Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.07.2004, Az.: 6 B 284/04
Auswahlverfahren; bilingualer Unterricht; Erlass; Ermessen; Fremdsprache; Gymnasialklasse; Klassenbildung; Klassengröße; Lehrerstundenzuweisung; Lerngruppe; Schule; Schulklasse; Spanisch; Unterrichtswunsch
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 06.07.2004
- Aktenzeichen
- 6 B 284/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50688
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs 1 S 1 SchulG ND
- § 60 SchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Erlass "Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen" (RdErl. d. MK vom 09.02.2004, SVBl. 3/2004 S. 128) gestattet bei Schulen, in denen unterschiedliche 1. oder unterschiedliche 2. Fremdsprachen angeboten werden, eine Überschreitung der zulässigen Klassengröße um 2 Schülerinnen oder Schüler, wenn andernfalls wegen der Unterrichtswünsche der Schülerinnen und Schüler im Pflichtbereich in einem Schuljahrgang mehr Lerngruppen als Klassen zu bilden wären.
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über den Wunsch der Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, ihre Tochter B. einer der Klassen bzw. Lerngruppen zuzuordnen, in der sowohl Spanisch als zweite Fremdsprache als auch bilingualer Unterricht erteilt wird.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der nach § 123 VwGO zulässigen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes ist im ausgesprochenen Umfang begründet, im Übrigen aber unbegründet.
Die Antragsteller, die Eltern der Schülerin C., können beanspruchen, dass über den Unterrichtswunsch ihres Kindes neu entschieden wird. Die vom Schulleiter der Antragsgegnerin nach den Wünschen der Sorgeberechtigten der Schüler vorgenommene Klassenzuordnung entspricht im Falle der Schülerin B. nicht dem gemeinsamen Wunsch der Antragsteller und behandelt sie damit ohne hinreichenden sachlichen Grund entgegen dem Gebot der Gleichbehandlung. Die Kammer verkennt nicht, dass der Schulleiter der Antragsgegnerin es mit seinen Bemühungen, ein förmliches Auswahlverfahren unter den Schülerinnen und Schülern zu vermeiden, die sowohl Spanisch als zweite Fremdsprache als auch bilingualen Unterricht gewählt haben, durchaus „gut gemeint“ hat; nach den Erklärungen der Antragsteller vom 14.06.2004 hätte er indessen seine bisherige Entscheidung ändern müssen. Sie beruht auf der irrtümlichen Annahme, beide Antragsteller hätten sich auf eine Änderung des schriftlich eingereichten Unterrichtswunsches eingelassen und seien nunmehr damit einverstanden, dass die Schülerin als zweite Fremdsprache Französisch statt Spanisch lernt. Es kann dahingestellt bleiben, was bei dem Telefonat zwischen dem Schulleiter und dem Antragsteller am 10.06.2004, einem Donnerstag, im Einzelnen besprochen worden ist. Der zwischen den Beteiligten streitige Inhalt dieses Telefonats braucht nicht aufgeklärt zu werden, weil selbst bei Richtigkeit dessen, was der Schulleiter der Antragsgegnerin im Tatsächlichen angenommen hat, er aus Rechtsgründen nicht ohne Weiteres hätte davon ausgehen dürfen, dass damit auch die Antragstellerin einverstanden ist. Grundsätzlich haben die Eltern ihr Sorgerecht gemeinsam auszuüben und sie vertreten ihr Kind auch in Schulangelegenheiten gemeinschaftlich (§§ 1627, 1629 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB, § 55 Abs. 1 Satz 1 NSchG). Die Erklärung lediglich eines Elternteils ist grundsätzlich - wie auch hier - schwebend unwirksam, solange nicht der andere Elternteil zustimmt. Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, der Geschehensablauf berechtige zu der Annahme, die Antragstellerin habe ihr Einverständnis stillschweigend erklärt. Aus der Tatsache, dass die Antragstellerin nicht sogleich am 11.06.2004 widersprochen hat, durfte der Schulleiter nicht schließen, dass sie mit der Erklärung des Antragstellers einverstanden ist. Ihrem bloßen Schweigen kann ein positiver Erklärungswert nicht entnommen werden, zumal die Antragstellerin unwidersprochen geltend macht, erst am Wochenende und nicht bis zum Mittag des 11.06.2004 über Einzelheiten des Telefonats informiert worden zu sein.
