Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 22.04.2010, Az.: 12 A 1106/09
Gewerberechtliche Zuverlässigkeit für die Erteilung einer Reisegewerbekarte bei früherer Beteiligung des Antragstellers an unzulässigen Kaffeefahrten
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 22.04.2010
- Aktenzeichen
- 12 A 1106/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 15898
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:0422.12A1106.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 56a GewO
- § 57 GewO
Amtlicher Leitsatz
Gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer in der Vergangenheit an unzulässigen Wanderlagern (Kaffeefahrten) beteiligt war
(hier: Leerung von Postfächern bei unzulässigen Gewinnversprechungen)
Gründe
I.
Der Kläger beantragte am 31. Oktober 2008 die Erteilung einer Reisegewerbekarte für das Feilbieten von Textilien, Elektrogeräten, Haushaltswaren, Nahrungs-Ergänzungsmitteln. Im Rahmen der Überprüfung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers stellte die Beklagte fest, dass der Kläger als verantwortliche Person für verschiedene Firmen auftritt, die im gesamten Bundesgebiet Verkaufsveranstaltungen plant und durchführt (sog. Kaffeefahrten). Im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf diesen sog. Kaffeefahrten sind mehrere strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Kläger durchgeführt worden. Diese Verfahren wurden jeweils nach§ 154 d oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In Abschlussberichten der Polizeiinspektion Cloppenburg/Vechta von Februar, Juni und August 2006 ist ausgeführt, dass der Kläger mit verschiedenen Postfächern, die auf Gewinnbenachrichtigungen angegeben worden seien, in Verbindung gestanden habe. Er stehe im Verdacht, dass er willkürlich im gesamten Bundesgebiet unter Verwendung von Pseudonamen/Firmen oder durch Beauftragen anderer Personen unter Ausnutzung mangelhafter Legitimierung Postfächer eröffne und für die Planung/Durchführung von Werbeverkaufsveranstaltungen verantwortlich sei.
Auf entsprechende Vorhaltungen im Anhörungsschreiben der Beklagten vom 29. Januar 2009 reagierte der Kläger nicht.
Mit Bescheid vom 2. März 2009 versagte die Beklagte dem Kläger die beantragte Reisegewerbekarte. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger habe sich in der Vergangenheit an der Durchführung unzulässiger Wanderlager beteiligt. Er sei gewerberechtlich unzuverlässig, da zu
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erwarten sei, dass er auch in Zukunft solche unzulässigen Wanderlager vorbereiten und durchführen wolle.
Der Kläger hat am 2. April 2009 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Er sei gewerberechtlich nicht unzuverlässig. Er habe weder im polizeilichen Führungszeugnis noch im Gewerbezentralregister eine entsprechende Eintragung. Es sei zwar zutreffend, dass er verantwortliche Person der Firma B. GmbH & Co. KG und Handlungsbevollmächtigter der Firmen G. & Co. KG und die Nr. 1 Ltd. sei. Er habe im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit aber weder Verkaufsveranstaltungen vorbereitet noch durchgeführt. Er habe auch keine Postschließfächer unter Fantasienamen zur eigenen Nutzung geöffnet. Die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren seien eingestellt worden. Er sei für das Versenden von Gewinnbenachrichtigungen und das Bearbeiten von Antwortkarten sowie die Durchführung von Werbe- und Verkaufsveranstaltungen nicht verantwortlich. In den Ermittlungsberichten der Polizei sei lediglich ausgeführt, dass er Postfächer entleert habe. Nicht bestätigt sei, dass er entsprechende Postfächer eröffnet oder die Gewinnbenachrichtigungen versandt habe. Die Beklagte stütze ihre Auffassung allein auf Vermutungen; dies sei unzulässig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2009 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, ihm die beantragte Reisegewerbekarte zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen des Klägers im Einzelnen entgegen und trägt vor: Die Ermittlungsverfahren gegen den Kläger seien zwar eingestellt. Aus den Ermittlungsberichten der Polizei ergebe sich aber, dass der Kläger an unzulässigen Wanderlagern beteiligt gewesen sei. Für die Annahme der Unzuverlässigkeit reiche aus, wenn mit einer Gefährdung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden müsse. Dies ergebe sich aus den in den Polizeiberichten aufgeführten Aktivitäten des Klägers. Er habe bei Wanderlagern mit der Ankündigung unentgeltlicher Zuwendungen mitgewirkt. Daraus ergebe sich eine abstrakte Gefährdung, die für die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit bei der Erteilung von Reisegewerbekarten ausreiche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Oldenburg; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Über die Klage konnte nach entsprechendem Übertragungsbeschluss der Kammer durch den Einzelrichter entschieden werden (§ 6 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Erteilung der Reisegewerbekarte ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 57 Gewerbeordnung -GewO- ist die Reisegewerbekarte zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die beabsichtigte Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Liegt die Unzuverlässigkeit vor, muss die Reisegewerbekarte zwangsläufig versagt werden, ohne dass der Behörde ein Ermessen eingeräumt ist. Aus dem Inhalt der Akten und dem Vorbringen des Klägers ergibt sich, dass er gewerberechtlich in Bezug auf die erstrebte Tätigkeit unzuverlässig ist.
