Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.08.2001, Az.: 5 U 36/01
Schadensersatz; Haftung; Verrichtungsgehilfe; Geschäftsführer; Arzt; Zahnarzt; Verwaltung; Praxis; Vertretung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.08.2001
- Aktenzeichen
- 5 U 36/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 25510
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2001:0814.5U36.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg
Rechtsgrundlage
- § 831 BGB
Fundstellen
- ArztR 2002, 251
- OLGReport Gerichtsort 2002, 31-32
- VersR 2003, 375-376 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Wer als Arzt oder Zahnarzt mit der Verwaltung der Praxis eines anderen Arztes oder Zahnarztes während dessen vorübergehender Abwesenheit beauftragt wird, ist als dessen Verrichtungsgehilfe anzusehen.
Tenor:
Die Berufungen beider Parteien gegen das am 12. Januar 2001 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des 2. Rechtszuges trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3. Die durch die Streitverkündung entstandenen Kosten trägt der Kläger zu 1/3; im übrigen trägt sie der Streitverkündete selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer übersteigt nicht 60. 000 DM.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den Beklagten als Rechtsnachfolger seiner am 20. 05. 1998 verstorbenen Ehefrau auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Feststellung in Anspruch, weil er - der Kläger - in der Zahnarztpraxis der Verstorbenen durch einen angestellten Zahnarzt fehlerhaft behandelt worden sei.
Der Kläger wurde in der Zeit von Oktober 1997 bis März 1998 in der Praxis der verstorbenen Ehefrau des Beklagten durch den Zahnarzt H. . . behandelt. Dabei wurden ihm verplombte Kronen im Unterkiefer und später ein Oberkieferzahnersatz provisorisch eingegliedert.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Arbeit des Zahnarztes H. . . weise vielfältige Mängel auf. So seien die Zähne im Unterkieferbereich zu kurz, während der Oberkieferersatz teils zu kurz und teils zu lang geraten sei. Da der Zahnersatz nicht gepaßt habe, seien - fehlerhafterweise - Einschleifmaßnahmen durchgeführt worden, wobei auch Keramikverblendungen beschädigt worden seien. Die Oberkieferbrücke hätte nicht als Block gefertigt werden dürfen. Seit Beginn der Behandlung leide er unter gravierenden funktionellen Beschwerden und erheblichen Schmerzen, die ein Schmerzensgeld von mindestens 10. 000, 00 DM rechtfertigten. Zur Behebung der Mängel sei eine umfangreiche Nachbehandlung (voraussichtliche Kosten: ca. 18. 000, 00 DM) erforderlich.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 15. 07. 1999 zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die im Zusammenhang mit der streitigen zahnärztlichen Behandlung noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und Behandlungfehler des Zahnarztes H. . . in Abrede genommen. Kleinere Nachbesserungsarbeiten seien mit geringen Kostenaufwand durchzuführen.
Im übrigen habe seine verstorbene Ehefrau den Zahnarzt H. . . ausgesucht und regelmäßig überwacht, so dass er - der Beklagte - für dessen etwaige Versäumnisse nicht einzustehen habe.
Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg hat der Klage nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 12. 01. 2001 in Höhe von 3. 000, 00 DM nebst Zinsen und hinsichtlich eines Teils des Feststellungsanspruchs stattgegeben, weil die Behandlung des Klägers durch den Zahnarzt H. . . zum Teil fehlerhaft gewesen sei.
Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen.
Der Kläger macht geltend, dem Zahnarzt H. . . , für dessen Fehler der Beklagte einzustehen habe, sei vorzuwerfen, die Brücke im Oberkieferbereich mehrfach nachbehandelt und eingeschliffen zu haben; infolgedessen habe sich der Zahnersatz verzogen und sei nicht mehr brauchbar. Durch die überlange provisorische Eingliederung sei es zu Zementauswaschungen und Lockerungsprozessen gekommen. Der Zahnarzt H. . . hätte ihn auch darauf hinweisen müssen, dass ein Zahnersatz möglichst bald endgültig einzugliedern ist.
