Sozialgericht Hannover
Urt. v. 12.04.2019, Az.: S 89 KR 434/18
Übernahme der Kosten für eine Versorgung eines Versicherten mit Zahnimplantaten nebst Suprakonstruktion als Krankenbehandlung bei Notwendigkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 12.04.2019
- Aktenzeichen
- S 89 KR 434/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 20747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V
Tenor:
Der Bescheid vom 2. Januar 2018 in seiner Fassung vom 15. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Verankerung von Zahnersatz im Unterkiefer medizinisch erforderlichen implantologischen Leistungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse eine Versorgung mit Zahnimplantaten nebst Suprakonstruktion.
Die 1954 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie bezieht aufstockende Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Aufgrund einer ausgeprägten Parodontitis bildeten sich bei der Klägerin tiefe Zahnfleischtaschen, so dass im weiteren Verlauf sämtliche Zähne im Ober- und Unterkiefer entfernt werden mussten. In der Folge kam es zu einem horizontalen Abbau des Kieferknochens mit massiven vertikalen Einbrüchen. Am 10. Oktober 2017 wurde die Klägerin mit herausnehmbaren Totalprothesen im Ober- und Unterkiefer versorgt. Die Beklagte bewilligte antragsgemäß einen Festzuschuss in Höhe von 1.415,34 Euro (Bescheid vom 18. September 2017).
Am 20. November 2017 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Prothese im Unterkiefer keinen festen Halt habe. Auch mit Anwendung von Haftcremes würden die Lippen die Unterkieferprothese beim Sprechen und Essen herausstoßen. Der Kiefer sei wegen des lockeren Prothesensitzes bereits wund. Daraufhin beauftragte die Beklagte den Zahnarzt H. mit einer Begutachtung der aktuellen Versorgungssituation der Klägerin. In einer Stellungnahme vom 11. Dezember 2017 führte der Gutachter folgendes aus:
"Bei der Patientin wurden, wie auf dem HKP vorgesehen, im OK und UK jeweils Totalprothesen eingegliedert. Die OK-Prothese wird von der Patientin nicht bemängelt. Im Unterkiefer bemängelt die Patientin den schlechten Prothesenhalt und Druckstellen. Okklusion und Ästhetik sind regelgerecht und werden von der Patientin auch nicht beanstandet.
Die intraoralen Inspektion zeigt, dass die Prothese bereits bei der Mundöffnung vom Prothesenlager abhebt. Fixiert man die Prothese mit der Hand, so erkennt man, dass die Prothesenbasis dem Prothesenlager überall formkongruent anliegt. Die Funktionsränder sind korrekt ausgeformt. Allerdings setzt die bewegliche Schleimhaut vestibulär im gesamten Unterkiefer nahe des Kieferkammes an, frontal praktisch auf Kieferkammniveau. Aus anatomischen Gründen kann die Prothesenbasis hier wegen der fortgeschrittenen Kieferkammatrophie das Prothesenlager nicht umgreifen. Eine ausreichende Saughaftung ist hier daher nicht zu erzielen. Aus zahnmedizinischer Sicht ist bei den gegebenen anatomischen Verhältnissen mit einer konventionellen Versorgung ohne den Einsatz von Implantaten ein funktionell zufriedenstellendes Ergebnis nicht zu erreichen. Der Einsatz von Implantaten ist hier zwingend erforderlich, um eine ausreichende Kaufunktion zu gewährleisten. Eine Ausnahmeindikation nach § 28 SGB V besteht allerdings nicht. Im Rahmen der GKV ist die Patientin daher meines Erachtens nicht zufriedenstellend zu rehabilitieren.
Die ausgeführten Arbeiten sind jedenfalls mängelfrei."
Mit einer Email vom 1. Januar 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Kostenübernahme für Implantate im Unterkiefer. Die Prothese bewege sich ständig im Mund und verursache schmerzende, offen blutende Wunden. Sie müsse sich deshalb von weichen Nahrungsmitteln ernähren.
Mit Email vom 2. Januar 2018 und Bescheid vom 15. Januar 2018 lehnte die Beklagte Leistungen für Implantate im Unterkiefer ab, weil keine Ausnahmeindikation im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gehöre eine Kieferatrophie nicht zu den besonders schweren Fällen, in denen ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Krankenkassen bestünde. Obwohl Implantate im Unterkiefer medizinisch erforderlich seien, dürfe die Beklagte hierfür keine Kosten übernehmen.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. März 2018).
