Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 04.05.2020, Az.: 8 A 174/19
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 04.05.2020
- Aktenzeichen
- 8 A 174/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71496
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tatbestand:
Der Kläger ist somalischer Staatsangehöriger. Er hat Somalia nach eigenen Angaben etwa am 20. Januar 2016 verlassen und reiste unter anderem über Libyen und Italien am 18. Januar 2019 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 28. Januar 2019 einen Asylantrag stellte.
Eine Abfrage in der EURODAC-Datenbank ergab für den Kläger einen Treffer der Kategorie 1 für Italien mit Datum vom 5. September 2016. In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 28. Januar 2019 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab er an, sich ca. zwei Jahre in Italien aufgehalten zu haben. Er habe in Italien keinen Asylantrag gestellt, sei aber nach seinem Namen gefragt worden. Er sei in einer Unterkunft gewesen, die dann aber geschlossen worden sei, so dass er auf der Straße gelebt habe.
Am 29. Januar 2019 richtete die Beklagte ein Übernahmeersuchen nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an die Republik Italien, auf welches die italienischen Behörden nicht reagierten
Mit Bescheid vom 13. Februar 2019, dem Kläger zugestellt am 21. Februar 2019, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, Italien sei aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages für die Behandlung des Asylantrages zuständig, so dass der gestellte Antrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei.
Hiergegen hat der Kläger am 28. Februar 2019 Klage erhoben. Er macht geltend, dass in Italien systemische Mängel des Asylsystems vorlägen und ihm im Fall der Rückkehr eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2019 aufzuheben,
2. festzustellen, dass kein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Monaten nach § 11 AufenthG besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Laufe des Klageverfahrens verwies die Beklagte darauf, dass nach nunmehr vorliegenden Erkenntnissen dem Kläger in Italien am 15. Mai 2018 subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Die italienischen Behörden lehnten daher eine Rücknahme des Klägers nach Maßgabe der Dublin-Regularien ab. Der Bescheid vom 13. Februar 2019 sei in einen sog. Drittstaatenbescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bzw. § 26a AsylG umzudeuten. Die Überstellung des Klägers werde nunmehr im Rahmen des mit Italien bestehenden Rücknahmeübereinkommens erfolgen, die zuständige werde informiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet. Über die Klage kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO), der Kläger hat sein Einverständnis mit Schriftsatz vom 23. April 2020 erklärt, die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. März 2019. Zudem ergibt sich das Einverständnis der Beklagten aus der allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 (234-7604/1.17). Diese Erklärung gilt auch für das vorliegende Verfahren; das Bundesamt hat für dieses Verfahren weder die besondere Prozessbeobachtung angeordnet, noch ist es von seiner allgemeinen Prozesserklärung abgerückt.
1. Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes begehrt, ist die Klage zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2016 - 1 C 24/15 -, juris Rn. 9) und fristgerecht erhoben worden.
Die Klage ist insoweit auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers nach den im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, vorliegenden Erkenntnissen zu Unrecht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO (Buchst. a) oder auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages (Buchst. b) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie 1 und unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers war das Bundesamt zunächst von der Anwendbarkeit der Dublin III-VO sowie der danach anzunehmenden Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrages des Klägers und damit von der Unzulässigkeit des in Deutschland gestellten Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ausgegangen. Diese Unzulässigkeitsentscheidung sowie die erlassene Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG sind jedoch rechtswidrig, da die Republik Italien nicht nach den Vorschriften der Dublin III-VO zur Entscheidung über den Asylantrag zuständig ist. Ausweislich der entsprechenden Mitteilung der italienischen Behörden wurde dem Kläger bereits im Jahr 2018 in Italien subsidiärer Schutz gewährt, auch wenn er nach seinen Angaben keine Kenntnis von der Schutzgewährung hatte. Da „Antragsteller“ i. S. d. Dublin III-VO nach deren Art. 2 lit. c) nur der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose ist, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde, sind die Vorschriften der Dublin III-VO über die Zuständigkeiten bzw. die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur (Wieder-)Aufnahme von Asylantragstellern in diesem Fall nicht anwendbar.
Der streitgegenständliche Bescheid kann auch nicht in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden (vgl. zur Pflicht des Gerichtes zur Prüfung der Umdeutungsmöglichkeit: BVerwG, Urt. v. 15.01.2019 - 1 C 15/18 -, juris Rn. 40). Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag auch dann unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. In diesem Fall ergeht gemäß § 35 AsylG eine Abschiebungsandrohung.
