Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.03.2022, Az.: 2 B 6/22

Betrachtungsweise, typisierende; Gebietserhaltungsanspruch; Geruchsbelästigung; Gewerbegebiet; Nachbarschutz; Rücksichtnahmegebot; Sonderbau; Ungeziefer

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.03.2022
Aktenzeichen
2 B 6/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59838
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Frage, ob ein Vorhaben im Sinne von § 8 Abs. 1 BauNVO erheblich belästigend wirkt, ist nach einer abstrakten, typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen (hier: immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Halle zur Zwischenlagerung nicht gefährlicher Abfälle). Dies schließt es aus, die Frage der Wesentlichkeit der Störung nach der Art der vorhandenen Bebauung in der Nachbarschaft der beabsichtigten gewerblichen Nutzung (hier: lebensmittelverarbeitender Betrieb) zu beurteilen (wie BVerwG, Urteil vom 21.02.1986 - 4 C 31/83 -).

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Halle zur Lagerung und zum Umschlag von Abfällen.

Die Antragstellerin betreibt auf dem Grundstück A-Straße in A-Stadt eine Großbäckerei. Am 30.09.2020 beantragte die Beigeladene beim Antragsgegner die Erteilung einer Genehmigung zum Neubau einer Halle zur Lagerung und zum Umschlag von bis zu 99 Tonnen nicht gefährlicher Abfälle (Leichtverpackungen - sog. Gelbe Säcke des Dualen Systems -, Papier und Pappe, Verpackungen aus Papier, Sperrmüll). Das Vorhaben soll auf dem Grundstück G. straße 6 in A-Stadt (Gemarkung A-Stadt, H., Flurstück I.) realisiert werden, das eine Größe von 5.500 m² hat und im westlichen Teil des Grundstücks der Antragstellerin nördlich an dieses angrenzt. Die Halle soll im südlichen Grundstücksbereich auf einer Fläche von 612 m² errichtet werden. Sie soll im Süden, Osten und Westen geschlossen und in Richtung Norden offen sein. Die Abfälle sollen als lose Schüttung in innenliegenden Boxen gelagert werden. Eine Behandlung der Abfälle soll nur im Rahmen der Zusammenstellung von Transporteinheiten sowie der Sortierung mittels Bagger zur Entnahme von Fehlwürfen, Störstoffen und einfach greifbaren Wertstoffen erfolgen.

Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Gemeinde A-Stadt Nr. 1 B „Gewerbegebiet“, Teilplan Nord, der seit 1983 rechtsverbindlich und bisher dreimal geändert worden ist. Nach dem Bebauungsplan liegen der Betrieb der Antragstellerin und das geplante Vorhaben der Beigeladenen in einem Gewerbegebiet (GE). Weitere Regelungen zur Art der baulichen Nutzung enthält der Plan nicht.

Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens verpflichtete sich die Beigeladene unter dem 08.12.2020, eine regelmäßige Schädlingsbekämpfung durchführen zu lassen. Der Antragsgegner holte eine Stellungnahme des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Göttingen vom 07.12.2020 ein, in der sich das Amt mit der Abfalllagerung und dem Immissionsschutz (Lärm- und Geruchsimmissionen) befasste. Wegen des Inhalts dieser Stellungnahme wird auf Blatt 51 ff. der Beiakte 005 Bezug genommen. Die Beigeladene legte eine Immissionsprognose des Unternehmens „argusim UMWELT CONSULT“ des Gutachters André Förster zur Ermittlung der Staub- und Geruchssituation vom 26.08.2020 vor, wegen deren Inhalts auf Blatt 73 ff. der Baugenehmigungsakte Bezug genommen wird.

Nach Durchführung eines vereinfachten Verfahrens genehmigte der Antragsgegner das Vorhaben der Beigeladenen durch Baugenehmigung vom 21.12.2020, wobei er die Stellungnahme des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Göttingen zum Bestandteil der Baugenehmigung machte. In einer „Nebenbestimmung Veterinär“ führte er aus, durch die Lagerung und den Umschlag von Abfällen könne es zum vermehrten Auftreten von Ratten und Mäusen kommen. Entsprechend ihrer Erklärung vom 08.12.2020 werde die Beigeladene daher verpflichtet, auf den Außenflächen ihres Grundstücks eine regelmäßige Bekämpfung der Tiere durch einen zugelassenen Schädlingsbekämpfer durchzuführen.