Am 26. März 2018 hat die - seinerzeit noch unvertretene - Klägerin eine Klage zum Sozialgericht erhoben. Die herausnehmbare Unterkieferprothese verursache Schmerzen und sie könne nicht essen. Die Behandlungsrichtlinie sei überholt, weil die Versorgung mit Implantaten zwischenzeitlich üblich geworden und keine Ausnahme mehr sei. Die Beklagte dürfe sich dem medizinischen Fortschritt nicht verschließen. Sie sei auf Leistungen der Beklagten angewiesen, weil sie von Arbeitslosengeld II lebe und die Implantate nicht selbst bezahlen könne. Ausweislich des Heil- und Kostenplans der behandelnden Zahnärzte vom 28. August 2018 betragen die voraussichtlichen Kosten für eine Versorgung mit zwei Zahnimplantaten im Unterkiefer 3.597,32 Euro und für eine Versorgung mit der Suprakonstruktion im Unterkiefer 1.474,45 Euro.
Die - in der mündlichen Verhandlung nunmehr vertretene - Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 2. Januar 2018 und 15. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die Verankerung von Zahnersatz im Unterkiefer medizinisch erforderlichen implantologischen Leistungen und die dazugehörige Suprakonstruktion zu gewähren.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die bei der Klägerin vorliegende Kieferkammatrophie gehöre nicht zu den seltenen Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle, für die der Bundesausschuss für Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien einen Anspruch auf Kostenübernahme von Implantaten vorgesehen habe. Parodontitis sei auch keine "Entzündung des Kiefers" im Sinne der Behandlungsrichtlinie. Bei der Auslegung der Ausnahmetatbestände der Behandlungsrichtlinie sei zudem das Verursacherprinzip zu berücksichtigen, also ob die Kieferdefekte auf ein bestimmtes Verhalten der Versicherten zurückzuführen seien. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei eine Kostenübernahme auch in den Fällen ausgeschlossen, in denen nur durch Implantate eine Abstützung des Zahnersatzes möglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin Leistungen für eine Suprakonstruktion beantragt (hierzu 1.). Die Klage ist zulässig und begründet, soweit die Klägerin Leistungen für eine implantologische Versorgung im Unterkiefer beantragt (hierzu 2.).
1. Soweit die Klägerin Leistungen für einen implantatgestützten Zahnersatz ("Suprakonstruktion") beantragt, ist die hierauf gerichtete Leistungsklage unzulässig. Nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann mit der Klage neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts gleichzeitig eine Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
Die Beklagte hat bislang keine Entscheidung über Leistungen für eine Suprakonstruktion getroffen, weil Gegenstand des Antrags- und Widerspruchsverfahrens ausschließlich zahnimplantologische Leistungen waren. Für zahnärztliche und zahntechnische Leistungen gilt § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), wonach Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Antrag erbracht werden, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige - wie hier - nichts Abweichendes ergibt. Eine Leistungsklage wäre erst zulässig, nachdem die Klägerin bei der Krankenkasse (KK) Leistungen für eine Suprakonstruktion beantragt und im Falle einer Ablehnungsentscheidung der KK erfolglos ein Vorverfahren durchgeführt hat.
Aus der Regelungssystematik des § 87 Abs. 1a SGB V ergibt sich, dass der KK - anders als bei der ärztlichen Behandlung im Übrigen - Gelegenheit gegeben werden soll, die vorgesehene Versorgung mit Zahnersatz vorab zu überprüfen und gegebenenfalls begutachten zu lassen, um auf diesem Wege die Inanspruchnahme der in aller Regel mit hohen Kosten verbundenen Zahnersatzleistungen steuern zu können (so auch BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 5/12 R, juris, Rn. 11). Nach dieser Vorschrift haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der KKn in dem Bundesmantelvertrag zu regeln, dass der Vertragszahnarzt vor Beginn der Behandlung einen kostenfreien Heil- und Kostenplan erstellt, der den Befund, die Regelversorgung und die tatsächlich geplante Versorgung nach Art, Umfang und Kosten beinhaltet (Satz 2). Der Heil- und Kostenplan ist von der KK vor Beginn der Behandlung insgesamt zu prüfen (Satz 4).
2. Soweit die Klägerin Leistungen für Implantate im Unterkiefer beantragt, ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig und begründet. Nach § 54 Abs. 4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, verlangt werden.
