Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.07.2004, Az.: 2 B 305/04
Betondachstein; Dacheindeckung; Dachfarbe; dörflicher Charakter; Pultdach; örtliche Bauvorschrift
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.07.2004
- Aktenzeichen
- 2 B 305/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50689
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 BauO ND
- § 56 Abs 1 S 1 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es ist zweifelhaft, ob das Ziel einer örtlichen Bauvorschrift, einen "typisch dörflichen Charakter" zu schaffen, erreicht werden kann, wenn die örtliche Bauvorschrift anthrazitfarbene Pultdächer ggf. ausschließlich zulässt.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 02.07.2004 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16.06.2004 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller wenden sich gegen eine bauaufsichtliche Anordnung des Antragsgegners.
Die Antragsteller sind Eigentümer des von ihnen im September 2003 erworbenen Grundstückes E. in F. (Flur G., Flurstücke H.), Gemeinde I.. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes J. und einer für diesen Bereich geltenden örtlichen Bauvorschrift. Am 10.12.2003 zeigten die Antragsteller dem Antragsgegner den Neubau eines Wohnhauses auf dem vorgenannten Grundstück an. Zur Eindeckung und Farbe des Daches gaben sie eine Eindeckung mit Betondachsteinpfannen in der Farbe rotbraun an.
Am 02.10.2003 wurden der Bebauungsplan K. und die örtliche Bauvorschrift in der Ortschaft F. im Amtsblatt des Antragsgegners bekannt gemacht. Die Begründung zur örtlichen Bauvorschrift sieht vor, dass die Bauvorschriften dazu beitragen sollen, ein typisch dörfliches, durchgrüntes Baugebiet entstehen zu lassen (Ziff. 2). Die Begründung zu Materialien und Farben sieht vor, dass für Pultdächer bis zu 25 Grad Dachneigung Grautöne bis anthrazit zugelassen sein sollen, weil diese Dächer keine Fernwirkung entfalteten und im Ortsbild weniger in Erscheinung träten. Für Satteldächer mit einer Dachneigung von 25 bis 55 Grad sind hingegen Farbtöne von ziegelrot bis rotbraun vorgegeben, die sich in das ortstypische Bild einfügen sollen. Der Bebauungsplan und die örtliche Bauvorschrift befinden sich derzeit im vereinfachten Änderungsverfahren. Ausweislich der Begründung der ersten Änderung ist die örtliche Bauvorschrift in dieses Verfahren mit aufgenommen worden, weil Gegenstand der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) des Urplanes die Fassung vom 29.04.2003 war, in der (noch) die Möglichkeit enthalten war, Dacheindeckungen allgemein auch in den Farbtönen grau bis anthrazit auszuführen. Dies sei damals damit begründet worden, dass mit den roten und braunen und grauen RAL-Farbtönen ein großer Spielraum gegeben sei, der auch in anderen Baugebieten der Gemeinde verwendet werde. Zwar halte die beigeladene Gemeinde eine erneute öffentliche Auslegung des geänderten Planentwurfes (Beschl. v. 02.09.2003) nicht für erforderlich, beziehe diese Regelung der örtlichen Bauvorschrift jedoch in das Planänderungsverfahren mit ein, um „diskutierte Rechtszweifel am Zustandekommen der Regelung auszuräumen“. Nach der Bekanntmachung vom 22.07.2004 sollen die der ersten Änderung zugrunde liegenden Unterlagen in der Zeit vom 10.08. bis 10.09.2004 zur Einsichtnahme öffentlich ausgelegt werden.
Am 16.06.2004 stellte der Antragsgegner fest, dass vor dem bereits errichteten Gebäude der Antragsteller anthrazitfarbene Dachsteine lagerten. Die Eingangsüberdachung war zu diesem Zeitpunkt bereits mit anthrazitfarbenen Dachsteinen gedeckt. Mit Bescheid vom 16.06.2004 untersagte der Antragsgegner den Antragstellern die weitere Dacheindeckung mit anthrazitfarbenen Dachsteinen. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wurde angeordnet.
Die Antragsteller legten am 02.07.2004 Widerspruch ein, den sie damit begründeten, dass zum Zeitpunkt des Kaufs ihres Grundstückes ein Entwurf eines Bebauungsplanes J. vorgelegen habe, der eine Eindeckung ihres Holzhauses mit anthrazitfarbenen Dachziegeln erlaubt hätte. Diese Tatsache sei kaufentscheidend gewesen.
