Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 17.10.2001, Az.: 4 A 258/00
Aufenthaltserlaubnis; Familiennachzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 17.10.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 258/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39353
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 17 AuslG
- § 22 AuslG
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung.
Die Klägerin wurde am 7. September 1981 in Jugoslawien geboren und ist jugoslawische Staatsangehörige. Am 15. November 1989 reiste sie mit ihrer Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach Ablehnung ihres Asylantrages wurde der Aufenthalt der Klägerin geduldet. Mit Bescheid vom 30. März 1995 lehnte der Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab und forderte sie zur Ausreise auf. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung L. mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 1995 zurück. Das Klageverfahren wurde nach Rücknahme der Klage mit Beschluss vom 25. Februar 1998 (4 A 192/95) eingestellt. Die Klägerin wurde auch in der Folgezeit geduldet.
Am 10. Mai 1999 heiratete die Mutter der Klägerin den in A. lebenden deutschen Staatsangehörigen G.. Sie beantragte am 14. Mai 1999 bei dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung und führte in dem Antrag die Klägerin als Kind auf. Auch die Klägerin wurde daraufhin in die Bescheinigung über die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung und in die Bescheinigung zur Vorlage beim jugoslawischen Generalkonsulat bezüglich der Ausstellung von Pässen aufgenommen. Am 30. September 1999 erteilte die Freie und Hansestadt A. der Mutter der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis. Aufgrund des Umzugs der Klägerin nach A. zu ihrer Mutter forderte die Freie und Hansestadt A. von dem Beklagten die Ausländerakten an. Mit Schreiben vom 5. Oktober 1999 teilte die Freie und Hansestadt A. dem Beklagten mit, dass nur die Mutter der Klägerin, nicht aber die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gestellt habe. Einem Zuzug nach A. werde nicht zugestimmt.
Am 12. Oktober 1999 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Nach der Anmeldebestätigung der Samtgemeinde B. war die Klägerin zuvor nach M. gezogen. Mit Bescheid vom 4. November 1999 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen des Kindernachzuges nicht vorlägen. Der Familiennachzug nach § 20 Abs. 4 AuslG für minderjährige ledige Kinder eines Ausländers ab 16 Jahren werde nur nach Maßgabe des § 17 AuslG gewährt. Dies setze voraus, dass der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung besitze. Im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit der Klägerin am 7. September 1999 habe ihre Mutter aber noch keine Aufenthaltserlaubnis besessen. Außerdem beziehe die Klägerin Sozialhilfe und könne ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln sicherstellen. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AuslG komme wegen des Bezugs von Sozialhilfe ebenfalls nicht in Betracht. Auch sei die dafür erforderliche außergewöhnliche Härte nicht ersichtlich. Dass die Klägerin in besonderer Form auf die Klägerin angewiesen sei oder umgekehrt, habe sie nicht geltend gemacht. Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG scheide aus, weil die Klägerin freiwillig nach Jugoslawien zurückkehren könne.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 1999 legte die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. November 1999 Widerspruch ein. Sie gab an, bereits am 14. Mai 1999 gemeinsam mit ihrer Mutter einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gestellt zu haben. Die weitere Antragstellung sei nur deshalb erfolgt, weil die Ausländerbehörde in A. die Auffassung vertreten habe, dass sie noch keinen Antrag gestellt habe. Zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Volljährigkeit hätten die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an ihre Mutter bereits vorgelegen. Dass ihrer Mutter erst danach die Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Sie sei nur deshalb auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen, weil ihr der Zuzug nach A. und damit die Möglichkeit, bei ihrer Mutter und deren Ehemann zu leben, verweigert worden sei. Sie hätte mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus dann auch die Möglichkeit, eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen. In ihrem Fall liege außerdem eine besondere Härte vor. Ihr Leben sei in den letzten zehn Jahren durch die deutsche Umgebung und den Besuch einer deutschen Schule geprägt worden. In ihrem Herkunftsland habe sie keine näheren Verwandten mehr. Als Muslimin sei sie dort besonderen Belastungen ausgesetzt. Sie habe ein enges Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrem ebenfalls in Deutschland lebenden älteren Bruder. Die Angst vor dem Verlust dieser Kontakte stelle für sie schon jetzt eine starke seelische Belastung dar. Sie weise einen altersgemäß eher unterdurchschnittlichen Reifestand auf und lasse sich in ihren Entscheidungen nach wie vor von ihrer Mutter leiten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2000 - zugestellt am 17. November 2000 - wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. November 1999 zurück. Da die Mutter der Klägerin erst nach der Volljährigkeit der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis erlangt habe, komme als Rechtsgrundlage nur § 22 AuslG in Frage. Der Aufenthalt der Klägerin in Deutschland sei aber nicht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Die Klägerin sei inzwischen 19 Jahre alt. Es sei ihr zuzumuten, getrennt von ihrer Mutter zu leben.
