Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 24.10.2001, Az.: 4 B 123/01

Lernbehinderte; Sonderschule; Überweisung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
24.10.2001
Aktenzeichen
4 B 123/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39850
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen ihre Überweisung an die Pestalozzi - Schule für  Lernhilfe in U. . Diese ordnete die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Mai 2001 zum Beginn des Schuljahres 2001/2002 an. Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. Oktober 2001 zurück. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 29. Mai 2001 an.

2

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung einer von ihr  beabsichtigten Klage wiederherzustellen, bleibt ohne Erfolg.

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Zunächst entspricht die Begründung, die die Antragsgegnerin für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben hat, den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Um den Erfordernissen dieser Vorschrift zu genügen, hat die Behörde die wesentlichen Gründe darzulegen, aus denen sich im konkreten Fall das Interesse an einer sofortigen Vollziehung ergibt und die zu ihrer Entscheidung geführt haben, von § 80 Abs. 2  Satz 1 Nr. 4 VwGO Gebrauch zu machen. Dies hat die Antragsgegnerin hier getan. Sie hat hierzu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Dem erkannten Förderbedarf der Antragstellerin könne weder an der Grundschule, noch an der Orientierungsstufe entsprochen werden. Die vorhandenen Wissenslücken, ihre geringe Konzentration und Ausdauer und die hierdurch resultierende nachhaltige Lernschwäche würde sich ohne sofortige sonderpädagogische  Betreuung verfestigen und vertiefen, wenn die Rechtskraft einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung abgewartet werden müsse. Dies entspreche weder der Pflicht der Antragstellerin, sich an einer ihrer Lernfähigkeit entsprechenden Schulform unterrichten zu lassen, noch dem gesetzlichen Bildungsauftrag nach § 2 NSchG.

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Auch materiell ist die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht auf Grund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, dem - hier - öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung einerseits und dem Interesse des Antragstellers bzw. der Antragstellerin, bis zur Entscheidung über den erhobenen Rechtsbehelf hiervon verschont zu bleiben, andererseits. Dabei fallen die Erfolgsaussichten dieses  Rechtsbehelfes  entscheidend mit ins Gewicht. Ist er nach summarischer Prüfung offensichtlich erfolgversprechend, d.h. ist der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, oder bestehen ernsthafte Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit, so überwiegt das Interesse des Antragstellers oder der Antragstellerin an einer aufschiebenden Wirkung jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse. Ergibt die summarische Einschätzung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos bleiben wird, was insbesondere der Fall ist, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, besteht im Regelfall ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes.

5

So liegt es hier. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Klage wird nach der gegenwärtig zu erkennenden Sachlage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zu Beginn des Schuljahres 2001/2002 auf die Pestalozzi - Schule für Lernhilfe zu überweisen, ist  auf der Grundlage des § 68 Niedersächsisches Schulgesetz - NSchG - in der Fassung vom 3. März 1998 (Nds. GVBl. S. 137) zu Recht ergangen. Nach § 68 Abs. 1 NSchG sind Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG), zum Besuch der für sie geeigneten Sonderschule oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet. Eine Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule besteht nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist (§ 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG).

6

Es kann dabei zunächst nicht beanstandet werden, dass die Antragsgegnerin von einem sonderpädagogischen Förderbedarf der Antragstellerin ausgeht. Ein derartiger Bedarf  ist nach § 1 der Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs (v. 1.11.1997 - NdsGVBl. S. 458) u.a. dann festzustellen, wenn eine körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung oder eine Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens bei der Schulanmeldung bekannt ist oder vermutet wird oder während des Schulbesuchs auffällig wird und das Erreichen der Bildungsziele der betreffenden allgemeinbildenden Schule nicht oder nur durch sonderpädagogische Förderung möglich erscheint. Nach den ergänzenden Bestimmungen zu der genannten Verordnung (Erl. d. MK vom 6.11.1997, SVBl. S. 385) ist sonderpädagogischer Förderbedarf bei Kindern und Jugendlichen zu vermuten, deren Entwicklungs-, Lern- und Bildungsmöglichkeiten derart beeinträchtigt sind, dass sie über einen längeren Zeitraum spezifische, kontinuierliche und umfassende individuelle Hilfen benötigen.

