Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.05.2009, Az.: 1 A 274/06

Arbeitszeit; Arbeitszeitregelung; Bereitschaftsdienst; Freizeitausgleich; Mehrarbeit; Polizeivollzugsdienst

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
20.05.2009
Aktenzeichen
1 A 274/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 44443
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2009:0520.1A274.06.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 25.01.2011 - AZ: 5 LC 178/09

Amtlicher Leitsatz

Der in der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst in Niedersachsen (RdErl.d. MI v. 25.5.1992, Nds.MBl.S. 857; geändert d. RdErl.v. 1.12.1997, Nds. MBl.S. 120) festgelegte Freizeitausgleich für Bereitschaftsdienst ist nicht zu beanstanden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt für geleisteten Bereitschaftsdienst einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1.

2

Er ist als Polizeibeamter beim Land Niedersachsen tätig. Zur Sicherung des so genannten Castor-Transports ordnete die Polizeidirektion Lüneburg für die ihr unterstellten Polizeikräfte im Jahre 2005 in ihrem Einsatzbefehl einerseits die erforderliche Mehrarbeit bzw. die erforderlichen Überstunden an. Andererseits führte sie unter Nr. 6.39 unter Hinweis auf den Runderlass des Ministers des Innern zur Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst u.a. an: "Der bevorstehende Einsatz ist als mehrtägiger Dauereinsatz angelegt. Der gewählte Kräfteeinsatz bedingt während des gesamten Einsatzes eine permanente Einsatzbereitschaft. Von daher wird für Zeiten, die nicht Einsatzzeit sind, Bereitschaftsdienst angeordnet. Bei der Arbeitszeitberechnung ist zwischen Einsatzzeiten und Bereitschaftsdienst zu unterscheiden. Die Einsatzzeit umfasst die Dauer des jeweiligen Einsatzes im Einsatzrahmen und beinhaltet darüber hinaus Zeiten für An- und Abreise oder Einsatzbesprechungen. Die Einsatzzeit wird als Vollzeit, der angeordnete Bereitschaftsdienst zu 25 % angerechnet. Beginn und Ende der Einsatzzeiten sowie des Bereitschaftsdienstes sind von den .... zu dokumentieren und der .... täglich bis 8.00 Uhr für den Zeitraum der zurückliegenden 24 Stunden zu übersenden".

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Der Kläger unterlag als Mitglied der Niedersächsischen Bereitschaftspolizei in der 4. Hundertschaft am Standort Lüneburg der 2. Bereitschaftspolizeiabteilung diesem Einsatzbefehl. Während des Castor-Einsatzes 2005 leistete der Kläger unstreitig 32 Stunden Mehrarbeit in Form des Bereitschaftsdienstes. Diese Zeit wurde ihm entsprechend des Einsatzbefehls und der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst mit 25 % auf die regelmäßige Arbeitszeit angerechnet, mit anderen Worten Freizeitausgleich gewährt.

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Mit seiner am 8. November 2006 erhobenen Klage begehrt der Kläger für die während des Castor-Transports 2005 (18. November bis 23. November 2005) geleistete Mehrarbeit einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1. Er trägt zur Begründung vor, die Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst, nach der für Zeiten des Bereitschaftsdienstes bzw. der Mehrarbeit hier nur 25 % als Freizeitausgleich gewährt würden, verstoße gegen europäisches Recht. Nach der Richtlinie 93/104 EG stelle Bereitschaftsdienst Arbeitszeit dar. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit betrage nach der Richtlinie 89/391/EWG 48 Stunden. Der Castor-Transport stelle keine Ausnahmesituation dar, für die ein Abweichen bzw. Absehen von den Vorgaben gerechtfertigt sei. Für die demnach von ihm geleistete Mehrarbeit sei nach § 80 NBG innerhalb von drei Monaten entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei zwischen Bereitschaftsdienst und Regeldienst kein Unterschied zu machen. Dementsprechend werde für die Errechnung der geleisteten Arbeitsstunden bis zur Höchstarbeitsgrenze von 48 Stunden pro 7 Tage Zeitraum Volldienst und Bereitschaftsdienst als gleichwertig im Verhältnis 1 zu 1 aufaddiert. Das gleiche müsse dann auch bei der Bemessung des Freizeitausgleichs gelten. Neben den Europäischen Vorschriften ergebe sich dies auch aus dem für den Dienstherrn geltenden Fürsorgegrundsatz.

