Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.01.1998, Az.: 8 T 913/97
Zwangsvollstreckung aus einem Pfändungsbeschluss und Überweisungsbeschluss in ein Girokonto mit monatlichem Eingang von Sozialhilfe, Erziehungsgeld und Unterhaltszuschuss; Freigabe von unpfändbaren Sozialgeldern für künftige Zahlungszeiträume; Zulässigkeit der Vollstreckungserinnerung gegen die Teilaufhebung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ohne aufschiebende Wirkung; Umfang des Pfändungsschutzes bei Sozialhilfe und Erziehungsgeld; Pfändung unpfändbarer Sozialleistungen nach Überweisung auf ein Schuldnerkonto bei einem Geldinstitut; Kein Pfändungsschutz für ein verbleibendes Kontoguthaben nach vollständiger Verwertung der Sozialleistungen im Rahmen der Schutzfrist; Zulässigkeit einer generellen Freigabe von unpfändbaren Sozialleistungen auf einem Girokonto; Pfändungsschutz für Unterhaltsvorschuss
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 15.01.1998
- Aktenzeichen
- 8 T 913/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 17713
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1998:0115.8T913.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 11.09.1997 - AZ: 26 M 28068/97
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs. 4 SGB AT
- § 765 a ZPO
- § 771 ZPO
- § 766 ZPO
- § 850 k ZPO
Fundstellen
- Rpfleger 1998, 297-298 (Volltext mit amtl. LS)
- ZKF 1999, 162-163
In dem Zwangsvollstreckungsverfahren
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Richterinnen am Landgericht ... und
...
am 15. Januar 1998
beschlossen:
Tenor:
Auf die nach Nichtabhilfe durch den Amtsrichter als sofortige Beschwerde geltende befristete Erinnerung der Gläubigerin wird der Beschluß des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.09.1997 - 26 M 28068/97 - aufgehoben.
Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Braunschweig vom 01.09.1997 - 26 M 28068/97 - betr. die Pfändung des Kontos Nr. 1047604 bei der Drittschuldnerin wird mit Wirkung ab Rechtskraft dieses Beschlusses in dem ursprünglichen Zustand wieder hergestellt.
Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Beschwerdewert: Wertstufe bis 600,00 DM.
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel des Amtsgerichts Hannover vom 18.03.1997 (475 B 0449/97) wegen einer Hauptforderung von 512,30 DM nebst Zinsen und Kosten. Wegen dieser Forderung hat sie bei dem Amtsgericht Braunschweig am 01.09.1997 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erwirkt, durch den die angebliche Forderung der Schuldnerin aus Guthaben gegen die Drittschuldnerin gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen worden ist. Die Schuldnerin unterhält bei der Drittschuldnerin das Girokonto Nr. 1047604, auf das von der Stadt Braunschweig monatlich Sozialhilfe, Erziehungsgeld für das in ihrem Haushalt lebende Kind ... sowie Unterhaltszuschuß für ... und ... überwiesen werden.
Auf Antrag der Schuldnerin vom 10.09.1997 hob die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht Braunschweig durch Beschluß vom 11.09.1997 "die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Braunschweig vom 01. Juli 1997 insoweit auf, als auf das Konto Nr. 1047604 bei ... folgende unpfändbare Leistungen eingehen:
- a)
Sozialhilfe gem. Bescheid vom 30. Juli 1997 in Höhe von 769,87 DM.
- b)
Unterhaltsvorschuß für das Kind ... in Höhe von 239,00 DM.
- c)
Unterhaltsvorschuß für das Kind ... in Höhe von 314,00 DM.
- d)
Erziehungsgeld der Stadt Braunschweig für das Kind ... in Höhe von 600,00 DM.
Gegen diesen ihr am 19.09.1997 zugestellten Beschluß wendet sich die Gläubigerin mit ihrer bei dem Amtsgericht Braunschweig am 06.10.1997 eingegangenen Erinnerung, mit der sie unter Hinweis auf § 55 SGB AT die Aufhebung des Beschlusses vom 11.09.1997 erstrebt.
