Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.05.2009, Az.: 3 B 40/09

Versammlungsrechtliche Verfügung mit Auflage der örtlichen Verlegung und Routenänderung einer Demonstration; Schutz der öffentlichen Sicherheit durch zeitliche und örtliche Trennung der Demonstrationszüge bei gleichzeitigen Demonstrationen von Rechten und Gegendemonstranten

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
19.05.2009
Aktenzeichen
3 B 40/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 16467
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2009:0519.3B40.09.0A

Verfahrensgegenstand

Versammlungsrecht (Auflage)

Redaktioneller Leitsatz

Die Abänderung der Route einer Demonstration durch die Genehmigungsbehörde ist gerechtfertigt, wenn andernfalls die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet wäre. Eine solche Gefährdungslage liegt vor, wenn bereits in der Vergangenheit an dem selben Tag Versammlungen des linken und rechten Spektrums stattgefunden haben und es zu einer Sitzblockade und Straftaten gekommen ist. Eine derartige Sachlage erfordert eine strenge örtliche Trennung der unterschiedlichen politischen Lager im Interesse der öffentlichen Sicherheit.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
am 19. Mai 2009
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragsteller begehren die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Verfügung der Antragsgegnerin, nach der die Auftaktkundgebung der von den Antragstellern angemeldeten Versammlung an einem anderen Ort abzuhalten und die Route des versammlungsrechtlichen Aufzugs geändert worden ist.

2

Die Antragsteller meldeten für den 23. Mai 2009 eine Versammlung bei der Antragsgegnerin unter dem Thema: "Keine Neonazis in unserer Stadt" an, für die mit 1.000 Teilnehmern gerechnet wird.

3

Am selben Tag findet eine Versammlung des radikal rechten Spektrums unter dem Motto: "Gegen Behördenwillkür - keine Blockade der Meinungsfreiheit" statt.

4

Das vorläufige Rechtschutzverfahren, welches die Veranstalter der rechten Szene nach dem von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Versammlungsverbot bei dem beschließenden Gericht durchgeführt haben (Az.: 3 B 35/09), hatte Erfolg. Daraufhin hat die Antragsgegnerin die Antragsteller mit Schreiben vom 18. Mai 2009 darauf hingewiesen, dass ihre Verfügung vom 13. Mai 2009, nach der für den Fall, dass das Verbot der Versammlung des rechten politischen Spektrums gerichtlich nicht bestätigt wird, die Route der angemeldeten Versammlung modifiziert werde. Danach sind die für den Bereich Bahnhof/ Bahnhofstraße/Bahnhofsvorplatz vorgesehene Kundgebung sowie die Aufzugsstrecke vom Bahnhof zum Kreuzungspunkt Am Werder/Lünertorstraße verboten worden. Die Auftaktkundgebung soll rund um den Alten Kran im Hafenviertel stattfinden und der Aufzug dann in Richtung Innenstadt fortgesetzt werden.

5

Soweit den Antragstellern verboten worden ist, im Bereich des Bahnhofs eine Auftaktkundgebung abzuhalten und die Aufzugsstrecke vom Bahnhof zum Kreuzungspunkt Am Werder/Lünertorstraße zu benutzen, haben sie Klage erhoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt.

6

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

7

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen - wie hier - die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders angeordnet wird. Nach Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung jedoch wiederherstellen. Im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht im Hinblick auf den Sofortvollzug eine Entscheidung aufgrund der beiderseitigen Interessen zu treffen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes oder einzelner Auflagen, überwiegt das Interesse des Rechtschutzsuchenden am Aufschub des Vollzuges. Ist der Verwaltungsakt oder sind seine Auflagen demgegenüber offensichtlich rechtmäßig und besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtschutz abzulehnen.

8

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.

9

Danach sind die von der Antragsgegnerin verfügten Modifizierungen gerechtfertigt.

10

Art. 8 GG gebietet es, das Versammlungsrecht verschiedener Anmelder ohne Ansehung der politischen Ausrichtung der Demonstration und der Gegendemonstration weitgehend zu verwirklichen.

11

Bei einer Routenführung entsprechend den Wünschen der Antragsteller wäre die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet.

12

Das ergibt sich unter Berücksichtigung der Ereignisse vom 11. April 2009.

13

An diesem Tag haben Versammlungen beider politischer Richtungen stattgefunden. Nach Beendigung der Demonstration des antifaschistischen Bündnisses kam es zu einer Sitzblockade, die den zeitlich späteren Aufzug des rechten Spektrums verhinderte. Es kam außerdem zu Straftaten.

