Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 16.11.2012, Az.: S 13 KR 74/12

Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung (hier: chirurgische Eingriffe zur Behebung einer Shuntdysfunktion) durch die gesetzliche Krankenversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
16.11.2012
Aktenzeichen
S 13 KR 74/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 34964
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2012:1116.S13KR74.12.0A

Fundstelle

  • NZS 2013, 344

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung im Streit.

Die Klägerin ist Trägerin des E., das im Jahr 2009 im niedersächsischen Krankenhausplan unter anderem für den Bereich Chirurgie aufgenommen war. Für die Bereiche Neurologie und Neurochirurgie war es nicht aufgenommen. Für diese Bereiche war in Osnabrück die Paracelsus-Klinik im Krankenhausplan aufgenommen.

Der bei der Beklagten krankenversicherte F. erlitt am 4. März 2009 einen Verkehrsunfall, bei dem er ein schweres Schädelhirntrauma erlitt, das zu einem Hydrozephalus führte. Er befand sich nach dem Unfall im Marienhospital Osnabrück in stationärer Behandlung, wo die behandelnden Ärzte eine Dekompressionskraniektomie durchführten und nach einer neurologischen Frührehabilitation im Klinikum Osnabrück im April 2009 den Knochendeckel replantierten und einen ventrikuloperitonealen Shunt implantierten. Im Juni 2009 erfolgte eine weitere Rückverlegung aus der neurologischen Frührehabilitation aufgrund einer Shuntdysfunktion.

Am 17. Juli 2009 verlegte die Abteilung für neurologische Frührehabilitation des Klinikums Osnabrück den Versicherten erneut in das Marienhospital Osnabrück aufgrund des Verdachtes einer Shuntdysfunktion bei gleichzeitiger symptomatischer Hiatushernie mit Verlagerung des Zwerchfells in den Thoraxraum. Am Aufnahmetag führten die behandelnde Ärzte eine Externalisierung des liegenden Ventils und am 24. Juli 2009 eine Zwerchfellnaht durch. Weitere Eingriffe, die die Shuntanlage und die externe Ventrikeldrainage betrafen, erfolgten am 4., 7., und 18. August 2009. Am 24. August 2009 verlegte das Marienhospital Osnabrück den Versicherten wieder in das Klinikum Osnabrück.

Mit Rechnung vom 8. September 2009 forderte die Klägerin für die Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 17. Juli 2009 bis zum 24. August 2009 von der Beklagten 32.733,44 EUR.

Die Beklagte verweigert die Zahlung.

Mit der erhobenen Klage macht die Klägerin diesen Betrag nebst Zinsen geltend.

Die Klägerin trägt vor, es habe im streitigen Behandlungsfall eine Notfallsituation vorgelegen. Eine Shuntdysfunktion führe zu einem Anstieg des Hirndrucks. Dadurch könne eine weitere Schädigung des Hirngewebes entstehen. Es habe also zum Zeitpunkt der Indikationsstellung zur externen Ventrikelentlastung am Aufnahmetag einen Situation vorgelegen, die zu einer weiteren Schädigung des Versicherten hätte führen können. Deswegen sei es fachlich und sachlich richtig gewesen, den Versicherten nicht in eine andere Klinik verlegt zu haben. Zudem zähle die Aufnahme und Behandlung von Unfallpatienten zum Kernbereich des Versorgungsauftrages des E ... Die Versorgung des Versicherten sei dem Bereich der Chirurgie zuzuordnen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr für die stationäre Behandlung ihres Versicherten F. (Fall-Nr.: 10938693NCH) vom 17.07. bis 24.08.2009 32.733,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 24.09.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass die Klägerin vor Jahren ohne Genehmigung im Marienhospital Osnabrück eine Abteilung Neurochirurgie mit 25 "Schwarzbetten" aufgebaut habe und dort in erheblichem Umfang außervertragliche Leistungen erbringe. Die Zulassung bestehe lediglich für ein Medizinisches Versorgungszentrum zur ambulanten neurochirurgischen Versorgung von GKV-Patienten. Nachträglich würden die Leistungen der Privatstation dann regelmäßig in Notfälle deklariert und versucht, diese mit den Krankenkassen abzurechnen. Es gebe derzeit wohl kein anderes Krankenhaus in der Bundesrepublik mit einer derartigen Anzahl vermeintlicher Notfälle. Im streitigen Behandlungsfall sei die Hauptleistung in der Abteilung Neurochirurgie erbracht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Patientenakte der Klägerin Bezug genommen. Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat den Rechtsstreit gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.

2.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Klägerin die Behandlung des Versicherten außerhalb ihres Versorgungsauftrages erbrachte (a) und auch keine Notfallbehandlung vorlag (b).

a)

Der Vergütungsanspruch für den streitigen Behandlungsfall steht der Klägerin nicht nach § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m dem am 1. November 1992 in Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag) zu. Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i.S des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war und im Rahmen des Versorgungsauftrages zur Krankenhausbehandlung erfolgte. Bei den Plankrankenhäusern gilt die Aufnahme in den Krankenhausbedarfsplan gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2, 2. Alternative SGB V als Abschluss des Versorgungsvertrages.

Die Klägerin hat eine Leistung außerhalb ihres Versorgungsauftrages erbracht, weil es sich um eine dem Bereich der Neurochirurgie zuzurechnende Behandlung handelte.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei den chirurgischen Eingriffen zur Behebung der Shuntdysfunktion nicht um Maßnahmen der allgemeinen Chirurgie.

Maßgeblich für die Bestimmung, ob eine stationäre Behandlung im Land Niedersachen vom Versorgungsauftrag eines Krankenhauses gedeckt ist, ist die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Fassung.

