Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.04.2013, Az.: 2 B 265/13

sonstige bauliche Anlage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.04.2013
Aktenzeichen
2 B 265/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64467
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Betrieb von Ruder- Tret- und Elektrobooten auf einem an einem genehmigten Campingplatz gelegenen See ist keine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 NBauO.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 6. Februar 2013 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Januar 2013 wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben,

hat mit dem Hauptantrag Erfolg.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen vom Vollzug der Verfügung des Antragsgegners vom 9. Januar 2013 verschont zu bleiben, und dem vom Antragsgegner vertretenen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Bescheides, geht zu Lasten des Antragsgegners aus. Denn die angefochtene Verfügung, mit der der Antragsgegner dem Antragsteller die Nutzung des Bootsbetriebs auf dem E. F. mit sofortiger Wirkung untersagt hatte, erweist sich bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung als rechtswidrig.

Zunächst einmal genügt die mit Bescheid vom 9. Januar 2013 vorgenommene Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Danach muss die Behörde, wenn sie die sofortige Vollziehung einer Verfügung anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich begründen. Dieses besondere Vollzugsinteresse geht über dasjenige hinaus, dass den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigt. Zwar ist nicht in allen Fällen ein über den Gesetzeszweck hinaus gehendes zusätzliches Vollzugsinteresse erforderlich und wird es vor allem dort zu bejahen sein, wo gegen angemaßte Rechtspositionen, wie ungenehmigte Nutzungen, vorgegangen wird; jedoch muss die Behörde die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen, bezogen auf den konkreten Fall, gegeneinander abwägen. Dies hat der Antragsgegner nicht in ausreichendem Maße getan. Vielmehr hat er, ausgehend von seiner Annahme, der Antragsteller nutze den E. F. für seinen Bootsbetrieb formell illegal, losgelöst von diesem Einzelfall ausgeführt, warum es nicht im öffentlichen Interesse liege, rechtswidrig erlangte Positionen bis zum Abschluss eines möglichen Rechtsbehelfsverfahrens zu belassen. Diese formelhafte Begründung genügt hier nicht. Denn der Antragsgegner lässt eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen, im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens gegenüber der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers kundgetanen Rechtsauffassung vermissen.

Im Jahre 2011 hatte der Antragsteller sowohl persönlich wie auch durch seine Prozessbevollmächtigte beim Antragsgegner nachgefragt, ob für die verschiedenen, von ihm am E. F. durchgeführten Unternehmungen, unter anderem den Bootsbetrieb, eine Genehmigung erforderlich sei oder eine solche vorliege. Dabei hatte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 24. Juni 2011 darauf hingewiesen, dass der Antragsteller acht Tret-, zwei Ruder- und sechs Elektroboote betreibe. Daraufhin hatte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Schriftsatz vom 14. April 2011 u.a. mitgeteilt, der Bootsbetrieb auf dem E. F. sei durch eine Gemeingebrauchsregelung im Niedersächsischen Wassergesetz abgedeckt. Mit Schreiben vom 8. Juni 2011 führte der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller aus, seinem Schreiben vom 14. April 2011 sei nichts hinzuzufügen. Es mache deutlich, dass öffentlich-rechtlich einem Bade- und Bootsbetrieb nichts entgegenstehe. Dieser werde im Übrigen seit Jahren ausgeübt. Schließlich führt der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 8. Juli 2011 an die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers aus, mit ihrer Anfrage vom 24. Juni 2011 wiederhole sie das Verhalten ihres Mandanten, klare und unmissverständliche Aussagen von Seiten des Sachbearbeiters des Antragsgegners anzuzweifeln. Es gebe jedoch keine Zweifelsfragen, es gebe vielmehr vom Antragsgegner die klare Aussage, dass der seit Jahrzehnten ausgeübte Bade- und Bootsbetrieb zulässig sei. Nutzungen, die bereits seit Jahrhunderten auf derartigen kleinen Binnengewässern üblich seien, als da seien Schwimmen und Bootsfahren, seien keine den Denkmalwert schädigende Nutzung, wenn sie ohne bauliche Eingriffe in die Teich- bzw. Teichufersubstanz durchgeführt würden. Erst nachdem die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers versuchte, diese Auskünfte des Antragsgegners im vor der Kammer anhängig gewesenen Verfahren 2 A 366/12 wegen der beabsichtigten Errichtung einer Wasserskibahn auf dem E. F. nutzbar zu machen, ist der Antragsgegner von seiner bisherigen unzweideutigen Rechtsauffassung abgerückt und hat sich dabei allein auf die Aussagen der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gestützt, dass sich sowohl das Ausmaß als auch die Art der Nutzung gegenüber der ursprünglichen Nutzung geändert hätten. Der Antragsgegner deutete allerdings mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2012 an, eine Duldung des Bootsbetriebs in Erwägung zu ziehen, wenn der Antragsteller Art und Weise sowie Umfang des Bootsbetriebes mit Unterlagen darlege, die Bauantragsqualität besäßen.

