Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 15.04.2013, Az.: 8 A 691/12

Beiladung; außerkapazitäre Klage; Rechtsschutzbedürfnis; Untätigkeitsklage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
15.04.2013
Aktenzeichen
8 A 691/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64459
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine auf die außerkapazitäre Zulassung zum Studium gerichtete Untätigkeitsklage ist nur zulässig, wenn die beklagte Hochschule vor Klageerhebung ausdrücklich und vergeblich aufgefordert wrude, den Antrag auf außerkapazitäre Zulassung zu bescheiden.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur endgültigen Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2011/2012.

Der Kläger bewarb sich zum Wintersemester 2011/2012 rechtzeitig bei der Beklagten außerkapazitär um einen Vollstudienplatz im Studiengang Humanmedizin. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (8 C 1204/11) blieb er erfolglos (VG Göttingen, Beschluss vom 04.11.2011 - 8 C 708/11 u.a. -; Nds. OVG, Beschluss vom 18.07.2012 - 2 NB 368/11 -); seine außerkapazitäre Bewerbung wurde von der Beklagten nicht beschieden.

Am 07.05.2012 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Ausbildungskapazitäten der Beklagten seien nicht ausgeschöpft. Die Klage sei eigentlich keine Untätigkeitsklage, vielmehr stehe das Verpflichtungsbegehren auf Zulassung zum Studium im Vordergrund. Auch sei er sich bewusst, dass andere Antragsteller des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit besseren Rangplätzen ebenfalls klagen könnten; dieses Risiko nehme er in Kauf. Sollten aber solche Kläger nicht vorhanden sein, bestehe nach dem Abschluss der verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren keine Bindung mehr an die Reihenfolge, die für die Verteilung aufgefundener außerkapazitärer Studienplätze ausgelost worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach den Verhältnissen des Wintersemesters 2011/ 2012 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Vollstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage sei nicht hinreichend substantiiert begründet worden. Alle Studienkapazitäten im Fach Humanmedizin im Wintersemester 2011/12 seien ausgeschöpft worden.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakten 8 C 1204/11 und 8 A 691/12 im Übrigen sowie den Beschluss der Kammer vom 04.11. 2011 - 8 C 708/11 u.a. - Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die erhobene Untätigkeitsklage – nur um eine solche kann es sich vorliegend handeln, weil ansonsten mangels eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens die Voraussetzung des § 42 Abs. 1 VwGO für die Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form des abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts fehlen würde – gemäß § 75 VwGO ist nicht zulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt. Diese Zulässigkeitsvor-aussetzung für alle verwaltungsgerichtlichen Klage- und Antragsarten wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte und dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effektivität staatlichen Handelns (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, Vorb § 40 Rn 30 m.w.N.).

Der an die Hochschule fristgerecht zu richtende außerkapazitäre Antrag ist gemäß § 2 Abs. 2 Hochschul-Vergabeverordnung (vom 22.06.2005, Nds. GVBl. S. 215, in der für die Zulassung zum Wintersemester 2011/12 geltenden Fassung vom 01.07.2011, Nds. GVBl. S. 233) nur dann erforderlich, wenn beabsichtigt wird, "einen Studienplatz auf dem Gerichtsweg außerhalb des Zulassungsverfahrens und der festgesetzten Zulassungszahl zu erlangen". Die Hochschul-Vergabeverordnung verwendet die Begriffe Zulassungsverfahren und Zulassungsantrag ausschließlich im Zusammenhang mit der Vergabe der durch die jeweils geltende Fassung der Zulassungszahlenverordnung (ZZ-VO) festgesetzten - "innerkapazitären" - Studienplätze und trifft ausschließlich hierzu Regelungen des Verwaltungsverfahrens. Von daher ist bereits zweifelhaft, ob der außerkapazitäre Antrag an die Hochschule lediglich eine Zulässigkeitsvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, nicht aber die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nds.VwVfG, 9 VwVfG ist, und deshalb gar nicht darauf gerichtet ist, mit einem Verwaltungsakt der Hochschule beantwortet zu werden, was Voraussetzung für die erhobene Untätigkeitsklage gemäß § 75 Satz 1 VwGO wäre. Hierauf kommt es letztlich nicht entscheidend an, weil die erhobene Untätigkeitsklage auch dann gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der außerkapazitäre Antrag an die Hochschule ein Verwaltungsverfahren eröffnet.