Die Antragsteller haben am 05.07.2004 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung tragen sie vor, in der Gemeinde F. seien die unterschiedlichsten Dachfarben zulässig und vorhanden. Insbesondere in unmittelbarer Nähe des Baugebietes befänden sich anthrazitfarbene Dächer. Es fehle auch an einem überzeugenden städtebaulichen Gesamtkonzept bzw. einer städtebaulichen Gestaltungsabsicht. Zur weiteren Begründung legen sie Fotos der Umgebung des Baugebietes sowie eines Hauses mit anthrazitfarbenem Pultdach und eines noch ungedeckten Dachaufbaus, der sich als Pultdach ähnlich darstellt (Bl. 24 der GA) aus dem Baugebiet J., vor.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches gegen die bauaufsichtliche Anordnung vom 16.06.2004 wieder herzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er entgegnet, die von der Beigeladenen beschlossene örtliche Bauvorschrift halte sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 56 NBauO. Die Bauvorschrift gebe einen Rahmen vor und sei als zulässige Schrankenbestimmung des Grundrechtes aus Art. 14 GG auch nicht unverhältnismäßig.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie ergänzt, dass in den in ihrem örtlichen Bereich vor 1980 an erlassenen Bebauungsplänen örtliche Bauvorschriften mit Regelungen über Dachfarben nicht aufgenommen worden seien. Im Jahr 1995 und 1996 seien Bebauungspläne beschlossen worden, die die Grundtöne rotorange bis korallenrot vorsähen. Der alte Ortskern stelle sich als unbeplanter Innenbereich dar. Anthrazitfarbene Dächer befänden sich vereinzelt im gesamten Dorf. Auch in Zukunft könne in den Bereichen des unbeplanten Innenbereiches bzw. des beplantes Bereiches ohne örtliche Bauvorschrift (insofern wird Bezug genommen auf die Anlage zum Schriftsatz der Beigeladenen vom 28.07.2004) nicht verhindert werden, dass anthrazitfarbene Dacheindeckungen gewählt würden. Ortstypisch seien jedoch die Dachfarben ziegelrot bis rotbraun.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Das Gericht hat dabei das öffentliche Interesse an einer sofortigen Durchsetzung der angegriffenen Verfügung mit dem privaten Interesse, von den Folgen des Vollzuges der Verfügung einstweilen verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Dabei überwiegt regelmäßig das private Interesse, wenn aufgrund ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ein Erfolg des Rechtsmittels in der Hauptsache sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt. So liegt der Fall hier.
Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheides ist § 89 Abs. 1 NBauO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht nicht entsprechen. Umstritten zwischen den Beteiligten und - soweit ersichtlich - allein in Frage kommend ist ein Widerspruch der von den Antragstellern beabsichtigten Dacheindeckung mit anthrazitfarbenen Betondachsteinen zur örtlichen Bauvorschrift der Beigeladenen vom 02.09.2003. An der Wirksamkeit dieser örtlichen Bauvorschrift bestehen jedoch ernsthafte Zweifel.
Nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO können Gemeinden um bestimmte städtebauliche oder baugestalterische Absichten zu verwirklichen über die Anforderungen der §§ 14, 49 und 53 hinausgehend, durch örtliche Bauvorschriften für bestimmte Teile des Gemeindegebietes besondere Anforderungen an die Gestaltung von Gebäuden stellen, namentlich auch die Auswahl der Baustoffe und Farben der von außen sichtbaren Bauteile bestimmen. In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes ist anerkannt (zul. Urt. v. 23.06.2004 - 1 KN 296/03 -, V. n. b.), dass dieser gesetzlichen Vorgabe zu entnehmen ist, dass stets ein Konzept oder eine Idee eigens für die Ausgestaltung eines konkreten, überschaubaren Ortsteiles bzw. eines Straßenzuges vorhanden sein und sich die örtliche Bauvorschrift daraus folgerichtig ableiten lassen muss. Die städtebauliche Gestaltungsabsicht muss also an die Besonderheiten des schützenden Gebietes anknüpfen. Daran, dass das Ziel, dass die Gemeinde mit der streitbefangenen örtlichen Bauvorschrift verfolgt, mit deren Anordnungen erreicht werden kann, hat die Kammer ernsthafte Zweifel.