Ihm - dem Kläger - sei nicht vorzuwerfen, sich seit März 1998 nicht um eine endgültige Eingliederung der Brücke bemüht zu haben, da er sich auch in dieser Zeit in zahnmedizinischer Behandlung befunden habe. Angesichts seiner Beschwerden sei ein Schmerzensgeld von 10. 000, 00 DM angemessen.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten unter Zurückweisung seiner Berufung sowie in Abänderung der angegriffenen Entscheidung des Landgerichtes zu verurteilen, an den Kläger ein über den bereits zuerkannten Betrag von DM 3. 000, 00 nebst 4 % Zinsen seit dem 15. 07. 1999 hinausgehendes angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle über die Feststellung des Landgerichtes Oldenburg hinausgehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die künftig noch aufgrund der zahnärztlichen Behandlung in der Praxis G. . . entstehen.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern, die Klage abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, er brauche als Erbe seiner verstorbenen Ehefrau nicht gemäß § 831 BGB für etwaige Versäumnisse des Zahnarztes H. . . einzustehen, weil dieser nicht als Verrichtungsgehilfe seiner verstorbenen Frau anzusehen sei. Der Zahnarzt H. . . sei als selbständiger Zahnarzt tätig geworden, der eigenverantwortlich behandelt habe und den sie nicht habe überwachen können und müssen.
Auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens sei er - der Beklagte - nicht passiv legitimiert. Vertragliche Beziehungen hätten nicht zwischen dem Kläger und seiner verstorbenen Frau, sondern zwischen dem Kläger und dem Zahnarzt H. . . bestanden.
Der Beklagte hat dem Zahnarzt H. . . den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten ist.
Der Streitverkündete beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern, die Klage abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Berufungen beider Parteien sind sachlich nicht gerechtfertigt.
Wie das Landgericht zutreffend auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens Dr. A. . . (schriftliches Gutachten vom 26. 06. 2000 u. mündliche Anhörung vom 10. 11. 2000) festgestellt hat, sind dem Zahnarzt H. . . bei der Behandlung des Klägers Fehler unterlaufen. Dem Streitverkündeten sind zum einen die erheblichen Einschleifmaßnahmen vorzuwerfen, weil das Ziel einer korrekten Okklusion dadurch nicht erreicht werden konnte und die Kosmetik durch das Beschleifen bis auf die Keramikgrundmasse beeinträchtigt wurde. Durch die Vorgehensweise des Streitverkündeten wurden zugleich die Keramikverblendungen der Zähne 21 und 14 beschädigt; die Zähne sind nachzubehandeln.
Weitere Versäumnisse sind dem Streitverkündeten dagegen nicht unterlaufen, wie dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A. . . zu entnehmen ist, das überzeugend begründet ist. Dazu kann auf die zutreffenden Erwägungen auf Seite 5, 2. Abs. bis Seite 6, 2. Abs. LGU verwiesen werden. Die Berufung des Klägers bringt dagegen nichts Erhebliches vor. Soweit der Kläger beanstandet, dass sich der Streitverkündete für eine Totalverblockung der Oberkieferprothese entschieden habe, hat Dr. A. . . bei seiner Anhörung erklärt, dass er diese Art des Zahnersatzes durchaus für vertretbar erachtet und die Versorgung der Zähne 11 bis 24 mit Einzelkronen nicht unbedingt vorzuziehen gewesen wäre.
Dem Streitverkündeten ist auch nicht vorzuwerfen, dass der dem Kläger nur provisorisch eingegliederte Zahnersatz nicht alsbald endgültig eingegliedert wurde und es infolge der überlangen provisorischen Eingliederung möglicherweise infolge von Zementauswaschungen zu Lockerungen und sonstigen Beeinträchtigungen gekommen ist. Nach den Behandlungsunterlagen hat der Streitverkündete dem Kläger den Zahnersatz Anfang Oktober 1997 provisorisch eingegliedert. Der Streitverkündete behandelte den Kläger letztmals am 19. 03. 1998. Am 31. 03. 1998 war seine Tätigkeit in der Zahnarztpraxis der verstorbenen Ehefrau des Beklagten beendet. Den mündlichen und schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. A. . . läßt sich nicht entnehmen, dass der Zahnersatz in diesem Zeitraum bis zum Ausscheiden des Streitverkündeten hätte endgültig eingegliedert werden müssen oder dass entsprechende Hinweispflichten des Streitverkündeten bestanden. Der Gutachter hat zwar ausgeführt, dass eine zu lange belassene provisorische Eingliederung von Kronen zu Lockerungsprozessen infolge von Zementauswaschungen führen kann und daher eine feste Inkorporation zum frühen Zeitpunkt anzustreben ist. Hier sprach aber entscheidend gegen eine feste Eingliederung der auch vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass der Zahnersatz nicht korrekt paßte und mehrfache Nachbehandlungen (Einschleifmaßnahmen) durchgeführt wurden. Im übrigen kann auch nicht festgestellt werden, dass es bis zum 31. 03. 1998 tatsächlich zu Lockerungen infolge von Zementauswaschungen gekommen ist. Für die Folgezeit entfällt eine Haftung des Beklagten als Erbe seiner verstorbenen Ehefrau schon deshalb, weil die Tätigkeit des Streitverkündeten in der Zahnarztpraxis seit dem 01. 04. 1998 beendet war. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es Sache des Klägers gewesen wäre, sich zur Weiterbehandlung an einen anderen niedergelassenen Zahnarzt zu wenden.
