Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.10.2001, Az.: 4 A 12/00
Heimkosten; Vererbung von Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 23.10.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 12/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39295
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 2 BSHG
- § 68 BSHG
- § 58 SGB 1
- § 4 BSHG
- § 59 SGB 1
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Kein Anspruch des Heimträgers auf Übernahme ungedeckter Heimkosten
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Heimpflegekosten.
Die Klägerin betreibt als Rechtsnachfolgerin der GbR L. das Alten- und Pflegeheim L. in W.. Am 28. November 1994 nahm sie den 1902 geborenen Herrn I. auf. Dieser stellte am 6. Dezember 1994 bei dem Bezirk U. einen Antrag auf Übernahme der nicht gedeckten Heimpflegekosten aus Sozialhilfemitteln. Herr I. hatte nach seiner Übersiedlung aus K. vom 7. Dezember 1991 bis zum 31. August 1992 im Übergangsheim in Tann/Rhön im Landkreis F. gewohnt. Anschließend war er bis zum 10. Oktober 1994 in einem Altenheim in H. ebenfalls im Landkreis F. untergebracht gewesen. Danach wohnte er bis zur Aufnahme in das Alten- und Pflegeheim der Klägerin bei einem Enkel in S. im Bezirk U. . Eine Entscheidung über den Antrag wurde nicht getroffen. Der Bezirk U. kam zu dem Ergebnis, nicht zuständig zu sein, und bat den Beklagten, den Sozialhilfefall zu übernehmen, was dieser ebenfalls wegen fehlender Zuständigkeit ablehnte. Der Beklagte verwies darauf, dass Herr I. im Übergangsheim in T. im Landkreis F. seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Am 27. August 1995 verstarb Herr I. Die Erben schlugen die Erbschaft aus. Die Kosten für die Unterbringung von Herrn I. beliefen sich nach der Rechnung des Alten- und Pflegeheims L. vom 18. Dezember 1995 nach Abzug der Renteneinkünfte von Herrn I. auf 24.385,40 DM.
Mit Schreiben vom 8. September 1998 machte die L. GbR gegenüber dem Beklagten einen Anspruch wegen nicht erbrachter Sozialhilfeleistungen in Höhe von 24.385,40 DM geltend. Sie sei berechtigt, die Forderung aus eigenem Recht geltend zu machen, da der Niedersächsische Fiskus die Ansprüche auf Übernahme der Heimunterbringungskosten an sie abgetreten habe. Dem Schreiben war eine entsprechende Abtretungserklärung der Bezirksregierung Lüneburg vom 16. Juli 1998 beigefügt. Der Beklagte wies die L. GbR mit Schreiben vom 14. September 1998 darauf hin, dass Sozialhilfeansprüche weder ver-erblich seien noch der Sonderrechtsfolge unterlägen. Mit dem Tod des Hilfeempfängers erlösche der Anspruch auf Sozialhilfe. Es bestehe daher keine Verpflichtung, die aufgebrachten Heimkosten zu erstatten. Auf die in dem Schreiben vom 25. September 1998 geäußerte Bitte um Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides lehnte der Beklagte es mit Schreiben vom 13. Oktober 1998 noch einmal ab, die Heimkosten zu erstatten. Mit Schreiben vom 8. Juni 1999 legte die L. GbR gegen den Bescheid des Beklagten vom 13. Oktober 1998 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass hier die Sozialhilfeansprüche vererblich seien, da sie im Vertrauen auf die Bewilligung von Sozialhilfe vorgeleistet habe. Die Abtretung sei wirksam erfolgt.
Der Beklagte wies mit Schreiben vom 16. Juni 1999 darauf hin, dass nicht er sondern der Bezirk U. für die Übernahme der nicht gedeckten Heimpflegekosten zuständig gewesen sei. Sein Schreiben vom 13. Oktober 1998 sei lediglich eine Stellungnahme zu dem Schreiben vom 25. September 1998 gewesen. Mit Schreiben vom 30. Juni 1999 bat die L. GbR den Beklagten erneut um eine rechtsmittelfähige Entscheidung. Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 5. Juli 1999 mit, dass er keine Veranlassung sehe, über den bei dem Bezirk U. gestellten Sozialhilfeantrag zu entscheiden. Mit Schreiben vom 9. Juli 1999 und vom 26. Juli 1999 bat die L. GbR nochmals, eine rechtsmittelfähige Entscheidung zu erlassen.
Am 6. Januar 2000 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, sie habe das Vermögen der GbR L. übernommen und sei daher Inhaberin der Forderung gegen den Beklagen. Die Sozialhilfeansprüche des Herrn I. seien vererblich gewesen, da ihre Rechtsvorgängerin einer Unterbringung nur deshalb zugestimmt habe, weil sie davon ausgegangen sei, dass die entstehenden Kosten vom Sozialhilfeträger übernommen werden würden. Der Anspruch sei auch begründet. Insbesondere sei der Beklagte örtlich zuständig für die begehrten Leistungen. Herr I. habe das Altenheim in Hünfeld nur verlassen, um in die Nähe seines in Uelzen lebenden Sohnes zu ziehen. Da dort ein Heimplatz nicht sofort frei gewesen sei, er aber ständige Hilfe benötigt habe, sei er übergangsweise nach S. zu seinem Enkel gezogen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, an die Klägerin 24.385,40 DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass Herr I. in S. seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist allerdings als Verpflichtungsklage zulässig. Das Schreiben des Beklagten vom 13. Oktober 1998 ist als ablehnender Verwaltungsakt und das auf den mit Schreiben vom 8. Juni 1999 dagegen eingelegten Widerspruch ergangene Schreiben vom 16. Juni 1999 als Widerspruchsbescheid des Beklagten anzusehen. Da eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist, galt nach § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist, so dass die Klage auch fristgemäß erhoben worden ist.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme nicht gedeckter Heimpflegekosten für die Unterbringung von Herrn I. in Höhe von 24.385,40 DM.
