Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 22.01.2019, Az.: S 44 R 1007/14
Voraussetzungen für den Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 22.01.2019
- Aktenzeichen
- S 44 R 1007/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 10997
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 99 Abs. 1 S. 2 SGB VI
Tenor:
Der Beklagten werden die Kosten für die Einholung der Befundberichte des Herrn E. in Höhe von 27,95 Euro und des Herrn Dr. F. in Höhe von 28,80 Euro sowie für das Gutachten des Dr. G. in Höhe von insgesamt 1.411,08 Euro auferlegt.
Gründe
A.
Die Klägerin begehrte von der Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am H. geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, hat den Beruf der Verkäuferin erlernt. Sie erzog drei Kinder. Von Ende 2001 bis Mitte 2002 pflegte sie ganztags ihre im Jahr I. geborene Tochter. Zuletzt ging die Klägerin von April 2003 bis 30. Juni 2003 einer Teilzeittätigkeit in einer Spielhalle nach, die sie aus moralischen Gründen abbrach. Danach bezog sie mit Unterbrechung in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem damaligen Ehemann vom Jobcenter J. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, teilweise in Form des Sozialgelds.
Sie erlitt am K.K.1993 einen schweren Autounfall, u.a. mit der Folge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas und einer Trachealstenose (Luftröhrenverengung).
Mit Gutachten des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit J. vom 4. April 2006 hielt der Gutachter L. das Leistungsvermögen der Klägerin aufgrund der Unfallfolgen für aufgehoben. Er stellte eine Luftröhrenfistel, eine Herzrhythmusstörung, eine Schwerhörigkeit rechts, Restbeschwerden nach schwerer Schädelprellung und eine Zuckerkrankheit fest. Mit einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sei nicht zu rechnen. Es sei zu einer schweren Schädelverletzung gekommen, weshalb es zu Leistungseinschränkungen des Gehirns und einer rechtsseitigen Schwerhörigkeit gekommen sei. Von internistischer Seite her bestünden eine Herzrhythmusstörung und eine Zuckerkrankheit, die medikamentös behandelt würden. Vorwiegend aufgrund der bestehenden Unfallfolgen sei das Leistungsvermögen der Klägerin aufgehoben.
Die Beklagte hat aufgrund des Ersuchens des Jobcenters vom 7. Februar 2007 in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 7. Dezember 2007 festgestellt, dass bei der Klägerin eine befristete, volle Erwerbsminderung für die Zeit vom 4. April 2006 bis zum 31. Dezember 2008 vorliegt.
Am 9. Dezember 2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Eine Begründung enthält dieser nicht.
Zunächst führte die Beklagte eine Klärung von rentenrechtlichen Zeiten durch.
Dabei erhielt sie vom Jobcenter J. einen am 6. Februar 2014 ausgefüllten Fragebogen, in dem es mitteilte, dass die Klägerin vom 29. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2010 Sozialgeld im SGB II bezog und in der Zeit zuvor deshalb nicht, weil kein Antrag gestellt wurde. In einem weiteren am 22. April 2014 vom Jobcenter J. ausgefüllten Fragebogen teilte dieses der Beklagten den Bezug von Sozialgeld vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2013 mit. In einem bereits am 27. Dezember 2013 durch das Jobcenter J. ausgefüllten Fragebogen hatte dieses der Beklagten mitgeteilt, dass die Klägerin vom 1. Januar bis 30. Dezember 2013 Sozialgeld bezog, da sie nicht erwerbsfähig war.
Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 stellte die Beklagte die versicherungsrechtlichen Zeiten fest. Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 2. Juni 2014 Widerspruch ein, beanstandete, dass für den Zeitraum vom 29. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2013 keine Beitragszeiten festgestellt worden seien, und begründete den Widerspruch damit, dass die Klägerin nicht gewusst habe, dass der Sozialgeldbezug vom Jobcenter J. die Voraussetzungen für eine Rente der Beklagten entfallen lasse; es liege ein Beratungsfehler des Jobcenters vor, sodass die Klägerin aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden müsse, als sei sie fortlaufend im Bezug von Arbeitslosengeld II gewesen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2014 als unbegründet zurückgewiesen. Klage wurde dagegen nicht erhoben.