Die angefochtenen Ablehnungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf zahnimplantologische Leistungen im Unterkiefer. Zahnimplantate im Unterkiefer sind bei der Klägerin zur kurativen Krankenbehandlung und zugleich zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft notwendig (hierzu a). Der durch eine Parodontitis verursachte zahnlose Unterkiefer erfüllt die Voraussetzungen einer Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung ("Behandlungsrichtlinie") in der Fassung vom 1. März 2006 (hierzu b).
a) Für die Klägerin sind Zahnimplantate im Unterkiefer zur Krankenbehandlung und zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft notwendig. Eine ausschließliche Zuordnung der Maßnahme zu dem einen oder zu dem anderen Normkomplex ist vorliegend nicht erforderlich.
Implantate dienen der Behandlung einer Krankheit.
Nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4; 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der zahnärztlichen Behandlung auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
"Krankheit" ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlung zur Folge hat. Dabei kommt nicht schon jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zu. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass der Versicherte dadurch in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder die Abweichung vom Regelzustand entstellende Wirkung hat (BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R, juris, Rn. 27; BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R, juris, Rn. 10). Zahnlosigkeit ist ein regelwidriger Körperzustand. Sie ist auch behandlungsbedürftig. Denn bleibt die Zahnlosigkeit unversorgt, schreitet die Kieferatrophie wegen des fehlenden Kaudrucks weiter fort. Implantate haben daher eine knochenprotektive Wirkung, worauf die behandelnden Zahnärzte hingewiesen haben (Seite 1 des Kostenvoranschlags - Implantologie vom 28. August 2018). Zwar zielt die Behandlung hier nicht unmittelbar auf die Ursache des Leidens (Parodontitis), sie ist gleichwohl notwendig, um die Verschlimmerung einer Folgeerkrankung (Kieferatrophie) zu verhüten. Zieht eine Krankheit in unbehandeltem Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V aufzufassen (BSG, Urteil vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R, juris, Rn. 22; vgl. Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 27 SGB V, Rn. 47).
Implantate dienen vorliegend auch einem unmittelbaren Behinderungsausgleich im Rahmen der medizinischen Rehabilitation.
Nach §§ 5 Nr. 1; 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) können die gesetzlichen KKn Träger der Leistungen zur Teilhabe sein. Die Leistungen zur Teilhabe umfassen nach § 4 Abs. 1 SGB IX die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache einer Behinderung die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX werden die erforderlichen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen erbracht, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten.
Der zahnlose Unterkiefer ist (auch) eine Behinderung. Der Begriff der Behinderung ist von dem Krankheitsbegriff abzugrenzen. "Behinderung" ist die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate dauernde Abweichung der körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen Zustand, durch die die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt wird (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX). Der Grad der Behinderung (GdB) wird in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) konkretisiert. Danach beträgt der GdB 10-20 bei einem umfassenden Zahnverlust, der über 1/2 Jahr hinaus prothetisch nur unzureichend zu versorgen ist (Teil B, Ziffer 7.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
Im Unterschied zur Krankenbehandlung, die auf eine Heilung der Krankheit zielt, geht es beim Behinderungsausgleich um den Ausgleich verlorener Körperfunktionen. Da Implantate fest im Kieferknochen verankert sind und in Verbindung mit einer - noch zu beantragenden - Suprakonstruktion die verlustige Kaufunktion der Zähne ersetzen, handelt es sich um ein Element eines unmittelbaren Behinderungsausgleichs (vgl. SG Speyer, Urteil vom 18. September 2015 - S 19 KR 219/14, juris, Rn. 66).
Die Implantatversorgung hat die beiden vorgenannten Zielrichtungen.
Eine ausschließliche Zuordnung entweder zur Krankenbehandlung oder zur medizinischen Rehabilitation ist wegen der fließenden Übergänge und Überschneidungsbereiche schwierig und vorliegend auch nicht erforderlich (zu den Schwierigkeiten einer Abgrenzung vgl. BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R, juris, Rn. 29). Denn in beiden Fällen setzt ein Leistungsanspruch gegen die KK voraus, dass die auf der Grundlage von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB IX in den Behandlungsrichtlinien festgelegten Ausnahmeindikationen erfüllt sind. Für die zahnärztliche kurative Behandlung folgt dies aus §§ 11 Abs. 1; 27, 28 SGB V und für die medizinische Rehabilitation aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Nach letztgenannter Vorschrift richten sich die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, so dass auch im Rahmen der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die Vorgaben der §§ 11 Abs. 2; 27, 28 SGB V Anwendung finden (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage 2018, § 7 Rn. 31).