7

Diese Voraussetzungen liegen nach der in den Bescheiden vom 29. Mai 2001 und vom 4. Oktober 2001 nachvollziehbar dargelegten Einschätzung der Antragsgegnerin im Fall der Antragstellerin vor. Dabei stützt sich die Antragsgegnerin auf den Bericht der  GHS Suderburg vom 15. Februar 2001 sowie das Beratungsgutachten der Sonderschule vom 26. April 2001 und folgt der am 3. Mai 2001 abgegebenen  Empfehlung der Lehrkräfte, die den Bericht und das Gutachten erstellt haben. Danach benötige die Antragstellerin dauernde Hilfe und Unterstützung wegen umfänglicher, langandauernder und schwerwiegender Lernprobleme. Das Lernen könne überwiegend nur noch zieldifferent erfolgen. Die Empfehlung der Lehrkräfte beruht auf pädagogischen Wertungen und Einschätzungen, die nur in beschränktem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Sie können nur daraufhin überprüft werden, ob hierbei ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde gelegt wurde oder allgemeingültige Bewertungsgrundsätze sowie methodisch bzw. inhaltlich  allgemein anerkannte Regeln oder geltende Rechtsvorschriften missachtet oder  sachfremde Erwägungen angestellt wurden (vgl. hierzu Niehues, Schul - und Prüfungsrecht Bd. 1, 3. Aufl. München 2000  Rn. 665). Derartige Fehler sind hier nicht festzustellen. In dem Beratungsgutachten der Sonderschule vom 26. April 2001 ist nachvollziehbar dargelegt, dass die Antragstellerin nicht mehr mit Erfolg am Unterricht der Grundschule und später der Orientierungsstufe wird teilnehmen können.  

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Die Einwände der Antragstellerin rechtfertigen keine andere Beurteilung. Dies gilt zunächst, soweit sie angibt,  der Abfall ihrer Leistungen liege im Wesentlichen in ihrer ehemaligen Klassenlehrerin, Frau S. ,  begründet, die  "über die Zensurenschiene" unter allen Umständen versucht habe, sie in die Pestalozzi - Schule "abzuschieben". Dieser Vortrag ist nämlich pauschal und unsubstantiiert. Konkrete Tatsachen, aus denen geschlossen werden könnte,  Frau S.  habe die Leistungen der Antragstellerin  - etwa aus sachfremden Erwägungen - unzutreffend bewertet, trägt die Antragstellerin nicht vor. Solche sind aus dem vorliegenden Verwaltungsvorgang auch nicht zu ersehen. Der Umstand, dass die letzten beiden Deutscharbeiten der Antragstellerin mit der Note 3 bewertet wurden, begründet ebenfalls keine Zweifel an der Einschätzung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin benötige sonderpädagogische Förderung. Insoweit hat die derzeitige Klassenlehrerin der Antragstellerin, Frau V. ,  nämlich mitgeteilt, dass im Augenblick  u.a. in dem Fach "Deutsch" eine Wiederholung der Inhalte des 3. Schuljahres stattfinde, so dass die Antragstellerin in den Anfangswochen noch auf einen "Wiederholungsbonus" zurückgreifen könne. Die Diktate hätten sich auf einen Wortschatzbereich bezogen, der zuvor intensiv geübt worden sei. Eine entscheidende Leistungssteigerung kann dem Ergebnis der beiden Diktate damit nicht entnommen werden. Dies zeigt auch das Ergebnis der mittlerweile geschriebenen Mathematikarbeit, die nach der Stellungnahme der Klassenlehrerin der Antragstellerin mit der Note 6 bewertet wurde. Im Übrigen hat Frau V.  auch nichts dargelegt, was geeignet wäre, die Einschätzung der Antragsgegnerin in Frage zu stellen. In ihrer Stellungnahme vom 15. Oktober 2001 hat sie vielmehr ausdrücklich auf den Bericht der ehemaligen Klassenlehrerin verwiesen, weil die kurze Zeit, während derer sie, Frau V. ,  die Antragstellerin unterrichtet habe, nicht ausreiche, um eine fundierte Prognose über ihr Leistungsvermögen abzugeben. 

9

Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zu Beginn des Schuljahres 2001/2002  in die Schule für Lernhilfe zu überweisen, kann ebenfalls nicht beanstandet werden. Die Antragsgegnerin hat in ihren Bescheiden vom 29. Mai 2001 und dem Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2001 insbesondere unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin und des Wunsches der Eltern nach einer Beschulung auf der Regelschule nachvollziehbar und umfassend begründet, dass die notwendige Förderung der Antragstellerin in einer Schule einer anderen Schulform nicht gewährleistet werden kann. Der Antragstellerin werde es nicht möglich sein, erfolgreich in der 5. Klasse mitzuarbeiten. Ihre Wissenslücken seien mittlerweile so groß, dass sie auch mit einer Wiederholung der 4. Klasse überfordert sei, zumal eine Wiederholung auch wegen ihres Alters nicht sinnvoll sei. Eine integrative Beschulung sei weder an der Grundschule noch an der Orientierungsstufe möglich. Zusätzliche Lehrerstunden für die erforderliche zieldifferente Beschulung stünden nicht zur Verfügung. Der Einwand der Antragstellerin, sie benötige die Unterstützung der ihr bekannten Mitschüler greift nicht durch, denn auch in der Grundschule Suderburg könnte die Antragstellerin nicht mehr ihre alte Klasse besuchen, nachdem sie nicht versetzt wurde. Zuletzt kann auch nicht - wie die Antragstellerin geltend macht -  davon ausgegangen werden, die Antragsgegnerin wolle die Überweisung in die Sonderschule eigentlich nicht vollziehen. Dem hat die Antragsgegnerin ausdrücklich widersprochen. 

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.