Landgericht Bückeburg
Beschl. v. 07.08.2006, Az.: 4 T 166/05

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
07.08.2006
Aktenzeichen
4 T 166/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 42972
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBUECK:2006:0807.4T166.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Stadthagen - 04.11.2005 - AZ: 8 K 67/02
nachfolgend
BGH - 11.10.2007 - AZ: V ZB 178/06

Tenor:

  1. 1.

    Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stadthagen - 8 K 67/02 - vom 4. November 2005 wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Schuldner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

  3. 3.

    Der Beschwerdewert wird auf 90 000 € festgesetzt.

  4. 4.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht ordnete auf den Antrag der Beteiligten zu 2. durch Beschluss vom 14. November 2002 die Zwangsversteigerung des eingangs bezeichneten und mit einem unbewohnten Fachwerkhaus bebauten Grundstücks an. Den Verkehrswert setzte das Amtsgericht durch einen von dem Schuldner nicht angefochtenen Beschluss vom 3. März 2004 auf 106 860 € fest. Dabei stützte sich das Amtsgericht - einer Anregung des Schuldners vom 24. März 2003 folgend - auf ein Gutachten des Sachverständigen ... vom 10. August 1999 (Bl. 57 d.A.), das dieser zum Stichtag 16. Juli 1999 im Rahmen eines Zugewinnausgleichsverfahrens erstellt hatte.

2

In einem ersten Versteigerungstermin vom 28. April 2005 ist Herr ... als Vertreter der das Verfahren betreibenden Gläubigerin (Beteiligte zu 2.) erschienen. Er blieb in diesem Termin mit einem im eigenen Namen abgegebenen Bargebot von 10 000 € Meistbietender. Das Amtsgericht versagte ihm allerdings durch einen in diesem Termin verkündeten und unangefochten gebliebenen Beschluss unter Hinweis auf § 85a ZVG den Zuschlag.

3

Einen von dem Schuldner unter dem 25. Oktober 2005 nach § 30a ZVG gestellten Antrag auf einstweiligen Einstellung des Verfahrens, den der Schuldner mit einer beabsichtigten Eigenverwertung begründet hat, wies das Amtsgericht durch Beschluss vom selben Tag zurück, weil die Voraussetzungen des § 30a ZVG und auch die des § 765a ZPO nicht vorlägen; dieser Beschluss ist unangefochten geblieben.

4

In dem Versteigerungstermin vom 25. Oktober 2005 ist die Beteiligte zu 5. mit einem Bargebot von 10 000 € Meistbietende geblieben. Das Amtsgericht bestimmte einen gesonderten Termin zur Entscheidung über den Zuschlag, und zwar auf den 4. November 2005. Einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO hat der Schuldner daraufhin bis zu dem Zuschlagstermin nicht gestellt.

5

Durch einen in dem Termin vom 4. November 2005 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht daraufhin den Grundbesitz der Beteiligten zu 5. unter näher aufgebührten Bedingungen für den durch Zahlung zu berichtigenden Betrag von 10 000 € zugeschlagen. Zur Begründung hat der Rechtspfleger im Wesentlichen ausgeführt, angesichts der in dem Versteigerungstermin vorgelegten Lichtbilder müsse davon ausgegangen werden, dass das aufstehende Gebäude abrissreif sei und dass daher der Verkehrswert mit dem bloßen Grundstückswert von ca. 20 000 € hätte festgesetzt werden müssen. Die Erstellung eines neuen Verkehrswertgutachtens würde aber zu einer für die Gläubiger unzumutbaren Verfahrensverzögerung führen.