Die spezielle Vorschrift des § 28 Abs. 2 BSHG kann nicht als Anspruchsgrundlage heran-gezogen werden. Nach § 28 Abs. 2 BSHG steht der Anspruch des Berechtigten auf Hilfe in einer Einrichtung, soweit die Leistung dem Berechtigten gewährt worden wäre, nach seinem Tode demjenigen zu, der die Hilfe erbracht hat. Ob Herr I. überhaupt einen Anspruch gegen den Beklagten auf Hilfe zur Pflege und damit auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten gehabt hat, kann dahingestellt bleiben. Denn da § 28 Abs. 2 BSHG einen gesetzlichen Anspruchsübergang von Todes wegen begründet, hätte die Vorschrift bereits zum Zeitpunkt des Todes von Herrn I. in Kraft getreten sein müssen, um einen Übergang auf den Heimbetreiber bewirken zu können. Dies ist jedoch nicht der Fall gewesen. Die Regelung ist erst im Zusammenhang mit der sozialen Pflegeversicherung durch das am 1. August 1996 in Kraft getretene Gesetz vom 23. Juli 1996 (BGBl. I, S. 1088) eingeführt worden. Herr I. ist aber bereits ein Jahr zuvor am 27. August 1995 verstorben.
Die Klägerin ist auch nicht durch Vererbung oder Abtretung Inhaberin eines Anspruchs auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten des Herrn I. gegen den Beklagten geworden.
Das Bundessozialhilfegesetz hat keine ausdrückliche Regelung über die Vererblichkeit von Ansprüchen auf Sozialhilfe getroffen. Dass nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG der Anspruch nicht übertragen werden kann, betrifft lediglich rechtsgeschäftliche Verfügungen unter Lebenden (Mergler/Zink, BSHG, Kommentar, Teil I, Stand: März 2000, § 4 Rn. 37). Ziel der Sozialhilfe ist nicht unmittelbar eine wirtschaftliche Hilfe. Sie dient vielmehr als Mittel, um den Hilfeempfänger in die Lage zu versetzen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Dieses Ziel kann nach dem Tod des Hilfeempfängers nicht mehr erreicht werden, so dass eine nicht zuerkannte Sozialhilfeleistung im Regelfall auch nicht vererblich ist. Insofern sind die Vorschriften der §§ 56 ff. SGB I grundsätzlich mit den Strukturprinzipien der Sozialhilfe nicht vereinbar und damit nicht anwendbar (§ 37 SGB I), wobei die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen entwickelt hat. Eine Vererblichkeit ist dann gegeben, wenn ein Anspruch auf Hilfe offenkundig bestand und sich der Hilfesuchende mit Rücksicht auf diese Offenkundigkeit auch in seinen wirtschaftlichen Dispositionen auf die Zuerkennung des Anspruchs verlassen konnte. In diesem Fall bestand schon vor dem Tode des Hilfesuchenden eine wirtschaftliche Vertrauenslage, die noch nach seinem Tode ausgleichsfähig ist. Unterstellt werden kann diese Vertrauenslage in den Fällen, in denen der Anspruch auf die Hilfe bereits zuerkannt, aber noch nicht ausgezahlt war (vgl. Mergler/Zink, BSHG, Kommentar, Teil I, Stand: März 2000, § 4 Rn. 37 m.w.N.). Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 1994 (BVerwG 5 C 43.91 -, FEVS 45, 221) sind außerdem Sozialhilfeansprüche nach §§ 58, 59 SGB I ver-erblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder die Hilfe abgelehnt hat. Auf diese Entscheidung beruft sich die Klägerin. Da aber die Klägerin nicht Erbin von Herrn I. geworden ist, konnte der streitige Anspruch ohnehin nicht durch Vererbung auf sie übergehen.
Da die gesetzlichen Erben von Herrn I. die Erbschaft ausgeschlagen hatten, ist der Fiskus, d.h. das Land Niedersachsen, Erbe geworden. Ob unter Berücksichtigung der vor-stehenden Ausführungen der streitige Anspruch überhaupt an das Land Niedersachsen vererbt werden konnte, kann dahingestellt bleiben. Denn der Anspruch ist jedenfalls nicht wirksam auf die Klägerin übertragen worden. Das Land Niedersachsen hat zwar, vertreten durch die Bezirksregierung Lüneburg, mit Abtretungserklärung vom 16. Juli 1998 den Anspruch auf Heimpflegekosten für die Unterbringung von Herrn I. in Höhe von 24.385,40 DM an die Alten- und Pflegeheim GbR abgetreten. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG können jedoch Ansprüche auf Sozialhilfe nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden, d.h. diese Ansprüche können auch nicht abgetreten werden. Das BSHG weicht damit von §§ 53, 54 SGB I ab, was nach § 37 SGB I möglich ist. Die von dem Land Niedersachsen vorgenommene Abtretung des Sozialhilfeanspruchs ist daher gem. § 134 BGB nichtig.
Weitere Anspruchsgrundlagen, auf die die Klägerin ihren Anspruch stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere lag kein Eilfall vor, der die Erstattung von Aufwendungen nach § 121 BSHG zur Folge haben könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.