Im Verfahren des Erwerbsminderungsrentenantrags erfolgten durch die Beklagte keine medizinischen Ermittlungen, insbesondere keine Anforderung von medizinischen Unterlagen oder Befundberichten oder die körperliche Untersuchung der Klägerin durch den medizinischen Dienst oder einen externen Gutachter. Mit Bescheid vom 20. Mai 2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Es müssten innerhalb der letzten 5 Jahre seit dem Eintritt der Erwerbsminderung - hier ausgehend vom Rentenantragstag - mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge vorliegen. Mithin müssten in der Zeit vom 9. Dezember 2008 bis 8. Dezember 2013 36 Monate an Pflichtbeiträgen gespeichert sein; es seien jedoch gar keine gespeichert. Auch die Ausnahme, dass eine solche Mindestanzahl nicht erforderlich sei, wenn die Erwerbsminderung durch Arbeitsunfall oder innerhalb von sechs Jahren nach einer Ausbildung eingetreten sei, sei vorliegend nicht erfüllt. Ebenso wenig sei die Ausnahme nach § 241 SGB VI einschlägig, da die Klägerin nicht die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren vor dem 1. Januar 1984 erfüllt habe.
Dagegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 2. Juni 2014 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 16. Juli 2014 teilte er mit, dass am Widerspruch festgehalten werde, da auch hier der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greife. Wäre die Klägerin damals, als sie vom Arbeitslosengeld II in das Sozialgeld überführt wurde, dahingehend richtig beraten worden, dass sie einen Antrag auf Rente bei der Beklagten stellen müsse, dann hätte sie schon zum damaligen Zeitpunkt auf Grund der festgestellten Erwerbsminderung auf unter drei Stunden täglichen einen Rentenanspruch gehabt.
Den Widerspruch wies die Beklagte ohne weitere medizinische Ermittlungen mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen die Begründung aus dem Ablehnungsbescheid und führt ergänzend an, dass letztmalig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung im Oktober 2006 erfüllt gewesen seien. Der Eintritt einer Erwerbsminderung bereits zu diesem Zeitpunkt sei aber in Anbetracht des bis dahin erfolgten Arbeitslosengeld II-Bezugs nicht wahrscheinlich und sei auch nicht geltend gemacht worden. Mithin sei eine medizinische Sachaufklärung entbehrlich, da bereits die fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einen Zugang zur Rentengewährung verschließen. Da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung im Dezember 2008 nicht erfüllt seien, könne dahinstehen, inwieweit sich eine fehlende Rentenantragstellung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzen lassen würde.
Dagegen erhob die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Oktober 2014 Klage. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen die Widerspruchsbegründung. Ergänzend führt sie aus, dass sie am K.K.1993 einen schweren Autounfall erlitten habe, infolge dessen sie in ein Langzeitkoma gefallen sei. Die Klägerin habe schwerste Gehirnverletzungen und Quetschungen am gesamten Körper erlitten. Zur Beatmung sei ein Luftröhrenschnitt durchgeführt worden, weshalb aktuell noch erhebliche Atemprobleme bestünden. Spätestens seit Oktober 2006 bestehe durchgehende Erwerbsminderung für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei einer Leistungsfähigkeit deutlich unter drei Stunden. Arzt- oder Klinikberichte lägen seit dem damaligen Verkehrsunfall nicht mehr vor, könnten ggf. von den behandelnden Ärzten angefordert werden.