14

Nach diesen Erfahrungen geht die Antragsgegnerin, die sich einer Einschätzung der Polizei vom 18. Mai 2009 anschließt, davon aus, dass eine strenge Trennung der unterschiedlichen politischen Lager im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist. Die Polizei hat darauf hingewiesen, dass nach polizeilicher Erfahrung davon ausgegangen werden müsse, dass mit einem "verstopften Bahnhof" bereits die Anreise der Rechtsextremen unterbunden werden solle. Diese Befürchtung besteht in Anbetracht der Geschehnisse vom 11. April 2009 zu Recht. Es kommt nicht darauf an, ob die Blockaden im Anschluss an die Demonstration dem damaligen Versammlungsleiter zuzurechnen sind. Denn jedenfalls besteht die Gefahr, dass Teilnehmer der von den Antragstellern angemeldeten Versammlung bis zum Eintreffen der Teilnehmer der späteren Veranstaltung im Bereich des Bahnhofs bleiben, um erneut die Durchführung eines Aufzugs des rechten Spektrums zu verhindern. Dafür spricht auch das von der Antragsgegnerin erwähnte "Blockadetraining" zu dem im Internet aufgerufen wird.

15

Somit besteht die Gefahr unfriedlicher Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern.

16

Die Polizei hat in ihrer Stellungnahme zudem deutlich gemacht, dass ihr am 23. Mai 2009 nur eine geringere Zahl von Einsatzkräften zur Verfügung stehen wird. Das macht eine örtliche Trennung der unterschiedlichen Versammlungen erforderlich.

17

Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit reicht es auch nicht aus, dass die Demonstrationszüge zeitlich getrennt sind - die Antragsteller wollen bereits ab 11:00 Uhr demonstrieren, die andere Versammlung ist erst ab 13:00 Uhr geplant. Es besteht aber nach den Erfahrungen vom 11. April 2009 und vor dem Hintergrund des Aufrufs zur Blockade die Wahrscheinlichkeit, dass Teilnehmer der anderen Versammlung früher anreisen und Teilnehmer der Versammlung der Antragsteller zur Verhinderung der Versammlung in der Nähe des Bahnhofs verbleiben und mit jenen zusammentreffen. Damit besteht auch die anzunehmende Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen. Diese rechtfertigt es, die Versammlungsströme örtlich zu trennen, um das Risiko für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und gewaltmotivierte Übergriffe zu minimieren und zu verhindern.

18

Die Auflage und die örtliche Verlegung der Versammlung der Antragsteller ist auch nicht unverhältnismäßig, insbesondere können die Antragsteller ihr mit der Versammlung verbundenes Anliegen vorbringen, weil ihre Versammlung nicht vollständig verboten wird. Die Auftaktkundgebung findet nach der Verfügung der Antragsgegnerin auch an einem zentralen Ort in der Innenstadt statt, nämlich rund um den Kran. Im Übrigen verläuft die vorgesehene Route durch die Innenstadt und kann damit von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Denn sie verläuft - abgesehen von der verbotenen Kundgebung am Bahnhof und der Aufzugsstrecke vom Bahnhof zum Kreuzungspunkt Am Werder/Lünertorstraße - so, wie es die Beteiligten im Rahmen der Kooperationsgespräche vereinbart haben.

19

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Antragsteller im Hinblick auf die Auftaktveranstaltung ausweislich der Protokolle zu den Kooperationsgesprächen sich hinsichtlich der Auftaktveranstaltung nicht kooperativ gezeigt haben. Die von der Antragsgegnerin aufgezeigte Möglichkeit einer Sterndemonstration, in deren Rahmen die mit der Bahn anreisenden Personen gemeinsam, aber unabhängig von den anderen Versammlungsteilnehmern, zu einem gemeinsamen Versammlungs- bzw. Kundgebungsort gehen könnten, haben sie grundsätzlich abgelehnt. Gerade in Anbetracht der von den Antragstellern erwarteten Anzahl von 1.0000 Teilnehmern sind die von der Polizei für erforderlich gehaltenen Maßnahmen nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Aus welchem Grund allein der Bahnhof als Ort für die Auftaktveranstaltung in Betracht kommt, haben die Antragsteller nicht hinreichend dargelegt.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

21

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

22

...

Siebert
Rohr
Minnich