Am 15.03.2021 legte die Antragstellerin gegen die ihr am 15.02.2021 bekannt gewordene Baugenehmigung Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, bei einer Realisierung des Vorhabens der Beigeladenen wäre zwangsläufig ein vermehrtes Ratten- und Mäuseaufkommen zu erwarten. Nachdem kürzlich auf dem Vorhabengrundstück Böschungen gerodet worden seien, sei eine riesige Rattenpopulation freigesetzt worden. Dies habe dazu geführt, dass man zwischen November 2020 und Januar 2021 die regelmäßig durchgeführte Schädlingsbekämpfung habe kostenaufwändig intensivieren müssen. Als lebensmittelverarbeitender Betrieb halte sie höchste Hygienestandards ein. In Sachen Schädlingsbekämpfung arbeite sie mit der „IBO Schädlingsbekämpfungs- und Desinfektions GmbH“ zusammen und unterliege der Kontrolle durch das Amt für Verbraucherschutz. Die eigenen Bemühungen um Schädlingsprävention würden durch das zu erwartende vermehrte Aufkommen von Ratten und Mäusen infolge der Errichtung der Abfalllagerstätte unzumutbar erschwert. Dies begründe die Gefahr höherer Kosten und sogar einer Betriebsstillegung bzw. eines Standortverlusts. Sie dürfe als alteingesessener Betrieb auf Standortsicherheit vertrauen und habe in Bezug auf Schädlinge eine schutzwürdigere Stellung als andere Gewerbebetriebe. Sie könne daher in erhöhtem Maß Rücksicht und Schutz vor Betrieben verlangen, die vermehrt Schädlinge anlockten. Bei Realisierung des Vorhabens der Beigeladenen seien auch erheblich belästigende Geruchsimmissionen zu erwarten. Es handele sich daher insgesamt um ein erheblich belästigendes Vorhaben, das im Gewerbegebiet unzulässig sei und gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Weil es Schädlinge anziehe, verstoße es auch gegen § 13 der Nds. Bauordnung (NBauO). Außerdem verletze es § 3 Abs. 1 Satz 2 NBauO, weil es unzumutbare Belästigungen durch Gerüche und Ungeziefer verursache. Insbesondere wären ihr die gesteigerten Kosten für die Schädlingsbekämpfung und die Unsicherheiten bezüglich der Einhaltung der Hygienestandards nicht zuzumuten. Die Behörde könne diese Vorschriften auch im vereinfachten Verfahren prüfen, weil sie nicht an das in diesem Verfahren vorgesehene eingeschränkte Prüfprogramm gebunden sei, wenn sie einen Widerspruch zum öffentlichen Baurecht feststelle. Schließlich verstoße das Vorhaben auch gegen § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), weil es schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Gerüchen hervorrufe. Da sich nicht ausschließen lasse, dass die Gesamtlagerkapazität der geplanten Halle 100 Tonnen oder mehr erreiche, wäre ein Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG durchzuführen gewesen.

Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens holte der Antragsgegner weitere Stellungnahmen des Gewerbeaufsichtsamts vom 30.03.2021 (Beiakte 001, Bl. 20 f.), vom 27.07.2021 (Beiakte 004, Bl. 113 f.) und vom 09.09.2021 (Beiakte 001, Bl. 28) sowie des Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz vom 31.03.2021 (Beiakte 001, Bl. 22) ein. Außerdem verfasste der Gutachter Förster unter dem 09.07.2021 einen Nachtrag zu seiner Immissionsprognose, in dem er zu den Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf die Büronutzung unter anderem im Betrieb der Antragstellerin Stellung nahm (Baugenehmigungsakte, Bl. 148 ff.). Auf den Inhalt dieser Stellungnahmen wird Bezug genommen.

Durch einen an die Beigeladene gerichteten Änderungsbescheid und einen an die Antragstellerin adressierten sog. „Teilabhilfebescheid“ vom 08.12.2021 ergänzte der Antragsgegner die Baugenehmigung vom 21.12.2020 um eine Nebenbestimmung und verpflichtete die Beigeladene, auf der Grundlage eines zu dokumentierenden Ungezieferbekämpfungsplans systematisch präventiv gegen Vögel, Nager, Insekten und anderes Ungeziefer vorzugehen. Des Weiteren machte er die Immissionsprognose des Gutachters Förster einschließlich des Nachtrags zum Bestandteil der Baugenehmigung. Zur Begründung führte er aus, er sei nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens zu der Überzeugung gelangt, dass die Regelung zur Schädlingsbekämpfung ursprünglich nicht ausreichend gewesen sei, was zur Ergänzung der hierauf bezogenen Nebenbestimmung geführt habe. Zudem werde die Immissionsprognose einbezogen, wonach sich die Geruchsbelastung durch das geplante Vorhaben innerhalb des in Gewerbegebieten zulässigen Werts von bis zu 15% der Jahresstunden halte. Darüber hinaus werde der Widerspruch der Antragstellerin zurückgewiesen. Die geplante Anlage bedürfe keiner Genehmigung nach dem BImSchG. Sie unterliege im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nur einem eingeschränkten Prüfprogramm. Die geplante Anlage sei im Gewerbegebiet zulässig. Der Bebauungsplan enthalte insoweit keine weitergehenden Einschränkungen. Einen Milieuschutz gewährleiste das Bauplanungsrecht nicht. Es handele sich um einen nicht erheblich belästigenden Betrieb, der das Rücksichtnahmegebot nicht verletze. Soweit die Antragstellerin auf Belästigungen durch Schädlinge abstelle, seien diese bereits vorhanden und würden durch die Antragstellerin selbst bekämpft. Nach den Stellungnahmen des Gewerbeaufsichtsamts und des Veterinäramts sei nicht zu erwarten, dass die Steigerung des Aufkommens an Schadnagern unzumutbar sei. Insbesondere sei nicht ausreichend dargelegt, dass durch die Ansiedlung des Vorhabens mehr Schädlinge angelockt würden, als dies im Fall der Ansiedlung eines weiteren Lebensmittelbetriebs der Fall wäre. Durch die jetzt beigefügte Nebenbestimmung werde die Beigeladene wirksam zur Schädlingsbekämpfung verpflichtet.