Das Gericht hat im Klageverfahren Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der vor dem Jahr 2006 behandelnden Ärzte, nämlich des Arztes für Allgemeinmedizin E., des Facharztes für Chirurgie Dr. F. und der M. (N.), in der die Klägerin wegen des Unfalls I. in stationärer Behandlung war. Herr E. stellte der Staatskasse 27,95 Euro in Rechnung und Herr Dr. F. 28,80 Euro. Die N. stellte keine Rechnung.
Das Gericht hat ferner die Klägerin durch den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie - interdisziplinäre medizinische Begutachtung - Dr. G. am 13. März 2018 untersuchen lassen. In dessen Gutachten vom 6. August 2018 diagnostizierte dieser eine Beeinträchtigung der Ein- und Ausatmung nach künstlichem Luftröhrenzugang, Adipositas per magna, eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks, eine fortgeschrittene Verschleißumformung beider Kniegelenke, leichte Bewegungseinschränkungen des linken oberen und unteren Sprunggelenks nach längerer Zeit zurückliegender Fraktur, insulinpflichtiger Diabetes mellitus und leichte Einschränkungen des Hör- und Sehvermögens. Er hielt die Klägerin nur noch für in der Lage, körperlich leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, im Umfang von drei Stunden bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Es gebe zwar nur wenige ärztliche Behandlungsberichte, aus denen sich Aussagen zur Leistungsfähigkeit ableiten ließen. Ausweislich des Behandlungsberichtes der O. vom 26. Juli 2005 ließe sich die Diagnose einer Herzrhythmusstörung und Körpergewicht von 112 kg entnehmen. In diesem Zeitraum dekompensierte das Zuckerleiden, sodass während der stationären Behandlung nur unter der Gabe von Altinsulin der Zuckerspiegel deutlich gesenkt werden konnte. Auch im Zusammenhang mit einem gynäkologischen Eingriff mit stationären Aufenthalt vom 26. Juli bis 6. August 2005 war auf die diabetische Stoffwechsellage hingewiesen worden. In 2007 wurde eine Spiegelung des linken Kniegelenks empfohlen bei kernspintomographisch nachgewiesener innenseitig betonter Verschleißumformung des linken Kniegelenks mit geringem Gelenkerguss und Funktionseinschränkung. Die Auswirkungen der Trachealkanüle auf die Atmung, das Zuckerleiden und das krankhafte Übergewicht haben schon in 2005 vorgelegen. Der Verlauf der Erkrankungen dokumentiert, dass keine Verbesserung in den Jahren 2006 bis heute dokumentiert sei. Die für das Leitungsvermögen relevanten Ursachen hätten ganz wesentlichen Teils bereits vor 2006 vorgelegen. Von einer Besserung in der Zukunft könne nicht ausgegangen werden.
Für die Erstellung des Gutachtens stellte er 1.125,90 Euro in Rechnung.
Auf die Einwendungen der Beklagten hin, hat das Gericht den Gutachter ergänzend Stellung nehmen lassen, für welche er 285,18 Euro in Rechnung stellte.