Im Unterschied zu Fragen des Eintritts einer Genehmigungsfiktion, die aufgrund unterschiedlicher Bearbeitungsfristen für Anträge auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 13 Abs. 3a Abs. 9 SGB V i.V.m. §§ 14 ff. SGB IX) und für Anträge auf andere Leistungen (§ 13 Abs. 3a SGB V) eine exklusive Zuordnung der Maßnahme abhängig von ihrem Schwerpunkt erfordern könnte (BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R, juris, Rn. 17), ist diese hier nicht erforderlich. Die Beklagte hat über den Antrag vom 1. Januar 2018 zeitnah am 2. / 15. Januar 2018 entschieden.
b) Zur Überzeugung der Kammer liegt im Falle der Klägerin eine Ausnahmeindikation für eine Versorgung des Unterkiefers mit Implantaten vor.
Nach § 28 Abs. 2 Satz 8 und 9 SGB V gehören funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen nicht zur zahnärztlichen Behandlung; sie dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden. Das Gleiche gilt für implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.
Die vom G-BA erlassene Behandlungsrichtlinie regelt in Abschnitt VII, Ziffer 2. folgendes:
Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegen in den in Satz 4 aufgeführten besonders schweren Fällen vor. Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist. Besonders schwere Fälle liegen vor
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache
- in Tumoroperationen,
- in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken).
Im Falle der Klägerin sind Implantate im Unterkiefer medizinisch alternativlos (hierzu aa). Es handelt sich um einen besonders schweren Fall, in dem Implantate im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung notwendig sind (hierzu bb). Die durch Parodontitis verursachte Zahnlosigkeit ist eine Entzündung des Kiefers im Sinne der Behandlungsrichtlinie (hierzu cc). aa) Zahnimplantate sind bei der Klägerin medizinisch alternativlos. Zum einen wirkt die knochenprotektive Wirkung von Implantaten einer fortschreitenden Alveolarfortsatzatrophie entgegen (I., Kostenvoranschlag - Implantologie vom 28. August 2018). Zum anderen ist mit einer konventionellen Versorgung ohne den Einsatz von Implantaten ein funktionell zufriedenstellendes Ergebnis nicht zu erreichen (H., Zahnärztliche Stellungnahme vom 11. Dezember 2017). bb) Es handelt sich hier um einen besonders schweren Fall, in dem Implantate im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung notwendig sind. Die Kammer vermag sich der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht anzuschließen, wonach eine "Gesamtbehandlung" im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zwingend eine Kombination aus zahnmedizinischen und humanmedizinischen Maßnahmen voraussetzt und die so verstandene Gesamtbehandlung über die reine Wiederherstellung der Kaufunktion hinausreichen muss (so aber - statt vieler - BSG, Urteil vom 19. Juni 2011 - B 1 KR 4/00 R, juris, Rn. 20; BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 19/12 R, juris, Rn. 9; BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 6/13 R, juris, Rn. 14). Es ist insoweit zwar zutreffend, dass § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V von seltenen Ausnahmeindikationen spricht und demzufolge hohe Anforderungen an deren Vorliegen zu stellen sind. Wenn hieraus geschlussfolgert wird, dass eine Ausnahmesituation vorliegen müsse, an die ihrerseits wiederum qualifizierte Anforderungen zu stellen seien (BSG, Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 37/02 R, juris, Rn. 22), wird rechtsdogmatisch über das Vorliegen einer Ausnahme hinaus ein weiteres Qualifizierungsmerkmal konstruiert. Eine allzu restriktive Auslegung der Anspruchsnorm führt dazu, dass im Falle einer medizinischen Alternativlosigkeit der Implantatversorgung die Kosten vom Versicherten eigenverantwortlich zu tragen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 19/12 R, juris, Rn. 13), was aber nicht immer möglich ist und in nicht wenigen Fällen dazu führt, dass Versicherte hinsichtlich eines elementaren Grundbedürfnisses unversorgt bleiben. Dies wirft die Frage auf, ob eine derart restriktive Auslegung wirklich in der Anspruchsnorm angelegt ist. Nach Auffassung der Kammer ist die in der derzeitigen Rechtsprechung des BSG vorgenommene Konkretisierung der Anspruchsnorm weder nach dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien zwingend noch entspricht sie dem Willen des parlamentarischen Gesetzgebers. Sie wäre auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention problematisch (im Ergebnis auch LSG Niedersachsen, Urteil vom 23. Februar 2000 - L 4 KR 217/98, juris, Rn. 26 