Unter dem 30.08.2021 teilte die Beigeladene mit, die IBO GmbH werde künftig auch für sie tätig. Hierzu legte sie ein Schreiben der IBO GmbH vom 26.08.2021 und ein Angebot vor, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Beiakte 004, Bl. 131 f.).

Am 05.01.2022 hat die Antragstellerin Klage erhoben (2 A 5/22) und zugleich vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihren Widerspruchsvortrag. Ergänzend macht sie geltend, die in den Widerspruchsbescheid aufgenommene Nebenbestimmung sei nicht bestimmt genug und nicht geeignet, einen Schädlingsbefall effektiv zu verhindern. Insbesondere wirke sie nicht präventiv und es sei unklar, nach welchen Kriterien und in welchen Zeitintervallen die Schädlingsbekämpfung erfolgen müsse. Ungeklärt sei auch, wie lange die Müllsäcke in der Halle liegen würden. Eine längere Lagerung würde Ratten und Mäusen die Gelegenheit zur Einnistung geben.

Am 15.03.2021 hat die Antragstellerin beim Antragsgegner gemäß §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 4 VwGO beantragt, die Vollziehbarkeit der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung bis zu deren Unanfechtbarkeit auszusetzen. Diesen Antrag hat der Antragsgegner durch Bescheid vom 07.12.2021 abgelehnt.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (2 A 5/22) anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und verweist nochmals auf sein eingeschränktes Prüfprogramm im vereinfachten Verfahren. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Vorhabens sei nicht nötig, da die geplante Anlage eine Kapazität von weniger als 100 Tonnen habe. Die Nebenbestimmung sei mit der Verpflichtung zur Durchführung eines Schädlings-Monitorings geeignet und hinreichend bestimmt.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, das Vorhaben sei als nicht erheblich störender Gewerbebetrieb im Gewerbegebiet zulässig. Es sei nicht nach dem BImSchG genehmigungspflichtig und verletze keine subjektiven Rechte der Antragstellerin. Insbesondere verursache es laut Gutachten keine unzumutbaren Geruchsbelästigungen. Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen befürchteten Schädlingsbefalls berufen. Dies werde durch die der Baugenehmigung beigefügte Nebenbestimmung ausgeschlossen, die geeignet und hinreichend bestimmt sei. Sie - die Beigeladene - habe zur Schädlingsbekämpfung eine Verpflichtungserklärung abgegeben und einen Vertrag mit einem Schädlingsbekämpfungsunternehmen abgeschlossen. Dabei handele es sich um dasselbe Unternehmen, dem auch die Antragstellerin vertraue. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass auch der Betrieb der Antragstellerin selbst Ungeziefer anziehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

Er ist nach § 80a Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 212a BauGB statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Antragstellerin vor Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes das nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 6 VwGO erforderliche behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Absatz 4 VwGO erfolglos durchlaufen. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Abzuwägen ist das Interesse des Nachbarn am vorläufigen Unterbleiben der Bebauung gegen das Interesse des Bauherrn an der Fertigstellung des Vorhabens. Dabei kommt es im Regelfall darauf an, ob dem Nachbarwiderspruch bzw. der Nachbarklage hinreichende Erfolgsaussichten beizumessen sind, ob also die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.03.2011 - 7 ME 97/10 -, juris, Rn. 16, m.w.N.) durch das Bauvorhaben offensichtlich ist. Hier hat die Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es verbleibt daher bei der in §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a BauGB vorgenommenen Wertung, wonach ein besonderes Vollzugsinteresse besteht.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Da die geplante Lagerhalle nicht zu den Sonderbauten (§ 2 Abs. 5 NBauO) zählt, war das vereinfachte Genehmigungsverfahren (§ 63 NBauO) durchzuführen.

