Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.01.2020, Az.: L 11 AS 653/19 B

Beschwerde gegen eine Streitwertfestsetzung; Gerichtskostenfreiheit für einzelne Streitgegenstände

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.01.2020
Aktenzeichen
L 11 AS 653/19 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 30677
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 02.10.2019 - AZ: S 82 AS 3948/10

Redaktioneller Leitsatz

Bei einer Streitwertfestsetzung können nur Streitgegenstände zur Wertberechnung herangezogen werden, die der Kostenpflicht nach § 197a SGG unterfallen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Streitwertbeschluss des Sozialgerichts Hannover von 2. Oktober 2019 (S 82 AS 3948/10) abgeändert. Der Streitwert wird endgültig auf 115.818,41 Euro festgesetzt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 2. Oktober 2019 - S 82 AS 3948/10 -, mit dem der Streitwert für das erstinstanzliche Klageverfahren auf 140.823,34 Euro festgesetzt worden ist.

Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH). Sie führte in den Jahren 2005/2006 die Maßnahme "U 25 - Zusatzjobs für Jugendliche" durch. Der Beklagte förderte diese Maßnahme nach § 16 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung (im Folgenden: alter Fassung - aF; nunmehr: § 16d SGB II) durch Übernahme einer monatlichen Maßnahmekostenpauschale für den Träger je Teilnehmerplatz (Trägerpauschale), eines Pauschalbetrags für den Qualifizierungsanteil der Maßnahme (10 Stunden pro Woche), einer Mehraufwandsentschädigung iHv 1,00 Euro pro Arbeitsstunde eines jeden Teilnehmers (bei einer wöchentlichen Beschäftigungszeit von 30 Stunden) sowie einer monatlichen Fahrkostenpauschale iHv 65,00 Euro pro Teilnehmer (Bescheide vom 2. März 2005, 27. Februar 2006 und 13. April 2006). Letztlich wurden für die Zeit vom 15. März 2005 bis 31. Juli 2006 folgende Beträge vom Beklagten an die Klägerin gezahlt (vgl Schlussbescheid vom 10. Juli 2007):

Mehraufwandsentschädigung (1,00 Euro je geleistete Stunde)

18.956,00 Euro

Fahrkostenpauschale für Teilnehmer

6.048,93 Euro

Trägerpauschale

14.756,41 Euro

Qualifizierungskosten

43.312,00 Euro

Summe:

83.073,34 Euro

Zusätzlich zahlte der Beklagte an die Klägerin auf der Grundlage von § 17 SGB II aF 57.750,00 Euro für die Beschäftigung einer Vollzeitkraft zur Beratung, Vermittlung und Betreuung Jugendlicher (vom Beklagten als "Mantelkosten" bezeichnet, vgl Bescheide vom 2. März 2005, 27. Februar 2006 und 13. April 2006), somit insgesamt 140.823,34 Euro.

Vor dem SG stritten die Beteiligten um die Rücknahme der og Bewilligungsbescheide sowie um die vom Beklagten in diesem Zusammenhang geltend gemachte Erstattungsforderung iHv 140.823,34 Euro (Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 27. August 2008 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 17. Dezember 2008 sowie des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010). Nachdem sich das Hauptsacheverfahren - wie auch eine Vielzahl weiterer von den Beteiligten geführter Klageverfahren - im Wege der Mediation erledigt hatte (vgl hierzu: Vergleichsvereinbarung vom 28. April 2014, Bl 51, 52 der Gerichtsakte), setzte das SG den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 140.823,34 Euro fest (Beschluss vom 2. Oktober 2019).

Gegen den der Klägerin am 8. Oktober 2019 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 28. Oktober 2019 eingelegte Beschwerde. Die Klägerin macht geltend, dass sie als Leistungsempfängerin iSd § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzusehen sei, so dass es sich bei dem Klageverfahren um ein gerichtskostenfreies Verfahren gehandelt habe. Ein nur für gerichtskostenpflichtige Verfahren (§ 197a SGG) in Betracht kommender Streitwertbeschluss habe nicht ergehen dürfen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro (vgl zu dieser Wertgrenze für die Statthaftigkeit der Beschwerde: § 68 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz - GKG -), da auf der Grundlage des streitbefangenen Streitwerts bislang Gerichtskosten iHv 3.468,00 Euro erhoben worden sind (vgl Bl 1 der Vorheftung der Gerichtsakte).

