Sozialgericht Hannover
Urt. v. 08.07.2019, Az.: S 6 R 1001/16

Klage gegen die Aufhebung einer Leistungsbewilligung und die Erstattung überzahlter Leistungen vor dem Hintergrund einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
08.07.2019
Aktenzeichen
S 6 R 1001/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 27609
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 29.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2016 wird aufgehoben.

  2. 2.
  3. 3.

    Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

  4. 4.

Tatbestand

Der am G. geborene Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer Leistungsbewilligung und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 416,31 Euro vor dem Hintergrund einer angeblichen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen im Juli 2015.

Auf seinen Antrag vom 21.05.2015 hin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26.06.2015 beginnend ab dem 01.07.2015 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Auf die Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten sowie die Höhe der monatlichen Hinzuverdienstgrenzen wies die Beklagte im Bescheid hin. In seinem Rentenantrag hatte der Kläger angegeben, dass er bis zum Rentenbeginn Arbeitsentgelt erziele.

Der Kläger kündigte sein langjähriges Vollzeit-Arbeitsverhältnis zur H. zum 30.06.2015. Mündlich vereinbarte er mit dem früheren Arbeitgeber ab dem 01.07.2015 bei Bedarf für Aushilfstätigkeiten als geringfügig Beschäftigter zur Verfügung zu stehen. Solche Tätigkeiten nahm er im Juli 2015 sowie in weiteren zwei Monaten im Jahr 2015 wahr.

Der Arbeitgeber rechnete Überstunden für den jeweiligen laufenden Monat aus buchungstechnischen Gründen immer nur bis zum 23. des jeweiligen laufenden Monats ab. Überstunden für den Zeitraum vom 24. bis zum 30./31. des jeweiligen Monats berücksichtigte er im folgenden Monat. In der Lohnabrechnung für Juli 2015 berücksichtigte der Arbeitgeber neben einem Aushilfslohn von 446,25 Euro unter der Überschrift "Nachberechnung 06/2015" eine Überstundenvergütung in Höhe von 132 Euro (11 Überstunden) und eine Abgeltung für nicht in Anspruch genommenen Urlaub in Höhe von 480 Euro. Die Auszahlung des Gesamtbetrages von 1058,25 Euro erfolgte zum 01.08.2015.

Eine Nachfrage der Beklagten bei dem Arbeitgeber des Klägers im Februar 2016 ergab, dass dieser im Juli 2015 ein Bruttoarbeitsentgelt von 1058,25 Euro aus Überstundenvergütung, Urlaubsabgeltung und Aushilfslohn erzielt habe.

Mit Schreiben vom 23.03.2016 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten teilweisen Rücknahme des Bescheides vom 26.06.2015 nach § 45 SGB X für den Juli 2015 an. Der Bescheid sei bereits seit seiner Erteilung rechtswidrig, weil der Kläger Arbeitsentgelt erzielt habe, dass gemäß § 34 SGB VI auf seine Altersrente anzurechnen sei. Der Kläger habe die Fehlerhaftigkeit des Bescheides erkennen können. Das Einverständnis des Klägers vorausgesetzt rechne die Beklagte den für die Zeit vom 01.08.2015 bis 31.03.2016 entstandenen Nachzahlungsbetrag von insgesamt 3,67 EUR mit dem überzahlten Betrag von 416,31 EUR auf. Die Beklagte beabsichtige den Restbetrag von 412,64 EUR gegen den Anspruch auf Auszahlung der laufenden Rente einmalig aufzurechnen.

Der Kläger teilte mit, dass er im Juli 2015 einen Aushilfslohn in Höhe von lediglich 446,25 EUR erhalten habe. Die Überstundenvergütung und das Urlaubsentgelt bezögen sich auf den Monat Juni 2015. Die Lohnabrechnung vom 24.07.2015 legte der Kläger vor.

Mit Bescheid vom 29.04.2016 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 26.06.2015 für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.07.2015 nach § 45 SGB X teilweise zurück. Für diesen Zeitraum erhalte der Kläger die Rente wegen Alters nur noch als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln der Vollrente. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen von 412,64 Euro habe der Kläger zu erstatten. Die Beklagte rechne diese Summe mit der laufend zu zahlenden Rente auf. Der Bescheid vom 26.06.2015 sei von Beginn an rechtswidrig, weil der Kläger aus einer abhängigen Beschäftigung im Juli 2015 Arbeitsentgelt in Höhe von 1058,25 Euro erzielt habe, das gemäß § 34 SGB VI auf die Altersrente anzurechnen sei. Die Hinzuverdienstgrenze betrage bei einer Rente wegen Alters als Vollrente 450 EUR. Werde diese überschritten, betrage die Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen Alters als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln konkret 1.018,71 Euro, in Höhe der Hälfte 1.488,88 Euro. Der Kläger habe aufgrund der Informationen im Ausgangsbescheid wissen müssen, dass die Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze zu einer Minderung oder sogar zur vollständigen Einstellung der Zahlung führen kann. Dass die Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung sich auf den Monat Juni 2015 beziehe, sei unbeachtlich. Maßgeblich sei, wann das Arbeitsentgelt auf dem Konto des Klägers eingegangen sei. Der Nachzahlungsbetrag von 3,67 EUR sei aufgerechnet worden. Die Restforderung betrage 412,64 Euro.