Die Halle unterfällt insbesondere nicht § 2 Abs. 5 Satz 2 NBauO, wonach auch die nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen baulichen Anlagen Sonderbauten sind, denn sie unterliegt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht der Genehmigungspflicht nach dem BImSchG. Zwar bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, in denen eine Entsorgung von Abfällen durchgeführt wird, gemäß 35 Abs. 1 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) der Genehmigung nach den Vorschriften des BImSchG. Da es sich dabei jedoch um eine Rechtsgrundverweisung handelt, ist für die Reichweite des Genehmigungsvorbehalts ausschließlich § 4 Abs. 1 BImSchG maßgeblich. Nach dessen Satz 1 bedürfen ortsfeste Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Im konkreten Einzelfall ergibt sich die Genehmigungsbedürftigkeit allerdings nicht aus der allgemeinen Beschreibung des § 4 Abs. 1 BImSchG, sondern daraus, ob der jeweilige Anlagentyp im Anhang zur 4. BImSchV (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG) aufgelistet ist (Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 4 Rn. 4). Die dortige Aufzählung ist abschließend; eine Anlage, die keiner der dort aufgeführten Kategorien zugeordnet werden kann, ist immissionsschutzrechtlich genehmigungsfrei (Wasielewski in von Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Stand: Januar 2022, § 35 KrWG Rn. 22). Dies gilt auch für das hier streitige Vorhaben. Die geplante Halle soll der Lagerung nicht gefährlicher Abfälle dienen. Der Terminus Lagerung bezeichnet ein (vorübergehendes) Zwischenlagern von Abfällen vor ihrer weitergehenden Behandlung oder ihrer endgültigen Ablagerung (Jarass, a.a.O. Rn. 8a; Wasielewski, a.a.O. Rn. 25). Bei den Abfällen, die in der Halle gelagert werden sollen, handelt es sich nicht um gefährliche Abfälle i.S.v. § 48 KrWG. In diesem Sinne gefährlich sind gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis (AVV) Abfallarten, deren Abfallschlüssel im Abfallverzeichnis (Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV) mit einem Sternchen (*) versehen sind. Dies ist bei den hier in Rede stehenden Abfällen nicht der Fall (Nr. 15 01 02, 15 01 04, 15 01 05 und 15 01 06: Verpackungen einschließlich getrennt gesammelter kommunaler Verpackungsabfälle aus Kunststoff, Metall, Verbundverpackungen, gemischte Verpackungen; Nr. 15 01 01 und 20 01 01: Papier und Pappe; Nr. 20 03 07: Sperrmüll). Gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anhang 1 Nr. 8.12.2 der 4. BImSchV bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur zeitweiligen Lagerung nicht gefährlicher Abfälle mit einer Gesamtlagerkapazität von 100 Tonnen oder mehr der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Vorliegend ist die zulässige Kapazität der Lagerhalle jedoch sowohl im Genehmigungsantrag als auch in der Genehmigung (durch Einbeziehung der Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamts Göttingen vom 07.12.2020) auf bis zu 99 Tonnen beschränkt worden. Die Anlage unterliegt deshalb lediglich dem baurechtlichen, nicht jedoch dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsvorbehalt.

Anderes gilt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht deshalb, weil anzunehmen sei, dass die Beigeladene die Lagerkapazität über den genehmigten Umfang hinaus ausdehnen werde. Sollte sie dies tatsächlich tun - wofür kein Anhaltspunkt besteht -, so würde dies nicht das Genehmigungsverfahren und die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung, sondern die Frage eines bauaufsichtlichen Einschreitens wegen eines Abweichens vom Inhalt der Genehmigung berühren. Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Im vereinfachten Genehmigungsverfahren wird der Umfang der behördlichen Prüfpflicht gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 NBauO durch ein eingeschränktes und abschließendes Prüfprogramm bestimmt. Die Bauaufsichtsbehörde prüft die Bauvorlagen nur auf ihre Vereinbarkeit mit dem städtebaulichen Planungsrecht, bestimmten Vorschriften der NBauO und den sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 17 NBauO. Daran ändert nichts, dass sie im Einzelfall - worauf die Antragstellerin abstellt - nicht gehindert ist, ausnahmsweise weitergehende baurechtliche Anforderungen in ihre Prüfung einzubeziehen. Diese Befugnis, über das eingeschränkte Prüfprogramm hinauszugehen, kann bestehen, wenn die Bauaufsichtsbehörde bemerkt, dass das Vorhaben einer aus dem Programm ausgeschlossenen Bestimmung des öffentlichen Rechts in einer Weise widerspricht, die nach Erteilung der Genehmigung sogleich ein bauaufsichtliches Einschreiten erfordern würde. Eine über § 63 Abs. 1 Satz 2 NBauO hinausgehende Prüfpflicht wird hierdurch nicht begründet (vgl. Stiel/Lenz in Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 63 Rn. 13 f.).

Verstöße gegen das städtebauliche Planungsrecht, soweit es Nachbarschutz entfaltet, sind nicht ersichtlich.