In Anbetracht dieser Verfahrensvorgeschichte hätte der Antragsgegner deutlich machen müssen, warum es im besonderen öffentlichen Interesse ist, nicht nur eine Nutzungsuntersagung auszusprechen, sondern diese auch mit der Anordnung mit der sofortigen Vollziehung zu versehen. Das Verhalten des Antragsgegners ist nicht widerspruchsfrei.

Auch in der Sache spricht Überwiegendes dafür, dass die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 9. Januar 2013 ausgesprochene Untersagung der Nutzung des Bootsbetriebs auf dem E. F. in G. H. nicht rechtmäßig ist.

Als Rechtsgrundlage für die Verfügung kommt allein § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NBauO vom 3. April 2012 (Nds. GVBl. S. 46) in Betracht; das vom Antragsgegner für seine Verfügung herangezogene alte, aber inhaltsgleiche Recht findet keine Anwendung mehr. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, insbesondere die Benutzung baulicher Anlagen untersagen. Als in aller Regel geringstmöglicher Eingriff, der keinerlei Substanzverlust zur Folge hat, ist eine Nutzungsuntersagung regelmäßig gerechtfertigt, wenn die Nutzung einer baulichen Anlage ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommen oder fortgesetzt wird, denn vor Erteilung der Baugenehmigung darf gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 NBauO mit der Baumaßnahme nicht einmal begonnen werden (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Nds. Bauordnung, 8. Auflage, § 89 Rn. 27).

Die Nutzungsuntersagung ist voraussichtlich aus mehreren Gründen rechtswidrig.

Zunächst einmal ist dies so, weil zumindest der gewerbliche Betrieb von Ruderbooten, auf den sich die Untersagungsverfügung auch erstreckt, bestandsgeschützt und vom Gemeingebrauch nach § 32 Nds. Wassergesetz gedeckt ist (vgl. Reffken/Elsner, NWG, § 32 Rn. 15). Insoweit liegt eine Änderung der Nutzung, wie sie circa seit 1910 auf dem E. F. besteht, nicht vor. Hinsichtlich der Elektroboote ergibt sich, soweit nicht schon gestatteter Gemeingebrauch i.S.d. § 32 Abs. 2 NWG vorliegt, nur aus § 100 Abs. 1 S. 2 WHG eine gesetzliche Befugnis der unteren Wasserbehörde zum Einschreiten (vgl. Reffken/Elsner, a.a.O., § 32 Rn. 21). Auf diesen Teil des Bootsbetriebes hätte sich die Untersagungsverfügung daher nicht erstrecken dürfen.

Ohne dass die Kammer dies entscheiden müsste, spricht auch hinsichtlich der Tretbootbetriebs viel dafür, dass er bestandsgeschützt und vom Gemeingebrauch erfasst ist. Die Beantwortung dieser Frage würde voraussetzen festzustellen, ob die Boote bereits vor 1964, dem Inkrafttreten der NBauO, auf dem E. F. in Betrieb waren. Aus den nachfolgenden Gründen kann diese Frage unbeantwortet bleiben.

Die Kammer teilt die Rechtsauffassung des Antragstellers nicht, der Bootsbetrieb des Antragstellers sei baurechtlich formell illegal. Bei dem Bootsbetrieb handelt es sich nicht um eine Baumaßnahme im Sinne von §§ 2 Abs. 13,  59 Abs. 1 NBauO, die einer Genehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde (Baugenehmigung) bedürfte. Baumaßnahme ist gemäß § 2 Abs. 13 NBauO die Errichtung, die Änderung, der Abbruch, die Beseitigung, die Nutzungsänderung oder die Instandhaltung einer baulichen Anlage oder eines Teiles einer baulichen Anlage. Voraussichtlich zu Unrecht stützt der Antragsgegner seine Rechtsauffassung darauf, bei dem Bootsbetrieb handele es sich um eine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 NBauO. Danach sind bauliche Anlagen auch sonstige Anlagen, die einen Zu- und Abgangsverkehr mit Kraftfahrzeugen erwarten lassen. Um eine solche Anlage handelt es sich hier nach Auffassung der Kammer aus zwei Gründen nicht.