Der Kläger erhob am 09.05.2016 Widerspruch. Seine Beschäftigung sei am 30.06.2015 beendet gewesen. Das Entgelt für Überstunden und Urlaubsabgeltung müsse dem Juni 2015 zugeordnet werden. Eine entsprechende Abrechnungsbescheinigung seines Arbeitgebers vom 09.05.2016 legte der Kläger vor.

Die Minijobzentrale der I. teilte der Beklagten mit, dass eine Vorbeitragung der Überstunden- und Urlaubsabgeltungen für den Monat Juni 2015 erfolge. Im Juli 2015 liege weiterhin ein sogenannter "Minijob" vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Rentenbescheid vom 26.06.2015 sei bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen. Auch Einmalzahlungen wie Urlaubsabgeltung oder Mehrarbeitsvergütung aus einem Arbeitsverhältnis, das nach Rentenbeginn noch bestanden habe, stellten Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV dar und seien als Hinzuverdienst zu berücksichtigen, wenn sie aus Zeiten vor Rentenbeginn resultierten. Eine Einmalzahlung sei dem Monat zuzuordnen, in dem sie gezahlt worden sei. Es gelte das auch im Steuerrecht gültige "Zuflussprinzip". Insoweit komme es auf das Datum des Eingangs auf dem Konto an. Der Kläger habe die Sonderzahlung unstreitig im Juli 2015 erhalten, sodass sie in diesem Monat als Hinzuverdienst für die Rentenberechnung heranzuziehen gewesen sei. Der Kläger habe die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente im Juli 2015 überschritten. Der Kläger habe aufgrund der Hinweise im Bescheid vom 26.06.2015 wissen müssen, dass ein neben der Rente erzieltes Einkommen zur Minderung oder sogar zur vollständigen Einstellung der Zahlung der Rente führen kann. Darüber hinaus habe der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht. Bei Antragstellung habe angegeben, dass er ab Rentenbeginn keine über die Geringfügigkeit hinausgehenden Einkünfte erzielen werde. Auf diese Mitteilungspflichten sei der Kläger ausdrücklich hingewiesen worden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 08.11.2016 vor dem Sozialgericht Hannover erhobenen Klage. Er beruft sich auf Vertrauensschutz und eine fehlerhafte Ermessensausübung der Beklagten. Der Kläger sei verheiratet und lebe mit seiner Ehefrau und der volljährigen, aber schwerbehinderten Tochter zusammen. Dies sei bei der Einkommensberechnung zu berücksichtigen. Der Kläger verweise zudem auf die Entscheidung des BSG vom 12.03.2019 (B 13 R 35/17 R), wonach es nicht auf den Zufluss einer Urlaubsabgeltung ankomme, sondern die Entstehung des Anspruchs, vorliegend den Juni 2015. Darüber hinaus habe der Kläger bei Antragstellung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Rentenbeginn noch Urlaubsabgeltung und Überstunden nachberechnet und nachgezahlt würden. Dies habe eine Mitarbeiterin der Beklagten auch handschriftlich notiert. In den Akten fände sich diese Notiz nicht mehr. Insoweit werfe der Kläger der Beklagten einen groben Beratungsfehler dahingehend vor, dass er bei Kenntnis der Anrechnung der Überstunden- und Urlaubsabgeltung dafür gesorgt hätte, dass die Auszahlungen des Arbeitgebers auf einen späteren Zeitraum aufgeteilt würden, um den zulässigen Höchstbetrag nicht zu überschreiten. Alternativ hätte er darauf verzichtet, als Aushilfe tätig zu sein. Der Kläger berufe sich insoweit auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Beratungsfehler sei nicht erkennbar. Den Bezug von Arbeitsentgelt nach Rentenbeginn habe der Kläger in seinem Antrag ausdrücklich verneint. Aus dem Aktenvorgang sei nicht ersichtlich, dass er Angaben über den Bezug einer Urlaubsabgeltung oder Überstundenvergütung gemacht habe. § 45 SGB X sei die richtige Anspruchsgrundlage für eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides. Die Beklagte habe erst nach Erlass des Verwaltungsaktes Kenntnis davon erhalten, dass bereits bei Erlass des Verwaltungsaktes anzurechnendes Einkommen erzielt worden sei. Bei Antragstellung habe der Kläger angegeben, dass er ab Rentenbeginn keine über die Geringfügigkeit hinausgehenden Einkünfte erziele. Gleichwohl sei dem Kläger die tatsächliche Entgeltzahlung im Juli 2015 bekannt gewesen. Die Beklagte habe erst nach Erlass des Bescheides vom 26.06.2015 im Februar 2016 Kenntnis darüber erlangt, dass der Kläger im Juli 2015 Arbeitsentgelt erzielt habe, das über der Hinzuverdienstgrenze liege. Insoweit sei die Beklagte bei Erlass des Rentenbescheides vom 26.06.2015 von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen habe.

