Landgericht Hannover
Urt. v. 24.01.1995, Az.: 18 S 65/94
Allgemeiner Aufnahmezwang eines privatrechtlichen Vereins; Kern der Vereinigungsfreiheit in Hinsicht auf satzungsrechtliche Aufnahmebestimmgungen; Bestimmung grundsätzlicher Ausschlusskriterien für Neuaufnahmen
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 24.01.1995
- Aktenzeichen
- 18 S 65/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 19228
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:1995:0124.18S65.94.0A
Verfahrensgang
ie 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... sowie
der Richter am Landgericht ... und ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 29. November 1994
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 1. März 1994 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht einen Anspruch auf Aufnahme als Mitglied in den Beklagten verneint.
1.
Dieser unterliegt zunächst keinem allgemeinen Aufnahmezwang. Er ist als Verein aufgrund der ihm gemäß Art. 9 Abs. 2 GG zustehenden Autonomie grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob er einen Mitgliedschaftsbewerber aufnehmen will; das gilt selbst bei Erfüllung der satzungsgemäßen Voraussetzungen. Zum Kern der Vereinigungsfreiheit gehört das Recht des Bürgers auf freie Entscheidung, ohne staatlichen Eingriff durch die dafür in der Satzung bestimmten Organe eigenverantwortlich darüber zu befinden, wer als nachträgliches Mitglied akzeptiert werden soll (vgl. BGHZ 101, 193 (200, 206) [BGH 29.06.1987 - II ZR 295/86]).
2.
Soweit es die Satzung des Beklagten betrifft, liegen keine Umstände vor, die eine Ausnahme von dieser Regel begründen könnten. Die Satzung des Beklagten enthält keine dementsprechende Selbstbindung, die Bewerbern unter bestimmten vorgegebenen Bedingungen einen eigenen Anspruch auf Mitgliedschaft einräumt.
3.
Für den Beklagten läßt sich keine Monopolstellung oder derartig überragende Machtstellung im umweltpolitischen Bereich feststellen, so daß sich daraus - der dahingehenden Rechtsprechung folgend (analog § 26 Abs. 2 GWB) und das grundlegende Interesse des Klägers an einer Mitgliedschaft unterstellt - ebenfalls keine allgemeine Aufnahmeverpflichtung ergibt. Es existiert eine hinreichende Zahl anderer nicht bedeutungsloser Umweltschutzorganisationen, in denen der Kläger sein Engagement für die Belange des Umweltschutzes in der Region Papenburg einbringen kann. Auch wenn man berücksichtigt, daß die beiden bekannten Organisationen ... und ... nicht zu den gemäß § 29 BNatSchG Mitwirkungsberechtigen gehören und wenn man unterstellt, daß es dem Kläger auf diese Voraussetzung entscheidend ankommt, so erfüllen jedenfalls unstreitig 10 andere Organisationen diese Bedingung. Dabei ergibt sich aus den Zulassungsvoraussetzungen und aus der Liste der Organisationen selbst, daß diese hinreichend Gewicht und Kompetenz aufweisen.
4.
Selbst wenn der Beklagte entgegen dem Vorstehenden einem allgemeinen Aufnahmezwang unterläge, wäre er mit Rücksicht auf sein schützenswertes Interesse an seiner Funktionsfähigkeit nicht verpflichtet, den Kläger aufzunehmen. Auch in diesem Fall lägen sachlich gerechtfertigte und nicht etwa willkürlich diskriminierende Gründe (§ 826 BGB) vor, um den Aufnahmeantrag des Klägers zurückzuweisen (vgl. BGHZ 93, 151 [BGH 10.12.1984 - II ZR 91/84]):
Zum Zeitpunkt des Aufnahmeersuchens hat der Beklagte im Rahmen seiner satzungmäßigen Ziele und nach satzungsgemäß zustande gekommener Beschlußlage versucht, die Vertiefung der Ems und den Bau der Mercedes-Teststrecke zu verhindern. Der Kläger war und ist erklärter Gegner dieser für den Beklagten wichtigen Initiative gewesen. Ungeachtet aller schriftsätzlichen Beteuerungen geht die Kammer ebenso wie das Amtsgericht nach dem jeweils in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Bindruck davon aus, daß der Kläger mit 489 Mitstreitern versucht bzw. versucht hat, durch den Eintritt in den Beklagten die vorgegebene Beschlußlage des Beklagten durch Veränderung der Mehrheitsverhältnisse zu kippen. Das brauchte der Beklagte angesichts seiner Interessenlage in diesem für ihn entscheidenden Punkt nicht hinzunehmen, ohne Rücksicht darauf, daß der Kläger ansonsten die satzungsmäßigen Ziele unterstützen wollte. Darüber hinaus kann es nicht Aufgabe der staatlichen Gerichte sein, durch die Entscheidung über eine Aufnahmeverpflichtung letztlich über die Vereinbarkeit der Persönlichkeit und der umweltpolitischen Einstellung des Klägers als eines Außenstehenden mit der Zielsetzung und inneren Geschlossenheit des Beklagten mitzuentscheiden; ganz zu schweigen von dem Fall, daß der Beklagte mit dem abgesprochenen Eintrittsbegehren einer größeren Gruppe konfrontiert wird mit einer von vornherein erkennbar konfliktgeladenen Position.
5.