In seinem Nichtabhilfebeschluß vom 13.10.1997 hat der Abteilungsrichter die Freigabe der unpfändbaren Sozialgelder für künftige Zahlungszeiträume nach § 55 Abs. 4 SGB AT für zulässig erklärt und die entgegenstehende Rechtsprechung der Kammer (Beschluß vom 25.09.1997 - 8 T 692/96 -) als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Bezüglich der Unterhaltsvorschußleistungen hat er ausgeführt:
"Denn nichts anders kann letztlich dann gelten, wenn es sich bei dem Unterhaltsvorschuß um Leistungen handelt, die an die Kinder zu erbringen sind und lediglich dem Konto der Schuldnerin als Erziehungsberechtigte gutgebracht werden. In diesem Fall wäre die Pfändung nach § 765 a ZPO aufzuheben oder über § 771 ZPO rückgängig zu machen, jedenfalls die Gläubigerin nicht im Besitz dieser Unterhaltsleistungen zugunsten der Kinder zu belassen, nur weil diese sich in eine Bankforderung der Schuldnerin umgewandelt haben. Das rechtfertigt die künftige dauernde Freigabe dieser Beträge."
Und schließlich argumentiert der Abteilungsrichter, eine eingeschränkte Freigabe führe letztlich zu dem Entzug der Möglichkeit des bargeldlosen Verkehrs mit den ihr zustehenden und dem Zugriff der Gläubiger entzogenen Leistungen.
II.
Das Rechtsmittel der Gläubigerin hat Erfolg.
1.
Mit der angefochtenen Entscheidung ist einem auf § 850 k Abs. 1 ZPO gestützten Antrag stattgegeben worden. Diese Entscheidung kann von dem Beschwerten immer mit der befristeten Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 RpflG angefochten werden (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 2. Aufl. § 850 k Rn. 22).
Die von der Gläubigerin eingelegte Erinnerung ist fristgerecht. Denn der 03.10.1997 (Freitag) war gesetzlicher Feiertag, so daß die Erinnerungsfrist erst am 06.10.1997 (Montag) ablief (§ 222 ZPO).
Gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels spricht auch nicht, daß die Teilaufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 09.07.1997 sofort wirksam geworden war, da der Teilaufhebungsbeschluß nicht mit aufschiebender Wirkung bis zum Eintritt der Rechtskraft versehen war. Der Rang der aufgehobenen Pfändung ist damit zwar unwiderruflich verloren und kann durch neuerliche Pfändung nicht wiederhergestellt werden (vgl. Stöber, Forderungspfändung 11. Aufl. Rdn. 741). Gegen die Pfändung bzw. eines Teils derselben aufhebenden Beschluß ist jedoch die sofortige Beschwerde mit dem Ziel zulässig, eine neue Anordnung der Vollstreckung mit neuem Rang herbeizuführen (vgl. KG OLGZ 1982, 75; OLG Koblenz Rplf. 1986, 229; OLG Köln NJW-RR 1987, 380 [OLG Köln 17.09.1986 - 2 W 213/86]).
2.
Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Soweit in dem angefochtenen Beschluß das Datum des teilweise aufgehobenen Beschlusses falsch bezeichnet worden ist und die Namen der Kinder der Schuldnerin falsch geschrieben worden sind, beruht dies offensichtlich auf einem Versehen und ist unbeachtlich.
2.1.
