Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 22.05.2009, Az.: 3 B 43/09
Rechtmäßigkeit des Verbots einer Versammlung bzw. der Abhängigmachung von bestimmten Auflagen
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 22.05.2009
- Aktenzeichen
- 3 B 43/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 36063
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2009:0522.3B43.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 1 VersG
- Art. 8 Abs. 1 GG
Verfahrensgegenstand
Versammlungsrecht (Auflage)
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
am 22. Mai 2009
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage der Antragsgegnerin, mit der die Route des von ihm angemeldeten versammlungsrechtlichen Aufzugs geändert worden ist.
Der Antragsteller meldete für den 23. Mai 2009 eine Versammlung bei der Antragsgegnerin unter dem Thema: "Gegen Behördenwillkür-Keine Blockade der Meinungsfreiheit" an, für die mit 100 bis 150 Teilnehmern gerechnet wird.
Für denselben Tag ist eine Versammlung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-Bd.A.) und des Lüneburger Bündnisses für Demokratie/Netzwerk gegen Rechtsextremismus unter dem Motto "Keine Neonazis in unserer Stadt!" mit einer Teilnehmerzahl von ca. 1.000 Personen angemeldet.
Das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, welches der Antragsteller als Veranstalter der rechten Szene nach dem von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Versammlungsverbot bei dem beschließenden Gericht durchgeführt hat (Az.: 3 B 35/09), hatte Erfolg. Daraufhin modifizierte die Antragsgegnerin die Routen für beide angemeldete Veranstaltungen. Sie wies dem Antragsteller mit Bescheid vom 19. Mai 2009 eine Aufzugsroute im Stadtteil Neu Hagen zu (Bleckeder Landstraße - Dieselstraße - Guerikestraße - Bunsenstraße - Bachstraße - Wedekindstraße - Spangenbergstraße - Bleckeder Landstraße).
Das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit welchem die Veranstalter der Versammlung mit dem Motto "Keine Neonazis in unserer Stadt!" die Einbeziehung des Bahnhofs in ihre Aufzugsroute begehrten, blieb erfolglos (Az.: 3 B 40/09). Daraufhin entschieden sich diese Veranstalter gegen den geplanten Aufzug und für eine stationäre Versammlung am Alten Kran am Stintmarkt von 11.00 Uhr bis 13.00 Uhr.
Der Antragsteller begehrt unter Hinweis auf die nunmehr stationäre Gegenversammlung am Alten Kran die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Az.: 3 A 102/09) gegen die Wegstreckenauflage in Ziffer I des Bescheids vom 19. Mai 2009.
II.
Der gemäß §80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
Bei der vom Gericht zu treffenden Entscheidung, ob es gemäß §80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnet bzw. in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellt, sind die einander widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Dabei sind der Zweck des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens besondere Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, desto geringer sind die an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellenden Anforderungen. Das öffentliche Interesse wiegt demgemäß umso schwerer, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, §80 Rn. 158 m.w.N.)
Bei der Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt vorliegend das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin, denn die angefochtene Modifizierung der Aufzugsstrecke erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtsmäßig.
Nach §15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen. Angesichts des hohen Gutes der Versammlungsfreiheit genügt nicht eine bloße abstrakte Gefahr für die öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung. Die Gefahr muss vielmehr so konkretisiert sein, dass nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten ist. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung müssen erkennbare, d.h., nachweisbare Tatsachen dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, bloße Vermutungen genügen insoweit nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834).
Auch unter Berücksichtigung dieser hohen Maßstäbe wäre bei einer Routenführung entsprechend dem Begehren des Antragstellers die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet. Denn unter Berücksichtigung der Ereignisse vom 11. April 2009 besteht die Gefahr unfriedlicher Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern. An diesem Tag haben Versammlungen beider politischer Richtungen stattgefunden. Nach Beendigung der Demonstration des antifaschistischen Bündnisses kam es zu einer Sitzblockade, die den zeitlich späteren Aufzug des rechten Spektrums verhinderte. Es kam außerdem zu Straftaten. Angesichts der geringen Entfernung zwischen der Versammlung mit dem Motto "Keine Neonazis in unserer Stadt!" am Alten Kran und dem geplanten Ausgangspunkt der Versammlung des Antragstellers an der Altenbrückertorstraße besteht die Gefahr, dass Versammlungsteilnehmer sich gegen 13.00 Uhr vom Alten Kran dorthin begeben werden, um erneut die Durchführung des vom Antragsteller angemeldeten Aufzugs zu verhindern. Dafür sprechen auch Internetaufrufe zum "Blockadetraining" sowie Flyer und Plakate, mit denen zu Sitzblockaden aufgerufen wird. Angesichts dieser vielfältigen Aufrufe ist auch nicht abschätzbar, dass es sich nur um eine geringe Anzahl von Blockadeteilnehmern handeln wird.
