Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 17.06.2020, Az.: 2 Ss(OWi) 109/20
Wirksame rechtsgeschäftliche Vollmacht eines Verteidigers bei Zustellung eines Bußgeldbescheids; Empfangsvollmacht bei Zustellung des Bußgeldbescheids an den Verteidiger
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 17.06.2020
- Aktenzeichen
- 2 Ss(OWi) 109/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 64411
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Cloppenburg - 04.12.2019
Rechtsgrundlage
- § 79 OWiG
Redaktioneller Leitsatz
Der Bußgeldbescheid wird wirksam an den Verteidiger zugestellt, wenn dieser zuvor im Schriftverkehr auf eine Vollmacht Bezug nimmt, die zwar keine Unterschrift des Mandanten enthält, aber eine Berechtigung zum Empfang von Schriftstücken (Zustellungsvollmacht).
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 04.12.2019 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Ausgenommen von der Aufhebung werden die Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit, sowie zur Sichtbarkeit des Verkehrszeichens am Tattage. Insoweit wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 160 € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde mit der er unter anderem geltend macht, der Verstoß sei verjährt und ihm sei das letzte Wort nicht erteilt worden. Darüber hinaus rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zulässig ausgeführte, gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Betroffenen ist Verfolgungsverjährung allerdings nicht eingetreten.
Nachdem der Betroffene von der Verwaltungsbehörde angehört worden ist, hat sich der Verteidiger mit Schreiben vom 22.03.2019 an die Verwaltungsbehörde gewandt und "gemäß der anliegenden Vollmacht" angezeigt, dass ihn der Betroffene mit seiner Interessenvertretung beauftragt habe. Der Verteidiger hat mit diesem Schreiben Akteneinsicht beantragt und mitgeteilt, dass sich der Betroffene ausschließlich durch ihn zur Sache einlassen werde. Beigefügt war diesem Schreiben eine "Prozessvollmacht"... in Sachen", es folgt der Name des Betroffenen, "wegen Ordnungswidrigkeitenverfahren".
Die Vollmachtsurkunde enthält auch die Befugnis zur Entgegennahme von Zustellungen.
Am Ende der Vollmacht befinden sich auf der linken und rechten Seite des Formulars gepunktete Linien. Unter der linken Linie ist in Klammern "Ort, Datum" gedruckt, unter der rechten Linie in Klammern "Unterschrift".
Oberhalb der gepunkteten linken Linie befindet sich in einer Art Schreibschrift der Ortsname des Sitzes des Verteidigers, sowie das Datum 22.03.2019, oberhalb der rechten gepunkteten Linie ebenfalls in einer Art Schreibschrift der Name des Betroffenen.
Der Bußgeldbescheid ist nach Vorlage dieser Vollmacht dem Verteidiger zugestellt worden.
Sein Einwand, die Zustellung sei unwirksam, da sich eine schriftliche Vollmacht nicht bei der Akte befunden habe und deshalb die Sache verjährt sei, greift nicht durch. Es ist vielmehr von einer wirksamen Zustellung an den Verteidiger auszugehen.
Der Verteidiger hat zur Vollmachtsurkunde folgendes vorgetragen:
"Ausweislich S. 14 der Ermittlungsakte befand sich in der Ermittlungsakte lediglich ein Vollmachtformular, welches nicht die Unterschrift des Betroffenen trägt, weiterhin auch nicht der gesetzte Namenszug vom Betroffenen stammt, sondern, wie bei schriftlich ungewandten Mandanten stets der Fall, vom Büropersonal des Unterzeichners mittels PC-Ausdruck eingefügt worden ist, um dem Mandanten zu verdeutlichen, wo er seine Unterschrift zu leisten habe. Nur versehentlich ist sodann das Formular zur Akte gelangt, Hinweise auf gegenteilige Anhaltspunkte lassen sich im vorzunehmenden Freibeweisverfahren nicht erkennen."
Zunächst begegnet die vorliegende Art der Ausgestaltung der Vollmachtsurkunde erheblichen Bedenken, da auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, dass es sich tatsächlich nicht um die Unterschrift des Betroffenen, sondern um den vorgedruckten Namen handelt. Die Annahme des Amtsgerichtes, das Verhalten eines Verteidigers, der sich auf die Unwirksamkeit einer derartigen Vollmachtsurkunde beruft, sei rechtsmissbräuchlich, ist zumindest nicht fernliegend. Hinzu kommt, dass die obige Erklärung für das Zustandekommen einer derartigen Vollmacht - bei schriftlich ungewandten Mandanten werde "stets" so verfahren - offensichtlich unzutreffend ist. In einer Parallelsache hat der Betroffene dem Verteidiger nämlich am 12.2.2019 eine Vollmacht erteilt, bei der sich eine solche Gestaltung nicht findet.
Allerdings bedarf es des Rückgriffes auf den Rechtsmissbrauch hier nicht.
Es ist nämlich von einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht auszugehen. Zwar macht der Verteidiger -ohne jegliche Begründung- geltend, über eine solche Vollmacht erst ab August 2019 verfügt zu haben. Dem steht allerdings entgegen, dass er sich bereits vor Zustellung des Bußgeldbescheides unter Bezugnahme auf die "anliegende Vollmacht" für den Betroffenen gemeldet hat. Da das beigefügte Vollmachtsformular auch die Empfangnahme von Zustellungen umfasste, ist damit das Vorhandensein einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht hinreichend dokumentiert. Der Verteidiger macht nämlich nicht geltend, zunächst überhaupt nicht bevollmächtigt gewesen zu sein, was die auch die Konsequenz haben würde, dass kein wirksamer Einspruch vorläge. Anders als in der Entscheidung des OLG Celle vom 27.3. 2019 (2 Ss (OWi) 101/19, juris), in der das OLG Celle die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht verneint hatte, verweist der Verteidiger hier gerade auf das Vollmachtsformular, dass auch Zustellungen umfasste. Da dem Verteidiger der Bußgeldbescheid somit wirksam zugestellt werden konnte, greift der Verjährungseinwand nicht.