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Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, ihm in dem Umfang Freizeitausgleich zu gewähren, in dem Mehrarbeit anlässlich des 9. Transportes abgebrannter Brennelemente in das Zwischenlager Gorleben im Zeitraum vom 18. November 2005 bis 23. November 2005 angeordnet wurde, und zwar im Verhältnis 1 zu 1.

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Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der für den Bereitschaftsdienst bei dem Castor-Transport 2005 dem Kläger gewährte Freizeitausgleich sei nicht zu beanstanden. Die Abrechnung sei entsprechend Ziffer 5.2 der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst erfolgt. Diese Regelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Höchstrichterlich sei bereits entschieden, dass Bereitschaftsdienst nicht wie Volldienst vergütet werden müsse. Aus den gleichen Gründen sei es nicht zu beanstanden, wenn für Bereitschaftsdienst nach der Arbeitszeitregelung Freizeitausgleich nicht im Verhältnis 1 zu 1 gewährt werde. Aus den Europäischen Vorschriften lasse sich nichts anderes herleiten. Fraglich sei bereits, ob die Richtlinie über die Festlegung der Höchstarbeitszeit nicht durch Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/391 EWG in der Anwendung ausgeschlossen sei. Auf jeden Fall habe der Europäische Gerichtshof in seinem Beschluss vom 11. Januar 2007 (C-437/05) die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bestätigt, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn für Bereitschaftsdienst weniger gezahlt werde als für so genannten Volldienst. Die hierzu vom Europäischen Gerichtshof angestellten Erwägungen seien auch auf den Ausgleich von Bereitschaftsdienst in Freizeit entsprechend anzuwenden. In diesem Sinne sei auch das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2007 (5 LC 225/04) zu verstehen.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

10

Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen höheren als den gewährten Freizeitausgleich für den von ihm geleisteten Bereitschaftsdienst.

11

Rechtsgrundlage für die hier strittige Arbeitszeitfrage im Rahmen des Castor-Transportes 2005 ist § 80 NBG i.V.m. der Niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten (Nds.ArbZVO) und der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst (RdErl.d. MI v. 25.5.1992, Nds. MBl.S. 857, geändert d. RdErl.v. 1.12.1997, Nds. MBl.S. 120).

12

Nach § 80 Abs. 1 NBG darf die regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt 40 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Wird der Beamte oder die Beamtin durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als 5 Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen innerhalb von drei Monaten für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (§ 80 Abs. 2 Satz 2 NBG). Nach § 80 Abs. 3 NBG kann die Arbeitszeit entsprechend den dienstlichen Bedürfnissen verlängert werden wenn es sich um Bereitschaftsdienst handelt. Im Zeitraum einer Woche dürfen 54 Stunden nur überschritten werden, wenn die Bereitschaft in diesem Zeitraum mehr als 30 Stunden beträgt oder im Anschluss an den Bereitschaftsdienst eine Freizeit von gleicher Dauer gewährt wird. Die Gesamtarbeitszeit darf 66 Stunden wöchentlich nicht überschreiten; Abs. 2 gilt sinngemäß. Für die Mehrarbeit regelt § 7 Nds.ArbZVO, dass die Gewährung von Dienstbefreiung und Dienstentschädigung sich nach den beamten- und besoldungsrechtlichen Vorschriften richtet. Abweichungen von der regelmäßigen Arbeitszeit sind in § 9 Nds.ArbZVO geregelt. In Ziffer 5 der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst ist schließlich der Bereitschaftsdienst für Polizeivollzugsbeamte geregelt. Insbesondere ist festgelegt, wann Bereitschaftsdienst vorliegt und wann und in welchem Umfang dieser abzugelten ist.

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Während des Castor-Transportes 2005 hat der Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, 32 Stunden ausgleichspflichtige Bereitschaftszeit geleistet. Diese 32 Stunden hat die Beklagte mit 25 %, das sind 8 Stunden, auf die Arbeitszeit angerechnet und damit Freizeitausgleich gewährt. Diese Berechnung ist aufgrund der Vorschrift des § 80 Abs. 2 NBG und insbesondere der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst zutreffend erfolgt und entspricht den dort geregelten Vorgaben. Auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

14

Die hier angewandten Regelungen über den Freizeitausgleich widersprechen - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht höherrangigem Recht, insbesondere nicht europarechtlichen Vorschriften.