6

Gegen diesen ihm am 22. November 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 6. Dezember 2005 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Schuldners, mit der er eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und eine Zuschlagsversagung erstrebt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Grundbesitz werde durch den Zuschlag zu einem weit unter dem Verkehrswert liegenden Gebot verschleudert. Das zur Wertfestsetzung herangezogene Gutachten ... stamme aus dem Jahr 1999 und sei veraltet. Zu Unrecht sei der Rechtspfleger davon ausgegangen, dass der Gutachter ... die von ihm auf 321 000 DM taxierten Gebäudeschäden nicht berücksichtigt habe. Ein auf den Bewertungsstichtag 26. Juni 1997 erstelltes Gutachten des Gutachterausschusses vom 15. Oktober 2003 (Bl. 192 d.A.) komme - bei einem Gebäudewert von 0 € - zu einem Verkehrswert von 80 000 €. Unter Hinzurechnung der seinerzeit auf 19 430 € ermittelten Abrisskosten ergebe sich ein Verkehrswert von rund 100 000 €, was überschlägig auch dem Gutachten ... entspreche.

7

Die Beteiligten zu 5., 7. und 8., die zu dem Beschwerdeverfahren zugezogen sind, haben keine Stellungnahme abgegeben. Die Beteiligte zu 2., die ebenfalls zugezogen ist, erachtet eine Wertschätzung auf der Grundlage des um die Abrisskosten reduzierten reinen Grundstückswertes für realistisch. Ihr Vertreter sei in dem ersten Termin im Übrigen der einzige Bietinteressent gewesen.

8

II.

Die sofortige Beschwerde (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 96 ZVG) des Schuldners gegen den Zuschlagsbeschluss vom 4. November 2005 ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde hat in der Sache aber keinen Erfolg, weil das Amtsgericht zu Recht der Beteiligten zu 5. zu den ausgesprochenen Bedingungen den Zuschlag erteilt hat.

9

1.

Versagungsgründe, die das Beschwerdegericht von Amts wegen zu beachten hätte (§§ 100 Abs. 3, 83 Ziff. 6 und 7 ZVG) liegen nicht vor.

10

Für einen Versagungsgrund nach § 83 Ziff. 7 ZVG ist nichts ersichtlich und von dem Schuldner auch nichts ausgeführt.

11

Ein Versagungsgrund nach § 83 Ziff. 6 ZVG liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere kann der Zuschlag hier nicht unter Hinweis auf eine drohende Verschleuderung des Grundbesitzes (§ 765a ZPO) versagt werden, und zwar unanhängig davon, ob sich der Verkehrswert des Grundbesitzes realistischerweise auf den von dem Rechtspfleger für angemessen erachteten Wert von nur ca. 20 000 € beläuft oder auf den von dem Schuldner als angemessen erachteten Wert von 100 000 €, bei dem eine Zuschlagserteilung auf ein Meistgebot eine sittenwidrige Verschleuderung darstellen könnte. Denn die Kammer darf im Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde, wie sich aus §§ 33, 100 Abs. 1 ZPO ergibt, nur diejenigen Anträge und Tatsachen berücksichtigen, die bereits im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorgelegen haben (vgl. Stöber, ZVG, 18. Aufl., Einl. Anm. 59.10 lit.c.). Eine sittenwidrige Härte, die in einer "Verschleuderung" des Grundbesitzes liegt, darf das Vollstreckungsgericht nach § 765a ZPO nur auf Antrag berücksichtigen. Ein unbeschiedener oder unzutreffenderweise zurückgewiesener Vollstreckungsschutzantrag hat im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung aber nicht vorgelegen, weil der Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners vom 25. Oktober 2005 im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung bereits durch Beschluss vom 25. Oktober 2005 zurückgewiesen worden war und weder etwas dazu ausgeführt worden ist noch sonst erkennbar wäre, dass diese Zurückweisung, die zwischenzeitlich im Übrigen in Rechtskraft erwachsen ist, zu Unrecht erfolgt wäre. In der Zeit zwischen dem Versteigerungstermin und dem Termin über die Entscheidung über den Zuschlag hat der Schuldner einen neuen Vollstreckungsschutzantrag, der mit einer drohenden Verschleuderung des Grundbesitzes begründet wird, nicht gestellt. Soweit in der Beschwerdebegründung des Schuldners gegen die Zuschlagsversagung sinngemäß die Stellung eines neuen Vollstreckungsschutzantrages nach § 765a ZPO gesehen werden könnte, dürfte das Beschwerdegericht diesen neuen Antrag nicht berücksichtigen, weil dieser Antrag dem Amtsgericht im Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung noch nicht vorgelegen hatte und die Berücksichtigung neuer Anträge und Tatsachen im Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde nach den vorstehenden Ausführungen ausgeschlossen ist, ein neuer Vollstreckungsschutzantrag mithin unzulässig wäre (Stöber, a.a.O., lit.a.). Im Übrigen könnte nach der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte (BGH RPfl. 2003, 604 m.w.N.) ein solcher Vollstreckungsschutzantrag auch nur dann Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt der Erteilung des Zuschlages konkrete Umstände vorliegen, die mit Wahrscheinlichkeit ein wesentlich höheres Gebot in einem Fortsetzungstermin erwarten lassen; zu solchen Umständen ist aber weder etwas ausgeführt noch sonst ersichtlich.