Dem weitergehenden Anspruch der Antragsteller auf Zuordnung ihrer Tochter zu einer der bei der Antragsgegnerin vorgesehenen „Spanisch-Klassen“ mit bilingualem Unterricht (in bestimmten Fächern in englischer Sprache) steht entgegen, dass die Antragsteller insoweit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben. Nach den gegenwärtigen, von den Antragstellern nicht in Frage gestellten Erkenntnissen und bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage spricht viel dafür, dass die Antragsgegnerin nicht von Gesetzes wegen verpflichtet ist, eine Klasse bzw. Lerngruppe mit 34 Schülerinnen und Schülern zu bilden, um auch die Tochter der Antragsteller am bilingualen Unterricht teilnehmen und sie als zweite Fremdsprache Spanisch lernen zu lassen. Nach dem Inhalt der vorliegenden Akten kann die Antragsgegnerin von den 100 Anmeldungen mit dem Unterrichtswunsch „Spanisch“ lediglich drei Klassen mit Spanisch-Unterricht (für 99 Schüler) bilden, wenn sie von der nach dem Erlass "Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen" (RdErl. d. MK vom 09.02.2004, SVBl. 3/2004 S. 128) unter Nummer 3. genannten Schülerhöchstzahl von 32 für eine Gymnasialklasse bis zum 10. Schuljahrgang ausgeht und eine Überschreitung von (nur) einem Schüler bzw. einer Schülerin für jede Klasse in Kauf nimmt. Dies ist eine Entscheidung, die die Antragsgegnerin nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat und die die Kammer nur daraufhin zu überprüfen hat, ob die Antragsgegnerin vom richtigen Sachverhalt ausgegangen, ihre Entscheidungsmöglichkeiten gesehen und die Grenzen ihres Entscheidungsspielraumes nicht überschritten hat. Dass eine Reduzierung dieses Ermessens etwa aus Gründen der Gleichbehandlung eingetreten wäre, weil die Antragsgegnerin in der Vergangenheit bei vergleichbarer Problematik immer zugunsten einer Vergrößerung der Klasse entschieden und auch ihre Verwaltungspraxis nicht planvoll geändert hätte, lässt sich der Akte nicht entnehmen und ist auch von den Antragstellern nicht glaubhaft gemacht worden. Da somit der Antragsgegnerin mangels bestimmter gesetzlicher Vorgaben ein Entscheidungsspielraum bei der Bestimmung der Klassengröße zukommt, wird sie - sollte sich zwischenzeitlich in tatsächlicher Hinsicht nicht etwas anderes ergeben haben - darüber zu entscheiden haben, ob sie unter den 100 Bewerberinnen und Bewerbern für Spanisch als zweite Fremdsprache entweder ein Auswahlverfahren durchführt, um die Person (die Schülerin oder den Schüler) bestimmen zu können, der die Erfüllung ihres diesbezüglichen Unterrichtswunsches versagt bleibt. Führt sie ein Auswahlverfahren durch, wird die Antragsgegnerin dabei von zulässigen und nachvollziehbaren Kriterien auszugehen haben und auch ihr Verfahren zum Zwecke späterer Nachprüfbarkeit hinreichend dokumentieren müssen.
Alternativ dazu kann die Antragsgegnerin nach Auffassung der Kammer jedoch auch entscheiden, dass eine Klasse bzw. Spanisch-Lerngruppe mit 34 Schülerinnen und Schülern besetzt wird. Entgegen der bisherigen Auffassung der Antragsgegnerin ist es nicht geboten, die Schülerhöchstzahl auf 32, maximal 33 Schüler zu begrenzen. Der dazu von der Antragsgegnerin herangezogene Erlass lässt es vielmehr zu, auch 34 Schülerinnen oder Schüler in eine Klasse aufzunehmen. In dem gerade auch hier einschlägigen Zusammenhang der Wahlmöglichkeiten auf Grund unterschiedlichen Fremdsprachenunterrichts heißt es unter Nummer 5.3 dieses Erlasses:
"Müssen Schulen bei unterschiedlicher 1. oder unterschiedlicher 2. Fremdsprache im Pflichtbereich in einem Schuljahrgang mehr Lerngruppen als Klassen bilden, weil andernfalls die Schülerhöchstzahl um mehr als 2 Schülerinnen oder Schüler überschritten würde, so werden die zusätzlich benötigten Stunden - maximal 4 Stunden - als Zusatzbedarf anerkannt. "
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Lerngruppen- oder Klassenbildung von bis zu 34 Schülerinnen oder Schüler zwar nicht zur Zuweisung zusätzlicher Lehrerstunden führt, aber auch nicht untersagt ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des in einem Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes (Nr. I 7 i.V.m. II 37.3 des Streitwertkatalogs, abgedruckt u.a. bei Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 189).