Nach der für das Jahr 2009 geltenden Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vom 27. November 2004 umfasst das Gebiet der Chirurgie Maßnahmen, die chirurgische Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie angeborene und erworbene Formveränderungen und Fehlbildungen der Gefäße, der inneren Organe einschließlich des Herzens, der Stütz- und Bewegungsorgane und der onkologischen Wiederherstellungs-und Transplantationschirurgie betreffen. Das Gebiet Neurochirurgie umfasst dagegen Maßnahmen die sich auf Erkrankungen, Verletzungen, Verletzungsfolgen und Fehlbildungen des zentralen Nervensystems, seiner Gefäße und seiner Hüllen, des peripheren und vegetativen Nervensystems beziehen. Die Shuntversorgung des Versicherten und die damit zusammenhängende Eingriffe betraffen das zentrale Nervensystem.

Die Behandlung des Zwerchfellrisses ist dem Gebiet der Chirurgie zuzuordnen, was für die Zuordnung der Gesamtbehandlung zur Neurochirurgie unerheblich ist. Denn für die Frage, ob eine Leistung vom Versorgungsauftrag eines Krankenhauses gedeckt ist, kommt es auf darauf an, dass die für die Behandlung hauptursächliche Erkrankung und der Schwerpunkt der Behandlung vom Versorgungsauftrag gedeckt sind. Dies war hier nicht der Fall. Denn den Zwerchfellriss des Versicherten hätte das Klinikum Osnabrück, das über mehrere chirurgische Abteilungen verfügt, selbst behandeln können. Hauptursache für die Verlegung war der Verdacht auf eine Shuntdysfunktion. Schwerpunkt der Behandlung des Versicherten im streitigen Zeitraum war die neurochirurgische Behandlung, die geprägt war von mehreren Eingriffen. Die Zwerchfellnaht am 24. Juli 2009 war im Rahmen der Betrachtung des gesamten Aufenthalts von untergeordneter Bedeutung.

b)

Der Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 3, 2 Halbsatz des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz - KHEntgG). Danach dürfen Entgelte für die Behandlung von Notfallpatienten auch außerhalb des Rahmens des Versorgungsauftrages berechnet werden.

Ein Notfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 3, 2 Halbsatz KHEntgG ist gleichbedeutend mit dem Notfallbegriff des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach liegt ein Notfall nur vor, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Patienten so dringlich ist, dass ein zugelassener Leistungserbringer nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (Bundessozialgerichts, Urteil vom 31. Juli 1963, 3 RK 92/59; Beschluss vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 114/06 B). Eine dringende Behandlungsbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn ohne sofortige Behandlung Gefahr für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange andauern würden. Keine Notfallbehandlung liegt vor, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten es zulässt, dass er einen zugelassenen Leistungserbringer aufsuchen kann und eine Behandlungsbedürftigkeit wegen eines Notfalls endet, wenn der Versicherte zu einem zugelassenen Leistungserbringer verlegt werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 9/05 R; Urteil vom 28. Juli 2008, B 1 KR 5/08 R).

Ausgehend von diesen Grundsätzen lag im Falle des Versicherten kein Notfall vor. Er hätte am 17. Juli 2009 in ein zugelassenes Krankenhaus verlegt werden können, etwa in die Paracelsus-Klinik in Osnabrück, die für den Bereich der Neurochirurgie zugelassen ist. Dort hätte er zeit- und fachgerecht versorgt werden können.

Dies steht aufgrund der Stellungnahmen des ärztlichen Leiters des Medizinischen Versorgungszentrums für Neurochirurgie, Neurologie und Innere Medizin der Paracelsus-Klinik in mehreren Parallelverfahren zwischen den Beteiligten fest.

Die Stellungnahme des Referenten für Personal und Recht der Paracelsus-Klinik vom 22. Oktober 2012 in dem zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreit S 13 KR 121/12 bestätigt die Möglichkeiten der Paracelsus-Klinik umfassend und adäquat sämtliche neurochirurgischen Leistungen in medizinischen Notfällen erbringen zu können. Danach sei die Paracelsus-Klinik Osnabrück jederzeit 24 Stunden in der Lage Schädel-Hirn-Traumatisierte zu versorgen und aufzunehmen. Die Klinik verfüge über eine Intensivstation mit 10 Beatmungsplätzen, einen entsprechenden Aufnahmeraum sowie eine 24-stündige Facharztvorhaltung im Bereich der Neurochirurgie. Weiterhin verfüge die Klinik über einen Hubschrauberplatz auf dem Klinikgelände, von dem aus ein ebenerdiger Zugang zu Notfall-CTs, MRs sowie OP-Einleitung bestehe. Es könnten sowohl isoliert Schädel-Hirnverletzte (Patienten mit Schädel-Hirnverletzungen ohne andere sichtbare Verletzungen) und mehrfach Verletzte mit nicht lebensbedrohlichen Ganzkörperverletzungen betreut werden. Auch sei eine radiologische Erstdiagnostik mit Ganzkörper-CT/MR etc. möglich. Es besteht kein Grund an der Richtigkeit dieser Darstellung zu zweifeln.

Dass es für die Behandlung des Versicherten vom 17. Juli 2009 bis zum 24. August 2009 vorteilhaft war, erneut im Marienhospital Osnabrück versorgt zu werden, ist unerheblich. Denn für ein medizinisches Erfordernis ist dieser Umstand nicht ausreichend. Selbst wenn es medizinisch erforderlich gewesen wäre, teilt die Folgebehandlung das Schicksal der vorangegangenen Behandlungen, die das Marienhospital Osnabrück außerhalb ihres Versorgungsauftrages erbrachte, obwohl kein Notfall vorlag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).