Gewerberechtlich unzuverlässig ist nach ständiger Rechtsprechung und Literatur, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben kann. Gegenüber dem stehenden Gewerbe ist bei der Erteilung der Reisegewerbekarte wegen der aufgrund der Mobilität des Reisegewerbetreibenden verbundenen eingeschränkten Möglichkeit der behördlichen Überwachung und der Durchsetzung von Verbraucheransprüchen ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl. nur Schönleiter, in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung Stand 2009, § 57 Rdnr. 5). Die Schädigung des Verbrauchers oder anderer Gewerbetreibender muss nicht unmittelbar bevorstehen. Die Gefährdung oder Schädigung muss nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Eine solche Unzuverlässigkeit kann sich daraus ergeben, dass ein Antragsteller wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt oder er wegen Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern belegt worden ist. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit kann sich aber auch auf nicht rechtskräftig festgestellte Straftaten oder der Beteiligung an gewerberechtlich unzulässigen Tätigkeiten ergeben. Selbst bei festgestellten Straftaten ist die Verwaltungsbehörde an die gerichtlich festgestellten Tatsachen gebunden. Maßgeblich sind also nicht die gerichtliche Bestrafung, sondern die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen. Das gilt auch für den Fall, dass die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde oder es gar nach Einstellung des Verfahrens nicht zu einer Bestrafung kommt. Gerade bei Zugrundelegung des tatsächlichen Verhaltens des Antragstellers ist bei der Prüfung der Zuverlässigkeit auf den Gesamteindruck seines Verhaltens abzustellen. Maßgeblich ist, ob die Unzuverlässigkeit sich auf die beabsichtigte Tätigkeit auswirken, so dass die beabsichtigte konkrete reisegewerbliche Tätigkeit geprüft werden muss.
Die Beklagte hat diese Grundsätze ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und im Einzelnen die Tatbeteiligung des Klägers an vergangenen unzulässigen Wanderlagern aufgelistet. Entscheidend ist nicht, dass der Kläger tatsächlich verurteilt worden ist, und auch nicht, dass er keinerlei Gewinnbenachrichtigungen erstellt und/oder versandt wie auch Antwortkarten nicht bearbeitet oder auch sonst für Werbe- und Verkaufsveranstaltungen nicht verantwortlich gewesen sein will. Ihm ist auch nicht vorzuhalten, dass er sich überhaupt im Bereich der Durchführung von Wanderlagern beteiligt hat. Allein das Tätigwerden im "Kaffeefahrten-Milieu" führt nämlich nicht zur Unzuverlässigkeit eines Antragstellers. Eine solche ist erst dann gegeben, wenn ein Antragsteller an unzulässigen Wanderlagern (Kaffeefahrten) beteiligt ist. Eine solche Tatbeteiligung des Klägers liegt vor.
Der Kläger war in der Vergangenheit an der Durchführung unzulässiger Kaffeefahrten, denen nicht eingehaltene Gewinnversprechungen vorausgegangen waren, beteiligt. Er hat die in den Ermittlungsberichten der Polizei aufgeführten Postfächer entleert. Es ist nicht erforderlich, dass er die entsprechenden Postfächer eröffnet oder die Gewinnbenachrichtigungen versandt hat. Allein die Entleerung der Postfächer zeigt, dass er an den unzulässigen Wanderlagern beteiligt war. Diese Tatbeteiligung stellt der Kläger nicht in Abrede. Er gibt an, Postfächer entleert zu haben und somit, "eine kleine Schraube" (so der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung) gewesen zu sein. Damit war er - insoweit unstreitig - in abhängiger Beschäftigung an der Durchführung von unzulässigen Wanderlagern beteiligt. Diese Beteiligung erfolgte in dem maßgeblichen Bereich der Postfächer, die es dem Verbraucher zumindest erschwert, die für die auf den Gewinnbenachrichtigungsschreiben versprochenen Gewinne verantwortliche Person zu erfahren. Offenbar dienen die Gewinnversprechen auch nur dazu, wie der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung erläuterte, Verbraucher (vor allem ältere Menschen) zu den Veranstaltungen zu locken, ohne die Gewinne auszuzahlen. Die gegen den Kläger durchgeführten umfangreichen Strafermittlungsverfahren sind zwar eingestellt worden. Nach dem strafrechtlichen Rechtsverständnis führen nämlich das bloße Versenden der Gewinnmitteilungen und das Nichteinhalten der Gewinnzusagen noch nicht zu einem Vermögensschaden, es wird lediglich die Hoffnung auf eine Vermögensvermehrung enttäuscht. Dies stellt noch keinen strafrechtlich relevanten Betrug nach § 263 StGB dar, wenn der Gewinn von vornherein nicht ausgezahlt werden sollte. Diese Ankündigungen widersprechen aber den Anforderungen eines Wanderlagers nach § 56a GewO. Um der Gefahr der Übervorteilung geschäftlich unerfahrener Menschen zu begegnen, verbietet die GewO die Ankündigung unentgeltlicher Zuwendungen einschließlich Preisausschreiben, Verlosungen und Ausspielungen, um gerade zu verhindern, dass ältere Menschen einem psychologischen Kaufzwang ausgesetzt werden. Der Kläger hat sich an der Durchführung von Wanderlagern, die den Anforderungen des § 56a GewO nicht genügten - wenn auch, wie der Prozessbevollmächtigter meint, als "kleine Schraube" - beteiligt. Er wirkt bis heute an der Aufklärung seiner Tatbeteiligung nicht mit, so dass die Entscheidung der Beklagten, der Kläger werde sich auch in Zukunft nicht an gewerberechtliche Vorschriften halten, nicht zu beanstanden ist. Das vergangene Verhalten des Klägers zeigt, dass er gerade in dem Bereich, in dem er sich schon als unzuverlässig gezeigt hat, nunmehr selbständig machen will. Die von ihm begehrte Reisegewerbekarte dient dazu, die Kaffeefahrten selbständig durchführen zu können. Dies muss mit den Mitteln des Gewerberechts durch Versagung der Reisegewerbekarte verhindert werden. Der Verweis auf ein Verbot der Durchführung von Wanderlagern nach § 56 a GwO verhindert das Versenden von Gewinnversprechungsschreiben unter Postfachnummern nicht. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.