15

Bei dem Bereitschaftsdienst handelt es sich um Arbeitszeit im Sinne des § 80 NBG. Die früher herrschende Meinung nahm zwar an, Bereitschaftsdienst sei keine Arbeitszeit, sondern Ruhezeit. Diese Rechtslage hat sich jedoch aufgrund EG-Rechts geändert. Denn nach der Richtlinie 93/104/EG bzw. jetzt 2003/88/EG ist in vollem Umfang Arbeitszeit - als Gegensatz zur Ruhezeit - (auch) jeder Bereitschaftsdienst, während dem ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in Form persönlicher Anwesenheit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Verfügung steht (vgl. EuGH, Urteil vom 9.9.2003 - C - 151/02 -, PersV 2003, 453 und Beschluss vom 14.7.2005 - C - 52/04 -, NVwZ 2005, 1049; Nds. OVG, Urteil vom 18.6.2007 - 5 LC 225/04 - und Beschluss vom 23. Juli 2008 18 LP 1/07 -). Der Gesetzgeber hat auf die entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs reagiert und das Arbeitszeitgesetz sowie die entsprechenden Arbeitszeitregelungen im Beamtengesetz und in den speziellen Arbeitszeitregelungen für bestimmte Beamtengruppen richtlinienkonform dahingehend geändert, dass auch Bereitschaftsdienste künftig Arbeitszeit sind.

16

Vorschriften darüber, wie Bereitschaftsdienste auf die regelmäßige Arbeitszeit anzurechnen sind bzw. wie diese abzugelten sind, enthalten weder die Richtlinie 2003/88/EG noch die Grundrichtlinie 89/391/EWG. Die Richtlinien beschränken sich ausschließlich auf Vorgaben für die Arbeitszeitgestaltung. Das Gemeinschaftsrecht gebietet nicht ausdrücklich die Gleichstellung von Mehrarbeit ohne Rücksicht darauf, ob Volldienst oder Bereitschaftsdienst geleistet wird.

17

Für Mehrarbeitsstunden, für die nicht Freizeitausgleich gewährt werden kann, ist eine Mehrarbeitsvergütung zu gewähren. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, dass Bereitschaftsdienst nicht wie Volldienst vergütet werden muss. Ein abgesenktes Niveau sei gerechtfertigt, weil diese Form der Arbeitszeit hinsichtlich der Intensität und Effektivität nicht dem Volldienst gleichgestellt werden könne, da der Beamte während des Bereitschaftsdienstes nicht ununterbrochen beschäftigt werde. Vielmehr sei der Bereitschaftsdienst durch Phasen der Entspannung, der Ruhe und des Wartens geprägt, so dass eine unterschiedliche besoldungsrechtliche Behandlung gerechtfertigt sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.2004 - 2 C 9.03 -).

18

Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass aus diesen vom Bundesverwaltungsgericht dargelegten Gründen es auch gerechtfertigt ist, Bereitschaftsdienstzeiten nicht im Verhältnis 1 zu 1 auf die regelmäßige Arbeitszeit anzurechnen, die gemäß § 80 Abs. 1 NBG 40 Stunden in der Woche beträgt. Angesichts der Unterschiede zwischen Bereitschaftsdienst und Volldienst ist es zulässig und gerechtfertigt, Bereitschaftsdienstzeit nur anteilig auf die regelmäßige Arbeitszeit anzurechnen bzw. durch Freizeit abzugelten. Zur weiteren Begründung wird analog § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen in der Klageerwiderung der Beklagten Bezug genommen werden. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht kommt in seinem Urteil vom 18. Juni 2007 (5 LC 225/04 ) zu der Auffassung, dass der Freizeitausgleich danach differenziert werden könne, ob während des Bereitschaftsdienstes tatsächlich Arbeit geleistet worden sei oder nicht. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht führt hierzu aus, "damit trägt der Senat den Umständen Rechnung, dass einerseits nach nationalem Recht der Bereitschaftsdienst nicht mit dem normalen Dienst gleichgesetzt wird und auch das Gemeinschaftsrecht eine solche Gleichsetzung nur im Interesse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes hinsichtlich der Arbeitszeit bestimmt, nicht aber hinsichtlich der Gewährung von Freizeitausgleich gebietet und andererseits der Kläger während des Bereitschaftsdienstes an seinem Arbeitsplatz anwesend sein muss". Diese unterschiedliche Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes rechtfertigt es, auch in diesem Fall die in Ziffer 5 der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst getroffene differenzierte Regelung für vertretbar zu halten. Auf jeden Fall liegt ein Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften nicht vor.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

20

Die Berufung ist nach § 124a i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.