheidung des Landgerichts lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers erkennen.
a)
Das Landgericht hat zutreffend den Anfechtungstatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO herangezogen und eine inkongruente Deckung angenommen, soweit eine Rückführung des im Zusammenhang mit der Giroabrede gewährten Kredits durch Saldierung im Kontokorrent erfolgt ist.
aa)
Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 07.03.2002 (NJW 2002, 1722 [1723 f.]) dazu - unter III. 2. b) - ausgeführt:
Auf Grund der Giro abrede ist die Bank berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und gutzuschreiben. Aus der Giroabrede folgt regelmäßig zugleich das Recht der Bank, bei einem debitorischen Girokonto den Sollsaldo zu verringern. Umgekehrt verpflichtet sich die Bank, Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen, sofern es eine ausreichende Deckung aufweist.
Zwar ist für die Abgrenzung der Kongruenz oder Inkongruenz von Sicherungen oder Befriedigungen allgemein maßgeblich, ob der Empfänger diese Art der Deckung zu beanspruchen hat. Dieses Kriterium ist dagegen bedeutungslos, solange und soweit die Annahme der Leistung nicht einer Deckung wegen eigener Forderungen des Empfängers dient, sondern seiner vorwiegend fremdnützigen Erfüllung von Vertragspflichten gegenüber sachlich betroffenen Auftraggebern.
Indem die Bank die Absprachen einhält und den Giroverkehr fortsetzt, handelt sie vertragsgemäß, also kongruent. Das setzt insbesondere voraus, dass sie den Kunden weiter in der vereinbarten Weise Verfügungen vornehmen lässt und ihm auch einen vertraglich eingeräumten Kreditrahmen offen hält. Dann bleibt dem Kunden die Möglichkeit, über Eingänge zu seinen Gunsten auch nach eigenem Ermessen wieder zu verfügen. Er allein entscheidet darüber, ob die Darlehensforderung der Bank im vereinbarten Rahmen anwächst oder geringer wird. Erst wenn die Bank Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt, kann sie mit Verrechnungen vertragswidrig, also inkongruent handeln, soweit dadurch im Ergebnis ihre Darlehensforderung vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt wird. Unter jener Voraussetzung kann sogar schon die - einseitige - Annahme und Verbuchung von Gutschriften im Kontokorrent innerhalb eines von der Anfechtung erfassten Zeitraums die spätere Kredittilgung durch Saldierung i.S. des § 131 InsO ermöglichen. Denn bereits die Herstellung einer Verrechnungslage ist geeignet, die Insolvenzgläubiger des Bankkunden zu benachteiligen. Dem gemäß hat der Senat für Verrechnungen, die im betroffenen Einzelfall zum Offenhalten einer Kreditlinie erfolgten, ausgesprochen, der Kontokorrentverkehr sei "vereinbarungsgemäß, also kongruent abgewickelt" worden. Auch in dem seinerzeit entschiedenen Fall hat er aber Verrechnungen, mit denen eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt wurden, im Ergebnis der Anfechtung unterstellt.
Der Entscheidung lässt sich nicht ausdrücklich entnehmen, wie der Betrag, durch den eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt wurden, zu berechnen ist. Die Besonderheiten einer Kontokorrentabrede und der Regelungszweck des § 131 InsO gebieten aber eine Auslegung, wie sie vom Landgericht vorgenommen wurde - also den Vergleich der Kontostände zu Beginn und am Ende des Anfechtungszeitraums.
Durch die Kontokorrentabrede werden die einzelnen Gut- und Lastschriften - mit dem Ziel der Verrechnung und Saldofeststellung - in einer einheitlichen Rechnung zusammengefasst. Solange die Verrechnung nicht stattgefunden hat, stehen die aus Ein- und Ausgängen herrührenden einzelnen Posten einander im Kontokorrent gleichwertig gegenüber. Eine Tilgung tritt gemäß § 355 Abs. 1 HGB erst mit dem periodischen Rechnungsabschluss ein (vgl. BGH a.a.O., S. 1723).
Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten und des Zwecks der Anfechtungsregeln in §§ 129 ff. InsO - nämlich Benachteiligungen der Insolvenzgläubiger zu verhindern - wäre es verfehlt, auf den niedrigsten Kontostand während des Anfechtungszeitraums abzustellen und die Differenz zwischen diesem Betrag und dem (höheren) Kontostand am Tag der Antragstellung als den der Anfechtung unterliegenden Betrag anzusehen. Dies würde dem auf periodische Verrechnung ausgelegten Kontokorrentverhältnis nicht gerecht. Eine angemessene Lösung wird vielmehr dann erreicht, wenn man die Kontostände zu fest vorgegebenen Daten miteinander vergleicht. Das entspricht auch dem Regelungsgehalt der §§ 130 bis 132 InsO, die jeweils Rechtshandlungen innerhalb bestimmter Zeiträume (ein, zwei oder drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens) der Anfechtung unterstellen. Eine vereinzelter Kontostand bzw. eine Buchung im Rahmen eines Kontokorrentverhältnisses kann nicht als Rechtshandlung im Sinne der Vorschriften angesehen werden. Es kommt vielmehr auf den Saldo der Buchungen während des Anfechtungszeitraums an.
Würde dagegen generell der niedrigste Kontostand innerhalb des Anfechtungszeitraums als Vergleichsmaßstab festgelegt, bestünde die Gefahr, dass einzelne Verfügungen für die Erstattungspflicht der Bank maßgeblich sind, die nur ganz vorübergehend zu einer stärkeren Inanspruchnahme des Kredits geführt haben und üblicherweise kurz darauf ausgeglichen werden. Damit wären die Kreditinstitute - wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt - gegenüber anderen Insolvenzgläubigern benachteiligt. Deren Interessen gebieten auch keine Auslegung im Sinne der Argumentation des Klägers, denn sie werden gerade dadurch begünstigt, dass die Bank weiterhin Verfügungen zur Erfüllung von Zahlungspflichten der Schuldner zulässt, die dann zu einer - vorübergehenden - Verringerung des Kontostandes führen.
bb)
Ohne Erfolg verweist der Kläger auf das Urteil des OLG Celle vom 02.02.2005 (NZI 2005, 334 f. [OLG Celle 02.02.2005 - 3 U 287/04]). Die Frage, welcher Kontostand innerhalb des Anfechtungszeitraums maßgeblich ist, wird in der Entscheidung nicht ausdrücklich behandelt. Allein aus der Tatsache, dass - bei Insolvenzantragstellung am 20.06.2002 - auf den Negativsaldo am 12.06.2002 abgestellt wird, lässt sich nichts herleiten. Aus der Sachverhaltsdarstellung im Urteil (auch im Volltext, der dem Senat vorliegt) ergibt sich nicht, wie der Kontostand einen Monat vor Antragstellung war. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG Celle auf den Negativsaldo vom 12.06.2002 nur deshalb abgestellt hat, weil kein anderer Kontostand vorgetragen war und nicht etwa, weil es den niedrigsten Kontostand während des Anfechtungszeitraums für maßgeblich hielt. Abgesehen davon enthält das Urteil auch keine Ausführungen, die sich konkret auf die Rechtsauffassung des Klägers beziehen.
b)
Eine Anfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO kommt nicht in Betracht. Zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bzw. zu einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten wurde nichts vorgetragen. Deswegen muss auch der Aspekt des Bargeschäfts gemäß § 142 InsO und die Frage, auf welchem Kontostand in diesem Zusammenhang abzustellen ist (vgl. BGH, a.a.O., S. 1725 a. E.), nicht erörtert werden. Denn die Vorschrift des § 142 InsO kommt nur bei Vorliegen einer kongruenten, nicht aber bei einer inkongruenten Deckung (§ 131 InsO) zur Anwendung (vgl. BGH, a.a.O., S. 1724 unter II. 3.; Kreft in: Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 142 Rn. 8, 9 m.w.N.).
3.)
Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen vor.