Die Klägerin hat am Montag, den 18. Dezember 2000 Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 4. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 15. November 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis,
hilfsweise eine Aufenthaltsbefugnis, zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin unter Hinweis auf die angefochtenen Bescheide entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 4. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 15. November 2000 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen des Kindernachzuges gem. § 20 AuslG sind nicht gegeben. In Betracht käme lediglich § 20 Abs. 4 AuslG. Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers (ab 16 Jahren) nach Maßgabe des § 17 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die
Integrationsvoraussetzungen nach Nr. 1 erfüllt sind oder eine besondere Härte nach Nr. 2 vorliegt.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift ist, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Altersgrenze bei Kindernachzug: BVerwG, Urt. v. 18.11.1997- BVerwG 1 C 22.96 -, NVwZ-RR 1998, 517). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die am 7. September 1981 geborene Klägerin bereits am 14. Mai 1999 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hätte, nicht dagegen, wenn ihr Antrag vom 12. Oktober 1999 maßgebend wäre. Dafür, dass am 14. Mai 1999 nicht nur die Mutter der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat sondern auch für die Klägerin ein Antrag gestellt worden ist, spricht, dass der Beklagte zunächst selbst von einem Antrag auch der Klägerin ausgegangen ist. Denn er hat die beiden Bescheinigungen über die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung und zur Vorlage beim jugoslawischen Generalkonsulat sowohl für die Mutter der Klägerin als auch für die Klägerin ausgestellt. Diese Frage kann aber offen bleiben, weil jedenfalls die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen.
§ 20 Abs. 4 AuslG verweist auf die allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen des § 17 AuslG. Diese sind hier nicht erfüllt. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 AuslG darf die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer, zu dem der Zuzug begehrt wird, eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt. Sofern von einer Antragstellung der Klägerin am 14. Mai 1999 ausgegangen wird, besaß deren Mutter im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Aufenthaltserlaubnis. Spätere Änderungen zu Gunsten des Kindes sind bis zum Erreichen der Altersgrenze zu berücksichtigen (GK-AuslR, Stand: Juni 2001, § 20 Rn. 30 f. m.w.N.). Auch bei Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin am 7. September 1999 war ihrer Mutter aber noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Entscheidend ist allein der Besitz der Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung; der bloße Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung reicht dagegen nicht aus.
Darüber hinaus steht auch § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG einem Anspruch der Klägerin entgegen. Denn sie hat nicht nachgewiesen, dass ihre Mutter die Lebenshaltungskosten der Klägerin aus eigenem Einkommen decken könnte. Dagegen spricht im Übrigen schon, dass die Klägerin Sozialhilfeleistungen bezieht.
Die Klägerin kann auch nicht nach § 22 AuslG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beanspruchen. Nach § 22 AuslG kann einem sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers nach Maßgabe des § 17 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Diese Vorschrift käme zur Anwendung, wenn von einer Antragstellung der Klägerin erst am 12. Oktober 1999 ausgegangen werden würde.
Zwar wäre hier die Mutter der Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 AuslG im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis gewesen. Nicht erfüllt sind jedoch weiterhin die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG.
Im Übrigen ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Erfasst werden nur solche Härten, die sich durch ungewöhnliche schwere, gerade durch die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls bedingte Nachteile und Schwierigkeiten auszeichnen, wobei der Begriff der außergewöhnlichen Härte familienbezogen ist. Ermöglicht werden soll der Nachzug nur dann, wenn aufgrund einer ungewöhnlichen Notlage eine familiäre Gemeinschaft hergestellt werden soll, die in ihrer Intensität mit der Lebensgemeinschaft zwischen Ehegatten bzw. Eltern und ihren minderjährigen Kindern vergleichbar ist und deren Schutz mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 1 GG geboten ist. Danach liegt eine außergewöhnliche Härte nur dann vor, wenn der Ausländer oder der sonstige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann und deshalb auf die Gewährung von Lebenshilfe des anderen angewiesen ist und diese Hilfe zumutbar nur im Bundesgebiet erfolgen kann (vgl. GK-AuslR, Stand: Juni 2001, § 22 Rn. 34, 39 ff. m.w.N.). Dass die volljährige Klägerin in der Weise auf die Lebenshilfe ihrer Mutter angewiesen wäre, dass sie nach den dargestellten Maßstäben nicht in der Lage wäre, ohne deren Hilfe ein eigenständiges Leben zu führen, ist nicht ersichtlich. Soweit sie sich darauf beruft, im Alter von acht Jahren nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen zu sein und zu ihrem Heimatland keine besonderen Beziehungen mehr zu haben, sind dies allgemeine Härten, die eine Vielzahl der als Minderjährige nach Deutschland eingereisten Ausländer betreffen und die keine außergewöhnliche Härtesituation nach § 22 AuslG darstellen.
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ist ebenfalls nicht begründet. Als Anspruchsgrundlage käme lediglich § 30 Abs. 5 i.V.m. § 30 Abs. 3, 4 AuslG in Betracht. Dies scheitert aber schon daran, dass der Klägerin eine Ausreise nach Jugoslawien möglich wäre.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 4 AuslG bzw. nach § 22 AuslG als auch die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 5 i.V.m. § 30 Abs. 3, 4 AuslG im Ermessen des Beklagten steht. Dass dem Beklagten bei der Entscheidung über den Antrag der Klägerin Ermessensfehler unterlaufen sind, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.