Ein Aufnahmeanspruch läßt sich auch nicht aus § 29 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG rechtfertigen. Es dürfte schon zweifelhaft sein, inwieweit sich aus dieser Bestimmung ein allgemeiner Aufnahmezwang ableiten läßt. Das Amtsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß diese Vorschrift unmittelbar zunächst nur für das öffentlich-rechtliche Anerkennungsverfahren Bedeutung hat, daß daraus aber nicht ohne weiteres eine privatrechtliche Drittwirkung im Sinne eines Individualanspruches auf Mitgliedschaft begründet werden kann. Selbst wenn man darüber hinaus die tatsächliche Bedeutung dieser Vorschrift mit in Betracht zieht, wird nicht außer Acht bleiben können, daß das Zulassungsverfahren für die Mitwirkung in Belangen des Naturschutzes und der Landespflege gerade nicht auf eine Exklusivität weniger Verbände hinwirkt. Weitergehender Aufschluß ergibt sich zu dieser Frage letztlich auch nicht aus der Entscheidung des BVerwG vom 6. Dezember 1985 (NVwZ 1986, 295 [BVerwG 06.12.1985 - 4 C 55/82]). Das BVerwG hat dort zwar an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, daß ein gemäß § 29 BNatSchG zuzulassender Verein im Grundsatz jeden Bewerber aufnehmen muß, der die an § 1 BNatSchG orientierten Ziele des Vereins unterstützt, daß die sich aus § 29 Abs. 1 BNatSchG ergebenden Anforderungen öffentlich-rechtlich die bürgerlich-rechtliche Vereinsautonomie in einem gewissen Maße einschränken, bzw. daß ein Mitgliedschaftsbewerber vor den Zivilgerichten sein Aufnahmebegehren verfolgen kann und daß der Verein dort seine Aufnahmeverweigerung sachlich zu rechtfertigen haben wird. Im Kern seiner Entscheidung hat sich das BVerwG allerdings nur mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit - aus öffentlich-rechtlicher Sicht - von einet Vereinssatzung ein ausdrücklicher Ausspruch verlangt werden kann, daß bestimmt bezeichnete Personen als Mitglieder aufgenommen werden müssen und welche Kennzeichen sie aufweisen müssen oder inwieweit eine Satzung nur dann der Zulassung entgegensteht, wenn sie einen Inhalt hat, der mit § 29 BNatSchG nicht vereinbar wäre. Ersteres hat das BVerwG ausdrücklich verneint. Auf den allein öffentlich-rechtlichen Charakter des § 29 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG deutet nicht zuletzt Abs. 5 der Vorschrift hin, der nur die Aberkennung der Mitwirkungsbefugnis als öffentlich-rechtliche Sanktion bei einem Verstoß gegen die Zulassungsvoraussetzungen vorsieht, bzw. wenn ein Verein die Aufnahme von Mitgliedern verweigert, ohne sachliche Gründe zu nennen (vgl. BVerwG a.a.O.).
6.
Davon abgesehen, wäre der Beklagte berechtigt, den Aufnahmeanspruch zurückzuweisen, selbst wenn § 29 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG eine allgemeine Aufnahmepflicht begründen würde. Das BVerwG hat in der o.a. Entscheidung zwar ausdrücklich daraufhingewiesen, daß ein Verein im Grundsatz zwar jeden Bewerber aufnehmen muß, der die an § 1 BNatSchG orientierten Ziele des Vereins unterstützt; es hat jedoch zugleich erklärt, daß dieses nicht bedeutet, daß der Verein schlechterdings jedermann aufnehmen muß, der erklärt, diese Ziele unterstützen zu wollen oder der diese Ziele tatsächlich unterstützt. So soll allein die Erklärung der Bereitschaft, die Vereinsziele unterstützen zu wollen, nicht ausreichen; es kommt vielmehr darauf an, ob der um Aufnahme Nachsuchende tatsächlich die Ziele des Vereins, d.h. auch die jeweils konkreten, unterstützt. Ein Verein muß in der Lage sein, eine "Unterwanderung" z.B. durch solche Personen abzuwehren, die zwar vorgeben, den Naturschutz fördern zu wollen, letztlich jedoch -etwa durch Majorisierung des Vereinsganz andere Ziele erreichen wollen (vgl. a.a.O.). Insofern kann auf die oben (Ziffer 4) erörterten Gesichtspunkte Bezug genommen werden. Im konkreten Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob die beiden streitigen Projekte dem Gedanken des Naturschutzes zwangsläufig zuwiderlaufen und welche Prozeßpartei mit ihrer Auffassung "Recht hat". Entscheidend ist, daß sich der Beklagte gegen eine Realisierung der Projekte eingestellt hatte, weil diese nach seiner Auffassung mit dem Naturschutz nicht vereinbar waren. Dieser Standpunkt muß respektiert werden.
7.
Das Verhalten des Klägers und seine im konkreten Fall gezeigte Auffassung würden es nach dem Vorstehenden auch rechtfertigen, das Aufnahmeersuchen zurückzuweisen, nachdem für die konkreten Vorhaben, die Ems-Vertiefung und die Mercedes-Teststrecke, eine abschließende Regelung gefunden worden ist. Für den Beklagten ist die Annahme begründet, daß eine Mitgliedschaft des Klägers für die Zukunft ähnliche Konflikte befürchten ließe.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
8.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.