Sozialhilfe/Erziehungsgeld
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Anspruch des Leistungsberechtigten auf Sozialhilfe und Erziehungsgeld unpfändbar ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG, 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB AT). Dieser Pfändungsschutz gilt jedoch nur für den Anspruch gegenüber dem Leistungsverpflichteten auf Auszahlung der Sozialleistung (vgl. Terpitz, Betriebsberater 1976, 1564; Stöber, a.a.O. Rn. 1423). Im vorliegenden Fall ist aber nicht der Anspruch gegenüber dem Leistungsverpflichteten gepfändet worden, sondern der Anspruch des Schuldners gegen ein Geldinstitut aus Kontoguthaben. Daß nun unpfändbare Sozialleistungen auch nach Überweisung auf ein Schuldnerkonto bei einem Geldinstitut ungeschmälert ihrem Verwendungszweck zugeführt werden können, gewährleistet die Schutzvorschrift des § 55 SGB AT, allerdings mit zeitlicher Begrenzung. Der Schuldner hat nach Kontengutschrift zunächst einmal die Möglichkeit, die überwiesene unpfändbare Sozialleistung zweckgebunden zu verwerten. Verfügt er in der Schutzfrist (7 Kalendertage seit der Gutschrift, wobei der Tag der Gutschrift nicht mitrechnet § 187 Abs. 1 BGB) über Teilbeträge des unpfändbaren Guthabens, bleibt für den Restbetrag der Sozialleistung der Pfändungsschutz bis zum Ablauf der Schutzfrist bestehen. Hat dagegen der Schuldner über den durch Gutschrift der Sozialleistung entstandenen Guthabenbetrag innerhalb der Schutzfrist voll verfügt, bleibt ein weitergehendes Kontoguthaben von der Pfändung voll erfaßt. Hat der Schuldner als Empfänger laufender Sozialleistungen diese in der Schutzfrist nicht von seinem Konto abgehoben, ist sein durch Gutschrift der Sozialleistung entstandenes Kontoguthaben auch insoweit der Pfändung nicht unterworfen, als dieses dem unpfändbaren Teil der Leistung für die Zeit von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin entspricht. Dieser Schutz des § 55 Abs. 4 SGB AT greift jedoch nicht automatisch Platz und kann auch nicht von dem Geldinstitut verwirklicht werden. Der Pfändungsschutz des § 55 Abs. 4 SGB AT muß vielmehr von dem Schuldner mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO), über die der Richter zu entscheiden hat (§ 20 Nr. 17 a RpflG), geltend gemacht werden (vgl. Stöber a.a.O. Rn. 1439; LG Siegen JurBüro 1990, 786/788).
Der Hinweis des Amtsrichters auf § 850 k ZPO geht bereits deshalb fehl, weil § 55 SGB AT insoweit eine Sonderregelung trifft (vgl. Zöller/Stöber, ZPO 21 Aufl. § 850 k Rn. 1; Müko/Smid, ZPO § 850 k Rn. 2; Schuschke/Walker, a.a.O. § 850 k Rn. 2; LG Berlin Rpfl. 1992, 138).
Daraus folgt, daß eine generelle Freigabe von (unpfändbaren) Sozialleistungen, die auf einem Konto des Schuldners bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden, nicht möglich ist.
2.2.
Unterhaltsvorschuß
Der auf § 850 k ZPO gestützte Antrag der Schuldnerin ist bereits deshalb nicht begründet, weil lediglich die Kinder Anspruch auf Zahlung des Unterhaltsvorschusses haben (§ 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschußgesetz - UhVG), es sich also um Einkommen Dritter handelt, das nicht nach § 850 k ZPO geschützt ist.
Unabhängig davon hat das Rechtsmittel aber auch deshalb Erfolg, weil auch für den generell dem Pfändungsschutz des § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO unterliegenden Unterhaltsvorschuß nach dem UhVG (vgl. Stöber a.a.O., Rn. 1015 b) § 55 SGB AT Anwendung findet. Denn das UhVG gilt bis zu seiner Einordnung in das Sozialgesetzbuch als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches (Art. II § 1 Nr. 18 SGB AT). Dies hat zwangsläufig zur Folge, daß die Vorschriften des SGB - und damit auch des § 55 SGB AT - bei der Anwendung des UhVG zu beachten sind (vgl. Scholz, Unterhaltsvorschußgesetz, Einführung Rn. 7; Erläuterung zu § 11).
Damit ist auch insoweit die von der Antragstellerin erstrebte generelle Freigabe nicht möglich.
3.
Soweit schließlich argumentiert wird, die Anwendung von § 55 SGB AT führe zu einem Ausschluß der Schuldnerin vom Giroverkehr, ist darauf hinzuweisen, daß die zeitliche Begrenzung der ausschließlichen Verfügbarkeit von dem Gesetzgeber ausdrücklich gewollt ist.
4.
Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß mit der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung wiederherzustellen. Die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts zum Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses im Rahmen der Beschwerdeentscheidung ist allgemein anerkannt (vgl. Stein-Jonas, ZPO 21. Aufl. § 828 Rn. 3 und § 575 Rn. 7, Zöller/Stöber, ZPO 20. Aufl. § 828 Rn. 1). Nichts anderes kann für die Wiederherstellung eines teilweise aufgehobenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gelten.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht dem Interesse der Gläubigerin an der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Wiederherstellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer Vollstreckungshauptforderung von 512,30 DM.