ff.; LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. März 2000 - L 4 KR 102/99, juris, Rn. 19; SG Speyer, Urteil vom 18. September 2015 - S 19 KR 219/14, juris, Rn. 46 ff.; SG Mainz, Urteil vom 24. September 2013 - S 17 KR 177/12, juris, Rn. 49 ff.). Hierzu im Einzelnen: Eine "medizinische Gesamtbehandlung" im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegt auch dann vor, wenn es sich lediglich um eine zahnmedizinische Behandlung handelt, bei der Implantate und in einem zweiten Schritt die dazugehörige Suprakonstruktion zur Wiederherstellung der Kaufunktion eingegliedert wird. Das Gesetz selbst definiert den Begriff der Gesamtbehandlung nicht. Er wird in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V sprachlich aber im Zusammenhang mit implantologischen Leistungen und einer Suprakonstruktion verwendet. In der Gesetzbegründung heißt es hierzu (Bundestag-Drucksache 13/7264 vom 19. März 1997, Seite 59). "Die Regelung stellt abweichend vom bisherigen Recht sicher, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung erhalten. Hierzu gehören, sofern keine Kontraindikationen für implantologische Leistungen vorliegen, insbesondere die Versorgung nach einer Tumoroperation mit Resektion / Teilresektion am Kieferknochen und nach Schädel- und Gesichtstraumata bei nicht rekonstruierbaren Kieferabschnitten." Auch in der Gesetzesbegründung wird der Begriff der Gesamtbehandlung in sprachlich unmittelbarem Zusammenhang mit implantologischen Leistungen und einer Suprakonstruktion verwendet. Bei einer reinen Wortlautbetrachtung ist es daher ebenso möglich, den Begriff der Gesamtbehandlung so zu verstehen, dass hiermit die umfangreichen zahnärztlichen "Gesamtleistungen" zur Wiederherstellung der Kaufunktion (das sind: erforderlichenfalls Knochenaufbau; operative Setzung der Implantate, die einige Stunden dauern kann; Überwachung der Einheilung der Implantate; chirurgische Freilegung der Implantate und Einbringung eines Aufbaus, auf dem sodann die Suprakonstruktion verankert wird) gemeint sind. Da es sich bei den in der Gesetzesbegründung genannten Fällen einer Tumoroperation mit Resektion / Teilresektion des Kieferknochens und bei Schädel- und Gesichtstraumata eben nur um Beispielsfälle handelt ("insbesondere"), besagen diese nicht, dass zusätzlich zu einer zahnmedizinischen auch eine humanmedizinische Behandlung hinzutreten müsste. Zudem würde sich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten - hierzu sogleich näher - die Frage stellen, weshalb nach der vom BSG vertretenen Auslegung eine Implantatversorgung nur dann in Betracht käme, wenn neben Zahnschäden zusätzlich z.B. eine offene Wunde versorgt wird, nicht aber, wenn nur die Zahnschäden versorgt werden, obwohl diese den eindeutigen Schwerpunkt der Behandlung bilden können. Wenn man unterstellen würde, dass der Gesetzgeber den Begriff der Gesamtbehandlung tatsächlich im Sinne von zahn- und humanmedizinischen Maßnahmen verstanden hat, hätte es nahegelegen, diese für den Tatbestand zentrale Frage im Rahmen der Gesetzesbegründung näher auszuführen. Das hat der Gesetzgeber nicht getan. Für die von der Kammer vertretene Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Anspruchsnorm. Mit dem Beitragsentlastungsgesetz vom 1. November 1996 wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1997 in § 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V ein Ausschluss für implantologische Leistungen einschließlich Suprakonstruktion normiert. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (Bundestag-Drucksache 13/4615 vom 10. Mai 1996, Seite 9): "Die Regelung konkretisiert die Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zur zahnärztlichen Behandlung. Implantologische Leistungen und die dazugehörende Suprakonstruktionen (implantatgetragener oder implantatgestützter Zahnersatz) sowie funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen sind bisher außervertragliche Leistungen und gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein entsprechender Antrag der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, diese Leistungen bei vorliegenden spezifischen Indikationen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen, ist vor einigen Jahren vom zuständigen Ausschuss für neue Untersuchungs- und Heilmethoden der Zahnärzte und Krankenkassen abgelehnt worden. Gleichwohl haben Krankenkassen diese Leistungen ohne Rechtsgrundlage übernommen oder Zuschüsse dazu gezahlt. ( ) Die Vorschrift schreibt nunmehr ausdrücklich vor, dass diese Leistungen nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Für sie gibt es alternative Behandlungsmöglichkeiten, die in