In der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2018 hat das Gericht die Beklagte zur Auferlegung der Ermittlungskosten angehört. Die Beklagte äußerte sich u.a. dahingehen, dass die gutachterliche Stellungnahme zwar im System hinterlegt und digitalisiert war, aber nicht in der Akte gewesen sei.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, die dem Gericht zur Entscheidungsfindung vorlag. B. Die Auferlegung der Kosten beruht auf § 192 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach kann das Gericht - durch gesonderten Beschluss - der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen (vgl. II), die dadurch verursacht wurden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden (vgl. I.). I. Voraussetzung ist, dass die Behörde notwendige (1.) und erkennbare (2.) Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat (3.), die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt (4.) und es muss sich um Kosten handeln, die durch das Unterlassen verursacht worden sind (5.). 1. Notwendig im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG sind solche Ermittlungen, deren Kenntnis für die anstehende Sachentscheidung auf der Grundlage des geltenden Rechtes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unabdingbar sind (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Kellner/Leitherer, a.a.O., § 192 RdNr. 18b). Bei der hier streitigen Frage des Vorliegens eines Anspruchs auf teilweise bzw. volle Erwerbsminderung ergibt sich vorliegend die Notwendigkeit für medizinische Ermittlungen aus § 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI). Nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist Voraussetzung für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, dass eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt, welche nach § 43 Abs. 1 S.2 SGB VI dann gegeben sind, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Respektive ist eine volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 SGB VI gegeben, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist dagegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Diese Normen zeigen, dass der Gesundheitszustand des Versicherten eine Rolle spielt. Zwar sieht sowohl § 43 Abs. 1 SGB VI als auch § 43 Abs. 2 SGB VI auch versicherungsrechtliche Voraussetzungen vor (jeweils Nr. 2 und Nr. 3), bei deren Nichtvorliegen, ein Anspruch wegen Erwerbsminderung entfallen kann. Die Beurteilung, ob ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI besteht, kann indes grundsätzlich nicht ohne medizinische Ermittlungen erfolgen, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bereits einmal erfüllt waren, aber aktuell zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr erfüllt sind. Denn es können auch schon zu einem früheren Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bestanden haben, wenn der Leistungsfall der Erwerbsminderung bereits eingetreten ist, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen schon und noch vorlagen und die Erwerbsminderung über den Zeitpunkt der Antragstellung fortwährt. Dass ein Antrag erst später gestellt wird, steht dem nicht entgegen; denn es ist möglich, dass der Versicherte das Rechtsinstitut der Rente wegen Erwerbsminderung nicht kennt und davon erst später erfährt und erst dann einen Rentenantrag stellt; die spätere Rentenantragstellung hat nur zur Folge, dass eine Zahlung später erfolgt (vgl. § 99 Abs. 1 S.2 SGB VI). Für die anstehende Sachentscheidung für einen Anspruch über eine Erwerbsminderungsrente war vorliegend die Kenntnis über die medizinischen Tatsachen erforderlich, da es möglich war, dass die Erwerbsminderung bereits als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren (Jahr 2006), bereits eingetreten war und seitdem fortbestanden hat. Die Ermittlungen waren mithin notwendig. 2. Erkennbar in Sinne des § 192 Abs. 4 SGG sind Ermittlungen, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer Auslegung erschließen musste (Krauß in Roos/Wahrendorf, Kommentar zum SGG, § 192 Rn 68). Vorliegend hätte die Beklagte einen vorherigen Leistungsfall - auch vor Rentenantragstellung - überprüfen müssen. Anhaltspunkte für einen vorherigen Leistungsfall waren auch gegeben: Es war eine gutachterliche Stellungnahme der Beklagte an die Bundesagentur vom 7. Dezember 2007, in der die Beklagte von einer vollen Erwerbsminderung vom 4. April 2006 bis 31. Dezember 2008 ausging, im Datenverarbeitungssystem der Beklagten gespeichert. Dass diese Information sich nicht in den Akten der Klägerin befand, ist ein Organisationsverschulden der Behörde, respektive hätte der Sachbearbeiter der Beklagten das System auf Hinweise zu Anhaltspunkten für die Erwerbsminderung nach Antragstellung prüfen müssen. Es kann nicht zulasten des Versicherten gehen, wenn eine Behörde neben der Papierakte zusätzlich ein EDV-System nutzt. Das Jobcenter J. hat zudem in den Fragebögen an die Beklagte einen durchgehenden Sozialgeldbezug von Dezember 2008 bis Ende 2013 bescheinigt (und zuvor nur deshalb nicht, weil kein Antrag gestellt wurde) und den Sozialgeldbezug mit der fehlenden Erwerbsfähigkeit begründet. Spätestens mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 2. Juni 2014, in dem dieser darauf hinweist, dass die Klägerin Sozialgeld erhalten hat, da sie von diesem als nicht erwerbsfähig eingestuft wurde, hätte die Beklagte es erkennen müssen, dass eine Erwerbsminderung bei der Klägerin schon vor 2008 bis zur Rentenantragstellung im Jahr 2013 nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Sie hätte zumindest die Gutachten der Bundesagentur einholen müssen; sodann hätte sie weitere Ermittlungen durch Einholung von Befundberichten und ärztlichen Unterlagen aus der Zeit von 2006 bis aktuell einholen müssen. Schließlich hätte die Beklagte die Klägerin auch untersuchen müssen, um insbesondere die aktuelle Leistungsfähigkeit festzustellen. Da genügend Anhaltspunkte vorlagen, waren die medizinischen Ermittlungen auch für die Beklagte erkennbar.
