Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.06.2020, Az.: 1 Ws 228/20

Bestellung eines Pflichtverteidigers bei schwieriger Rechtslage; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen aufgrund unzutreffender Rechtsmittelbelehrung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.06.2020
Aktenzeichen
1 Ws 228/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 65329
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 24.04.2020 - AZ: 12 Ns 76/20

Redaktioneller Leitsatz

Wenn streitig ist, ob für einen Beweis ein Beweisverwertungsverbot besteht, dann ist von einer schwierigen Rechtslage auszugehen, so dass ein Fall des § 142 Abs. 2 S 1 StPO vorliegt und deshalb ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist.

Tenor:

  1. 1.

    Nach Versäumung der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss des Vorsitzenden der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 24. April 2020 wird dem Angeklagten von Amts wegen auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

  2. 2.

    Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 24. April 2020 aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt Prof. Dr. habil. (...), zum Verteidiger bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Den im Namen des Angeklagten gestellten Antrag seines Verteidigers vom 23. April 2020, ihm diesen als Pflichtverteidiger zu bestellen, hat das Landgericht Aurich mit Beschluss vom 24. April 2020, abgelehnt. Gegen diese - dem Verteidiger am 29. April und dem Angeklagten am 2. Mai 2020 zugestellte - Entscheidung hat der Verteidiger im Namen des Angeklagten am 13. Mai 2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannte Entscheidung sowie die Schriftsätze Bezug genommen.

I.

Das als sofortige Beschwerde im Sinne der §§ 142 Abs. 7 i.V.m. § 311 StPO auszulegende Rechtsmittel ist zulässig.

Zwar ist die Beschwerde erst am 13. Mai 2020 und mithin außerhalb der Wochenfrist gemäß § 142 Abs. 7 StPO i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO bei Gericht eingegangen. Da dem Angeklagten und seinem Verteidiger mit Zustellung des die Bestellung zum Pflichtverteidiger ablehnenden Beschlusses vom 24. April 2020 jeweils eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung gem. § 304 StPO übersandt wurde, ist dem Angeklagten aber gemäß §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bezüglich dieser Fristversäumung zu gewähren. Mit der Beschwerdeschrift vom 13. Mai 2020 wurde das entsprechend der Belehrung des Landgerichts ausdrücklich eröffnete (nicht fristgebundene) Rechtsmittel eingelegt und begründet. Da eine solche fehlerhafte Belehrung über das mögliche Rechtsmittel nebst entsprechender Fristen einer unterlassenen Belehrung gemäß § 35a StPO gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 44, Rn. 23 m.w.N.), wird ein fehlendes Verschulden des Angeklagten an der Versäumung der Beschwerdefrist vermutet (§ 44 StPO). Die anwaltliche Verteidigung des Angeklagten steht der Vermutungswirkung nicht entgegen. Einer Glaubhaft-machung bedurfte es nicht, da sich das fehlende Verschulden offenkundig aus den Akten ergibt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06. Dezember 1991 - 1 Ws 939/91, juris). Der Angeklagte hat ferner durch Einreichung der Beschwerdeschrift seinen Willen, weiterhin die Bestellung seines Verteidigers zum Pflichtverteidiger erreichen zu wollen, eindeutig zum Ausdruck gebracht, sodass es eines ausdrücklichen Antrages des Angeklagten auf Wiedereinsetzung vorliegend nicht bedarf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 45, Rn. 12 m.w.N.) und eine solche von Amts wegen erfolgen kann.

II.

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Einem Beschuldigten ist ausweislich des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Vorliegend ist eine schwierige Rechtslage gegeben. Von einer solchen ist bereits dann auszugehen, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 140, Rn. 28 m.w.N.).

Im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage (vgl. z.B. Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 26. Januar 2009 - 1 Ws 7/09, zit. n. juris) ist vorliegend zu beachten, dass die einzigen Beweismittel, die bei der durchgeführten Durchsuchung aufgefunden wurden und die (alleine) eine Verurteilung stützen könnten, möglicherweise von einem Beweisverwertungsverbot betroffen sind. Die konkrete Entscheidung, ob ein solches tatsächlich vorliegt oder nicht, bedarf dabei zwar der Entscheidung des Berufungs- und gegebenenfalls der des Revisionsgerichtes. Es ist unabhängig davon jedoch erkennbar, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes nicht völlig fernliegend ist, wie sich bereits aus dem Umstand ergibt, dass neben dem Amtsgericht Leer in seinem Urteil vom 22. Januar 2020 auch die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer vom selben Tag zu der Auffassung gelangt ist, dass ein solches Verwertungsverbot gegeben ist. Dem Angeklagten, der juristischer Laie ist, ist daher zur Beantwortung der sich mit der Einführung und Verwertung der Beweismittel stellenden Rechtsfragen ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Unabhängig davon ist dem Angeklagten auch ein Pflichtverteidiger zu bestellen, da die Staatsanwaltschaft Berufung gegen ein ihn freisprechendes Urteil eingelegt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 140, Rn. 27 m.w.N.). Die von dem bei solchen Konstellationen bestehenden Grundsatz der Bestellung eines Pflichtverteidigers angenommenen Ausnahmen (vgl. z.B. OLG Hamm, Beschluss v. 5. September 2017 - III-1 Ws 411/17, zit. n. juris) kommen aufgrund der o.g. Schwierigkeiten im Bereich der rechtlichen Beurteilung erkennbar nicht in Betracht.

Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte ausnahmsweise selbst in der Lage wäre, sich ausreichend zu verteidigen, liegen nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung folgt entsprechend aus § 467 Abs. 1 StPO.