Die Voraussetzungen für eine Umdeutung liegen jedoch nicht vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf § 26a AsylG an, da Italien als Mitgliedsstaat der Europäischen Union kein sicherer Drittstaat i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 26a AsylG ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 23.03.2017 - 1 C 17/16 -, juris Rn. 13; vgl. aber auch Hamb. OVG, Urt. v. 18.12.2019 - 1 Bf 132/17.A -, juris Rn. 29).
Gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung kommt dann nicht in Betracht, wenn der angefochtene Verwaltungsakt durch die Umdeutung in seinem Wesen geändert würde und/oder die unmittelbaren oder auch nur die mittelbaren Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 C 4/15 -, juris Rn. 28, 32). Dies steht vorliegend einer Umdeutung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegen.
Zwar führt die Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG wie auch des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zunächst nur zu der unmittelbaren Rechtsfolge, dass der gestellte Asylantrag unzulässig ist, und es findet jeweils keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags durch die Beklagte statt. Auch wenn sich die materielle Prüfung vor dem Hintergrund des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh zudem regelmäßig in Teilen entsprechen dürfte, sind die dem Ausspruch zugrundeliegenden Entscheidungen dennoch wesensverschieden und in ihren Folgen nicht vergleichbar. Die Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bauen nicht inhaltlich aufeinander auf, sondern sind vielmehr inhaltlich durch unterschiedliche Prüfungsgegenstände sowie –maßstäbe geprägt und unterscheiden sich maßgeblich in ihren Rechtsfolgen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 13.03.2020 - 11 A 3925/19.A -, juris Rn. 13 ff.; Thür. OVG, Beschl. v. 03.02.2020 - 3 ZKO 773/19 -, juris Rn. 9 ff.).
Folge der Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist grundsätzlich der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, mit welcher die Abschiebung in den zuständigen Staat angeordnet wird. Im Fall der Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG darf dagegen nur eine Abschiebungsandrohung (§ 35 AsylG) ergehen; in diesem Fall darf der Betroffene vorbehaltlich des Bestehens eines Abschiebungsverbotes in jeden Staat abgeschoben werden, in der er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 2 AufenthG (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 35 AsylG Rn. 3 ff.; Kluth/Heusch in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: März 2020, § 35 AsylG Rn. 10). Zu beachten ist insoweit, dass Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung unterschiedliche Rechtsinstitute sind, die nicht teilidentisch sind oder in einem Stufenverhältnis stehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.10.2015 - 1 B 41/15 -, juris Rn. 15; Nds. OVG, Beschl. v. 12.12.2017 - 10 LA 116/17 -, juris Rn. 19 f.).
Dies führt in der Konsequenz auch dazu, dass der vorläufige Rechtsschutz für den Betroffenen unterschiedlich ausgestaltet ist. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung führt zu einer unbeschränkten Prüfung nach § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 34a Abs. 2 AsylG (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: März 2020, § 34a AsylG Rn. 32). Bei vorläufigen Rechtsschutzgesuchen gegen die Abschiebungsandrohung aufgrund der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist der Prüfungsmaßstab dagegen nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG materiell beschränkt; danach darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Beschränkungen im Prüfungsumfang können sich zudem aus § 36 Abs. 4 Satz 2 und 3 AsylG ergeben. Nur im Fall der anderweitigen Schutzgewährung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), nicht aber im Fall der Anwendbarkeit der Dublin III-VO (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG), führt zudem die Stattgabe im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kraft Gesetzes nach § 37 Abs. 1 AsylG zur Unwirksamkeit der Unzulässigkeitsentscheidung.
Weiterhin ist zu beachten, dass der Asylantragsteller bei einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG die Möglichkeit hat, nach erfolgslosem Ablauf der Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) eine inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens zu erreichen, während eine solche Frist bei einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht besteht.
Die Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des Bescheides führt auch zur Aufhebung der weiteren daraus folgenden Entscheidungen in Ziffer 2. bis 4 des Bescheides des Bundesamtes.
2. Soweit der Kläger mit dem weiteren Klageantrag neben der Aufhebung des Bescheides die Feststellung des Nichtbestehens eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes (Ziffer 4. des Bescheides) begehrt, fehlt der Klage insoweit hiernach jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i. V. m. § 83b AsylG; der Kläger ist nur zu einem geringen Teil unterlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.