3. Die Beklagte hat gar keine medizinischen Ermittlungen angestellt, sodass auch ein Unterlassen der Behörde vorliegt. 4. Die medizinischen Ermittlungen sind im Gerichtsverfahren durch die Einholung der Befundberichte und durch die Einholung des Gutachtens des Dr. G. nachgeholt worden. 5. Das Unterlassen dieser Ermittlung ist auch kausal für die für die Einholung der Befundberichte und des Gutachtens des Dr. G. angefallen Kosten, da das Gericht ohne jegliche medizinischen Ermittlungen der Beklagten - anhand der Verwaltungsakte - nicht beurteilen konnte, ob die medizinischen Voraussetzungen nicht schon bereits seit 2006 durchgehend erfüllt gewesen sind. Für die Kosten der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters lässt sich ebenfalls eine Kausalität feststellen, da diese als Ergänzung mit diesem eine Einheit bildet. II. Da die Voraussetzungen vorliegen, steht das ob ("kann") (1.) und die Höhe der Kosten ("ganz oder teilweise") (2.) im Ermessen des Gerichts. 1. Vorliegend ist von dieser Auferlegung nach pflichtgemäßem Entschließungsermessen Gebrauch zu machen. Die Auferlegung der Kosten bezweckt, die Beklagte für ihr fehlerhaftes Verhalten zu sanktionieren. Dies ist auch geeignet und erforderlich, da ihr vor Augen geführt werden muss, dass sie erforderliche medizinische Ermittlungen zukünftig nicht unterlassen darf, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bereits in der Vergangenheit erfüllt waren. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Nichtanstellen von medizinischen Ermittlungen zu Lasten der Rentenantragsteller geht, insbesondere in Fällen, in denen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu einem weit in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zuletzt vorlagen, denn, wenn das Gericht die Ermittlungen erst eins bis zwei Jahre nach Rentenantragstellung anstellen kann, sind ggf. vorhanden gewesene medizinische Unterlagen bei den Ärzten aufgrund des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen bereits vernichtet oder behandelnde Ärzte bereits verstorben; da der Rentenantragsteller die objektive Feststellungslast für seine Erwerbsminderung trägt, ginge dies dann zu seinen Lasten. 2. Dem Gericht steht auch hinsichtlich des Umfangs der Kostenauferlegung ein Ermessen zu. Da die Beklagte gar keine medizinischen Ermittlungen angestellt hat, ist es nach Berücksichtigung aller Umstände sachgerecht und angemessen, ihr die Kosten einerseits für alle medizinischen Ermittlungen des Gerichts, d.h. auch der Befundberichteinholung, und anderseits die vollen Kosten des Einholung des Gutachtens aufzuerlegen, da das Gericht insbesondere keine weiteren medizinischen Ermittlungen für einen anderen Streitgegenstand vorgenommen hat, was beispielsweise bei einer objektiven Klagehäufung mit einem anderen Streitgegenstand, insbesondere in anderen Sachgebieten, denkbar wäre. In Fallgestaltungen, wie der vorliegenden, in der das Gericht nur genau das nachholt, was die Behörde versäumt hat, ist es im Regelfall angemessen, der Behörde die gesamten dadurch entstandenen Kosten aufzuerlegen (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03. März 2017 - L 18 KN 92/16 B -, Rn. 12, juris).