Die Kammer hat zur weiteren Sachverhaltsermittlung eine Auskunft des Arbeitgebers H. vom 18.01.2018 eingeholt.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die sozialgerichtliche Akte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zur Beratung und Entscheidungsfindung vorlagen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Grundvoraussetzung für eine mögliche Aufhebung gemäß § 48 SGB X bzw. Rücknahme gem. § 45 SGB X liegt nicht vor.

Der Ausgangsbescheid vom 26.06.2015 ist nicht rechtswidrig. Die Voraussetzungen für einen vollen Rentenanspruch liegen auch im Juli 2015 vor. Das von dem Kläger erzielte Einkommen steht dem nicht entgegen. Es überschreitet die Hinzuverdienstgrenze nicht.

Anspruch auf eine Rente wegen Alters besteht vor Erreichen der Regelaltersgrenze nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird (§ 34 Abs. 2 S. 1 SGB VI in der Fassung vom 05.12.2012). Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in § 34 Abs. 3 SGB VI genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 3 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt (§ 34 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F.).

Der Begriff des Arbeitsentgeltes richtet sich nach §§ 14, 17 SGB IV i.V.m. der Sozialversicherungsentgeld-VO (SvEV v. 21.12.2006 - BGBl. I S. 3385). Er umfasst alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung (vgl. § 7 SGB IV; nichtselbstständige Arbeit), die der Beitragsbemessung unterliegen (Kreikebohm SGB VI/Dankelmann, 5. Aufl. 2017, SGB VI § 34 Rn. 10). Weichen beitrags- und steuerpflichtiges Einkommen voneinander ab, ist das beitragspflichtige Arbeitsentgelt als Hinzuverdienst zu berücksichtigen (Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Roßbach, 6. Aufl. 2019, SGB VI § 34 Rn. 10). Entgegen der Annahme der Beklagten kommt es auf den Zufluss des Arbeitsentgeltes nicht an. Das Arbeitsentgelt bzw. Arbeitseinkommen muss vielmehr während der Rentenbezugszeit erzielt worden sein. Unbeachtlich ist daher Einkommen, das zwar erst während des Rentenbezugs zufließt, aber bereits vorher erarbeitet worden ist. Dies gilt z.B. für Urlaubsabgeltungen, Entlassungsabfindungen oder einmalig gezahlte Arbeitsentgelte, die erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausgezahlt werden (KassKomm/Gürtner, 103. EL März 2019, SGB VI § 34 Rn. 17; Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Roßbach, 6. Aufl. 2019, SGB VI § 34 Rn. 10). Für die Anrechnung eines Hinzuverdienstes auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (§ 96a SGB VI a.F.) hat das BSG entschieden, dass die Urlaubsabgeltung auf die Rente grundsätzlich in dem Monat anzurechnen ist, in dem der Anspruch auf die Urlaubsabgeltung entsteht (Terminbericht 9/19 zu B 13 R 35/17 R vom 12.03.2019; Entscheidungsgründe bisher unveröffentlicht). Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs entstehe zwingend mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Regelung des § 96a Abs. 1 S. 2 SGB VI a.F. entspricht im Wortlaut derjenigen des § 34 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F ...

Das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber endete zum 30.06.2015. Der Kläger hatte dieses gekündigt. Das Ende des Arbeitsverhältnisses nahm der Arbeitgeber zum Anlass der Abrechnung des Resturlaubes und von Überstunden. Die Überstundenvergütung von 132 Euro und die Urlaubsabgeltung von 480 Euro erwirtschaftete der Kläger nicht während der Rentenbezugszeit, sondern vor dem 01.07.2015. Allein 446,25 Euro Aushilfslohn erzielte er als Einnahme aus einer neuen, mündlich vereinbarten Beschäftigung während des Rentenbezuges ab dem. 01.07.2015. Nur dieses Arbeitsentgelt ist der Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 3 SGB VI gegenüberzustellen. Dieses Arbeitsentgelt überschreitet die Hinzuverdienstgrenze einer Vollrente von 450 Euro nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.