12

2.

Der Zuschlag durfte aber auch nicht nach § 85a Abs. 1 ZVG wegen eines hinter der Hälfte des Verkehrswertes zurückbleibenden Meistgebotes versagt werden. Denn der Zuschlag ist hier aufgrund eines in dem zweiten Versteigerungstermin abgegebenen Gebotes erteilt worden, und in einem solchen neuen Versteigerungstermin darf eine Zuschlagsversagung nach § 85a Abs. 1 ZVG nicht mehr erfolgen, § 85a Abs. 2 S. 2 ZVG.

13

Bei dem Versteigerungstermin vom 25. Oktober 2005 hat es sich - nach dem vorangegangenen Termin vom 28. April 2005 - um einen "neuen" Versteigerungstermin i.S.v. § 85a Abs. 2 S. 2 ZVG gehandelt. Dieser Bewertung steht auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 24.11.2005; RPfl. 2006, 144) nicht entgegen, dass in dem ersten Termin vom 28. April 2005 der Gläubigervertreter ... Meistbietender geblieben war und diesem unter Hinweis auf § 85a Abs. 1 ZVG der Zuschlag versagt worden war.

14

Nach der genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind Gebote, mit denen der Bieter nicht die Erteilung des Zuschlages - auch nicht in einem weiteren Versteigerungstermin - erreichen will, sondern in Wahrheit andere Zwecke verfolgen will, keine Gebote im Sinne der Vorschriften des ZVG und daher unbeachtlich mit der Konsequenz, dass seine Gebot nach § 71 Abs. 1 ZVG zurückzuweisen sind, dass der zweite Versteigerungstermin dann kein "neuer" Termin wäre und dass die Regelung des § 85a Abs. 1 ZVG wiederum anzuwenden wäre.

15

Die Kammer kann schon nicht feststellen, dass der in dem ersten Termin aufgetretene Bieter hier bei der Abgabe seines Gebotes kein eigenes Erwerbsinteresse hatte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Bieter ein auf einen Eigentumserwerb gerichtetes Gebot zumindest auch mit Erwerbsabsicht abgibt. Dass hier der Bieter sein Gebot hingegen ohne Erwerbsabsicht - also nur zum Schein - abgegeben hätte, kann nicht festgestellt werden. Ein konkreter Vortrag der Beteiligten und insbesondere des Schuldners zu einem fehlenden Erwerbsinteresse des Bieters fehlt. Die Kammer kann auch nicht aus den ihr bekannten äußeren Gesamtumstände - der Bieter war zugleich als Vertreter der betreibenden Gläubigerin aufgetreten, und der Bieter ist in dem weiteren Versteigerungstermin nicht erschienen und hat auch nicht durch einen Bevollmächtigten ein Gebot abgeben lassen - auf ein fehlendes Erwerbsinteresse des Bieters schließen. Zwar kann nach den Gesamtumständen nicht ausgeschlossen werden, dass der Bieter in dem Termin vom 28. April 2005 sein Gebot ausschließlich zu dem Zweck abgegeben hatte, im Interesse der von ihm vertretenen Gläubigerin eine einstweilige Verfahrenseinstellung (§ 77 Abs. 1 ZVG) zu verhindern oder eine Ersteigerung des Grundbesitzes von dritter Seite in einem Fortsetzungstermin zu einem Gebot unterhalb der Hälfte des festgesetzten Verkehrswertes zu ermöglichen. Feststellen kann die Kammer ein fehlendes Erwerbsinteresse des Bieters an einer Ersteigerung des Grundbesitzes aber gleichwohl nicht. Insbesondere kann aus der unterbliebenen Teilnahme dieses Bieters an dem Fortsetzungstermin und der unterbliebenen Abgabe eines Gebotes durch ihn oder einen von ihm entsandten Vertreter nicht auf ein fehlendes Erwerbsinteresse bereits in dem ersten Termin vom 28. April 2005 geschlossen werden. Denn die wirtschaftlichen Interessen des Bieters können sich aus vielfältigen Gründen in der Zeit bis zu dem Fortsetzungstermin hin verändert haben, namentlich kann ein ursprünglich bestehendes Erwerbsinteresse zwischenzeitlich entfallen sein. Dann aber kann die Kammer schon nicht feststellen, dass der Bieter in dem Termin vom 28. April 2005 ein unwirksames und nach 71 Abs. 1 ZVG zurückzuweisen gewesenes Gebot abgegeben hätte.