Den Prozessbevollmächtigten des Klägers ist seit langem aus den halbjährlich geführten Eilantragsverfahren gegen die Beklagte deren Verwaltungspraxis bekannt, dass die auf die Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester gerichteten außerkapazitären Anträge dort lediglich zur Kenntnis genommen und zwecks Prüfung der Zulässigkeit der Eilanträge gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gesammelt, nicht aber beschieden werden. Diese Praxis hat seinen Grund nicht allein in einer Kostenersparnis für alle Beteiligten. Die Beklagte ist nämlich bei der Frage, wie viele Studienplätze sie zu vergeben hat, an die Festsetzungen in der jeweils geltenden Fassung der ZZ-VO gebunden. Abgesehen von den Fällen, in denen ein Verwaltungsgericht die Hochschule zu einer (vorläufigen) Vergabe weiterer Studienplätze verpflichtet oder die Hochschule versehentlich die Kapazität "überbucht", wäre die Immatrikulation auch nur eines Studierenden außerhalb der festgesetzten Kapazität - und damit außerhalb des verordnungsrechtlich geregelten Zulassungsverfahrens - auf der Grundlage eines Verwaltungsaktes der Hochschule als Verstoß gegen die ZZ-VO rechtswidrig.

Wäre demnach als Ziel des Antrags an die Hochschule anzusehen, dass eine außerkapazitäre Zulassung zum Studium durch einen Verwaltungsakt erlangt werden soll, so wäre unter Beachtung des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns das Verwaltungsverfahren von vornherein auf eine der Hochschule rechtlich unmögliche Leistung gerichtet. Außer der Kenntnis der jeweils festgesetzten Zulassungszahlen würde die Hochschule keine weiteren Angaben zum Sachverhalt benötigen; sie hätte demzufolge jeden bei ihr eingehenden außerkapazitären Antrag schon deshalb unverzüglich abzulehnen, weil er auf eine Überschreitung der für die Hochschule verbindlich festgesetzten Zulassungszahl gerichtet wäre. Enthielten diese Bescheide zutreffende Rechtsbehelfsbelehrungen, so müssten die Antragsteller binnen einer Monatsfrist (§ 74 VwGO) eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erheben, um zu verhindern, dass ihre (ggf. noch zu stellenden) gerichtlichen Eilanträge wegen der eintretenden Bestandskraft der Ablehnungsbescheide unzulässig wären bzw. würden. Dies würde neben überflüssigen weiteren Kosten für die Beteiligten zu einer Flut von Klageverfahren (und Prozesskostenhilfeanträgen zu Lasten des Landeshaushalts) bei den Verwaltungsgerichten führen, die ausschließlich den Zweck hätte, den jeweiligen Klägern den einstweiligen Rechtsschutzweg zu eröffnen, der ohne die streitgegenständlichen Ablehnungsbescheide ebenfalls eröffnet wäre. So verstanden, enthielte die postwendende Ablehnung aller eingehenden außerkapazitären Anträge durch die Hochschule einen Verstoß gegen das Verbot der Schikane der Antragsteller, weil sie diese zu überflüssigen Klageverfahren zwingen würde. Unter diesen Umständen, die sich einem verständigen Prozessbevollmächtigten und Organ der Rechtspflege ohne weiteres erschließen müssten, wäre er gehalten, von der Hochschule entgegen der ihm bekannten und rechtmäßigen Verwaltungspraxis der Nichtbescheidung ausdrücklich eine zeitnahe Entscheidung über den außerkapazitären Antrag zu verlangen. Tut er dies - wie vorliegend - nicht, so wird die Hochschule von der Erhebung der Untätigkeitsklage überrascht, so dass sich die Klage auch als Missbrauch eines prozessualen Rechts erweist und die Kostenfolge des § 161 Abs. 3 VwGO nicht eintreten kann.