Die Grundstücke sowohl der Antragstellerin als auch der Beigeladenen liegen in einem Bereich, für den der Bebauungsplan der Gemeinde A-Stadt Nr. 1 B „Gewerbegebiet“, Teilplan Nord, ein Gewerbegebiet (GE) festgesetzt hat. Der Eigentümer eines Grundstücks im festgesetzten Gewerbegebiet kann sich kraft Bundesrecht auf einen Abwehranspruch gegen die Zulassung einer nicht gebietsverträglichen Nutzung berufen. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ wird direkt durch den Bebauungsplan vermittelt und ist unabhängig von einer tatsächlichen Belästigung. Er wird also schon durch die bloße Zulassung einer gebietsfremden Nutzung ausgelöst und soll den Nachbarn unabhängig von einer unzumutbaren Beeinträchtigung vor einer schleichenden Umwandlung des Gebietscharakters schützen (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007 - 4 B 55/07 -, juris Rn. 5 m.w.N. und Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28/91 - juris Rn. 10 ff.; Pützenbacher in Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, beck-online, § 8 Rn. 49).

Der Bebauungsplan der Gemeinde A-Stadt setzt für den fraglichen Bereich ein Gewerbegebiet fest, ohne dass seine zeichnerischen Darstellungen oder seine Begründung darauf hinweisen, dass der Plangeber diese Festsetzung hinsichtlich der Art der Nutzung näher konkretisieren oder einschränken wollte. Gemäß § 8 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung in der vom 01.10.1977 bis zum 31.12.1986 geltenden Fassung (BauNVO 1977) dienen Gewerbegebiete vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Zulässig sind gemäß Abs. 2 Nr. 1 der Norm Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe, soweit diese Anlagen für die Umgebung keine erheblichen Nachteile oder Belästigungen zur Folge haben können. Die Norm ist in der genannten Fassung auf den 1983 in Kraft getretenen Bebauungsplan anwendbar. Durch spätere Fassungen der BauNVO wurden die vorhergehenden Fassungen nicht aufgehoben, sodass sie für die in ihrem Geltungszeitraum aufgestellten oder geänderten Bauleitpläne unverändert fortgelten (Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, Einführung S. 2).

Der Katalog des § 8 Abs. 2 BauNVO deutet dabei auf eine vom Grundsatz her sehr offene Gebietsstruktur hin. Die Kategorie "Gewerbebetriebe aller Art" umfasst ihrem Wortlaut nach sämtliche gewerblichen Nutzungen, die mit Rücksicht auf das Wohnen wegen ihres Störgrads nicht mehr ohne Weiteres mischgebietsverträglich sind, ohne andererseits so erheblich zu belästigen, dass sie nur in einem Industriegebiet verwirklich werden können. Die Vielgestaltigkeit, durch die Gewerbegebiete gekennzeichnet sind, äußert sich gerade in der typischen Funktion, neben Betrieben des produzierenden und des verarbeitenden Gewerbes auch Betrieben des Dienstleistungsgewerbes sowie weiteren gewerblichen Nutzungen wie Lagerhäusern und Lagerplätzen und Tankstellen als Standort zu dienen (BVerwG, Beschluss vom 08.11.2004 - 4 BN 39/04 -, juris Rn. 21). Eine Lagerhalle, die einem gewerblichen Betrieb zur Zwischenlagerung nicht gefährlicher Abfälle dienen soll, gehört zu den Nutzungen, die von ihrer Art her - vorbehaltlich der Frage der erheblichen Belästigung, siehe sogleich - ohne Weiteres im Gewerbegebiet zulässig sind.

Die Antragstellerin kann auch nicht mit Erfolg vortragen, bei der geplanten Anlage handele es sich um ein Vorhaben, dass wegen seines erheblichen Störgrads im Gewerbegebiet unzulässig wäre und in ein Industriegebiet gehöre. Die Frage, ob ein Vorhaben erheblich belästigend wirkt, ist nach einer abstrakten, typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Entscheidend ist - anders als z. B. bei § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO - also nicht, ob ein Vorhaben die umliegenden Nutzungen tatsächlich belästigt, sondern ob es seiner Art nach mit dem Gebietstypus Gewerbegebiet in Einklang zu bringen ist. Dieser typisierenden Betrachtungsweise liegt der Gedanke zugrunde, dass im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Grunde jedes Baugrundstück für jede nach dem Nutzungsartenkatalog der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung in Betracht kommen können soll, ohne dass dies zu Unverträglichkeiten führt. Dies schließt es aus, die Frage der Wesentlichkeit der Störung nach der Art der vorhandenen Bebauung in der Nachbarschaft der beabsichtigten gewerblichen Nutzung zu beurteilen, denn dann könnte die gesetzlich definierte Eigenart des im Bebauungsplan festgesetzten Gebiets verfälscht und die Nutzbarkeit der Grundstücke in der Nachbarschaft vorbelastet werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26.03.2019 - 4 BN 21/19 -, juris Rn. 8, und vom 27.06.2018 - 4 B 10/17 -, juris Rn. 8, sowie Urteil vom 21.02.1986 - 4 C 31/83 -, juris Rn. 13 f.; Fickert/Fieseler, a.a.O., Vorbem. §§ 2-9 und 12-14, Rn. 9 f.; Pützenbacher in Bönker/Bischopink, a.a.O., Rn. 62 ff.).