Ziel der örtlichen Bauvorschrift ist nach ihrer Begründung, die Schaffung eines typisch dörflichen durchgrünten Baugebietes, das sich in das Ortsbild einpasst. Die örtliche Bauvorschrift lässt zum Erreichen dieses Zieles u. a. anthrazitfarbene Pultdächer und Sonnenkollektoren zu. Nach diesen Vorgaben wird auch in Zukunft nicht zu verhindern sein, dass - im Extremfall sogar ausschließlich - Gebäude mit anthrazitfarbenen Pultdächern entstehen. Inwiefern ein solchermaßen sich darstellendes Baugebiet typisch dörflichen Charakter aufweist, erschließt sich der Kammer nicht. Insofern ist auch die Begründung der ersten Änderung des Bebauungsplanes J. aufschlussreich. War sich die Beigeladene zunächst - in Übereinstimmung mit der Farbgestaltung „auch in anderen Baugebieten der Gemeinde“ - darüber einig, dass auch anthrazitfarbene Dachdeckungen zulässig sein sollten, ist diese Entscheidung im Wege eines Kompromisses zu Gunsten von Satteldächern in Rottönen und Pultdächern in Grautönen bis anthrazit aufgegeben worden. Dieser Kompromiss ist indessen nicht tragfähig. Wie ausgeführt, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, dass in einem Baugebiet, in dem ggf. vorwiegend Gebäude mit anthrazitfarbenen Pultdächern entstehen, ein typisch dörflicher Charakter geschaffen wird. Darüber hinaus hält die Kammer auch die dafür gegebene Begründung, dass diese Art Dächer keinerlei Fernwirkung entfalten, für angreifbar. Bereits die dem Gericht vorliegenden Lichtbilder lassen erkennen, dass schon bei Begehung des Baugebietes die anthrazitfarbenen Pultdächer auffallen werden. Insoweit ist auch anzumerken, dass der dörfliche Charakter nach dem Verständnis der Kammer sich nicht nur auf die Betrachtung von außerhalb, sondern auch gerade für die zukünftigen Bewohner des Baugebietes im Baugebiet als solcher darstellen sollte.
Bei dieser Sachlage kann zunächst dahinstehen, ob das weitere Ziel der örtlichen Bauvorschrift des Einfügens der Dachgestaltung in das ortstypische Bild erreicht werden kann. Dafür wäre Voraussetzung, dass - wie die Beigeladene vorträgt - ortstypisch rote bis rotbraune Dachfarben wären. Ob die Beigeladene dies angesichts der planungsrechtlichen Situation, die anthrazitfarbene Dächer im überwiegenden Teil von F. nicht verhindern könnte, und angesichts der Begründung der ersten Änderung zum Bebauungsplan J. („großer Spielraum (...), der auch in anderen Baugebieten der Gemeinde verwendet wird“) nicht zunächst zutreffend anders eingeschätzt hat, muss daher nicht entschieden werden. Auch insofern hat die Kammer jedoch Zweifel.
Schließlich kann auch dahinstehen, ob die streitbefangene örtliche Bauvorschrift nicht schon wegen eines Verstoßes gegen die die Beteiligung der Bürger sichernden Vorschriften des BauGB nichtig ist. Unbestritten (vgl. auch die Begründung zur ersten Änderung des Bebauungsplanes J.) ist jedenfalls, dass die im September 2003 beschlossene Fassung der örtlichen Bauvorschrift nicht öffentlich ausgelegen hat. Nach § 3 Abs. 3 BauGB ist indes ein geänderter Entwurf erneut auszulegen. Dieser Fehler ist jedoch angesichts der obigen Ausführungen und der Tatsache, dass der Fehler nicht gerügt ist im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen (vgl. § 215 Abs. 1 Nr. 1, 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG. Die Kammer hält in Anlehnung an ihren Beschluss vom 30.11.2000 - 2 A 150/99 -, und die Rechtsprechung des Nieders. Oberverwaltungsgerichtes (Beschl. v. 01. Febr. 2002 - 9 LA 5/02 -) den festgesetzten Streitwert für angemessen.