Überdies ist die Klage auch deshalb unzulässig, weil das rechtshängige Verpflichtungsbegehren unmittelbar auf die Zulassung zum Studium gerichtet ist, die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht vorliegen. Hier ist nämlich zu beachten, dass die Kammer die Verfahrensweise bei der Vergabe nicht besetzter Studienplätze durch die Festlegung einer Nachrücker-Rangliste der Studienkohorte abschließend geregelt hat, indem sie im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren 8 C 708/11 u.a. am 02.11.2011 eine Rangfolge für die Besetzung freier Studienplätze auslosen ließ. Diese ist nicht nur für das durchgeführte Eilverfahren verbindlich, sondern auch für die Nachbesetzung jedes anderen freien oder wieder frei gewordenen Studienplatzes im 1. Fachsemester dieser Kohorte durch eine gerichtliche Entscheidung, weil die Kammer das Besetzungsverfahren für außerkapazitäre Studienplätze bestimmt (BVerwG, Urteil vom 08.02.1980 - 7 C 93.77 -; Nds.OVG, Beschluss vom 05.09.2005 - 2 NB 250/05 -, beide juris) und sich durch die Auswahl des Vergabeverfahrens selbst gebunden hat. Zwar endet die Besetzbarkeit freier Studienplätze grundsätzlich mit dem Ende des Semesters, vorliegend also mit dem Ablauf des 31.03.2012. Der Kläger begehrt jedoch seine Zulassung nach den Rechtsverhältnissen dieses abgelaufenen Wintersemesters 2011/12, zu denen auch die Vergabereihenfolge gehört, so dass die Rangfolge ausnahmsweise auch nach dem Ende des fraglichen Semesters einzuhalten ist. Der Kläger wird in dieser Rangfolge nicht auf einem der ersten 50 Plätze geführt, so dass seinem Rangplatz eine Vielzahl potenzieller Nachrücker vorgeht. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, hinsichtlich sämtlicher vor der klagenden Partei geloster Nachrücker des fraglichen Durchgangs sicherzustellen, dass deren vorrangige Rechtspositionen als Ergebnis der erfolgten Verlosung durch die begehrte Zulassungsverpflichtung der Beklagten nicht vereitelt werden. Vielmehr obliegt es der klagenden Partei, auch diese Voraussetzung für einen Erfolg ihres Klagebegehrens vollumfänglich darzulegen, beispielsweise durch Verzichtserklärungen aller vorrangig gelosten Studienplatzbewerber des Durchgangs; dies ist trotz eines entsprechenden rechtlichen Hinweises nicht geschehen.

Abgesehen von ihrer Unzulässigkeit hat die Klage auch keinen Erfolg, weil sie in der Sache unbegründet ist. Die Kammer hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes 8 C 708/11 u.a. durch Beschluss vom 04.11.2011 (insoweit bestätigt durch Nds. OVG, Beschluss vom 15.08.2012 - 2 NB 359/11 u.a. -) aufgrund einer eingehenden Prüfung festgestellt, dass die Beklagte die bei ihr (gemäß § 1 Abs. 1 ZZVO 2011/12 i.V.m. Anl. 1, Abschnitt I B und II, B, jeweils Universität H.) vorhandene Kapazität an Vollstudienplätzen des 1. Fachsemesters im Studiengang Humanmedizin ausgeschöpft hat. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass abweichend von dem vorgenannten Beschluss und dem bereits zitierten Beschluss des Nds. OVG vom 15.08.2012 weitere nicht ausgeschöpfte Kapazitäten im Fach Humanmedizin im Umfang von mindestens einem Studienplatz bei der Beklagten bestehen, kann das Klagebegehren auch materiell-rechtlich keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.