Dies zugrunde gelegt, wirkt die von der Beigeladenen im Rahmen ihrer gewerblichen Betätigung auf dem Grundstück geplante Nutzung nicht erheblich belästigend. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich um eine Anlage, deren genehmigte Nutzung und Kapazität unterhalb der Genehmigungsschwelle nach der 4. BImSchV liegt, und damit um eine von ihrem Störungspotenzial vergleichsweise weniger bedeutende Lagerhalle. Zwar ist die Zulässigkeit von Anlagen in den Baugebieten gemäß § 15 Abs. 3 BauNVO nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des BImSchG und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen. Die Unterschreitung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsschwelle kann jedoch bei der Beurteilung der Frage der erheblichen belästigenden Wirkung als gewichtiger Anhaltspunkt herangezogen werden (Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rn. 33). Des Weiteren dient die Halle der Zwischenlagerung nicht gefährlicher Verpackungs- und Siedlungsabfälle. Eine Behandlung der Abfälle findet - mit den oben genannten Ausnahmen, die vernachlässigt werden können - nicht statt. Die Halle ist zudem an den drei Seiten geschlossen, die unmittelbar anderen gewerblichen Nutzungen (einschließlich des Betriebs der Antragstellerin) zugewandt sind. Abgesehen von den von der Antragstellerin befürchteten Auswirkungen des Betriebs der Halle im konkreten Einzelfall, die wesentlich mit der Eigenschaft der Antragstellerin als lebensmittelverarbeitender Betrieb zusammenhängen und nach dem oben Gesagten im Rahmen dieser Prüfung außer Betracht bleiben, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben bei typisierender Betrachtungsweise nicht in einem Gewerbegebiet, sondern nur in einem Industriegebiet zulässig wäre.

Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das drittschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, wie es in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO seinen Niederschlag gefunden hat. Die Vorschrift soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 29.11.2012 - 4 C 8/11 -, juris Rn. 16, und vom 18.11.2004 - 4 C 1/04 -, juris Rn. 22). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, Beschluss vom 12.09.2013 - 2 CS 13.1351 -, juris Rn. 6; VG München, Beschluss vom 27.08.2018 - M 8 SN 18.3539 -, juris Rn. 53).

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ist nach summarischer Prüfung nicht im Hinblick auf die Sorge der Antragstellerin zu erwarten, die von der Beigeladenen geplante Nutzung werde zu einem unzumutbar erhöhten Aufkommen von Ratten und Mäusen führen. Soweit die Antragstellerin mitteilt, dass auf dem Grundstück der Beigeladenen beim Entfernen von Böschungen eine „riesige Rattenpopulation“ freigesetzt worden sei, ist ihr bereits entgegenzuhalten, dass die Existenz dieser Tiere nicht in einen Zusammenhang mit der beabsichtigten Nutzung zu bringen sind. Die Beigeladene hat unwidersprochen vorgetragen, dass Ratten und Mäuse bisher auf ihrem Grundstück „keinerlei Nahrung gefunden“ hätten. Es kann dahinstehen, ob die vorhandene Rattenpopulation sich von den auf den Grundstücken der umliegenden lebensmittelverarbeitenden Betriebe und damit auch auf dem Grundstück der Antragstellerin anfallenden Abfällen ernährt haben. Jedenfalls war diese Population nicht durch die Beigeladene bzw. die Nutzung ihres Grundstücks veranlasst.