Auch in den Fällen der Nummer 13 muss es sich um eine „Anlage“ handeln; es muss von Menschen etwas Ortsfestes geschaffen oder eingerichtet worden sein (Große-Suchsdorf u.a., a.a.O. § 2 Rn. 32). Daran, dass etwas Ortsfestes geschaffen wird, fehlt es bei einem Bootsbetrieb. Die Boote schwimmen naturgemäß auf dem Wasser und sind beim Betrieb, allein um dessen Untersagung geht es in der Verfügung vom 9. Januar 2013, nicht ortsgebunden. Folglich handelt es sich beim Bootsbetrieb auf dem E. F. nicht um eine Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 NBauO.

Selbst wenn es sich um eine Anlage im dargestellten Sinne handeln würde, ließe der Bootsbetrieb des Antragstellers einen Zu- und Abgangsverkehr mit Kraftfahrzeugen nicht erwarten. Die Aufnahme sonstiger Anlagen in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 NBauO findet ihre sachliche Rechtfertigung darin, dass auch die Auswirkungen auf den Verkehr dem Baurecht unterfallen können. Dies ist insbesondere hinsichtlich der notwendigen Einstellplätze nach § 47 Abs. 1 NBauO der Fall. Für bauliche Anlagen, die einen Zu- und Abgangsverkehr mit Kraftfahrzeugen erwarten lassen, müssen Einstellplätze in solcher Anzahl und Größe zur Verfügung stehen, dass sie die vorhandenen oder zu erwartenden Kraftfahrzeuge der ständigen Benutzerinnen und Benutzer und der Besucherinnen und Besucher der Anlagen aufnehmen können. Insoweit ist die Kammer davon überzeugt, dass der Bootsbetrieb keinen zusätzlichen Zu- und Abgangsverkehr hervorruft. Zu- und Abgangsverkehr erfolgt am E. F. durch den vom Antragsteller betriebenen Campingplatz und die auf dem von ihm gepachteten Gelände befindliche Badestelle. Camping- und Badegäste sind die Nutzer der vom Antragsteller vorgehaltenen Boote; sowohl Campingplatz wie Badestelle sind baurechtlich genehmigt bzw. bestandsgeschützt. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass ein besonderer Zu- und Abgangsverkehr allein wegen der Ruder-Tret- und Elektroboote erfolgen wird. Abgesehen davon ist aufgrund des auf dem Grundstück des Antragstellers durchgeführten Termins zur mündlichen Verhandlung am 27. September 2012 im Verfahren 2 A 366/12 gerichtsbekannt, an dem auch Mitarbeiter des Antragsgegners teilgenommen haben, dass der Antragsteller eine erhebliche Anzahl von Stellplätzen auf seinem Gelände vorhält und die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 NBauO ohne weiteres erfüllt sind.

Schließlich erkennt die Kammer in der angegriffenen Entscheidung des Antragsgegners einen Ermessensfehler. Denn eine Nutzungsuntersagung ist dann ermessensfehlerhaft sein, wenn die Bauaufsichtsbehörde zuvor ein Vertrauen des Bauherrn dahin geweckt hat, dass die Nutzung erfolgen darf oder wenn diese seit längerer Zeit geduldet worden ist. Beides ist hier der Fall.

Über Jahrzehnte ist der Antragsgegner gegen den Bootsbetrieb des Antragstellers nicht eingeschritten; ob dies allein deshalb geschah, weil der Antragsgegner keine Kenntnis von diesem Freizeitbetrieb hatte, darf in Anbetracht der touristischen Bedeutung des E. F. es auch und gerade für die Harzbewohner bezweifelt werden, muss aber auch nicht aufgeklärt werden. Denn der Antragsgegner hat dem Antragsteller unter dem 14. April, dem 8. Juni und dem 8. Juli 2011 die unmissverständliche Auskunft erteilt, der seit Jahrzehnten ausgeübte Bade- und Bootsbetrieb sei zulässig. Dies geschah jedenfalls nach dem anwaltlichen Schriftsatz vom 24. Juni 2011 in voller Kenntnis der tatsächlichen Umstände des Bootsbetriebes und seines Umfangs. Einen anderen Umfang, der Anlass zum Tätigwerden der Bauaufsicht hätte sein können, hat der Antragsteller auch nicht im Verfahren 2 A 366/12 behauptet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit 52 Abs. 2 GKG. Den für das Hauptsacheverfahren als angemessen angesehenen Auffangstreitwert halbiert die Kammer in Anbetracht der Vorläufigkeit der begehrten Regelung.