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Das erstinstanzliche Klageverfahren war für einzelne Streitgegenstände gerichtskostenfrei iSd § 183 SGG. Ein Streitwert war dementsprechend nur in der Höhe des Gesamtwerts der gerichtskostenpflichtigen Streitgegenstände, dh in Höhe von 115.818,41 Euro festzusetzen.

Im erstinstanzlichen Verfahren waren mehrere Streitgegenstände im Sinne einer objektiven Klagehäufung streitbefangen, nämlich die Rücknahme sowie die Erstattungsansprüche des Beklagten wegen der zunächst gewährten Trägerpauschalen, der Pauschalbeträge für den Qualifizierungsanteil der Maßnahme, der Mehraufwandsentschädigungen, der Fahrkostenpauschalen sowie wegen der Übernahme von Kosten für die Beschäftigung einer Vollzeitkraft zur Beratung, Vermittlung und Betreuung Jugendlicher ("Mantelkosten" iSd § 17 SGB II aF). Der erstinstanzlich streitbefangene Rücknahme- und Erstattungsbescheid bezog sich auf insgesamt sechs Ausgangsbescheide sowie den Schlussbescheid vom 10. Juli 2007.

Soweit im erstinstanzlichen Verfahren um die institutionelle Förderung der von der Klägerin angebotenen Maßnahme "U 25 - Zusatzjobs für Jugendliche" gestritten wurde und es sich also um einen Streit des Leistungserbringers mit dem Kostenträger handelte, war das erstinstanzliche Verfahren gerichtskostenpflichtig iSd § 197a SGG (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Mai 2012 - L 19 AS 521/12 B -; SG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2010 - S 59 AS 113/08 -; Groß in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 183 Rn 5; Krauß in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 183 Rn 28; Lange in: JurisPK-SGG, § 183 Rn 30; wohl auch: Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage 2017, § 183 Rn 6; anderer Ansicht: LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2008 - L 29 B 1675/07 AS -). Dies trifft auf die Rücknahme sowie auf das Erstattungsverlangen des Beklagten hinsichtlich der zunächst gewährten Trägerpauschalen, der Pauschalbeträge für den Qualifizierungsanteil der Maßnahme sowie die sog "Mantelkosten" iSd § 17 SGB II aF zu. Aus der Summe der diesbezüglich vom Beklagten geltend gemachten Erstattungsbeträge ergibt sich der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren iHv 115.818,41 Euro.

Dagegen war das erstinstanzliche Verfahren hinsichtlich der Rücknahme sowie der Erstattungsforderungen für die gewährten Mehraufwandsentschädigungen (1,00 Euro je geleistete Arbeitsstunde - Gesamtbetrag: 18.956,00 Euro) sowie die vom Beklagten übernommenen Fahrkostenpauschale für Teilnehmer der Maßnahme (Gesamtbetrag: 6.048,93 Euro) gerichtskostenfrei iSd § 183 SGG. Schließlich ist die Auszahlung der den Teilnehmern einer Maßnahme zustehenden Mehraufwandsentschädigung / Fahrkostenpauschale über den Maßnahmeträger (vgl zur Zulässigkeit dieses Auszahlungsverfahrens: Stölting in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 16d Rn 68 mwN) vergleichbar mit der Auszahlung eines Eingliederungszuschusses an den Arbeitgeber, bei der ebenfalls die Gerichtskostenfreiheit nach § 183 SGG gilt (so zu § 88 SGB III: BSG, Beschluss vom 22. September 2004 - B 11 AL 33/03 R -; ebenso für nach Maßgabe des SGB II gewährte Eingliederungszuschüsse: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. März 2017 - L 4 AS 221/15 -).

Da nach alledem im erstinstanzlichen Verfahren sowohl gerichtskostenfreie (§ 183 SGG) als auch gerichtskostenpflichtige (§ 197a SGG) Ansprüche im Sinne einer objektiven Klagehäufung streitbefangen waren, hätte bei streitiger Beendigung der Hauptsache über die Kosten im Rahmen einer sog kombinierten Kostenentscheidung (§§ 183, 197a SGG) entschieden werden müssen (vgl BSG, Urteil vom 29. September 2006 - B 1 KR 1/06 R -; Stotz in: Juris-PK - SGG, § 197a Rn 23; Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 197a SGG Rn 5a). Dementsprechend dürfen bei der vorliegend streitbefangenen Streitwertfestsetzung auch nur diejenigen Streitgegenstände zur Wertberechnung herangezogen werden, die der Kostenpflicht nach § 197a SGG unterfallen.

Die weitergehende, auf eine vollständige Aufhebung des Streitwertbeschlusses gerichtete Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs 3 Satz 2 GKG.

Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§ 68 Abs 3 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).