Allerdings geht auch die Kammer nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahmen des Gewerbeaufsichtsamts Göttingen und des Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz des Antragsgegners davon aus, dass die Lagerung von „Gelben Säcken“ auf dem Grundstück der Beigeladenen zu einem möglicherweise nicht unerheblich erhöhten Aufkommen von Schadnagern führen wird. Die in den Säcken gesammelten Lebensmittelverpackungen sind erfahrungsgemäß oft nicht gereinigt und weisen deshalb Anhaftungen auf, die Ratten und Mäusen anziehen werden. Es bestehen jedoch keine durchgreifenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Steigerung des Aufkommens an Nagern dazu führen wird, dass die Aufwendungen der Antragstellerin für die Schädlingsbekämpfung in unzumutbarem Umfang wachsen oder dass sogar ihr Standort gefährdet ist. Der Antragsgegner hat dem Widerspruch der Antragstellerin in seinem Widerspruchsbescheid vom 08.12.2021 insoweit abgeholfen, als er die der Beigeladenen hinsichtlich der Schädlingsbekämpfung gemachten Vorgaben konkretisiert und der Baugenehmigung eine Nebenbestimmung beigefügt hat, wonach sie auf der Grundlage eines zu dokumentierenden Ungezieferbekämpfungsplans systematisch präventiv gegen Vögel, Nager, Insekten und anderes Ungeziefer vorzugehen hat. Mit dieser Vorgabe hat er ein geeignetes Mittel gewählt, um die von der Anlage der Beigeladenen ausgehenden Beeinträchtigungen durch Ungeziefer wirksam einzudämmen (vgl. zur Schädlingsbekämpfung im Zusammenhang mit dem Rücksichtnahmegebot: Nds. OVG, Beschlüsse vom 10.08.2000 - 1 M 760/00 -, juris Rn. 19, und vom 01.10.2001 - 1 MB 2256/01 -, V.n.b., Beschlussabschrift S. 9 f.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2021 - 9 L 103/21 -, juris Rn. 31; VG Oldenburg, Urteil vom 23.01.2003 - 4 A 984/01 -, juris Rn. 20). Die Nebenbestimmung ist auch nicht zu unbestimmt, denn sie gibt der Beigeladenen ein präventives Vorgehen auf und verpflichtet sie, hierzu einen Ungezieferbekämpfungsplan erstellen zu lassen. Bereits in der ursprünglichen Baugenehmigung war ihr aufgegeben worden, die Maßnahmen durch einen zugelassenen Schädlingsbekämpfer durchführen zu lassen (sog. „Nebenbestimmung Veterinär“, die von der Änderung nicht berührt wird und weiterhin gilt). Entsprechend hat die Beigeladene die Regelungen auch verstanden. Sie hat die IBO GmbH, deren Dienstleistungen auch die Antragstellerin und weitere benachbarte lebensmittelverarbeitende bzw. -lagernde Unternehmen in Anspruch nehmen, mit der Durchführung der Ungezieferbekämpfung beauftragt. Die IBO GmbH hat ein Angebot zu einem regelmäßigen Schadnager-Monitoring und zur Ausstattung der Halle mit Rattenköderboxen zur befallsunabhängigen Dauerbeköderung sowie mit Klebeflächen gegen Insektenbefall vorgelegt, auf dessen Grundlage sie am 04.02.2022 einen Vertrag mit der Beigeladenen geschlossen hat (Gerichtsakte Bl. 99 f.). Die Beauftragung dieses Unternehmens durch sowohl die Beigeladene als auch die umliegenden Betriebe ist deshalb besonders vorteilhaft, weil sie eine Abstimmung verschiedener Schädlingsbekämpfer über die Art der vorhandenen Schädlinge und die Art der eingesetzten Wirkstoffe sowie deren Dosierung (Gefahr der Unterdosierung bzw. einer Resistenzbildung, vgl. die Stellungnahme des Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz vom 31.03.2021, Beiakte 001 Bl. 25) entbehrlich macht und somit besonders effektiv ist.

Auf eine Beeinträchtigung durch Insekten stellt die Antragstellerin selbst nicht ab, vielmehr hält sie deren Einbeziehung in die Nebenbestimmung in ihrem Schriftsatz vom 18.01.2022 (S. 13) für überdenkenswürdig. Es kann jedoch dahinstehen, ob eine mögliche Beeinträchtigung durch Insekten überhaupt Gegenstand der Prüfung im vorliegenden Verfahren sein soll. Jedenfalls wird den insoweit geäußerten Bedenken des Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz in der Stellungnahme vom 31.01.2021 durch die Aufnahme in die Nebenbestimmung und in den Katalog der von der Firma IBO zu erfüllenden Aufgaben Rechnung getragen.

Schließlich ist das Rücksichtnahmegebot auch nicht im Hinblick auf die befürchteten Geruchsimmissionen verletzt. Die Beigeladene beabsichtigt die Errichtung und den Betrieb einer nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage. Derartige Anlagen sind gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BImSchG so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG alle Immissionen (und damit auch Luftverunreinigungen durch Geruchsstoffe, vgl. § 3 Abs. 2 und 4 BImSchG), die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Eine Beeinträchtigung des Gebots der Rücksichtnahme durch schädliche Umwelteinwirkungen setzt voraus, dass ernsthafte Gesichtspunkte für eine konkrete Gefährdung vorliegen und somit die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht (vgl. zu diesem Maßstab: Nds. OVG, Beschluss vom 10.08.2000 - 1 M 760/00 -, juris Rn. 10; Jarass, BImSchG, 13. Aufl., 2020, § 22 Rn. 36, § 3 Rn. 50).