der Regel wesentlich wirtschaftlicher sind. Die Regelung stellt somit sicher, dass im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung keine dem Wirtschaftlichkeitsgebot widersprechende Überbehandlung oder Überversorgung stattfindet. ( )" Diesem vollständigen Leistungsausschluss lag also die Vorstellung zugrunde, dass es alternative, wirtschaftlichere Behandlungsmethoden für die Versorgung mit Zahnersatz gibt. Dass diese Annahme nicht immer zutreffend ist, hat der Gesetzgeber bereits nach kurzer Zeit erkannt und mit Gesetz vom 23. Juni 1997 mit Wirkung zum 1. Juli 1997 in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V eine Anspruchsgrundlage für implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion für seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle normiert. Auf die oben zitierte Gesetzesbegründung vom 19. März 1997 (Bundestag-Drucksache 13/7264 vom 19. März 1997, Seite 59) wird verwiesen. Der Gesetzgeber wollte also eine Implantatversorgung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglichen, soweit keine alternative Behandlungsoption gegeben ist. Er wollte die ab dem 1. Januar 1997 bestehende Versorgungslücke gerade schließen. Sinn und Zweck des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V besteht nur darin, die Bezuschussung unwirtschaftlichen Zahnersatzes zu verhindern (LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. März 2000 - L 4 KR 102/99, juris, Rn. 23). Wenn Implantate medizinisch alternativlos sind, sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dass der Gesetzgeber diese als "zwingend notwendigen Ausnahmefall" im Sinne der Gesetzesbegründung vom 19. März 1997 verstanden wissen wollte. Die vom BSG vertretene Auslegung trägt dem Regelungszweck nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend Rechnung. Sie wäre auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG problematisch. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung der Versicherten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zugeordnet werden, unterliegt einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2011 - B 1 KR 4/00 R, juris, Rn. 23), wenngleich in Einzelfällen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) insbesondere bei regelmäßig tödlichen Erkrankungen bestimmten Leistungsausschlüsse entgegenstehen können (vgl. den sog. Nikolausbeschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98, juris). Die unversorgte Zahnlosigkeit und die hiermit verbundenen Einschränkungen etwa bei der festen Nahrungsaufnahme berührt den Grundrechtsbereich des Art. 2 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip noch nicht in einer der Entscheidung des BVerfG vergleichbaren Weise. Gleichwohl können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten (vgl. BVerfG, aaO, Rn. 55). Weiterhin ist die Gewährleistung aus Art. 3 Abs. 1 GG, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln, hier als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab heranzuziehen (BSG, Urteil vom 19. Juni 2011 - B 1 KR 4/00 R, juris, Rn. 23) und bei einer Auslegung der Ausnahmeindikation zu berücksichtigen. Dem Gesetzgeber steht es frei, Lebenssachverhalte normativ zu differenzieren. Der Gleichheitssatz soll aber eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern. Eine Grenze ist daher erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, medizinisch notwendige implantologische Leistungen im Unterschied zu "konventioneller" prothetischer Versorgung an das Erfordernis einer - im Sinne der Auslegung des BSG verstandenen - Gesamtbehandlung zu knüpfen. Die vom BSG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 angeführten Gründe können - heute - nicht mehr tragen. Damals hatte das BSG einen sachlichen Grund für eine Differenzierung unter anderem damit begründet, dass die Implantatversorgung noch relativ neu sei und Langzeitstudien über Haltbarkeit und Funktion erst Ende der neunziger Jahre vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 37/02 R, juris, Rn. 25). Soweit ersichtlich gehört die Implantatversorgung jedenfalls heute zu den zahnmedizinisch anerkannten und üblichen Behandlungsmethoden. Auch der weitere vom BSG angeführte Grund, wonach die Implantat-Technik mit einem höheren Tragekomfort und verbesserter Kaufunktion einhergehe, vermag jedenfalls dann nicht zu überzeugen, wenn es - wie hier - nicht um eine vergleichsweise Verbesserung gegenüber konventioneller prothetischer Versorgung geht, sondern um die alleinige Möglichkeit zur Wiederherstellung der regelrechten Kaufunktion. Auch Wirtschaftlichkeitsgründe wären kein sachliches Differenzierungskriterium, weil