Der Senat teilt auch die Auffassung des Landgerichts, dass der Streitverkündete Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der verstorbenen Ehefrau des Beklagten gewesen ist. Wer als Arzt oder Zahnarzt mit der Verwaltung der Praxis eines anderen Arztes oder Zahnarztes während dessen vorübergehender Abwesenheit beauftragt wird, nimmt bei dieser Vertretertätigkeit regelmäßig eine Rechtsposition ein, bei der ihm der auftraggebende Arzt als Geschäftsherr gegenübersteht, nach dessen Wünschen er sich im allgemeinen zu richten hat. Daran ändert auch der Umstand nicht, dass der Praxisvertreter im Einzelfall die Behandlung eines Patienten nach eigener Entschließung aus eigener ärztlicher Erkenntnis vornimmt (BGH NJW 1956, 1834; PalandtThomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 831 Rdnr. 7 m. w. N. ). Diese Voraussetzungen lagen entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten hier vor. Der Streitverkündete war in der Zahnarztpraxis der verstorbenen Ehefrau des Beklagten ungeachtet einer möglicherweise gegebenen faktischen Selbständigkeit nicht als selbständiger Zahnarzt, sondern als angestellter Zahnarzt tätig, wie auch durch ein Schreiben des Haftpflichtversicherers des Streitverkündeten vom 04. 01. 2001 bestätigt wird. Auch die durch die schwere Erkrankung der verstorbenen Ehefrau des Beklagten bedingte Dauer der Vertretungstätigkeit des Streitverkündeten vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen.
Den grundsätzlich möglichen Entlastungsbeweis (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB) hat der Beklagte nicht angetreten, sondern im Gegenteil den Standpunkt vertreten, seine verstorbene Ehefrau hätte den Streitverkündeten nicht zu überwachen brauchen. Sie habe auch keine Kontrollfunktionen ausgeübt.
Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 3. 000, 00 DM ist angesichts der Versäumnisse, für die der Beklagte einzustehen hat, und der darauf beruhenden Beschwerden des Klägers angemessen (§ 847 BGB). Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass durch Einschleifmaßnahmen im Unterkiefer eine korrekte Okklusion nicht erzielt werden konnte und Keramikverblendungen (Zähne 21 und 14) beschädigt werden. Zum Ausgleich der dadurch sowie durch die Notwendigkeit einer Nachbehandlung verursachten Beschwerden ist der vom Landgericht zuerkannte Betrag ausreichend. Soweit der Kläger nach wie vor unter Zahnschmerzen leidet, braucht der Beklagte dafür nicht einzustehen, weil dem Kläger die Möglichkeit offenstand, sich anderweitig zahnärztlich behandeln zu lassen.
Aus den zutreffenden Gründen der landgerichtlichen Entscheidung ist auch der Feststellungsantrag in dem zuerkannten Umfang zulässig und begründet. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse daran, die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz der materiellen und immateriellen Zukunftsschäden feststellen zu lassen. Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten ist der Kläger nicht verpflichtet, dem Streitverkündeten oder einem anderen Zahnarzt Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben, weil Vertragspartnerin des Klägers die verstorbene Ehefrau des Beklagten war und die Vertragsbeziehungen spätestens mit deren Tod endeten (§ 613 BGB).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 und 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Der Schriftsatz des Beklagten vom 13. 8. 2001 gab keinen Anlaß, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.