Zur Bestimmung der Erheblichkeit von Geruchsimmissionen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG können einschlägige technische Regelwerke als Orientierungshilfen herangezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Geruchsimmissions-Richtlinie vom 29.02.2008 mit Ergänzung vom 10.09.2008, die für - wie hier - nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen sinngemäß angewandt werden kann (vgl. Nr. 1 GIRL), der die Bedeutung eines antizipierten generellen Sachverständigengutachtens zukommt (BVerwG, Beschluss vom 05.08.2015 - 4 BN 28/15, juris Rn. 5), die aber nicht rechtssatzartig, insbesondere nicht im Sinn einer Grenzwertregelung, sondern nur als Orientierungshilfe angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 27.06.2017 - 4 C 3/16 -, juris Rn. 15, und vom 21.12.2011 - 4 C 12/10 -, juris Rn. 22). Die in der GIRL niedergelegten Erkenntnisse geben dem Prüfer ein Instrumentarium an die Hand, alle zur Beurteilung schädlicher Einwirkungen maßgeblichen Umstände wie Oberflächengestaltung, Hedonik, Vorbelastungen rechtlicher und tatsächlicher Art sowie Intensität der Geruchseinwirkungen zu beurteilen. Berechnungen auf der Basis der GIRL stellen ein im Sinn einer konservativen Prognosesicherheit komfortables „worst-case-Szenario“ dar, und das gefundene Ergebnis liegt „auf der sicheren Seite“ (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.03.2015 - 2 L 184/10 -, juris Rn. 95 m.w.N.).

Nach Nr. 3.1 GIRL ist eine Geruchsimmission in der Regel als erhebliche Belästigung zu werten, wenn die Gesamtbelastung IG die in Tabelle 1 angegebenen Immissionswerte IW überschreitet. Bei den Immissionswerten handelt es sich um relative Häufigkeiten der Geruchsstunden. Diese Häufigkeit beträgt in Gewerbegebieten 15% der Jahresstunden.

Vorliegend hat der Gutachter Förster (Fa. argusim UMWELT CONSULT) unter dem 26.08.2020 eine Immissionsprognose zu den Auswirkungen des geplanten Vorhabens erstellt, wobei er zunächst von zwei Immissionsorten nordöstlich und nordwestlich der Halle ausging. Nachdem die Antragstellerin sich gegen das Vorhaben ausgesprochen hatte, wurde das Gutachten unter dem 09.07.2021 ergänzt, wobei der Gutachter nunmehr u. a. auf Immissionsorte östlich und südöstlich der Halle und damit im Bereich des Betriebs der Antragstellerin abstellte. Nach Durchführung von Berechnungen kam er zu dem Ergebnis, dass dort mit einer Geruchshäufigkeit von 7-8% der Jahresstunden zu rechnen sei. Die Feststellungen des Gutachters sind durch die Antragstellerin nicht mit tragfähigen Argumenten angegriffen worden und werden der Entscheidung der Kammer im Eilverfahren zugrunde gelegt. Soweit sie mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, weil die Antragstellerin dem Gutachter auf dessen Bitte keine Angaben zu den ihrer Ansicht nach maßgeblichen Immissionsorten gemacht hat, geht dies zu ihren Lasten. Der prognostizierte Immissionswert unterschreitet die Festlegung der GIRL erheblich und die Kammer hat keinen Grund, am Ergebnis der Prognose zu zweifeln, wonach nicht mit einer relevanten Zusatzbelastung zu rechnen ist. Dies führt dazu, dass ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen einer Geruchsbelästigung nicht erkennbar ist.

Auf nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen waren, beruft sich die Antragstellerin nicht. § 13 NBauO, wonach bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass (u. a.) durch biologische Einflüsse, insbesondere (u. a.) tierische Schädlinge, Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen, gehört nicht zum Prüfprogramm des § 63 Abs. 1 NBauO. Hierzu gehört des Weiteren auch nicht die Generalklausel des § 3 Abs. 1 NBauO, wonach bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein müssen, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Die Kammer sieht daher insoweit von weitergehenden Ausführungen ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil die Beigeladene einen erfolgreichen Antrag gestellt hat.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich an den Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 01.06.2021 eingegangene Verfahren. Diese sehen unter Nr. 7 e) für Nachbarklagen wegen der Beeinträchtigung gewerblicher Betriebe einen Streitwertrahmen von 10.000 bis 150.000 Euro vor. Für Beeinträchtigungen, die weder atypisch schwerwiegend noch atypisch geringfügig sind, ist der Genehmigungswert der beeinträchtigten Nutzung zugrunde zu legen. Nachdem die Antragstellerin auf Nachfrage des Gerichts Details zum Umfang ihres Betriebs und zu den durch die befürchtete Beeinträchtigung entstehenden Kosten nicht mitgeteilt hat, ist der Streitwert im Klageverfahren vorläufig auf 80.000,00 Euro festgesetzt worden. Diesen Wert hat die Kammer im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert (vgl. Nr. 17 b der Streitwertannahmen).