16

Unabhängig davon ist es nach Auffassung der Kammer dem Vollstreckungsgericht - und im Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde auch dem Beschwerdegericht - verwehrt, die Wirksamkeit des in dem früheren Termin abgegebenen Gebotes zu überprüfen. Der Zuschlag war in dem ersten Termin durch Beschluss nach § 85a ZVG versagt worden. Diese (anfechtbare) Entscheidung ist von den Verfahrensbeteiligten und insbesondere von dem Schuldner nicht angefochten worden und damit in Rechtskraft erwachsen. Daran ist das Vollstreckungsgericht - und nunmehr auch das Beschwerdegericht gebunden (so wohl auch Hintzen, RPfl 2006, 145, 146). Eine solche Bindung scheint auch sachgerecht zu sein, weil nämlich der Rechtspfleger in einem Fortsetzungstermin schlechterdings kaum verlässliche (und vorhersehbare) Feststellungen zu dem Erwerbsinteresse eines Bieters in einem früheren Termin treffen kann und weil darüber hinaus auch für die in dem Fortsetzungstermin auftretenden Beteiligten - dies gilt für den Schuldner, die Gläubiger und die möglichen Bietinteressenten gleichermaßen - von Vornherein Klarheit darüber bestehen muss, unter welchen Voraussetzungen Gebote Berücksichtigung finden können und ob insbesondere eine Zuschlagsversagung nach § 85a Abs. 1 ZVG (oder auch nach § 74a Abs. 1 ZVG) droht.

17

3.

Sonstige beachtliche Versagungsgründe (§ 100 Abs. 1 ZVG) hat der Schuldner nicht geltend gemacht. Eine unzutreffende Verkehrswertfestsetzung, wie sie der Schuldner geltend macht, stellt für sich keinen Grund dar, auf den eine Zuschlagsbeschwerde nach § 100 ZVG gestützt werden könnte.

18

Die sofortige Beschwerde ist daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Streitwertbeschluss:

Die Festsetzung des Beschwerdewertes erfolgt gemäß §§ 47, 48, 63 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO, wobei die Kammer das wertbestimmende Interesse des Schuldners, der hier mit seiner Beschwerde ersichtlich eine Versteigerung zu verhindern sucht, mit dem Differenzbetrag zwischen dem von ihm behaupteten Verkehrswert und dem abgegeben Meistgebot bemisst, mithin auf (100 000 € ./. 10 000 €) 90 000 €.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. November 2005 Fragen von grundsätzlicher Bedeutung - Feststellung des fehlenden eigenen Erwerbsinteresses eines Bieters, Wirkungen der Rechtskraft eines nach § 85a Abs. 1 ZVG ergangenen Versagungsbeschlusses - klärungsbedürftig sind und die Zulassung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint (§ 574 Abs. 2 und 3 ZPO).

Sievers
Schaffer
Barnewitz