Auch wenn die Blockadeaufrufe einigen Vertretern des linksextremen Spektrum und nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind, ist vorliegend eine Gefahr i.S.d. §15 Abs. 1 VersG gegeben. Das erkennende Gericht hat bereits im Urteil v. 16. März 2006 (Az.: 3 A 143/04) ausgeführt, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch dann gefährdet sein kann, wenn Rechtsgütergefährdungen nicht von der Versammlung insgesamt ausgehen, sondern von einer Minderheit oder von Dritten, die aus Anlass der Versammlung und gegebenenfalls parallel zu deren Zielsetzung zu Störern werden. Dies folgt aus dem Wortlaut des §15 Abs. 1 VersG unmittelbar. Wenn es dort heißt, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung unmittelbar gefährdet ist, zeigt dies an, dass es nicht darauf ankommt, ob die Versammlung insgesamt, eine Minderheit der Versammlung oder Dritte, die sich außerhalb der Versammlung bewegen, für die Gefahr verantwortlich sind. Gehen die Gefahren indes von einer Minderheit oder außenstehenden Dritten aus, werden sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer richten müssen.
Die Antragsgegnerin hat nicht nur die Aufzugsstrecke der Veranstaltung des Antragstellers verlegt, sondern auch die der Gegenversammlung mit dem Motto "Keine Neonazis in unserer Stadt" so festgelegt, dass eine strikte örtliche Trennung der Veranstaltungen gegeben ist. Auch nachdem die Veranstalter der Versammlung mit dem Motto "Keine Neonazis in unserer Stadt!" sich gegen einen Aufzug und für eine ortsfeste Veranstaltung am Alten Kran von 11.00 Uhr bis 13.00 Uhr entschieden haben, kann eine Störung für die öffentliche Sicherheit nur durch eine strikte räumliche Trennung der beiden Veranstaltungen verhindert werden. Die Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen hat ihre Stellungnahme vom 18. Mai 2009 mit Schreiben vom 22. Mai 2005 dahingehend ergänzt, dass sich die Gefahrenlage sogar verschärft habe und sich die Bemühungen des linksextremen Spektrums verstärkten, die beabsichtigten polizeilichen Sperrlinien zu unterlaufen und die Versammlung des Antragstellers zu blockieren. Je räumlich näher der Aufzug des rechtsextremen Spektrums zur Gegenversammlung verlaufe, umso mehr potenziere sich auch der Mobilisierungseffekt für noch Unentschlossene. Nur durch die Trennung der Veranstaltungen unter Ausnutzung der geographischen Gegebenheiten (Lösegraben, Bahnbrückenunterführungen) könnten Störungen verhindert werden. Dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht insbesondere unter Berücksichtigung der verhinderten Versammlung des Antragstellers am 11. April 2009 an.
Die Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen hat in ihrer Stellungnahme zudem deutlich gemacht, dass ihr am 23. Mai 2009 nur eine geringere Zahl von Einsatzkräften zur Verfügung stehen wird, die die Störung der öffentlichen Sicherheit nur unter Ausnutzung der geographischen Gegebenheiten verhindern können.
Die örtliche Verlegung der Versammlung des Antragstellers ist auch nicht unverhältnismäßig, insbesondere kann der Antragsteller sein mit der Versammlung verbundenes Anliegen auf der genehmigten Route angemessen vorbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Gegen den Beschluss zu 1) ist die Beschwerde statthaft.
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Gegen den Beschluss zu 2) ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht statthaft, wenn sie in diesem Beschluss zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.
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v. Alten
Rohr