Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 05.02.2019, Az.: 7 A 4566/18

Abschiebungsandrohung; Asyl; deutsches Kind; Gegenstandslosigkeit bei eigenem Aufenthaltstitel; Generalerklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, vom 27. Juni 2017; Geschäftszeichen: 234-7604/1.17; inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis; Marokko; ohne mündliche Verhandlung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
05.02.2019
Aktenzeichen
7 A 4566/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 70048
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis, sondern ggfls. ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis bei deutschem Kind.

Zur Wahrung der Familieneinheit bei asylrechtlicher Abschiebungsandrohung.

Gegenstandslosigkeit dieser Abschiebungsandrohung bei eigenem Aufenthaltstitel. Vgl. Beschluss vom 16. Februar 2017 - 7 B 983/17 -, juris.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und im Jahre 2015 nach Deutschland eingereist.

Sie stellte Asylantrag und brachte im Rahmen ihrer Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Friedland, am 20. Mai 2016 im Wesentlichen vor, in der Zeit von 2010 bis 2012 als Schneiderin in Marokko gearbeitet zu haben. Im Jahre 2013 sei ihre dort bestehende Ehe geschieden worden. Seit dem 15. März 2013 habe sie sich in der Türkei aufgehalten und mit einem Iraker zusammengelebt. Es sei allerdings zur Trennung gekommen. Danach sei sie nach Deutschland gereist. Der Hauptgrund zum Verlassen Marokkos läge in den familiären Umständen nach der Scheidung im Jahre 2013 in Marokko.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Friedland, vom 11. Dezember 2018 lehnte die Beklagte ihren Asylantrag (Asyl, Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen, forderte die Klägerin unter Abschiebungsandrohung nach Marokko zur Ausreise binnen 30 Tagen auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate. In den Gründen heißt es, dass die geltend gemachten Gründe weder glaubhaft seien noch ansonsten durchgreifen könnten.

Die Klägerin hat am 27. Dezember 2018 Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie wegen der Scheidung in Marokko eingesperrt, drangsaliert, geschlagen und gefoltert worden sei. Angesichts des großen Einflusses ihres geschiedenen Ehemannes in Marokko sei ihr Leben dort in Gefahr gewesen, weshalb sie schließlich einen unbeobachteten Moment zur Flucht genutzt habe und zunächst in die Türkei geflohen sei. Dort habe sie ihren zweiten Ehemann kennengelernt, diesen geheiratet und sei sodann mit diesem nach Deutschland gekommen. Der allerdings habe sie vergewaltigt, weshalb gegen ihn ermittelt und er in den Irak abgeschoben worden sei. Mittlerweile habe sie einen weiteren Lebenspartner gefunden, mit dem sie ein Kind erwarte. Da dieser deutscher Staatsangehöriger sei, werde das Kind auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.

Die Klägerin beantragt (Klageschrift, S. 1/2, Bl. 12/13 Gerichtsakte),

„1. unter Aufhebung und Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.12.2018 – zugestellt am 13.12.2018 – zu GZ: 6748816-252 wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt.

2. unter Aufhebung und Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1 1.122018 – zugestellt am 13.12.2018 – zu GZ: 6748816-252 subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.

3. unter Aufhebung und Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.12.2018 – zugestellt am 13.12.2018 – zu GZ: 6748816-252 festzustellen, dass zumindest ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 5 bzw. gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben ist.“

Die Beklagte tritt dem bezugnehmend auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Gericht mit Beschluss vom 25. Januar 2019 abgelehnt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und der Verfahren 7 A 4568/18, 7 A 99/18, 1 B 4564/17, 15 A 4507/17 und 15 B 4513/17 sowie der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; er ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 18. Januar 2019 durch den Einzelrichter und im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO (Schriftsatz der Klägerseite vom 1. Februar 2019 sowie Generalerklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, vom 27. Juni 2017 - Geschäftszeichen: 234-7604/1.17) ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheidet, ist unbegründet.

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin sind unbegründet, § 113 Abs. 5 VwGO.

Zur Begründung bezieht sich das Gericht auf die zutreffenden Erwägungen in den Gründen des angegriffenen Bescheides, denen es folgt und die es sich zur Begründung des Urteils hier zu eigen macht, § 77 Abs. 2 AsylG, § 117 Abs. 5 VwGO (so schon: Beschluss vom 25. Januar 2019).