im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs grundsätzlich jede mit deutlichen funktionellen Gebrauchsvorteilen verbundene Innovation in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R, juris, Rn. 21). Zudem ist es nicht gewiss, dass eine - im Sinne der Auslegung des BSG verstandene - Gesamtbehandlung stets mit höheren Kosten verbunden ist als eine reine zahnärztliche Behandlung. cc) Die durch Parodontitis verursachte Zahnlosigkeit ist ein größerer Kieferdefekt, der seine Ursache in einer Entzündung des Kiefers hat. Es spielt insoweit keine Rolle, ob die Klägerin die Parodontitis selbst verursacht hat. Parodontitis ist, wie die behandelnde Zahnärztin J. im Befundbericht vom 10.7.2018 bestätigt hat, eine Entzündung des Kiefers. Es handelt sich um einen entzündlichen Prozess, der den gesamten Zahnhalteapparat betrifft, und der unter anderem durch mangelnde Zahnhygiene begünstigt wird. Bei einer fortgeschrittenen Parodontitis wird neben einem Rückgang des Zahnfleisches auch Knochensubstanz abgebaut. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der entzündliche Prozess unmittelbar zu einem Knochenabbau führt oder - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat - lediglich einen Rückgang des Zahnfleisches und erst infolge dessen einen Knochenabbau bewirkt. Denn maßgeblich ist, dass Parodontitis unmittelbar oder mittelbar einen Abbau des Kieferknochens zur Folge hat. Die statistische Häufigkeit einer Erkrankung steht einer Ausnahmeindikation nicht entgegen. In seiner Stellungnahme vom 3. August 2018 hat der MDK darauf hingewiesen, dass Parodontitis bei ca. 70 % der deutschen Bevölkerung im Alter zwischen dem 35. und 44. Lebensjahr auftrete. Bei ca. 25 % der 65- bis 74-Jährigen trete sogar eine schwere Parodontitis auf, die grundsätzlich mit einer Atrophie des Alveolarknochens einhergehe und bei Therapieresistenz letztlich im Zahnverlust und einer Kieferatrophie resultieren könne. Nach Auffassung der Kammer können seltene Ausnahmeindikationen im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V auch dann vorliegen, wenn zwar nicht die Erkrankung (Parodontitis) an sich, aber die Schwere der behandlungsbedürftigen Beeinträchtigung (vollständige Zahnlosigkeit), selten ist. Bei systematischer Betrachtung erschiene es nicht überzeugend, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung an die statistische Seltenheit einer Erkrankung anzuknüpfen. So liegt eine Ausnahmeindikation nach Abschnitt VII, Ziffer 2a) der Behandlungsrichtlinie auch bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten vor, die ihre Ursache in Unfällen haben. Unfälle sind weder selten noch spielt es für die Leistungspflicht der Krankenkassen eine Rolle, ob ein Unfall eigen- oder fremdverschuldet verursacht wurde. Etwas anderes lässt sich auch dem nach dem 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen § 30 Abs. 1 Satz 5 SGB V nicht entnehmen. Danach bestand für Suprakonstruktionen ein Anspruch in vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegenden Ausnahmefällen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (Bundestag-Drucksache 14/1245 vom 23. Juni 1999, Seite 65): "Bei der Versorgung mit Zahnersatz wird der Anspruch der Versicherten auf zahnärztliche Behandlung und zahntechnische Leistungen in vom Bundesausschuß festzulegenden Ausnahmefällen um die Versorgung mit Suprakonstruktionen (implantatgestützter Zahnersatz) erweitert. Damit wird der unbefriedigende Rechtszustand beseitigt, wonach Versicherte, die in bestimmten Fällen statt einer konventionellen Zahnersatzversorgung eine Versorgung mit Implantaten wählen, von ihrer Krankenkasse nicht wenigstens die anteilige Kostentragung für die Suprakonstruktion, das heißt den implantatgestützten Zahnersatz, erhalten. Da der Gesetzgeber in § 28 Abs. 2 die grundsätzliche Ausgrenzung der Suprakonstruktionen beseitigt, regelt die Vorschrift, daß der Bundesausschuß für die Versorgung mit Suprakonstruktionen Ausnahmefälle festzulegen hat. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, daß unter Beachtung der Grundsätze von medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit Ausnahmefälle für Suprakonstruktionen nur bei Einzelzahnlücken zum Beispiel im Fall von kariesfreien Nachbarzähnen und im jugendlichen Gebiß sowie beim atrophierten zahnlosen Kiefer vorliegen. In diesen Fällen stellt die Krone beim Einzelzahnersatz bzw. die Totalprothese beim zahnlosen Kiefer die vertragszahnärztlich zu erbringende zahnprothetische Leistung dar. Sämtliche Vorleistungen wie Implantate, Implantataufbauten und implantatbedingte Verbindungselemente etc. gehören nicht zur Suprakonstruktion im Sinne des § 30 Abs. 1." Zwar ist hier der atrophierte zahnlose Kiefer als Ausnahmefall erwähnt, in dem Suprakonstruktionen als Leistung nach § 30 Abs. 1 SGB V a.F. zu erbringen waren. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass der Gesetzgeber Fälle der Kieferatrophie ausschließlich in § 30 SGB V a.F. regeln und prinzipiell von implantologischen Leistungen nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V ausschließen wollte (so aber wohl BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 4/00 R, juris, Rn. 20 f.). Die von beiden Normen erfassten Indikationen sind nicht identisch. Für die Zuordnung entscheidend ist nicht allein der "atrophierte zahnlose Kiefer", sondern auch die Frage, ob Implantate alternativlos sind. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen beim atrophierten zahnlosen Kiefer noch eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich und aus diesem Grund ein Anspruch nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V ausgeschlossen ist. Wenn Versicherte sich in einem solchen Fall aus Komfortgründen gleichwohl für eine Implantatversorgung entscheiden, sah § 30 Abs. 1 und 2 SGB V a.F. vor, dass ihnen ein Anspruch auf anteilige Kostentragung für die Suprakonstruktion zustand. Auch ein Eigen- oder Mitverschulden bei der Verursachung einer Parodontitis schließt das Vorliegen einer Ausnahmeindikation nicht aus. Dass die Beklagte bei der Auslegung der Ausnahmeindikationen in der mündlichen Verhandlung auf Verursacheraspekte abgestellt hat, verdeutlicht eine allzu restriktive Handhabe der Anspruchsnorm. Zwar ist es zutreffend, dass im Rahmen der befundbezogenen Festzuschüsse für eine Versorgung mit Zahnersatz die Eigenbemühungen zur Gesundhaltung der Zähne honoriert werden, indem sich die Festzuschüsse erhöhen (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Doch steht vorliegend nicht die Höhe von Festzuschüssen, sondern das "Ob" einer Sachleistung in Frage. Für Fälle vorsätzlicher Zuziehung einer Krankheit oder Zuziehung einer Krankheit aufgrund besonderer Sachverhalte (z.B. medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation) sieht § 52 SGB V eine Kostenbeteiligung der Versicherten an den Leistungen in angemessener Höhe vor. Im Umkehrschluss führt eine fahrlässige Verursachung einer Krankheit nicht zu einem Leistungsausschluss der Versicherten. Bei einer Auslegung der Tatbestände für Ausnahmeindikationen sind wegen der Einheit der Rechtsordnung zudem die Vorschriften zum Behinderungsausgleich auslegungsleitend zu berücksichtigen. Gemäß § 4 Abs. 1 SGB IX erfolgten die Leistungen zur Teilhabe unabhängig von der Ursache der Behinderung. Und nach Art. 25 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK), dem für Deutschland ab 26. März 2009 völkerrechtliche Verbindlichkeit zukommt, anerkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderung auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die von der Beklagten vertretenen Einschränkungen bei der Auslegung der Anspruchsnorm widersprechen diesen gesetzlichen Vorgaben zum Behinderungsausgleich. Vor diesem Hintergrund ist die Parodontitis als eine "Entzündung des Kiefers" im Sinne des Abschnitts VII, Ziffer 2a) der Behandlungsrichtlinie anzusehen. Sofern man hiervon abweichend unterstellen würde, dass der G-BA tatsächlich nur statistisch seltene und unverschuldete Erkrankungen unter diesen Begriff fassen wollte und kein Anspruch im Sachleistungssystem besteht, dürfte ein Systemversagen vorliegen, das jedenfalls einen Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch zur Folge hätte. Denn in diesem Fall hätte der G-BA seinen gesetzlichen Regelungsauftrag im Bereich der implantologischen Versorgung nicht in Übereinstimmung mit den Vorgaben aus § 28 Abs. 2 Satz 9 i.V.m. § 92 Abs. 1 SGB V wahrgenommen. Dass die Ausnahmeindikationen auf statistisch selten vorkommende und unverschuldete Erkrankungen beschränkt sind, war vom parlamentarischen Gesetzgeber nicht gewollt. Hierauf kommt es vorliegend allerdings nicht mehr an. Fragen im Zusammenhang mit der demokratischen Legitimation des G-BA lässt die Kammer vorliegend dahingestellt. Die Beteiligten haben insoweit keine Beschwer aufgrund einer unzureichenden Betroffenenpartizipation geltend gemacht (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juni 2017 - 1 BvR 1877/15, juris, Rn. 13; Di Fabio, Verlust der Steuerungskraft klassischer Rechtsquellen, NZS 1998, 451; Sodan/Hadank, Unzureichende Betroffenenpartizipation als Legitimationsdefizit des G-BA, NZS 2018, 807 f.). 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.