Ergänzend hält das Gericht in Ansehung des entsprechenden Vorbringens im gerichtlichen Verfahren noch fest, dass mit der Erwartung der Geburt eines Kindes, dessen Vater Deutscher sei, nicht etwa zugleich das Vorliegen eines zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis begründet wird, auch nicht mit der tatsächlichen Geburt dieses Kindes. Dies ist eine Fragestellung, die die zuständige Ausländerbehörde mit Blick auf das Vorliegen eventueller inländischer Vollstreckungshindernisse betrifft. Das Vorbringen, Mutter eines deutschen Kindes zu sein, ist (insoweit: rein) asyl- und flüchtlingsrechtlich irrelevant. Ein Vorbringen, Kontakt zu seinem eigenen Kind (bzw. hier derzeit noch nasciturus) haben zu müssen, das ein Aufenthaltsrecht von seinem Vater ableiten könne, der deutscher Staatsangehöriger sei, greift im asylrechtlichen Verfahren nicht durch. Vielmehr dürfte es sich um eine (insoweit: rein) ausländerrechtliche Angelegenheit handeln, deren weitere Prüfung außerhalb der Zuständigkeit der Beklagten liegt und welche vielmehr bei der zuständigen Ausländerbehörde angesiedelt ist. Soweit die Klägerin vorbringen will, in Erwartung eines entsprechenden abgeleiteten ausländerrechtlichen Aufenthaltsrechtes zu stehen, verhilft dies der Klage mithin nicht zum Erfolg (so schon: Gerichtbescheid vom 30. Januar 2018 - 7 A 114/18 - und Beschluss vom 4. Februar 2019 – 7 B 394/19 -, jew. Vnb.). Insbesondere liegen insoweit keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor. Allerdings müssen die Ausländerbehörden bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des betroffenen Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß berücksichtigen. Dem entspricht ein Anspruch des Ausländers auf angemessene Berücksichtigung dieser Bindungen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 –, juris). Aber entgegen der wohl von der Klägerin möglicherweise vertretenen Auffassung ist die Frage, inwieweit eine Trennung vom Kinde droht, nicht im Asylverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (bzw. anschließend das Verwaltungsgericht) zu klären. Zwar verweist § 60 Abs. 5 AufenthG auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die in Artikel 8 EMRK das Familienleben schützt. Doch bezieht sich der Verweis in § 60 Abs. 5 AufenthG nur auf solche Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde ("inlandsbezogene" Vollstreckungshindernisse), fallen dagegen nicht unter § 60 Abs. 5 AufenthG. Der Umfang der in § 24 Abs. 2 AsylG geregelten Pflicht zur Sachaufklärung der Beklagten im Asylverfahren, ob Abschiebungsverbote vorliegen, wird insoweit von vornherein auf das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen reduziert. Denn für die Durchführung der Abschiebung und auch für die Entscheidung über alle inlandsbezogenen und sonstigen tatsächlichen Vollstreckungshindernisse ist die Ausländerbehörde zuständig. Zu den ausschließlich von der Ausländerbehörde zu prüfenden Vollstreckungshindernissen gehört auch ein etwaiges Verbot, durch die Abschiebung eine mit Artikel 6 GG und Artikel 8 EMRK nicht vereinbare Trennung von Familienmitgliedern zu bewirken (BVerwG, Urteil < zur Vorgängervorschrift § 53 Absatz 4 AuslG > vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322-328 = juris, Rn. 8 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 2012 - A 2 S 1995/12 -, juris, Rn. 15; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. April 2015 – 13 K 5706/13.A –, juris). Da das Bundesamt für die Beklagte demnach über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse von vornherein nicht entscheidet, kann diese Entscheidung der Beklagten - anders als die Klägerin wohl zu meinen scheint - insoweit auch keine Bindungswirkung für die Ausländerbehörde erzeugen. Dementsprechend sieht auch § 43 Abs. 3 AsylG vor, dass die Ausländerbehörde über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung entscheidet, wenn Eltern und ihre minderjährigen Kinder gleichzeitig einen Asylantrag gestellt haben, um die gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen. Mithin ist zusammenfassend festzuhalten, dass Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde ("inlandsbezogene" Vollstreckungshindernisse; hier: eventuell zukünftig die Wahrung der Familieneinheit), nicht § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG unterfallen. Zu solchen ausschließlich von der Ausländerbehörde  zu prüfenden  Vollstreckungshindernissen gehört auch ein etwaiges Verbot, durch die Abschiebung eine mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht vereinbare Trennung von Familienmitgliedern zu bewirken (VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 – 13 L 3224/14.A –, juris, Rn. 18). Darauf muss die Klägerin sich verweisen lassen (so schon insgesamt: Beschluss vom 16. Februar 2017 - 7 B 983/17 -, juris, und Beschluss vom 4. Februar 2019 – 7 B 394/19 -, Vnb.). Sofern die Klägerin selber sodann insoweit eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollte, macht dies auch nicht die im Asylverfahren ausgesprochene Abschiebungsandrohung sozusagen gleichsam im Nachhinein rechtswidrig, sondern vielmehr „gegenstandslos“, sie entfaltet sodann insoweit keine Rechtswirkung mehr (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 20.03 -, juris, und ebenso Gerichtsbescheid des angerufenen Gerichts vom 3. Juni 2016 - 7 A 2134/16 - und Beschluss vom 4. Februar 2019 – 7 B 394/19 -, jew. Vnb.). Durch eine der Klägerin womöglich nachträglich erteilte bzw. hier eventuell später erst noch zu erteilende Aufenthaltserlaubnis zur Wahrung der Familieneinheit würde also die im hier angegriffenen Bescheid vom 11. Dezember 2018 enthaltene Abschiebungsandrohung gegenstandslos (VG Stade, Urteil v. 22. Juni 2017 - 3 A 276/15 -; VG Frankfurt, Urteil v. 29. Juni 2011 – 1 K 362/11.F.A -, juris Rn. 15-18; siehe bereits BVerwG, Urteil v. 21. September 1999 - 9 C 12/99 -, juris; OVG Hamburg, Beschluss v. 19. November 1993, juris, Rn. 19-20; Urteil des Gerichts vom 23. Januar 2018 - 7 A 72/18 -). Auf diese im vorliegenden Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung könnte dann eine Abschiebung nicht mehr gestützt werden. Die Gegenstandlosigkeit muss gleichermaßen für die hier im angegriffenen Bescheides enthaltene Befristungsentscheidung bezüglich des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gelten, da eine Ausreisepflicht sodann nicht mehr existieren würde. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bestünde in diesen Fällen sodann nicht mehr (vgl. die zitierte Rechtspr., a.a.O.).